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doch wohl der Befürchtung Ausdruck verleihen, cs könnten sich der Einführung einer Reform des Militärstrafver fahrens Schwierigkeiten entgegen stellen. Dem gegenüber ist auf die bündige Erklärung zu verweisen, die der Reichsanzeiger vor wenigen Wochen veröffentlichte, der zu folge eine Vorlage über die Militärgerichtsresorm dem Bundesrathe alsbald nach dessen Wiederzusammentritt zu gehen wird. Im Reichsvcrsicherungsamte wird, wie verlautet, eine Denkschrift ausgearbeitet, betr. die finanziellen Er gebnisse der Alters- und Invaliditäts-Versiche rung, welche zunächst dem Bundesrathe vorgelegt wer den soll. Zwischen Deutschland und Rußland besteht feit kurzer Zeit ein kleiner Zollkrieg. Rußland hat gegen Deutschland mehrere Zollrepressalien angeordnet, denen gegenüber Deutschland, wie im „Hamb. Corr." offiziös angedeutet wird, nicht umhin können wird, das Verbot der Beleihung russischer Staatspapiere wieder herzustellen. Die Bäckereiarbeiter haben beschlossen, diejenigen ihrer Collegen, welche ihre Arbeitgeber wegen Verstoßes gegen die Bäckereiverordnung zur Anzeige bringen und deshalb entlassen werden, als gemaßregelt zu betrachten und demgemäß zu unterstützen. Der Besuch, den der Reichskanzler Fürst Hohenlohe dem auf feinem hannoverschen Gute weilenden deutschen Botschafter in Paris, Grafen Münster, abgestattet hat, bildet in den politischen Kreisen den Gegenstand lebhafter Erörterungen. Es wird dort von keiner Seite bezweifelt, daß dieser Besuch mit dem bevorstehenden Zarenbesuch in Paris in Verbindung stand. Graf Mün ster wird sich demnächst auf seinen Pariser Posten zu rückbegeben und während der Zarentage in Paris anwe send sein. Dem Reichskanzler, der eben erst in Breslau mit den maßgebenden russischen Persönlichkeiten intime Besprechungen gehabt hat, mußte daran gelegen sein, die dort gewonnenen Eindrücke dem Pariser Botschafter münd lich in eigehender Weise zu schildern und den Grafen Münster mit genauen Anweisungen sür den bevorstehen den Zarenbesuch zu versehen. Der Verein deutscher Eisengießereien in Osnabrück nahm bezüglich des Handwerker-Gesetzentwurfs eine Re solution an, in der zwar die allgemeinen Bestimmungen zur Regelung des Lehrlingswesens anerkannt werden, dagegen die Befürchtung ausgesprochen wird, daß die einseitige Errichtung einer osfiziellen Vertretung der wirthschaftlichen Interessen des Kleingewerbes in Handwerksausschüssen, Handwerkskammern und Jnnungsverbänden ohne Grund einen neuen Keil der Zersplitterung in die er- werbsthätigen Elemente des Volks treiben wird, ohne dem Handwerk diejenige Förderung zu bringen, welche es auf diesem Gebiete im engeren Anschluß an die Vertretung von Handel und Gewerbe gewinnen würde. Außerdem legt der Verein Verwahrung dagegen ein, auch die Industrie zu den Kosten der kleingewerblichen Organisation heranzuziehen. In Sachen des Attentats gegen den Berliner Polizeioberst Krause ist nunmehr erwiesen, daß der viel genannte Anarchist Koschemann das fragliche Packet mit der Höllenmaschine in Fürstenwalde zur Post gegeben hat. Der eigentliche Attentäter ist noch nicht entdeckt, da der überführte Koschemann nur Handlanger war. Charakteristisch ist es, daß das Berliner Anarchistenorgan angesichts der Entdeckung des FeniercomplottS und der Resultate in der Attentatsaffaire gegen den genannten Polizeioberst Krause eine Warnung und Mahnung zur Vorsicht an seine Gesinnungsgenoffen richtet. In 6 Berliner socialdemokratifchen Partei- versammlungen wurden die Anträge zum Parteitage in Gotha berathen und die Wahlen der Delegirten vor genommen. Der Besuch der Versammlungen war erheblich geringer als in den Vorjahren. Die Frauen, welche auf eine starke Vertretung ihres Geschlechts auf dem Gothaer Parteitage gerechnet hatten, erlitten eine arge Enttäuschung, es wurden überall Männer zu Delegirten gewählt. Die „Vosischc Ztg." hebt hervor, daß die Pensioni- rungen höherer Offiziere in diesem Jahre sehr erheb- liche seien und rechnet aus, daß im Ganzen bisher 757 preußische Generale leben. Die „Nordd. Allg. Ztg." erklärt, daß die Herauf setzung des einfachen Briefgewichts auf 20 Gramm für den Postfiskus einen Ausfall von mehreren Millionen Mark verursachen würde, den die Interessen der Reichs finanzverwaltung jedoch nicht gestatten. Die Ausgleichsverhandlungen bezüglich der Bei träge der beiden Reichshälften zu den gemeinschaftlichen Ausgaben sind als gescheitert zu betrachten. Die Auflösung deS Reichstags steht aller Wahrscheinlichkeit nach unmittelbar bevor. In Pest tagt gegenwärtig der internationale land- wirthschaftliche Congreß, an dem auch deutsche Re gierungsvertreter theilnehmen. Der ungarische Acker bauminister Doranyi führte in feiner Begrüßungsrede aus, daß die Landwirthschaft aller Orten schwere Tage zu bestehen habe und daß sowohl exportirende wie im- portirende Staaten unter der Rückwirkung dieser That- sache in gleicher Weise zu leiden hätten. Die Staaten müßten daher nicht nur alle berechtigten Bestrebungen, welche geeignet sind, der landwirthschaftlichen Production günstige Bedingungen zu sichern, aufmerksam verfolgen, sondern müßten dieselben auch nachdrücklich unterstützen. Frankreich. Die Frau des deportirten Kapitän Dreyfus richtete ein Schreiben an den Ministerpräsidenten und den Prä sidenten der Kammer, worin sie das Gerechtigkeitsgefühl der Abgeordneten anruft und die neuliche Behauptung des Pariser „Eclair", Dreyfus sei auf Grund eines ge heimen Aktenstückes verurtheilt worden, das der Vor sitzende des Kriegsgerichts den Richtern ohne Wissen des Angeklagten und feines Vertheidigers vertraulich mitge- theilt habe, als das Eingeständniß eines Justizverbrechens, begangen durch Offiziere an einen Kameraden, hinstellt. Die Darstellung des „Eclair" sei falsch und Dreyfus unschuldig. An der zu Ehren des Zaren veranstalteten Parade in Chstlons am 9. October werden 4 Armeecorps theilnehmen. „Der Zar dem Zaren" überschreibt die „Pet. Republ." einen Leitartikel, der sich mit der Verleihung eines hohen russischen Ordens an den Pariser Baron Rothschild beschäftigt. Judenverfolgungen in Rußland und nun Ehrung Rothschilds in Frankreich, wie sei das in Ein klang zu bringen? Einfach so: vor 5 Jahren befanden sich die russischen Finanzen in einem bösen Zustand. Die erste Anleihe war mißglückt, denn Rothschild hatte sich ihrem Zustandekommen widersetzt. Man knüpfte Ver handlungen mit ihm an, und der siegreiche Krösus sagte gegen bedeutsame Zugeständnisse in der Petroleumerzeu gung seine Mithilfe zu. Seitdem vervielfältigten sich die Anleihen mit wachsendem Erfolge, der Zar hatte sich dem Könige der hohen und höchsten Finanz unterworfen, für welchen Akt der weiße Adlerorden das Sinnbild sei, und eine neue Anleihe stehe bevor. „Nikolaus II. be sucht uns nicht wegen unsrer schönen Augen, seine Lie benswürdigkeit gilt unsrer Kasse, deren Hauptschlüfsel Rothschild in Händen hat." Ein Korrespondent des „Temps" findet, daß die Kaisermanöver in Schlesien zu „theatralisch" ge wesen seien und daß die Infanterie weniger Ausdauer gezeigt habe als die französische. (Wenn sich die fran zösischen Leser an dieser „Temps"-Meldung ersreuen, wir können es ihnen auch gönnen; glauben aber kaum, daß sie dessen Worten Glauben schenken werden.) England. Die Entdeckung der großen Anarchistenverschwörung yat den Zaren veranlaßt, seine Reise nach Balmoral um einige Tage zu verschieben und sich statt am Sonnabend erst am nächsten Dienstag dorhin zu begeben. Die Glasgower Polizei entwickelt eine fieberhafte Thätig- kcit, um bei der Landung des Zaren jeden Zwischenfall zu verhüten. Die Landungsbrücke in Leith wird abge sperrt werden. Von Glasgow werden 300 Sonderpoli zisten nach Leith dirigirt werden. Auch sonst ist man in England wegen bevorstehender anarchistischer Atten tate in Sorge, so theilt z. B. die Bank von England augenblicklich keine Erlaubnißscheine zur Besichtigung der Bank aus. Ob der offenbare Anführer der entdeckten Bande, der in Boulogne verhaftete Amerikaner Tynan, an England ausgeliefert werden wird, ist noch zweifel haft. Türkei. Belangreiche Mittheilungen aus Konstantinopel liegen heute nicht vor. Alle Anzeichen deuten auf den baldi gen Eintritt von Katastrophen hin. Die allgemeine Panik ist eine große. An Ausschreitungen der Türken hat es in den jüngsten Tagen gleichfalls nicht gefehlt. Wohl um die schöne Harmonie nicht zu stören, wird nun türkischcrscitS gemeldet, die Polizei von Konstanti nopel habe an mehreren Orten Dynamitbomben entdeckt, die den Armeniern gehörten und zu verbrecherischen Zwecken von diesen verborgen gehalten worden seien. Möglich, daß diese Mittheilung auf Wahrheit, ebenso möglich jedoch auch, daß sie der frei schaffenden Phantasie ihren Ursprung verdankt, sie ist insofern typisch, als sie das feindliche auf gegenseitigen Argwohn basirte Verhält- niß zwischen Türken und Armeniern charaktcrisirt. Eine Folge dieses Verhältnisses ist die beständige Furcht vor dem unerwarteten Ausbruch eines neuen Krawalls. Die Banden und dir Mehrzahl der fremden Geschäfte in der Stadt sind geschloffen, die Consulate haben ihre Lands leute aufgcfordert, ihre Häuser möglichst nicht zu verlas sen. Die Pforte publicirt Kundmachungen, die Bevölke rung solle sich ruhig verhalten und an der Niederwerfung etwaiger Unruhen nicht betheiligen. Diese Forderung der Pforte wurde auch von den Kanzeln aller Konstan tinopeler Moscheen feierlich verkündet. In der Stadt geht das Gerücht, der Sultan sei von den Mächten auf gefordert worden, abzudanken. Das Gerücht ist zwar unbegründet, aber doch recht bezeichnend für die Situa tion. Die englische antitürkische Bewegung wird von den maßgebenden Stellen zurückgewiesen; es ist demnach vorauszusehen, daß England keinen selbständigen Schritt in der türkischen Angelegenheit unternehmen wird, ein neues Gemetzel jedoch alle Mächte zum Einschreiten ver anlassen wird. Aus dem Muldenthale *Waldenburg, 19. September. Für Gartenbesitzer von Wichtigkeit ist eine vor Kurzem vom Reichsgericht gefällte Entscheidung, nach welcher fremde Katzen, die in Gärten eindringen und den Singvögeln oder dergleichen nachstellen, als Raubthiere behandelt und weggefangen, sowie durch Gift, durch Erschießen rc. getödtet werden können. *— Der Glauchauer Kreisverein sür innere Mission hält seine diesjährige (15.) ordentliche General-Versamm lung am Sonntag, 27. September, nachmittags 4 Uhr in St. Egidien, im Saale des Gasthofes „zu den drei Schwänen" ab. *— Der bloße Mitgenuß eines gestohlenen Genuß mittels ist, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, II. Strafsenats, vom 14. April 1896, nicht als Hehlerei zu bestrafen, gleichviel, ob das Genußmittel vermittels eines besonderen Gefäßes oder unmittelbar von dem Körper des Genießenden ausgenommen ist. — Der neuerbaute Schlachthof in Glauchau soll am 1. October d. I. eingeweiht werden. — Es ist schon eine Weile her, da stahl in der Nähe von Glauchau eine Zigeunerin einen Thaler; sie er reichte damit ihren Zweck, nämlich in das Glauchauer Amtsgerichtsgefängniß zu kommen. Hier in den zwar engen Mauern, aber immerhin geschützt vor Wind und Wetter und unterstützt von sachkundiger Hand, — genas sie bald eines munteren braunen Knäbleins. Aus ihren späteren Erzählungen ging hervor, daß auch sie, sowie ihre Mutter, Großmutter, Urgroßmutter usw. im Ge- fängniß geboren wurde, und daß es in ihrer Familie von jeher üblich war, .zu dieser Zeit für ein derartiges sicheres Unterkommen Sorge zu tragen! — Die städtischen Kollegien in Glauchau haben eine Erhöhung des Schulgeldes bei der Realschule, und zwar in 1.-5. Kl. auf 100 Mk., in 6. Kl. auf 60 Mk. und im Progymnasium in 4. und 5. Kl. auf 120 Mk. und in 6. Kl. auf 80 Mk. jährlich beschlossen. Gleichzeitig wurden, um 3 neue Schulzimmer usw. zu schaffen, für einen Erweiterungsbau des Realschulgebäudes 22,000 Mk. aus Anleihemitteln bewilligt. — Zu der Prüfung für den Einjährig-Freiwilligen- Dicnst, welcher am 14. und 15. d. M. in Zwickau im Hotel „Deutscher Kaiser" abgehalten worden ist, waren vor der König!. Prüfungskommission sechs Aspiranten er schienen. Vier jungen Leuten konnte nach dem Ausfall der Prüfung die Berechtigung ertheilt werden. Aus dem Sachfenlanve. — Der Gesammtbetrag der indirekten Steuern im Königreich Sachsen bezifferte sich nach vorliegenden Nach weisen im Jahre 1875 auf 22,579,237 Mk., im Jahre 1885 aus 38,389,849 Mk., im Jahre 1895 auf 59,962,608 Mk., oder pro Kopf der Bevölkerung 1875 auf 8,20 Mk., 1885 auf 12,15 Mk., 1895 auf 16,00 Mk. Von den indirekten Steuern wurden erhoben: im Jahre 1875 für Rechnung des Reichs 18,874,156 Mk. und für Rechnung des Landes 3,705,081 Mk., im Jahre 1885 sür Rechnung deS Reichs 34,095,406 Mk. und für Rechnung des Landes 4,294,443 Mk., im Jahre 1895 für Rechnung des Reichs 55,475,805 Mk. und für Rechnung des Landes 4,496,803 Mk. Die sür Rechnung des Landes erhobenen indirekten Steuern be treffen lediglich das Fleisch (Schlachtsteuer rc.). Ihr Ertrag pro Kopf der Bevölkerung ist in den letzten bei den Jahrzehnten der gleiche geblieben (1,30 Mk.). — In dem Haushaltplan der staatlichen Schmelz hütten Sachsens für 1896 und 1897 sind als Verkaufs preise angenommen für das Kilogramm Gold nach Ab zug der Scheidckosten durchschnittlich 2720 Mk., Silber 80 Mk., für den Doppelcentner Blei 20'/-Mk., Kupfer 120 Mk. — Die Bevölkerungszahl Dresdens stieg im Monat August auf 344,050 Köpfe (1895 den 2. December 336,440). — Dir „Alte Stadt" in Dresden wird jedenfalls nicht erhalten bleiben. Dem Comitö der Kunstausstellung war dieselbe zur Benutzung angeboten worden, doch glaubt dasselbe in der „Alten Stadt" eine Ablenkung der Auf merksamkeit der Besucher von den Ausstellungsgegenständen zu erblicken. Die meisten Bauten des wendischen Dorfes sind bereits verkauft. — Die Haltung der Leipziger Gastwirthe anläßlich des Bierpantscherei-Falles „Fehse" findet keineswegs Beifall. Man wird mit beschlossenen Entrüstungskund gebungen nicht allzu viel erreichen, da doch das Miß trauen im Publikum geweckt und bestärkt durch die einmal zu Tage getretene und gerichtlich festgestellte Biermantscherei sich nicht so leicht beschwichtigen lassen wird. Von den Mischmaschereien ist die Neigenbierhin zugabe sicher als die verwerflichste zu bezeichnen und doch wird sie von gewissenlosen, habgierigen Zapfern mehr betrieben, als die Gäste ahnen, zumal die vielfach dunk len und öfters anscheinend mit Absicht versteckt gehaltenen Bierausgaben (Büffetts) dem lichtscheuen Treiben dieser Leute geradezu Vorschub leisten. Wie könnte aber diesem gemeinschädlichen Treiben am ehesten gesteuert werden! Das wäre auf eine verhältnißmäßig einfache