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folgende Worte an das Regiment: „Ich beglückwünsche das Regiment zum heutigen Tage und spreche den Wunsch aus, daß es ihm vergönnt sein möge, im Frieden so seine Pflicht zu thun, wie die vergangene Generation, und zu streiten, wie die alten Krieger, deren Denkmal hier vor Euch steht, und zu fallen wie Diejenigen, deren Namen auf den Tafeln des Denkmals eingegraben sind, zu Ehrendes Vaterlandes und auf den Ruf seines Königs!" Ein Parademarsch in Zügen beendete die Feier. Bei der folgenden Festtafel im Osfizierkasino hielt der Kaiser folgende Rede: „Dem Regiment war es vergönnt ge wesen, so jung es war, bald nach seiner Formation drei glorreiche Feldzüge mitzumachen und Antheil an dem Ruhm der früheren preußischen Fahnen zu nehmen. Es ist das der beste Beweis, daß der alte preußische Geist, den Mein Großvater als junges Reis einsetzte, sich in der ganzen Armee bethätigt, wie er auch von seinen Fürsten gehegt und gepflegt wird, jener Geist der Kame radschaft und Hingebung, der ewig frohe, freundliche Born. Ich hoffe, daß das Regiment seinen bisherigen Tradi tionen treu bleiben, diesen Geist auch weiter pflegen und hegen, sowie mit Hingebung voller Treue durch andauernde Arbeit bemüht sein wird, das Regiment auf der Höhe zu erhalten, auf die es durch seine Vergangenheit sich emporgehoben hat. Ich hoffe, daß das Regiment, falls ich dazu genöthigt sein sollte, zum Kriege zu rufen, mit derselben Pflichttreue und Freudigkeit für mich in den Tod gehen wird, wie damals sür meinen Großvater." Der Kaiser trank auf das Wohl des Regiments. Die Rückkehr nach dem Neuen Palais erfolgte im Laufe des Nachmittags. Das Publikum brachte Sr. Majestät leb hafte Ovationen dar. Im Palais hörte der Monarch Vorträge und nahm militärische Meldungen entgegen, darunter die des Kriegsministers v. Goßler. Sonntag Vormittag besuchten die Majestäten den Gottesdienst. Fürst Bismarck hat folgendes Telegramm aus Rio de Janeiro erhalten: Anläßlich ihres 75jährigen Stif tungsfestes sendet die Gesellschaft Germania in Rio de Janeiro dem Mitbegründer des Reiches und hochverehr ten Altreichskanzler in dankbarer Verehrung ehrerbietig sten Gruß. Ueber die Generalidee zu den Kaisermanövern wird berichtet: Die Ostarmee wird ihre Bewegungen von Lauban aus beginnen, während das 6. Armeecorps, das bekanntlich von Breslau kommt, mit der Eisenbahn so gleich bis Görlitz befördert werden wird. Die West armec wird von Bischofswerda kommend ihr entgegen gehen; der erste Zusammenstoß soll bei Hochkirch zu er warten sein. Es werden da sehr interessante Vergleiche nnt der Taktik der Friederizranischen Zeit zu machen sein. Bekanntlich fand dort 1758 die Schlacht zwischen dem preußischen Heere und dem österreichisch-sächsischen unter Daun statt und endigte zum Nachtheil der Preußen. Auch umfassende Beleuchtungs-Versuche mit elektrischem Licht sollen gemacht werden. Großartige Kavallerie-An griffe sind in der Gegend von Drehsa geplant. An Zöllen und Verbrauchssteuern sind in der Zeit vom 1. April bis Ende Juli 231,672,804 Mk. zur Reichskaffe gelangt, mithin 4,061,086 Mk. mehr, als in demselben Zeitraum des Vorjahres. Der Spiel- Feuilleton. Bozena Matuschek. Roman von Caroline Deutsch. (Fortsetzung.) Aber etwas Neues enthüllten sie ihm, eine ältere Ge schichte — die Geschichte von dem Tode des Marek. So wild und abgerissen auch die Phantasien des Kranken waren, er kam immer wieder darauf zurück, und was er einmal nicht sagte, ergänzte er das andere Mal. Er rang mit Marek, er schrie laut um Hilfe, da die Ehre des Mädchens bedroht sei, dann wieder flehte er mit herzbrechenden Worten seinen Vater an, das Märchen nicht zu ersinnen, die Wahrheit zu sagen. Ein andermal zerriß er die Schrift, die die Schuld des alten Matuschek enthielt, flüsterte von Desertion, Diebstahl, dann schrie er gellend, daß Bozena keinen Mord begangen, daß sie nicht unschuldig ins Zuchthaus dürfe; er schrie es so lange und so gellend, bis seine Kräfte erschöpft waren, er todesmatt zurückfiel und stundenlang ohne Bewegung dalag. „Zu vieles beschwert seine arme Seele," pflegte die alte Linka, die Haushälterin zu sagen, „ich glaube nicht, Herr Doctor, daß sie sich aus all diesem herausarbeiten kann." „Seine Jugendkraft soll ihn retten," erwiderte der Doctor, aber es gab Tage, wo er zweifelte, daß es ge lingen würde. Etwa sechs Wochen nach dem Tode Gabors kehrte Bozena nach Tura zurück. Der Winter war schon längst cingezogen und Felder und Wiesen mit fußhohem Schnee bedeckt. So lange hatte es gedauert, bis ihr Fall vor Gericht zur Erledigung kam. Und als er endlich verhandelt wurde, hatte sich der ganze Thatbestand geändert. Von dem Commiffariat aus Tura waren Beweise von ihrer Unschuld eingetroffen und Wochen vorher war schon Jozi Barkas in Neutra gewesen, als Ankläger gegen die Semany'sche Familie aufgetreten, und hatte die ganze kartenstempel erbrachte 491,404 (mehr 20,337) Mark. Bei den bayerischen Herbstmanövern sollen die Rad fahrer mehrerer Truppenkörper vereinigt und versuchsweise als radfahrende Infanterie verwendet werden. Vor Kurzem ging eine auf statistische Ermittelungen gestützte Auslastung über das Schlafstellenwesen in Berlin und dessen sittliche G efahren durch die Presse, welche die Verhältnisse auf diesem Gebiete in einem sehr trüben Licht erscheinen ließ. Daß es außerhalb Berlins an ähnlichen Zuständen, welche die Wohnungsfrage als eine dringende erscheinen lassen, nicht fehlt, zeigt der Be richt des Gewerberathes für den Regierungsbezirk Lieg nitz. Dieser führt Klage über die schlechten sittlichen Zu stände unter den Arbeiterinnen des Aussichtsbezirkes, die aus dem Umstande resultiren, daß viele Mädchen, deren Eltern am Orte wohnen, in welchem sie beschäftigt sind, es vorziehen, bei fremden Leuten zu wohnen, um über ihre freie Zeit schrankenlos verfügen zu können. Die Folge ist eine unverhältnißmäßig große Anzahl unehe licher Geburten. Nach Mittheilung eines dortigen Fabrik inspectors beträgt die Zahl der unehelichen Geburten in seinem Bezirk etwa 75 Procent aller bei Arbeiterinnen derselben Fabriken vorkommenden Geburten; für eine Fabrik wurde diese Zahl sogar auf 90 Procent ange geben. In einer Flachsspinnerei kommen jährlich etwa 6 Procent aller Mädchen nieder. Eine Besserung dieser Verhältnisse, die übrigens in manchen andren Gegenden nicht bester sind, wird von einer Regelung des Kost und Quartiergängerwesens im ganzen Regierungsbezirk, die in Aussicht genommen ist, erhofft. Der neue Kriegsminister v. Goßler erklärte auf dem ihm zu Ehren in Darmstadt veranstalteten Liebesmahl, wie verlautet, daß er als guter Soldat in Treue und Folgsamkeit erzogen worden sei und daher dem ganz un gesucht und in überraschender Weise an ihn gelangten Rufe des Allerhöchsten Kriegsherrn folgen zu müssen glaube. Die viel besprochene Erklärung des Reichsan zeigers über den Rücktritt des Herrn v. Bronsart und die Stellung des Militärcabinets soll, wie die national liberale „Elberselder Ztg." einer „beglaubigten" Version zufolge constatirt, unmittelbar auf den Kaster zurückzu führen und durch Herrn v. Lucanus und nicht durch das Militärcabinet dem Reichskanzler übermittelt worden sein. Die „Drohung mit dem Conflict" überschreibt die „Vost. Ztg." einen Leitartikel, in dem sie sich mit den Auslastungen der „Staatsbürger-Ztg." beschäftigt. Das Blatt hatte geäußert: „Wir haben das Vertrauen, daß der Kaiser schon den Mann zu finden wissen wird, der, mit unbeugsamer Willenskraft ausgestattet, auch vor einem etwaigen Conflict mit den Volksvertretungen nicht zurückschreckt." Als Entgegnung darauf führt nun die „Voss. Ztg." aus, daß der Rücktritt des Herrn v. Bron sart besonders auch in den autzerpreutzischen Bundes staaten tiefe Erregung hervorgerufen hat. Sie weist hin auf Moskauer Rede des bayrischen Kronprinzen und erklärt, daß sich die Regierung Württembergs über ihre Stellung zur Militärstrafprozeßreform so offen wie mög lich ausgesprochen. Ueber den Inhalt des eigenhändigen Briefes des Königs von Sachsen an den Kaiser gebe vielleicht die Thatsache Ausschluß, daß die amtliche „Leipz. Sachlage enthüllt. Als man Bozena beim Verhöre fragte: warum sie etwas eingestanden, was sie nicht gethan, und dadurch die Ge richte hinters Licht geführt? antwortete sie, sie könne das niemanden sagen; dann, als sie gedrängt wurde, man sollte annehmen, sie hätte geglaubt, es würde diesmal den Tod bedeuten, und sie hätte sterben wollen . . . Etwas anderes war aus ihr nicht herauszubekommen. Sie wurde freigesprochen und die sechs Wochen Haft ihr als Strafe für das falsche Geständniß angerechnet. Sie legte den zehn Stunden langen Weg zu Fuß zurück und ihre kräftige Constitution widerstand der Kälte und der Ermüdung. Es mochte nach zehn Uhr sein, als sie in Tura an langte, und in den wenigsten Häusern brannte nur noch Licht. Doch sie kannte ihren Weg und fand ihn auch im Dunkeln. Als sie vor ihrer Hütte anlangte, war diese verschlossen. Sie hatte sie in jener Nacht offen gelasten, das wußte sie und zurückgekehrt war sie auch nicht wieder. Wer hatte ihr diesen Liebesdienst erwiesen? Diesen und auch den anderen, ihre Ziege zu versorgen? Sie hatte sich überzeugt, daß diese in dem kleinen Bretterverschläge sich nicht befand; sie hatte geglaubt, sie todt vorzufinden, aber der Verschlag war leer. Einer konnte eS nur gethan haben: l)r. Nawadny. Den Schlüssel zu holen, war jetzt zu spät, überhaupt wollte sie mit keinem in Berüh rung kommen. Sie drückte die kleine Scheibe des nied rigen Fensters ein, öffnete von innen den Riegel und schwang sich in daS Zimmer. Keine Hand hatte die Gegenstände berührt und so fand sie alles, wie sie es verlasten. Sie zündete die Lampe an und ihr Heller Schein beleuchtete den kalten, unwirth- lichen Raum. Doch blieb es nicht lange so. Sie sand etwas Holz in einer Ecke und machte ein tüchtiges Feuer im Ofen, auch Kartoffeln lagen unter dem Bett ausge schichtet und sie bereitete sich ein Abendbrot davon. Sie waren zwar halb gefroren, aber was machte das? Sie Ztg." an hervorragender Stelle den Brief des Frhrn. v. Stein vom Jahre 1806 abdruckt, der eine verantwort liche Ministerialregierung für unmöglich erklärt, wenn nebenbei unverantwortliche Geheimcabmette regieren. Daß angesichts solcher Zeichen der Zeit mit einem Conflict gedroht werden kann, ist nicht nur thöricht, sondern ge fährlich. Denn ohne Reichstag giebt es nach Artikel 70 der Reichsverfastung keine Matrikularbeiträge. Der erste Versuch einer budgetlosen Wirthschaft müßte zum Zerfall des Reiches führen. Man sollte sich daher hüten, mit dem Conflicte zu drohen, und damit jeder partlku- laristischen Neigung in Deutschland und jeder Schaden freude im Auslande Nahrung zu geben. Zu den Anschuldigungen gegen den Gouverneur v. Puttkamer schreibt die „Volks-Ztg.": Unmittelbar nachdem die weder von Herrn v. Stetten noch durch Herrn Giesebrecht veranlaßten Gerüchte über einen be vorstehenden Colonialskandal aufgetaucht waren, wandte sich das Auswärtige Amt an Herrn v. Stetten mit der Anfrage, in welchem Verhältniß er zu besagten Gerüch ten stände. Herr v. Stetten hat darauf prompt Ant wort gegeben und erklärt, daß die gegen Herrn v. Putt kamer erhobenen Beschuldigungen den von ihm (v. Stet ten) wiederholt gemachten Angaben entsprächen. Herr v. Stetten trifft in kürzester Frist in Berlin ein und wird sich und sein Zeugniß alsdann dem Auswärtigen Amte zur Verfügung stellen. Belgien. Belgien wird bald eine ungeheure Spielhölle sein. Man hatte geglaubt — so wird aus Brüssel geschrieben —, daß der Tod deS englischen Salpeterkönigs North, dem die belgische Regierung die Dünen zwischen Ostende und Mariakerke behuss Errichtung einer neuen Villen stadt und „eines zweiten Monaco" abgetreten hatte, vieses Belgien zur Unehre gereichende Unternehmen be seitigen würde, aber weit gefehlt! Die North'schen Erben haben sich mit dem belgischen Finanzminister ver ständigt; die Arbeiten sind in vollem Gange; der monu mentale Gasthof mit seinen Prunkräumen und Spiel- lälen soll schon im nächsten Jahre eröffnet werden. Bei diesem Vorgehen des Ministeriums ist eS kein Wunder, daß nicht nur in den Seebädern und allen Kurorten, sondern auch in allen Industriestädten neue Spielklubs wie Pilze aus der Erde schießen und durch verlockende Anzeigen zur Theilnahme am Spiel auffordern. Man schlägt dem die Hazardspiele verbietenden Gesetze ein Schnippchen, indem diese neuen Spielklubs und Spiel häuser zunächst als „Privatgesellschaften" auftreten. Diese Spielhöllen machen sich jetzt selbst Concurrenz, indem sie — eine neue Erscheinung — auch in aus ländischen Blättern die Thätigkeit und Gewinnaussichten chrer Salons anpreisen. Die Brüsseler Presse stößt einen Angstruf aus und mahnt, „diese erschreckliche Be wegung anzuhalten, da sonst inmitten der anderen Na tionen Belgien und Monaco einen Schandfleck bilden werden", aber der Ruf wird wohl verhallen. Frankreich. Der Generalrath von Pas de Calais beschloß, dem Zaren zwei Hengste der berühmten Boulogner Race als Geschenk anzubieten. war nicht verwöhnt; die Gefängnißkost war auch nicht besonders gewesen, und was die Hauptsache war, sie war ganz ausgehungert. Bozena war etwas bleicher und magerer geworden, aber es lag eine merkwürdige, stille, fast feierliche Ruhe in ihrem ganzen Wesen. Am anderen Morgen schon verbreitete sich die Nach richt im Orte, Bozena Matuschek sei zurückgekehrt. Man hatte in aller Frühe Lichtschein aus ihren Fenstern schimmern sehen; leise Schritte waren herangeschlichen, spähende Augen hatten durch die Fenster geblickt und sich davon überzeugt; hineinzugchen hatte keiner den Muth. Am Nachmittage kam der Doctor auf kurze Zeit und brachte den Schlüssel. „Ist es Dir nicht eingefallen, daß er bei mir sein könnte?" fragte er sie. „Ich hab' es nicht nur geahnt, ich hab's sogar gewußt," versetzte sie. „Wer denn sonst außer Ihnen hätt's gethan." „Auch die Ziege ist versorgt; sie ist ordentlich dick und fett geworden, die Linka hat sie gehörig mit den unserigen verpflegt." Sie dankte mit leiser Stimme und sagte, sie würde sie beim Dunkelwerden holen. „Warum beim Dunkelwerden?" fragte der Doctor. „Fürchtest Du und scheust Du die Menschen auch jetzt noch?!" „Ich hab sie nie gefürchtet, aber — jenes Ereigniß ist mir noch zu sehr in Erinnerung, als daß ich Ver langen nach ihren Gesichtern hätte . . ." „Bozena," sagte der Doctor mit einem seltsamen Blick, „war es Dir an der Vergangenheit nicht genug, warum hast Du die zweite Schmach auf Dich genommen?" „Das kann ich Ihnen nicht sagen, Herr Doctor, so hoch ich Sie auch halte," versetzte sie mit einem leisen Beben in der Stimme, „nicht Ihnen, keinem Menschen, nicht einmal mir . . . das — das weiß nur Gott... (Fortsetzuug folgt.)