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dieselben durch Anordnung der Landescentralbehörde er lassen werden. Handwerker, welche kraft Gesetzes einer Zwangsinnung angehören oder einem Handwerksausschusse unterstehen, dürfen den Meistertitel nur führen, wenn sie in ihrem Gewerbe die Befugniß zur Anleitung von Lehrlingen er worben und die Meisterprüfung bestanden haben. Aus den Uebergangsbestimmungen ist noch zu erwähnen, daß Gewerbetreibende, welche bei Erlaß des Gesetzes Lehrlinge halten, berechtigt sind, die Lehrlinge auszulernen, und daß, wer bei dem Inkrafttreten dieser Bestimmungen ein Gewerbe selbstständig betreibt, befugt ist, den Meistertitel zu führen, wenn er in diesem Gewerbe die Befugniß zur Anleitung von Lehrlingen besitzt. Die Handwerkerkreise haben nunmehr Gelegenheit, die Vorschläge der Regierung zur Organisation des Hand werks zu prüfen und auf etwaige Mängel derselben hin zuweisen. Dem kleinen Gewerbetreibenden wird freilich in feinem leider aussichtslosen Kampfe gegen die Groß industrie mit diesen Vorschlägen auch nicht viel gedient sein. Aber immerhin wird mit dem Zusammenschluß des Hand werks und der geregelten Aufsicht über die Ausbildung der Lehrlinge wenigstens für die Zukunft sich Manches erreichen lassen. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Kaiser hörte am Montag auf Schloß Wilhelms höhe bei Kassel den Vortrag des Chefs des Civilcabmets v. Lucanus. Dem Finanzminister Miquel hat Prinzregent Luit pold von Bayern das Großkreuz des Civil-Verdienst- kreuzes der bayerischen Krone verliehen. Vizeadmiral Valois hat, wie aus Wilhelmshaven ge meldet wird, seinen Abschied genommen; an seiner Stelle ist Vizeadmiral Karcher zum Chef der Marinestation der Nordsee ernannt worden. Friedrich Schröder hat der „Post" zufolge gegen die hohe Strafe appellirt; die Appellation wird, falls sie aufrecht erhalten wird, in Dar-es-Salaam entschieden. Der Gerichtshof besteht aus dem Oberrichter oder dessen Vertreter und einer Anzahl Beisitzer. Ueber die Schrö der zur Last gelegten Verbrechen wie über die Begrün dung des Urtheils sind nähere Nachrichten an amtlicher Stelle noch nicht eingetroffen; sie werden mit dem näch sten Reichspostdampfer erwartet. Mit allem Vorbehalt geben wir folgende Mittheilung der „Voss. Ztg." über einen neuen Colonialskandal wieder: „Ein Kabelbrief der Chicagoer Zeitung „Der Westen" bereitet auf einen neuen Colonialskandal vor, der diesmal in noch höhere Stellung hinaufgreift, als die war, in der sich Leist, Wehlan und Peters befanden. Ankläger sollen ein früherer Vizegouverneur und wiederum der Journalist Giesebrecht sein, der bereits die Uebel- thaten aufgedeckt hat, deren sich Leist und Wehlan in Kamerun schuldig gemacht haben. Eine große Zahl be schworener Aussagen von Augenzeugen und Opfern ver übter Brutalität, sowie sonstiges belastendes Material soll sich im Besitze einer deutschen Zeitung befinden und demnächst veröffentlicht werden. Der betr. Beamte wird schrecklicher Grausamkeiten gegen Eingeborene, niedriger Ausschweifungen und anrüchiger Finanzspeculationen be schuldigt. Weiteres Beweismaterial soll sich in den Hän den zweier Mitglieder der Linken befinden und wird dem Reichstage in Gestalt einer Interpellation der Regierung vorgelegt werden. Unser Gewährsmann, ein bekannter Reisender, hat selbst Verschiedenerlei gegen den betreffen den Beamten vorzubringen, wird dies aber nicht vor dem Spätherbst thun." Mit dem Ausschluß der Anarchisten vom Internatio nalen Socialistencongreß in London beschäftigte sich eine am Sonntag in Berlin abgehaltene Anarchistenver- fammlung, an der auch zahlreiche Socialdemokraten theilnahmen. Ein Socialdemokrat leugnete die Eigen schaft der Anarchisten als Arbeiter, ein Anarchist er widerte darauf, daß er weder Singer noch Liebknecht noch die meisten übrigen Führer der Socialdemokraten als Arbeiter anerkennen könne und daß es ihm höchst gleichgiltig sei, welchen Beruf seine Genossen hätten, wenn sie nur „sittencein" wären, was man von den Führern der Socialdemokraten nicht behaupten könne. Auf diese Aeußerung entstand eine allgemeine unerhörte Schimpferei unter der ehrenwerthen Clique, so daß Redner nicht mehr zum Worte kamen. Ueber den internationalen Socialistencongreß, der sich in der vergangnen Woche in London so gut er konnte lächerlich gemacht hat, äußert sich die „Kreuz-Ztg." in ihrer Wochenschau, indem sie auf die in Lille und London gegebenen Beweise der Rohheit und Vaterlands losigkeit hinweist. Zweifellos werden diese Vorgänge dazu führen, die Position aller derer zu stützen, die da für sind, daß diese Partei mit fester Hand angegriffen werde. Die Socialdemokraten sollen nicht außerhalb des gemeinen Rechts gestellt werden, es ist ihnen aber Vas, was ihnen gewährt werden kann, aber nicht gewährt werden muß, von den Behörden in keinem Falle zuzu gestehen; denn sie sind immer auszufassen als eine Partei, welche die Grundlagen unsrer Staats- und Gesellschafts ordnung rücksichtslos bekämpft. Dieser Standpunkt ist vollständig zu billigen. Die bestehenden Mittel, der So cialdemokratie entgegenzutreten, sind vollständig zu er schöpfen, und es giebt sehr viele Mittel und Wege für die Behörden, dem Volke den Unterschied zwischen dieser revolutionärer Partei und anderen Parteien erkennbar zu machen. Frankreich. Der letzte Ausspruch Lihungtschangs, den man in Paris verzeichnet, ist die unverblümte Antwort, die er in Havre bei einem Festmahle gab, als der amtliche Redner auf die glücklichen Folgen trank, die Lihungtschangs Besuch für Frankreich und Havre haben werde. Der Chinese, der vormittags Schießversuchen beigewohnt hatte, verstand die Anspielung und erwiderte: Wenn Ihre Kanonen besser und billiger sind als die deutschen, werde ich sie kaufen; wenn nicht, nicht. Die Nachrichten über den Zarenbesuch sind verfrüht. Italien. Die gefangenen Italiener sind bekanntlich noch immer in den Händen des hinterlistigen Abessinierkönigs Menelik. Während von einigen Seiten wiederholt ver lantbartete, daß es den Gefangenen gut gehe, bringt die „Tribuna" schon zum zweiten Male Berichte über schlechte Behandlung der Gefangenen, anscheinend zu dem Zweck, die italienische Regierung zu einer energischen Action aufzurütteln. Der Papst soll gesagt haben, Menelik mache die Freigabe der Gefangenen von der Zahlung einer Geldsumme abhängig. Die Summe sei aber doch nur gering, weil er nur die Auslagen für die Verpflegung ersetzt haben wolle. Die Gefangenen verrichten aber bei Menelik Frohndienste, so daß von Auslagen desselben für die italienischen Soldaten keine Rede sein könnte. Man kann deswegen der „Tribuna" zustimmen, wenn diese ein energisches Vorgehen der italienischen Regierung zur Befreiung der Gefangenen, die unerklärlich lange hinausgeschoben wird, fordert. Gnglsrrd. In Südafrika hat das Glück die Engländer offen bar ganz und gar verlassen, sie vermögen gegen die aufständischen Matabele nichts auszurichten, und haben sich jetzt trotz des zu befürchtenden Fouragemangels dazu entschließen müssen, Verstärkung nach Rhodesien zu ent senden. Das 9. englische Ulanen-Regiment ist nach Süd afrika beordert worden. Dasselbe soll spätestens am 25. August in Matabeleland eintreffen. Ob General Carrington vor diesem Termin noch einen Versuch machen wird, die Aufständischen zu unterwerfen, mutz dahin ge stellt bleiben; unter Umständen würde das von einem Zufall abhängen können. Daß die Milderung der Haft Jamesons in Eng land großen Beifall findet, ist ebenso charakteristisch für den gewissenlosen John Bull wie es als selbstverständ lich vorauszusehen war. Die Angelegenheit wird nun insofern noch weitere Kreise ziehen, als Cecil Rhodes in die Schuldfrage einbezogen und möglicherweise zur Verhandlung nach London citirt werden wird. Daß dieser Gewaltsmensch und Millionär von den Londoner Gerichten noch weniger zu befürchten hat, als Jameson, der doch nur das Werkzeug von Cecil Rhodes war, geht aus der einfachen Erwägung hervor, daß der englische Colonialminister Chamberlain um den beabsichtigten Ein fall gewußt und nichts zu seiner Verhinderung gethan hat. Der chinesische Vizekönig Lihungtschang ist von Frank reich aus in Southampton (England) eingetroffen. Auf dem Bahnhofe wurde er im Namen den englischen Re gierung von dem Admiral Tracy empfangen. Sonn tag Nachmittag reiste Lihungtschang in einem Sondcrzug nach London ab, wo ihm ein großartiger Empfang be reitet wurde. Spanien. Die Erregung wegen der Truppensendungen nach Cuba ist noch immer im Wachsen. In Saragossa mani- festirten neuerdings die Frauen und es kam zu blutigen Zusammenstößen mit der Polizei. Das Ministerium will glauben machen, daß die Bewegung nur vereinzelt sei; das ist jedoch nicht der Fall, dagegen bestätigt sich die Vermuthung, daß das Cabinet, das sich in der cuba- nischen Frage im Widerspruch mit der erdrückenden Majorität des ganzen Volkes befindet, alsbald seine Demission geben wird. Feuilleton. Bozena Matuschek. Roman von Caroline Deutsch. (Fortsetzung.) Was war die Dankbarkeit, die sie sür Doctor Nawadny, selbst die, welche sie für die kleine Marischka empfand gegen das, was ihr Herz für Stefan erfüllte? Ihr war in Bezug seiner wie dem still Gläubigen zu Muthe, an dem sich ein geheimes, heiliges Wunder offenbarte .... Und ihn — ihn hatte sie mit bösen, gehässigen Worten verletzt und gekränkt!! Ein heißes, brennendes Gefühl der Reue überkam sie, daß sie sich aufsetzte und in schmerzlicher Qual die Hände rang. Und wie drohend sein Auge geblickt, welche Ver achtung in seinen Zügen gelegen, und dann — welcher Schmerz! O, wenn sic es ihm zeigen könnte, wie sie es meinte, wie sie ihn liebte, tief, grenzenlos und auch — wünsch- und hoffnungslos! O, wenn sie ihm nur ein mal sagen oder beweisen könnte, wie sie alles, alles für ihn im stände wäre zu thun, das Größte, das Schwerste! Wenn, wenn! wo und wie konnte sie dies? Er war mit Zorn und Verachtung von ihr gegangen und würde sie von nun an meiden, wie — sie alle mieden. Kein Wort würde er ihr jemals wieder gönnen, keinen Blick .... jenen Blick voll unbewußter Güte und Theilnahme, nach dem ihre Seele dürstete, der sich wie ein milder, erlösender Tropfen auf ihr wundes, verbittertes Herz legte . . . . Bei diefer Vorstellung war es Bozena, als müsse sie ersticken; sie ertrug es nicht länger auf dem Lager. Sie verließ eS und kleidete sich an. Was sie vorhatte, wollte, wußte sie selbst nicht, nur hinaus, hinaus! Denn auch in dem Zimmer ward es ihr zu enge. Sie schob den Riegel zurück und trat vor die Hütte. Zerrissen und fahlgrau hingen die Wolken am Himmel, schwammen zusammen, flossen auseinander, hastig, unauf haltsam, regellos wie ohne Ziel und Zweck, und das mattweiße Horn des Mondes blickte bald frei, bald ver sank es in den Dunstmassen. In kurzen, pfeifenden Stößen fuhr der trockene, kalte Wind durch die Bäume, schüttelte die blätterlosen Neste und beugte die Wipfel nieder, als wolle er alles entwurzeln uud niederwerfen. Aber diese wilde, zerrissene Stimmung in der Natur that dem Mädchen wohl; denn sie war im Einklang mit der ihrigen, auch der kalte Wind, der ihr um das unbedeckte Haupt fuhr und die heiße Glut kühlte. . . . Links dehnte sich wie eine verschwommene, formlose Masse das Städt chen mit seinen verdunkelten Straßen, nur der schlanke Kirchthurm ragte schärfer und bezeichnender in den Nacht himmel hinein. Und ihr gerade gegenüber, wenn auch in weiterer Entfernung, erhob sich ebenfalls eine dunkle Masse; es war dies der Mühlenberg mit der Semany'schen Mühle. . . . Und auf diesen einen Punkt richtete sich das heiße, trockene Auge des Mädchens immer wieder, als wohne dort ein Zauber, der ihr immer von neuem winkte, der sie lockte und rief mit geheimer Gewalt. . . Bozena litt nicht an Gefühlsschwelgerei, und was sie in dieser Stunde überkam, das wußte sie selbst nicht. Mit unbezwinglicher Macht trieb es sie jener Stätte zu . . . der Stätte — wo Stefan weilte. Was sie dort wollte, sie wußte es nicht; nichts Bestimmtes und Klares schwebte ihr vor. Sollte es eine stille Abbitte sein, eine Abbitte, von der nur sie und Gott wissen konnte? .. .. Sie gab sich keine Rechenschaft und hätte sich keine geben können. Unbewußt und wie von einer zwingenden Macht getrieben, lenkte es ihren Fuß dahin, und sie fchritt weiter und immer weiter in die Nacht hinein, den Weg, den sie seit Jahren nicht gegangen. Früher, als sie noch jung war, fünfzehn Jahre alt, hatte sie oft im Tagelohn da gearbeitet und später, als sie zu sticken an- gefangen, reichlichen Absatz gefunden und dann . . . . dann hatte alles ein Ende gehabt .... Nun hatte sie die Mühle erreicht und leise und be hutsam umschlich sie dieselbe, und da sie barfuß ging, war ihr Schritt auf dem grasigen Grunde ganz unhör bar. Die niedrige Thür, die das Gitter abschloß, war nur angelehnt; sie öffnete sie leise und stand im Hofe drin, und da dämpfte auch das Pflaster vollständig ihre Schritte. Nun sah sie sich um. Das Dunkel ließ nicht viel unterscheiden, nur die Höhe und Breite des Wohn hauses, vor dem sie stano, und die vielen Fenster, die ausblitzten, wenn der freigewordene Mondesstrahl sie traf, zeigten ihr, daß es ein stattliches Gebäude sei; eS gab kein solch stattliches im ganzen Orte. Dann die vielen Gebäude, die sich daran anschlossen, und dort gegen über das große dunkle Haus mit dem riesigen Schorn stein! . . . Ja, er war ein reicher, mächtiger Mann, der Gabor Semany, und hatte recht, stolz zu sein . . . . Doch was wollte sie hier? .... gerade sie an diesem Ort?! .... Und doch trat sie näher bis fast vor den Eingang und starrte zu den vielen Fenstern hinauf. Welches Zimmer wohl das seine war, in welchem er wohl schlafen mochte? . . . . O, wenn sie eS gewußt hätte? Dann nur ein Blick zu seinem Fenster und fort . . . . fort! .... So stand sie und starrte hinauf, und wußte selbst nicht wie lange. Da war eS ihr, als tönten leise, schleichende Schritte vom Innern des HauseS und als raschelte etwas wie ein Schlüssel in der Haus- thüre .... Sie hatte noch so viel Geistesgegenwart, hinter den Vorsprung eines Einganges zu schlüpfen, der aus zierlichen Säulchen und Schnörkcleien bestand; auch stand ein mächtiger Lindenbaum dabei, und so war sie vollständig gedeckt. Sie konnte nicht gesehen werden, aber sie sah, indem sie ihre Augen an eine der vielen durchbrochenen Stellen des Vorsprunges drückte. Die Thür öffnete sich und jemand trat mit einer Blendlaterne heraus. Es war eine mächtige Gestalt, aber sie ging leise und behutsam und trug die Laterne vor sich her, so daß da« Gesicht beleuchtet war. Es war Gabor Semany, sie erkannte ihn. Aber wie merkwürdig er auSsah! . . . so merkwürdig, daß ihr das Herz vor Schreck fast stille stand, als er dicht an ihr vorüberkam. . . . (Fortsetzung folgt.)