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an die Justizminister der deutschen Bundesstaaten und die Senate der freien Städte vor, worin um Schaffung einheitlicherBeurtheilungsgrundsätze in Sachen der Fleisch schau gebeten wird. Gleichzeitig wird auch die Herbei führung einer gleichmäßigen Rechtsprechung bei Uebertre- tung der für das Fleischergewerbe geltenden Polizeivor- schriften angestrebt. Der in Stettin tagende Verband der Handels gärtner Deutschlands hat sich gegen eine Verbin dung des Gartenbaues mit der zu bildenden Haudwerker- organisation ausgesprochen, dagegen den Verbandsvorstand ersucht, darauf hinzuwirken, daß der Verband in seiner jetzigen Organisation als Vertreter des gesammten deut schen Gartenbaues zu betrachten ist und von der Regie rung als solcher anerkannt wird. Ueber die wirthschaftliche Lage des verflossenen Jahres giebt das Aeltesten-Collegium der Berliner Kauf mannschaft in seinem Jahresbericht folgendes allgemeine Urthcil ab: Das Jahr 1895 hat, namentlich in seiner zweiten Hälfte fast allen Handels- und Industriezweigen Berlins einen erfreulichen Aufschwung der Thätigkeit ge bracht. Eine Ausnahme bildet der Getreidehandel. Der Ansschwung bezieht sich dagegen namentlich auf den Con- sum von einfachen, billigen Waaren und von Gegen ständen für den nothwendigen Gebrauch, woraus man den Schluß ziehen darf, daß die Kaufkraft auch der min der begüterten Volksklassen sich beträchtlich gehoben hat. Im Allgemeinen war auch mit Befriedigung zu consta- tiren, daß das während der letzten Jahre anhaltende Sinken der Preise zum Stillstand gekommen ist. Hie und da namentlich in der Metallwaarenfabrikation und der Textilindustrie klagt man über zunehmende Schnel ligkeit in dem Wechsel der Geschmacksrichtung, durch den der regelmäßige Gang der Fabrikation vielfach empfind lich gestört wurde. In München wurde der Fürst Ferdinand von Bul garien von Prinzregent Luitpold empfangen. Wie schon erwähnt, sind die wirthschaftlichen Corpo- rationen aufgefordert worden, Erhebungen anzustellen, für welche Gruppen von Gewerbetreibenden ein Bedürf- niß für Aufhebung des Verbots des Detailreisens vorhanden sei. Dabei soll festgestellt werden, welche Ar tikel durch Reisende unmittelbar an Consumenten abge setzt werden und in welchem Verhältniß dieser Absatz zu dem Gesammtumsatze der betr. Waaren und Firmen steht. Die „Hamburger Nachrichten" führen in einer Pole mik mit der „Frankfurter Zeitung" gegenüber den letzten Ereignissen aus, Diejenigen, welche die Socialdemo kratie in ihren Vorbereitungen zum gewaltsamen Um sturz unterm Schutze der Gesetzgebung ruhig gewähren ließen, setzten sich der schwersten Verantwortung aus, die jemals eine Regierung getroffen habe. Das Hamburger Blatt sagt ferner in einem Artikel gegen die „Kölnische Zeitung", diese überschätzte die nationalen Impulse des Centrums, wenn sie glaube, dasselbe durch den Nachweis der Reichsfeindschaft der Polen von der Unterstützung der Letzteren abhalten zu können. Die „Nachrichten" bleiben dabei, daß das Centrum kein Inter esse an der Erhaltung des protestantischen Kaiserthums habe, und sieht deßhalb nicht ein, weßhalb sich das Cen trum von anderen Reichsfeinden abwenden sollte. Das Blatt macht auch noch die bezeichnende Bemerkung, es hätte ost genug wahrgenommen, daß es einer Persön lichkeit nur zum Schaden gereiche, wenn sie in den Spal ten der „Hamburger Nachrichten" Zustimmung gefunden, was freilich nicht verhindert habe, daß die Auffassungen der „Hamburger Nachrichten" allmählich im Wandel des neuen Kurses recipirt worden seien. iOe»?erre?ch-U»g«rn. Die „N. Fr. Pr." widmet dem Zusammentreffen des rumänischen Ministerpräsidenten Stürza mit dem öster reichisch-ungarischen Minister des Auswärtigen Grafen Goluchowski einen Artikel, in dem sie die Ueberein stimmung mit den politischen Auffassungen und Tendenzen der beiden Regierungen hervorhebt, die sich besonders auch auf die Fragen im Orient und auf das Bestreben er strecken, das Verhältniß beider Länder zu Rußland mög lichst günstig zu gestalten. Italien. Zwischen dem König Humbert und dem Zaren fand, wie verlautet, ein lebhafter Briefwechsel statt, in dem es sich hauptsächlich — trotz aller Dementis — um das Heiratsproject des italienischen Kronprinzen mit der Prinzessin Helene von Montenegro gehandelt ha ben soll. Gnglaud. Der Jamesonproceß bildet begreiflicherweise das Tagesgespräch der braven Londoner. Man kann da die wunderlichsten Dinge zu hören bekommen, von denen die Thatsache jedenfalls bemerkenswerth ist, daß sich eine Anzahl englischer Bürger beim Präsidenten der Republik Transvaal einzulegen beabsichtigt hatten nach der Rich tung hin, daß der Präsident ein Gnadengesuch bei der englischen Regierung für den Verurtheilten unterbreiten sollte. In leitenden Londoner Kreisen sieht man aber wohl ein, daß ein solcher Beweis von Großmuth Sei tens des Beleidigten für England oenn doch eine be schämende Wirkung haben müsse und man erklärt daher öffentlich, weder Jameson denke daran, derartige Schritte beim Präsidenten Krüger zu unternehmen, noch wünsche er, daß von Seiten seiner Freunde in diesem Sinne vorgegangen würde. Jameson sitzt also seine 15 Monate Gefängniß wirklich ab. Zur Zeit erhält er wie seine Complizen Gefangenkost; diese Strenge wird aber nicht lange Zeit beobachtet werden und man wird Sorge tra gen, daß Jameson mit den Einrichtungen des Londoner Gefängnißwesens wohl zufrieden sein wird. Aus dem internationalen Socialistencongreß geht es infolge der Ausschließung der Anarchisten noch immer äußerst stürmisch zu. Fortwährend werden noch anarchistische Delegirte von den Verhandlungen zurückge wiesen, was natürlich jedesmal Radauscenen hervorruft. Die Erregung nahm aber einen geradezu tumultuarilchen Charakter an, als der französische Delegirte Mitterand im Namen von 47 französischen Genossen die Erklärung abgab, sich von den übrigen französischen Delegirten trennen zu müssen, da er und die 47 mit ihm auf anar chistischem Boden ständen. Nach einigen Berichten soll es infolge dieser Erklärung unter den Delegirten zu Thät- lichkeiten gekommen sein, die ärgsten Schimpfworte flogen durch die Luft. Endlich entschieden sich 14 gegen 5 der anwesenden Nationalitäten dafür, den Franzosen die Trennung zu gestatten. Bei diesem Verlauf der Dinge ist es jedenfalls bezeichnend, daß der Congreß durch An nahme einer großartigen Friedensresolution eingeleitet worden war. In London selbst glaubt man, daß der Congreß seine Tagesordnung garnicht werde erledigen können. Unter den britischen Vertretern herrscht große Entrüstung; erstaunliche Entwickelungen werden erwartet. Der Congreß hat sich unendlich lächerlich gemacht. Ver fluchter Tyrann, herunter mit dem schmutzigen Hund, miserabler Geselle waren noch Liebkosungen zu nennen. Später sprangen die Delegirten auf die Stühle, schwan gen wie verrückt ihre Stöcke und begannen schließlich eine allgemeine Schlägerei. Türkei. Die durch die Wirren auf Kreta und in Macedonien hervorgerufene Besorgniß ergreift immer weitere Kreise. Nach zuverlässigen Meldungen werden angesichts der drohenden Gestaltung der Dinge am Balkan in Bosnien und der Herzegowina neue Befestigungswerke er richtet und die dortigen Truppen vermehrt. Die Türkei hat Abdullah Pascha noch immer nicht abberufen, ebenso hört die griechische Regierung nicht auf, die Insurgenten zu unterstützen. Spezielle Nachrichten sind über die Entwickelung der Dinge nicht eingegangen; es wäre aber sicher übereilt, wollte man daraus auf die Wiederher stellung der Ruhe einen Schluß ziehen. Afrika. Mehrere unter englischer Oberhoheit stehenden Stämme zwischen Tanger und Tetoan sind im Aufruhr. Im Süden tobt der Matabeleausstand. Das sind böse Dinge für die englische Regierung. Aus dem MuldenL zalt "Waldenburg, 31. Juli. In unserer Gegend hat seit einigen Tagen der Roggenschnitt begonnen. Zum Theil haben sich die Halme gelagert; das Gleiche ist auch beim Hafer und der Gerste der Fall. Im Ganzen scheint die Ernte aber eine sehr ergiebige zu werden. *— Bei Ausflügen, welche Schüler unter Aufsicht ihrer Lehrer bei einer Betheiligung von mindestens zehn Personen unternehmen, werden denselben für die dritte Wagenklasse Fahrkarten zum Militärfahrpreise abgegeben. Diese Vergünstigung ist auch den Fortbildungsschulen zugestanden worden. *— Bekanntlich haben die Stände die Regierung er mächtigt, denjenigen sächsischen Pferdebesitzern, welche durch die jetzt epidemisch auftretende Genickstarre der Pferde Verlust erlitten haben, Entschädigung zu gewäh ren und haben zu diesem Zwecke für jedes der beiden Jahre 1896 und 1897 der Regierung 12,500 Mk. zur Verfügung gestellt. Wennschon nun die Regierung ent schlossen ist, von dieser Ermächtigung zu gunsten der sächsischen Pferdebesitzer Gebrauch zu machen, so hat sie sich doch noch nicht über die Grundsätze schlüssig gemacht, nach denen sie eine derartige Schadloshaltung gewähren Feuilleton. Bozena Matuschek. Roman von Caroline Deutsch. (Fortsetzung.) Wo hatte er nur die Kraft und Selbstbeherrschung hcrgenommen, gegen alle und jeden sein harmloses Wesen zu bewahren, bei der vollständigen Verstörtheit seines Innern?! . . . Und wie bleiern waren die Stunden weitergerückt, als wären sie mit eisernen Ketten aneinander geschmiedet gewesen! . . . Und was alles an ihn heran getreten war, eigene und Gemeindeangelegenheiten, als hätte sich alles verschworen, ihn wahnsinnig zu machen!... Und ruhig und bedächtig mußte man Bescheid und Antwort geben, damit ja nur keiner ahne, was da eigent lich der Gabor Semany in der Brusttasche seines Rockes herumtrug, etwas, das . . . Ruin, Schande, Entehrung bedeute . . . Endlich kam die Nacht. . . . Einer nach dem andern suchte seine Schlasstätte auf, Schritte verhallten, Thüren schlossen sich, ein Licht nach dem andern erlosch und tiefes Schweigen breitete sich endlich über sein Haus. . . . So wie aber draußen nach und nach jedes Licht erstarb, so erlosch auch jeder Schein in seinem Innern, so dunkel wurde es in der Seele des alten Mannes. Es waren nur wenige Zeilen gewesen, die ihm sein Advokat aus Pest da geschrieben, aber jedes Wort glich einem Todesurtheile. Der Gewinn, der so sicher und in solch' naher Aussicht gestanden, war in einen voll ständigen Verlust umgeschlagen. . . . Der junge Fürst war in einem Duell gefallen, ungeheure Verluste von Millionen hatten sich herausgestellt, der Concurs war über das fürstliche Haus verhängt, alle E.'schen Loose werthlos und Tausende von Menschen geschädigt worden. Ein ungeheures Schicksal, schrieb der Advokat, habe dies uralte seit Jahrhunderten bewährte Geschlecht betroffen, und in dem großen Schmerz um dasselbe vermindere sich das materielle Leid, das jeder einzelne davongetragen. Der Brief schloß dann noch mit einigen anderen Ver lusten auf der Börse. Was ging Gabor in diesem Augenblick das ungeheure Schicksal dieser fürstlichen Familie an? Für ihn bedeutete es Ruin, vollständigen Zusammenbruch! . . . . Nun rückten sie heran, die Feinde, nicht mehr einer nach dem andern, nein, im geschlossenen Glieds . . . Die vielen großen und kleinen Wechsel schulden der Pester Creditanstalten, die erste halbjährige Rate für die Maschinen, die kaum zur Hälfte bezahlt waren, der letzte Rest des Baumeisters, das halbjährige Gehalt des Werkführers. Und der große Weizenankauf in den Speichern da draußen, der auch nur zum kleinsten Theil gedeckt war und wo jedes einzelne Körnchen zum mächtigen Schuldner sich erhob! . . . Und keine Quelle mehr zum Borgen und nichts mehr zu verschreiben, Hypo theken darauf aufzunehmen. Hätten wenigstens die Loose ihren alten Werth beibe halten, es hätten sich einige Lücken damit stopfen lassen, aber so, werthlos . . . Streifen Papiers ohne Nutzen und Bedeutung! . . . Und auf der Börse war's der letzte Rest, nun gab es nichts mehr zu gewinnen, zu verlieren .... Der letzte Damm war gerissen, es fand sich kein Halt mehr! . . . Gabor fuhr sich in die grauen Haare und ein dumpfer Laut entrang sich seiner Brust. Er hatte gearbeitet, ge strebt, sich gemüht, gebaut und gebaut und alles war durcheinander geworfen worden, eines nach dem andern wie durch einen Atemzug das Kartenhaus eines Knaben . . . . O, Fluch dem Advokaten, der ihn auf diese ab schüssige Bahn gebracht, Fluch allen seinen Unternehmungen! Wie hatte er so fest dagestanden, so unerschütterlich, daß er meinte, nichts, nichts auf der Welt mehr könne ihm was anhaben .... und jetzt! und jetzt! .... Und was das für ein Anblick für die Welt werden würde! Nun würde man sehen, daß das Faß, von dem die Reifen gesprungen, nicht aus festem, gesundem Holze, sondern faul und morsch gewesen und die Riffe und Sprünge mit elendem Werg verstopft .... Und wieder stöhnte Gabor dumpf auf und preßte die Hände auf die Stirn, als wollte er sie zerdrücken. Und wie er auf einmal in der Tiefe da unten stehen würde und sie alle, alle über ihn herfallen, an ihm zerren und reißen würden! .... O, er kannte die Menschen! Unerschöpf licher noch wie im Lobe waren sie im Tadel, und waren sie einmal bei der Arbeit — so rissen sie Stück vor Stück von der Bekleidung ihrer Mitmenschen, bis nichts zurückblieb, als die — nackte elende Blöße .... Für die Meinung der Menschen gab es keine Vergangenheit, da galt nur der Augenblick. Nicht was er früher gewesen, was er früher geleistet, würde für ihn sprechen, nein die Gegenwart würde es begraben, wie eine auf steigende Flut ein blühendes Feld .... Man würde finden, daß er kein reicher Mann, sondern ein Spekulant, ein Schwindler, daß er kein redlicher Mann, sondern ein ungetreuer, betrügerischer Vormund gewesen; denn, was vor seinem Sohne als Entschuldigung diente, daß er Hanka als sein Kind betrachtet, daß sie seine Schwieger tochter werden sollte, war keine für die Welt; bei der Welt hieß es Veruntreuung, Betrug! . . . denn auch die anderen Waisengelder, die ihm unterstanden, waren in letzterer Zeit gefährdet worden. Wer eine unhaltbare Position mit Gewalt behaupten will, wird im Momente der Gefahr alles in die geborstenen Sellen stopfen. . .. alles .... selbst das, was für ihn Werth hatte, was ihm früher theuer war .... Natürlich, diesen Punkt hatte er vor Stefan verschwiegen wie so vieles noch.... So furchtbar die Lage Gabors war, das Unerträglichste daran war der Gedanke an seinen Sohn. Er hatte seinen einfachen redlichen Sinn, sein unbeirrtes, uner schütterliches Rechtsgefühl den gewöhnlichen Ochsenschritt eines kleinlichen Verstandes genannt, hatte ihm vorge worfen, daß er ihn nicht verstehe, daß er dem Fluge seiner Bestrebungen nicht zu folgen vermöge . . . nun stand der junge Mann wie eine Säule da, ein gesunder kerniger Baum, dessen Wurzeln tief, tief in die Erde gingen, und er .... er war — ein losgelöster Baum, mit faulem morschem Wurzelgetriebe, dessen welker Wipfel im schlammigen Wasser lag . M '^(Fortsetzung folgt.)