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befinden sich zu jenem Zwecke bereits seit einigen Tagen in Paris. Beide Herren sprachen sich sehr befriedigt über die Unterhandlungen mit dem Director der Aus stellung von 1900 Picard aus. Es wurden Deutsch land in allen Abtheilungen Plätze reservirt, deren Um fang jene von Chicago allerdings nicht erreicht, jedoch genügt, um ein richtiges Bild von deutscher Kunst, In dustrie, deutschem Unterricht, allgemeiner und Arbeits hygiene, insbesondere aber von den Leistungen auf dem Gebiete der Elektricität und der Chemie zu geben. Deutschland war der erste Stadt, der eine Commission nach Paris entsandte. Herr Picard sprach den Wunsch aus, Deutschland möge sich auch an der geplanten Theaterausstellung von 1900 betheiligen, etwa durch ein großes Modell des Bayreuther Theaters. Die definitive Zuerkennung der Plätze wird im September erfolgen, doch steht schon heute fest, daß Deutschland in keiner Ab- theilung weniger Raum zugewiesen erhält, als irgend eme der fremden Mächte, welche zusammen etwas mehr als ein Drittel, nämlich zwölf Hectare erhalten. Ob Deutschland auch die Colonialgruppe beschickt, wurde nicht erörtert; die Verhandlungen über die grundlegenden Fragen hofft man noch bis Ende dieser Woche zu erledigen, so daß die deutschen Commiffare am Anfang der nächsten Paris wieder verlaffen werden. Bei der Reichstagsstichwahl in Löwenberg in Schlesien ist der Candidat der freisinnigen Volkspartei Rector Kopsch mit 5966 Stimmen, gegenüber dem conservativen Candidaten Grafen Nostiz, der nur 4797 Stimmen er hielt, als Sieger hervorgegangen. Zu diesem Resultat stellt die „Post" fest, daß eine Anzahl Landwirthe deS Kreises aus Unzufriedenheit über die gegenwärtige Lage sich überhaupt nicht an der Wahl betheiligt hätten, daß aber andrerseits auch nicht zu verkennen sei, daß die Wahlorgnisation der Conservativen für Stichwahlen nicht ausreicht und von der der demokratischen Parteien weit übertroffen wird. Es steht nunmehr fest, daß vom 25. Juli ab, die Bestimmungen des deutsch-spanischen Handelsver trages zur Geltung gelangen werden. Die „Hamburger Nachrichten" treten wiederholt der Ansicht entgegen, daß sich das Verhältniß Deutschlands zu Frankreich gebessert habe, daß die Betheiligung Deutsch lands an der Pariser Weltausstellung ein selbst verständliches Erforderniß der veränderten Situation sei. Es sei bedenklich, die deutsche Industrie, wenn sie selbst kein sachliches Bedürfniß dazu habe, aus politischen Gründen zur Betheiligung an der Pariser Ausstellung zu nöthigen, zumal in Ansehung der Unberechenbarkeit und Wandelbarkeit der französischen Zustände. Den besten Maßstab für die wahren Gesinnungen der Franzosen gegen Deutschland liefere der zunehmende Eifer des amt lichen und nichtamtlichen Frankreichs, sich mit Rußland zu verbinden. Wenn Frankreich wirklich auf dem Wege sei, die Revanche abzuschwöcen, welchen Sinn habe dann diese Zärtlichkeit Rußland gegenüber? Es wäre Leicht sinn und Verblendung, sich über das unvermindert fort bestehende Revanchebedürfniß Frankreichs gegen Deutsch land einer Täuschung hinzugeben. Feuilleton. Bozena Matuschek. Roman von Caroline Deutsch. (Fortsetzung.) „Du kannst Dich auf mich verlassen, was ich sage, wird gescheh'n. Deine Mutter soll ein Glockengeläute haben, wie wenn der Angesehenste und Reichste gestorben wäre. . . . Und auch das andere überlaste mir, Du könntest nur weitere Unbill erfahren. Und fürchte nicht, ich werde nichts Auffälliges thun, um vielleicht das Gcgen- theil von dem, was ich beabsichtige, hervorzurufcn, ich weiß, wie weit ich gehen darf." Und der seltsame Mann hielt Wort. Er kaufte einen schönen Sarg und ließ ihn in das HauS schaffen, besorgte einen mit Ochsen bespannten Wagen, wie es unter der ärmeren Bevölkerung Sitte — Pferde hatten nur die sehr reichen Bauern vor dem Leichenwagen — und ge wann für Geld zwei Dutzend armer Leute, Männer und Weiber, die der Leiche folgen sollten. Bozena ließ sich nicht nehmen, die Todte zu waschen und anzukleiden, ja sie trug sie selber in den Sarg und legte sie zurecht, als dürfe keine fremde Hand sie berüh ren; nur den Deckel ließ sie von Männern auf den Sarg nageln. Der Doctor wieder hatte alles, wie er versprochen, be sorgt; nur das Läuten mochte er keinem anvertrauen. Er wußte, wie gefürchtet der Pfarrer in seiner Gemeinde war, und daß sich selbst für schweres Geld keiner finden würde, der ihm derartig Widerstand leistete; von dem Küster, dessen eigentliche Funktion cs war, garnicht zu sprechen. Das Ganze, was er dabei gewonnen, wäre gewesen, daß es der geistliche Herr vor der Zeit erfahren und den Glockenthurm hätte schließen lasten. Nein, nein, das konnte keinem anvertraut werden, das — mußte er selber besorgen. Und so entfernte er sich unbemerkt aus dem Trauer- Oesterreich-Ungarm. Lueger und die Antisemiten sind bekanntlich die heftigsten Feinde Ungarns, die Anhänger des bekann ten Wiener Vice-Bürgermeisters verschmähen es auch an läßlich der Millenniumsausstellung, nur einen Fuß nach Budapest zu setzen. Die Liberalen Wiens, 300 an der Zahl, wünschten im Gegensatz zur Majorität ihrer anti semitischen Mitbürger den Ungarn einen Beweis ihrer Freundschaft durch einen Besuch in Pest zu geben. Unter den 300 Liberalen, die sich zu dieser Reise eingefunden hatten, befanden sich nun aber mehr als zwei Drittheile Juden. Diese Thatsache hat in Pest lebhafte Verstim mung hervorgerufen, trotz des herzlichen Empfanges, welcher der Wiener Deputation bereitet wurde. Angeblich unterrichtete Kreise Wiens versichern, daß der Besuch des Zaren in der österreichischen Haupt stadt für Ende August officiell angekündigt ist. Frankreich. Schon wieder hat sich ein neuer Panzerkreuzer als unbrauchbar erwiesen. Es handelt sich dies Mal um den Panzerkreuzer Descartes, der von der Flotten verwaltung wegen ungenügender Stetigkeit zurückgewiesen wurde und umgebaut werden muß. Die feierliche Enthüllung des Jean d'Arc-Denk- mals in Rheims ist ohne Zwischenfall vollzogen wor den. Festredner war der Kriegsminister Billot, der über die Erweckung des Nationalgesühls sprach. Ein Ausfall, den ein andrer Redner gegen England versuchte, das seiner Zeit die kriegerische Jungfrau verbrannte, wurde unterdrückt. Am Schluß der Feier hing der Präsident Faure dem Schöpfer des Standbildes, Du bois, das Großkreuz der Ehrenlegion um; Dubois ist seit Mcissoniers Tode der erste französische Künstler, der diese Würde besitzt. Bei dem an die Feier anschließen den Festmahl hielt der Präsident der Republik eine mit dem lebhaftesten Beifall aufgenommene Festrede, in der er die Hoffnung aussprach, die Erinnerung an die Jung frau von Orleans möge den Geist der Eintracht und Opferwilligkeit wecken, die Frankreich allein die Stelle sichern können, die es in der Welt einzunehmen wünscht. Türkei. Trostloser denn je ist die angenblickliche Lage auf Kreta. Nach unsäglichen Bemühungen war es den Bot schaftern der Mächte gelungen, die Deputirten in Kanea zu vereinigen, gerade wollte der Landtag seine Arbeiten aufnehmen, die durch die Schuld der Kretenser, welche noch immer auf die Unterstützung Griechenlands rechnen, über Gebühr hinausgeschoben waren, da brach der Sturm auss Neue los, und alle Friedensarbeit der Mächte ist wie Spreu von dem Winde verweht. Bei Apokorona hat ein regelrechtes Treffen zwischen Türken und Aus ständischen stattgefunden, in dem die Türken unter nicht unerheblichen Verlusten in die Flucht geschlagen wurden. An der Wiederaufnahme der Metzeleien trifft die Türken die unmittelbare Schuld, sie haben sich einen offenen Vertragsbruch zu Schulden kommen lasten und man be fürchtet, daß die regulären türkischen Truppen dabei im Einvernhemen mit den türkischen Einwohnern der Insel gehandelt haben. Die Consuln der Mächte berathen nun wieder, was weiter zu geschehen hat, unterdeß wird noch Hause, als der Zug sich in Bewegung setzte, und gelangte ebenso unbemerkt in den Glockenthurm. Und während sich der Leichenwagen, in dem Bozena, wie es die Sitte erheischte, mit verhülltem Haupte neben dem Sarge saß, von den paar Menschen gefolgt, langsam durch die Straße des Ortes fortbewegte, ertönten die ernsten, feierlichen Glockenklänge .... ja so langsam, voll Weihe und mit solch ergreifendem Klange zogen sie durch die klare, würzige Herbstlust, daß die Leute auf den Feldern die Arbeit ruhen ließen, die auf der Straße stehen blieben, aber alle die Häupter entblößten und die Hände zum Gebet falteten. Dann fragte man sich gegenseitig, wer gestorben sei? Denn, daß cs der alten Matuschek gelte, der Mutter der Zuchthäuslerin, die da durch die Straße gefahren wurde, das ... fiel keinem ein. Auch in das Pfarrhaus drangen diese feierlichen Glockentöne; sie drangen in die Studirstube des Pfarrers Matras und störten sein Nachmittagsschläschen. Er fuhr aus dem Schlummer auf und glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Das war ja feierliches Sterbegeläute; mit voller und zugleich gedämpfter Kraft setzte die große Glocke ein. Und kein anderer Fall war ihm angezeigt worden. Er, dessen Hand es unterlag, hätte es ja wissen muffen! . . . ES war nicht anders: die Bozena Matuschek läutete ihrer Mutter selbst zu Grabe! .... Eine unerhörte Frechheit, ein beispielloser Frevel, aber — dieser Person zuzutraucn! Er schickte den Küster, sie mit Gewalt von den Strängen wcgzuzcrrcn. Da aber dieser über Gebühr hinausblieb, wenigsten» für die Ungeduld seines Herrn, die Glockenklängc dagegen ununterbrochen forttönten, ver gaß Pfarrer Matras seine Würde, nahm seinen breit- krämpigen Hut und begab sich in höchst eigener Person in die Kirche und das Glockenhaus. Doctor Nawadny hatte sich durch das Erscheinen des Küsters durchaus nicht in seiner Thätigkcit stören lassen. Und zu befürchten hatte er auch nicht» weiteres von ihm; viel Blut auf der Insel vergasten werden. Schon jetzt liegen zahlreiche Berichte über Niedermetzelung von Chri sten durch Türken vor, und diese Berichte werden sich zweifellos in vermehrter Auflage noch vielmals wieder holen, wenn nicht eine energische Intervention der Mächte dem blutigen Treiben ein Ende bereitet. Es bestätigt sich übrigens, daß der deutsche Regierungsrath l)r. Bu- miller, der langjährige Reisegefährte Wißmanns, seit Kurzem auf Kreta weilt. Er ist im Auftrage Kaiser Wilhelms dorthin gereist, um die Lage gründlich zu stu- diren und einen unparteiischen Bericht darüber zu erstatten. Aus dem Muidenttzuie *Waldeubnrg, 17. Juli. Gestern Mittag traf hier, von Zwickau kommend, das Karabinier-Detachement au» Borna, welches bereits am 6. Juli hier einquartiert war, wieder ein und ritt heute früh nach seiner Garnison zurück. Die letzte Felddienstübung mit dem Zwickauer Regiment hatte das Detachement am Mittwoch bei Wil denfels abgehalten. *— Die Telegraphenämter sind neuerdings veranlaßt worden, bei der Wortzählung der aufzuliefernden Depe schen den willkürlichen Wortzusammenziehungen entgegen zutreten und alle solche dem Sprachgebrauche nicht ent sprechende Worte als zwei Worte zu berechnen. Altstadtwaldenburg, 17. Juli. Am vorigen Sonn tag fand hier nach längerer Pause die Kirchenvisitation durch Sr. Hochwürden Herrn Superintendent Weidauer statt. In der festlich geschmückten Kirche hielt der Orts geistliche die Predigt über 1. Mos. 4, 3—13, in der er ausführte: Was das Schriftwort uns sagt vom bösen Feind in der eigenen Brust: 1., Bezwinge ihn, solange es noch Zeit; 2., sonst mußt du folgen, führt er noch so weit; 3., und zittern, wenn sein Werk zum Himmel schreit. Hierauf ergriff Herr Superintendent Weidauer das Wort, um in warmer, gewistenschärfender Weise der Gemeinde, ausgehend von der Herrlichkeit des Lutherschen Katechismus, zugleich als kürzeste Inhaltsangabe des selben, die drei Fragen ans Herz anzulegen: Was treibt dich? Was treibst du? Wo bleibst du? Im Nachmit tagsgottesdienst behandelte zunächst der Ortsgeistliche mit den leider nicht vollzählig erschienenen Jünglingen und Jungfrauen, anschließend an die Vormittagspredigt, das Verbot des fünften Gebotes, worauf der Herr Ephorus in sinniger und fesselnder Weise zunächst das fünfte Ge bot im Allgemeinen besprach, um dann den engen Zu sammenhang desselben mit den drei Artikeln des christ lichen Glaubens nachzuweisen. Beide Gottesdienste wur den durch treffliche Darbietungen am Vormittag des Kirchenchors, am Nachmittag des Schülerchors verschönt. Zu der Hausväterbesprechung hatten sich außer den zur Beiwohnung verpflichteten Herrn nur sehr wenige Theil- nchmer eingefunden, was um so bedauerlicher war, als dabei manches zur Sprache kam, was werlh war, in den weitesten Kreisen der Gemeinde bekannt zu werden. Eine kurze Besprechung mit den Herren Kirchenvorstehern und den Herren Lehrern und endlich mit dem Geistlichen allein beschloß den denkwürdigen Tag. Wenn dessen Nachwirkungen zunächst in etlichen äußeren Neubeschaffun gen und Einrichtungen ihren Ausdruck finden dürsten, denn der gute Mann blieb starr vor Ueberraschung, mit hervortretenden Augen, weit vorgestreckten Händen stehen, als er statt der Frevlerin, der verdammten Hexe, Herrn Doctor Nawadny, die beliebteste Persönlichkeit im Orte, an dem Strange ziehen sah, als hinge das Heil seiner Seele daran. . . Und so zog nur ein leises, aber aus drucksvolles Lächeln über das unschöne Antlitz deS Doctors Nawadny. Auch das Erscheinen deS geistlichen Herrn brachte ihn nicht außer Fassung; denn Pfarrer Matras ahmte genau die Stellung seines Dieners nach. Er blieb ebenso mit vorgestreckten Händen und vorgebeugtem Haupte wie fest gewurzelt stehen und starrte den Doctor an. Und so zog wieder das leise, verständnißvolle Lächeln über Nawadnys Züge. Es vergingen ein, zwei Minuten, wo e« ganz still von Menschenstimmen da oben war und e» aussah, al» ob der eine ganz Thätigkcit, die beiden anderen, die ihm gegenüberstanden, ganz Andacht, ganz Begeisterung wären. Nun schien es aber dem Doctor auch genug; er that den letzten Zug, daß die Glocke tief und langsam aus hallte, trat ein paar Schritte zurück und zog sein bunte» Taschentuch heraus, mit dem er sich di» Stirn wischte, dir von der ungewohnten Thätigkcit ganz mit Schweiß bedeckt war. Jetzt kam endlich dem Pfarrer die Sprache. „Doctor Nawadny!" rief er und seine Stimme bebte und sein hageres, bleiches Gesicht war wie mit Blut übergossen. „Wie .... wie konnten Sie so etwa» wagen . . . . wie sich unterstehen?! . . . ." „Ruhig, Hochwürden, ruhig!" versetzteNawadny, zog seine Dose und nahm mit der größten Gemüthlichkeit eine Prise. „Ich weiß, daß ich Ungebührliches begangen und e» — ein Eingriff in Ihre Rechte ist, ich bin aber zu jederGeldbuße be reit. Sollten Sie sich damit nicht begnügen, so klagen Sie. Ich werde auch da nur zu einer Geldstrafe verurtheilt werden, zu etwas anderem wird es nicht kommen, und auf da» — war ich vorbereitet." (Fortsetzung folgt.)