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nicht ausgeschlossen, daß das Börsengesetz noch in letzter Stunde eine neue Abänderung erfährt, indem man das Börsenregister fallen läßt. Der zweite allgemeine Congreß der Gewerkschaf ten Deutschlands wird vom heutigen Montag bis zum 8. d. M. in Berlin abgehalten. In Berlin zählt man zur Zeit 46 Filialen von Centralverbänden und 49 lokale Organisationen. Es wird sich bei den Berathungen hauptsächlich darum handeln, ob die Vertretung der orga- nisirten Gewerkschaften, die Generalcommission, mit der man an vielen Stellen unzufrieden ist, aufgelöst werden und an ihre Stelle ein Correspondent für Deutschland treten soll. Mit dem Börsengesetz ist bekanntlich auch das von der Regierung ursprünglich nicht beabsichtigte Verbot des Terminhandels in Getreide zum Gesetz erhoben worden. Die Presse aller Parteien ist nun lebhaft dabei, diese in das Wirtschaftsleben tief eingreifende Bestimmung je nach ihrer Stellung zu besprechen. Während sich nun alle übrigen Preßstimmen im Wesentlichen mit den Aus führungen derjenigen Abgeordneten im Reichstage, die ihre Parteirichtung theilen, decken, ist es auffallend, daß die „National-Zeitung" gegen die Ausführungen des be rühmten Führers der nationalliberalen Partei, vr. v. Bennigsen, für das Verbot des Terminhandels energisch zu Felde zieht. Die „Nationalzeitung" glaubt, daß die Wandlung in der Anschauung der nationalliberalen Partei auf das agitatorische Vorgehen der Agrarier und die Einschüchterungsversuche seitens dieser zurückzuführen ist. Die Handclszeitungen wehklagen ganz gewaltig und sehen schon den Ruin der Börse vor Augen; ihre letzte Hoffnung stellen sie jetzt darauf, der Bundesrath werde zu den Beschlüssen des Reichstages „nein" sagen. Ob dem jedoch so sein wird, erscheint recht zweifelhaft, da «S bekannt ist, daß sich innerhalb der Regierung in den «sichtigsten Fragen des Börsengesetzes eine Neigung zu der strengeren Handhabung des Gesetzes geltend gemacht hat. Ueber die Verstärkung der deutschen Schutz- truppe in Südwestafrika sind, wie die „Nat.-Ztg." fest stellt, endgiltige Beschlüsse noch nicht gefaßt. Richtig ist nur, daß die aus Südwestafrika vorliegenden Nach richten gewisse Vorkehrungen geboten erscheinen lassen. Wenn bereits die Zahl der abzusendenden Verstärkungs mannschaften genannt wird, so wird dies als durchaus unzutreffend bezeichnet. Die Situation in Deutsch-Südwestafrika muß Landeshauptmann Major Leutwein für sehr bedenklich halten. Auf Ersuchen Leutwein's soll der „Frkf. Ztg." nach die dortige Schutztruppe um 400 Mann verstärkt wer den. Ihre Ausrüstung wird mit aller Kraft betrieben, damit man Ende dieses Monats fertig wird. Mit der Verstärkung und dm sonstigen Hilfstruppen wächst die Truppe in Südwestafrika auf etwa 1200 Mann. Oen errein - Ungarn. Di» Pester Ausstellung ist am Sonnabend feierlich eröffnet worden im Beisein des König-Paare»; Deutschland war durch den Botschafter Grafen Eulenburg vertreten. Der König fagte in seiner Rede: Die Ausstellung wird vor aller Welt bezeugen, daß die ungarische Nation, nachdem sie diesen Staat ein Jahrtausend hindurch unter manchen widrigen Umständen glorreich erhalten hat, nicht nur durch ihre Tapferkeit auf dem Schlachtfelde Thron und Vaterland jederzeit zu beschützen wußte, sondern auch auf dem Felde der Kultur einen würdigen Platz errungen hat und unter den civilisirten Völkern cinnimmt. Belgien. Zn einem Kamps kam es in Le Chatclet in Belgien zwischen 3 bis 4000 Socialisten und der Polizei. Letz tere mußte sich schließlich zurückziehen. Verletzungen ka men nur wenige vor. Gendarmerie stellte die Oronung wieder her. Frankreich. Das neue Cabinet widerrief eine Menge Ernen nungen, die sein Vorgänger im letzten Augenblick vollzog, um seine Schützlinge zu versorgen. Spanien. Im Gegensatz zu den optimistischen Meldungen der spanischen Regierung über den cubanischcn Aufstand wird aus Havanna depeschirt: Der Jnsurgentensührer Gomez dringt gegen Villaclara vor; die Aufständischen haben vier Dörfer verbrannt. General Weyler glaubt, daß 2 Jahre zur Unterdrückung des Aufstandes nöthig sind. Siutzland. Der Czar empfing den in Petersburg zu Besuch wei lenden ehemaligen frnnzösischen Minister Flourcns. Afrika. Trotzdem es durch die aufgefundenen Telegramme klipp und klar erwiesen, daß das sogenannte Johannesburger Reformcomitö mit den Urhebern des Freibeuterzuges Jamesons in engster Beziehung gestanden, hat Präsident Krüger nicht nur die aus Anlaß des Johannesburger Hochverrathsprozesses zum Tode Verurthcilten begnadigt, sondern sogar die Beschlagnahme des Eigenthums der gefangenen Mitglieder des Reformcomitös aufgeho ben. Die „Time»", die unter allen englischen Zeitungen als die einzige noch den Muth hat, das Resormcomits zu entschuldigen, erklärt diese fast unbegreifliche Nachsicht des Präsidenten Krüger mit dem angeblichen Wunsche der fortschrittsparteilichen Bürger Prätorias, den Gefan genen eine gelinde Behandlung zu gewähren. Asien. Zum Attentat auf den Schah von Persien werden folgende Einzelheiten aus Teheran gemeldet: Der Schah hatte den äußeren Hof des Wallfahrtsortes durchschritten und auch die erste der beiden Ketten, mit denen der innere Hof abgeschlossen ist, passirt, als der Mörder sich ihm näherte und aus einer Entfernung von einigen Fuß einen Revolverschuß auf ihn abgab. Der Schah sank in die Knie, erhob sich wieder, machte einige Schritte und fiel abermals hin. Er wurde bewußtlos in seinen Wa gen getragen und nach dem Palaste in Teheran gebracht, wo die Acrzte den inzwischen eingetretenrn Tod fest stellten. Die Kugel war in die Herzbcutclgegend zwischen der sechsten und siebenten Rippe eingedrungen. Der Mörder wurde sofort verhaftet. Derselbe gehört zur Secte der Babi, die sich vom Islam losgelöst und reli giöse und politische Ziele verfolgen, namentlich dir Ver drängung der herrschenden Dynastie. Die Regierung ist I seit Langem bestrebt, die Secte auszurotten. Zum Nach Leuilleton. Eine vornehme Frau. Roman aus der Neuzeit von Karl Wartenburg. (Fortsetzung.) Der beiden Männer sahen sich eine Weile stumm an, der Missionsvorsteher mit lauerndem, forschendem Blick, der Baron einigermaßen überrascht, verblüfft . . . End lich erholte er sich von seiner Ueberraschung. „Teufel", sagte, er, „das ist eine angenehme Neuig keit. Weiß meine Frau schon davon? . . ." „Seit einigen Tagen." Der Baron stand auf, zündete sich eine Cigarre an und ging einige Minuten nachdenkend im Salon auf und ab. Dann warf er sich in den Schaukelstuhl am Fenster und lachte hell auf. Johannes hob hastig den Blick, überrascht durch diesen plötzlichen Ausbruch einer lärmenden Lustigkeit, die er nicht begriff. „Wissen Sie, Vetter, worüber ich lache? Daß dieser Herr Linden Ihnen ebenso zuwider ist, wie mir und daß ich aufs Neue den Spruch bestätigt finde: Die Gegen sätze berühren sich. Sie, der Mann Gottes und ich, das Kind der Welt, haben dieselben Empfindungen in Bezug auf den Menschen . . ." Der Missionsvorsteher ignorirte diese Bemerkung und antwortete nur: „Sie fassen meine Mittheilung von sehr heiterer Seite auf — und doch glaube ich, daß sie ernst ge nug ist ..." „Oh, ich leugne das nicht . . . Aber dennoch muß ich über die Beharrlichkeit lachen, mit welcher Sie Mann Gottes diesen armen Linden, der Ihnen eigentlich doch nicht» gethan hat, verfolgen . . . Daß ich ihn nicht liebe, das hat doch eine gewisse Berechtigung . . . aber Sie, Sie, der feurige Kohlen auf das Haupt seiner Feinde sammeln soll . . ." Und er lachte von neuem auf, daß es durch den Saal hallte . . . Johannes strich mit seiner feinen, weihen Hand das dunkle Haar hinter das Ohr zurück und antwortete, während feine Augen, aus denen ein grollender Blick hinüber zu dem Baron geflogen, sich zur Diele nieder senkten: „ES ist nicht die Person, die ich in dem Menschen Haffe, sondern das böse Prinzip, das in ihm verkörpert ist, der Geist des Aufruhrs, des Abfalls von der heili gen Ordnung Gottes, der Geist der Empörung, der in dem Menschen lebt. Die Sünde in ihm ist es, die ich bekämpfe." „Ja wohl, ja wohl", spottete der Baron, dessen Hang zur Ironie nichts schonte, „ich kenne das. Ihre Vorgänger im Glauben, die Dominikaner, sagten das selbe. Sie verfolgten nicht die Ketzer, fondern nur die Ketzerei. Da passirte c» ihnen im Eifer, daß sie eine halbe Million Menschen verbrannten." „Ach, gehen Sie mir doch mit Ihren Finessen, lieber Vetter . . . Sie Haffen die Sünde und verzeihen dem Sünder. Wie fangen Sie denn das an? Nein, ich bin ehrlicher. Ich hasse den Linden, weil er mir meine Zwecke durchkreuzt, weil er mir unbequem ist und weil ich — offen gestanden, in seiner Gegenwart einige mal ein brennendes Gefühl im Gesicht empfand, gerade als ob ich unsichtbar geohrfeigt worden wäre . . ." Johannes erhob sich: „Wissen Sie, lieber Vetter, daß Sie eine sehr . . . sehr drastische Ausdrucksweise haben? Aber ich sehe auch, daß Sie augenblicklich nicht in der Stimmung sind, ruhig über Dinge zu verhandeln, die von Wichtig keit für Sie sind ..." „Ich glaube, Sie haben Recht . . . Und überdies spüre ich einen Hunger wie ein Währwolf . . . Nach dem Essen läßt es sich viel behaglicher sprechen . . . Frühstücken wir also zunächst . . . Verdammt . . . Die Thüringer Waldlust zehrt; nun begreife ich, wie die Menschen in diesen Wäldern von Kartoffeln und Heidel folger des Schah wurde sein ältester Sohn Muffaffer ed-din Mirza proclamirt. Er ist seit 1858 von Rußland und England als Thronfolger anerkannt worden und soll der europäischen Civilisation sehr geneigt sein. Der dritte Sohn bei Schah ist auf Anordnung der Regierung vor sichtshalber internirt worden in seinem Palast. Dem deutschen Kaiser ist das Ableben des Schah sofort von dem persischen Gesandten in Berlin durch Vermittelung des Staatssekretärs des Auswärtigen v. Marschall mit- getheilt worden. Amerika. Zum Präsidentschaftscandidaten wählte die Chicagoer Convention Mac Kinley. Aus dem Muldenthale. "Waldenburg, 4. Mai. Die gegenwärtig in Penig auftretende Breslau-Neuroder Theatergesellschaft des Herrn Klinger gab gestern Abend im Saale des Schönburger Hofes hierselbst eine Vorstellung, in welcher Herr Paoo- lowsky vom deutschen Landestheater in Prag als Gast austrat. Es kam zur Aufführung: „Der Weg zum Her zen oder Künstlerstolz und Frauenehre." Familienbild in 4 Acten von Walter. Die Rollen waren in den besten Händen; das Zusammenspiel ern treffliches. Die Handlung war ein sogenanntes Rührstück, das feine packende Wirkung auf das Publikum nicht verfehlte. Den Darstellern wurde denn auch reicher Beifall gezollt. Der Besuch war ein recht befriedigender, welcher Um stand hoffentlich der Direction Veranlassung geben wird, uns recht bald wieder mit einer Aufführung zu erfreuen. *— Infolge des anhaltenden Regenwetters seit Sonn abend Abend ist die Mulde derart gestiegen, daß sie stellenweise bereits aus ihren Ufern getreten ist. *— Ein interessantes Bild ist gegenwärtig im Schau kasten des Herrn Photograph Dietrich ausgehängt, nämlich die Photographische Wiedergabe einer Abbildung de» Fürst lichen Schlosses hierselbst, wie es vor dem Brande am 5. April 1848 auSgesehen hat. *— Die Schwalben sind nunmehr ebenfalls einge troffen; mehrfach sind diese Boten des Sommers in hiesiger Gegend bereits bemerkt worden. Es fehlen nur noch die linden Frühlingslüfte. — Der Redacteur Diehl von der „Bürgst. Volksstimme", der gegenwärtig im Landesgesängniß Zwickau eine Frei heitsstrafe von 16 Monaten verbüßt, war plötzlich an einer Nervenlähmung der linksseitigen Extremitäten erkrankt. Um eine rasche und gründliche Heilung herbeizuführen, ist ein Gesuch um Strafaussetzung vom Justizministerium genehmigt worden. Am Freitag Nachmittag erfolgte de» Transport des Kranken nach Leipzig. Der sonst kern gesunde starke Mann war nicht in der Lage, allein zu gehen. Nedacteur Diehl hat noch 10'/» Monate Gr- fängniß zu verbüßen. — Lebensgefährlich verletzt hat ein Soldat de» Zwickauer Regiments im Nachbarort Mederhahlau den Berg- arbeiter Lorenz, der seine Tochter vor den Zudringlich keiten deS Soldaten schützen wollte. Lorenz wurde von dem noch nicht ermittelten Thäter mittels Seitengewehr» die Schädeldecke gespalten. beeren sich nähren können . . ." ES vergingen einige Tage, ohne daß der Baron Clotilde gegenüber die Geldangelegenheit wieder erwähnte. Er kam überhaupt, außer bei den gemeinschaftlichen Mahlzeiten, nicht mit ihr zusammen. Entweder streift« er mit der Flinte in dem nahe gelegenen Wald herum, der städtisches Eigenthum und den Badegästen als Jagd revier zur Verfügung gestellt war, oder verkehrte mit dem Vetter Missionär, dessen Einfluß auf den Baron sichtlich wuchs, so sehr Portheim auch zuweilen durch seine ironische Behandlung aller Dinge sich davon frei zu halten suchte. Auch Johannes kam feit der Ankunft Portheims mit Clotilde viel weniger in Berührung. Die junge Frau lebte meist für sich, las oder ging spazieren ... Die Richtung dieser Spaziergänge war fast immer dieselbe. Nach jener Waldhöhe hinauf, von welcher au« der Rück weg unweit der Wohnung Victors vorbeiführte . . . Clotilde fühlte sich zu Hause unruhig, beängstigt. Erst wenn sie aus der Villa fort, nicht mehr in der Nähe Portheims und ihres Vetters, im Bereiche Victors war, fühlte sie sich ruhiger, sicherer. Trotzdem hatte sie Vic tor seit jenem Gewitterabend im Garten noch nicht wieder gesehen. Ein natürliches, weibliches Schamge fühl hielt sie zurück, eine Begegnung zu fuchen, die unter allen Umständen für beide eine peinliche sein mußte. Mit Klärchen war sie dagegen öfter zusammengetrof fen. Frau Mathes, welche die Zuneigung der fremden Dame zu dem schönen, klugen Kinde bemerkte, schien e» so einzurichten, daß sie bei ihren Spaziergängen mit de» Kleinen der Baronin begegnete . . . Das Kind hatte die junge Frau rasch lieb gewonnen. In den kleinen Kinderseelen liegt ein Ahnungsver mögen, welches ihnen die Erfahrung der Erwachsenen ersetzt. (Fortsetzung folgt.)