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und N 50 Loniiabend, den 29. Februar 1896 Filialen: in Altstadtwaidenburg bei Herrn Kaufmann Otto Förster; in Kausungen bei Herrn Fr. Janaschek; in Langenchurs' darf bei Herrn H. Stiegler; in Penig bei Frau Kaufmann Max Härtig, Leipziaerstr. 163; in Rochsbnrg bei Herrn Paul Zehl; in Wollenburg bei Herrn Ernst Rösche; in Ziegelheim bei Herrn Eduard Kirsten. Amtsblatt für dsn SLadtraLtz zu Valdsnburg. Zugleich weit verbreitet in den Städten Penig, Lunzenau, Lichtenstciu-Callubsrg, und in den Ortschaften der nachstehenden Standesamtsbezirke: Mstadt-Waldenburg, Braunsdorf, Callenberg, St. Egidien, Ehrenhain, Frohnsdorf, Falken, Grumbach, Kaufungen, Langenchursdorf, Langen- leuba-Niederhain, Langenleuba-Oberhain, Niederwiera, Oberwiera, Oberwinkel, Oelsnitz i. E., Reichenbach, Remse, Rochsburg, Rußdorf, Schlagwitz, Schwaben, Wolkenburg und Ziegelheim. Erscheint täglich mit Ausnahme der Tag? nach Lo,m- und Festtagen. Annahme von Inseraten für die nächster- Meinende Rümmer bis mittag« 12 Uhr. Der AoanaementSpreis beträgt vierteljähr- ttch 1 Mt. SS Pf. Einzelne Nrn. b Ps. Inserate pro Zeile 10 Yf„ Emzej. 20 Nf. Expedition: Waldenburg, Obergasse 291 Witterungsbericht, ausgenommen am 28. Februar, nachm. 4 Uhr. Gsrometerstand 760 WM. reducirt auf den Äleeresspiegel. Thermometerstan- -i- 3,s" 6. (Morgens 8 Uhr -4- 1''.) Feuchtigkeitsgehalt der Luft nach Lambrechts Polymeter 71"/o. Thanpunkt — 1,5 Grad. Windrichtung: West. Daher Witternngsnnssichten für den 29. Februar: Wechselnde Bewölkung mit Neiqunq zu Niederschlägen. "'Waldenburg, 28. Februar 1896. England will uns locken. Die „Morning Post", ein conservatives Blatt in London, welches die leitenden Ge danken des englischen Premier-Ministers Lord Salisbury wiederzugeben pflegt, brachte dieser Tage einen Leitartikel, der sich in folgendem Gedankengange bewegte: Die große europäische Veränderung im 17. Jahrhundert bestand einerseits in der Stärkung Frankreichs, andererseits im Zerfall des Deutschen Reiches. DaS 18. Jahrhundert sah in Deutschland die Entwickelung zweier Mächte, Preußens mit einer rein deutschen Aufgabe, Oesterreichs mit der Ausgabe des Widerstandes gegen den Türken, dessen Erbe es zeitweilig zu werden schien. Die Neben buhlerschaft dieser beiden Mächte gestattete es Frankreich, den am Ende des 17. Jahrhunderts fehlgeschlagenen Versuch der Beherrschung des Festlandes wieder aufzu nehmen. Rußland nahm diesen Conflict wahr, um eine Großmacht zu werden, und sah in der Aussicht auf die Beerbung des Sultans für sich die Möglichkeit, die Herrschaft über Europa zu erlangen, die Ludwig XtV. und Napoleon vergeblich angestrebt hatten. Das 19. Jahrhundert brachte Vie Errichtung des Deutschen Reiches unter der Führung Preußens und die Beschränkung Oesterreichs auf seine Aufgabe im Orient. Im 17. Jahrhundert war England ebenso wie Holland und Deutschland von der Ausdchnungspotitik Frankreichs bedroht, weshalb es mit jenen beiden Mächten zusammen ging. Damit wurde erreicht, daß Frankreich nur wenig Gebiet von Holland und Deutschland gewann, und daß England das Uebergewicht zur See erlangte (d. h. der Nutzen dieses Dreibundes bestand für Holland und Deutschland in der Verminderung der von Frankreich drohenden Nachtheile, für England dagegen in einem großen wirklichen Gewinn). Im 18. Jahrhundert hielt es England bald mit Oesterreich, bald mit Preußen, bald mit beiden, um die völlige Vorherrschaft zur See zu er langen. Die deutsche Frage ist gelöst, die italienische auch, bleibt nur noch die orientalische. Die Türkei ver dankt ihren Fortbestand nur noch der Eifersucht unter den Großmächten. Die orientalische Frage ist vor allem die Frage, wer die Gewalt über die Meerengen, Bos porus und Dardanellen haben soll. Wäre Rußland diese Macht, so märe es mit dem freien Handelsverkehr auf dem Schwarzen Meere vorbei, und die Küstengebiete, das nördliche Kleinasien, Bulgarien und Rumänien kämen unter russische Oberhoheit. Die damit für Oesterreich drohende Gefahr und die mit dem Wachsthum des fran zösischen Einflusses im Mittelmeere für Italien verbun dene Gefahr diese beiden Mächte mit Deutschland vereinigt, während Rußland seinen Zielen im Zweibunde mit Frankreich nachstrebt. In diesem Bilde sind die großen Züge der europäi schen Geschichte der letzten drei Jahrhunderte in der That nicht übel festgehalten. Bemerkenswerth sind die Schlüsse, die das englische Blatt aus der gegenwärtigen Lage zieht. Der Dreibund allein sei nicht stark genug, um dem Zweibund ein „Hände weg!" zu gebieten, ohne den Frieden zu gefährden. Die Mitwirkung Englands müsse hinzukommen. Das Ziel sei erreicht gewesen unter dem früheren Ministerium Salisbury, das erklärte, so lange Oesterreich-Ungarn die Meerengen vertheidige, be finde sich England „hinter" ihm. Aber es sei keine Bürgschaft für die Beständigkeit der englischen Politik vorhanden gewesen. Das Mißtrauen gegen England sei gewachsen, als das frühere liberale Ministerium (Rose bery) den thörichten Versuch gemacht habe, gemeinsam mit Rußland die armenischen Wirren zu lösen. Dadurch mußte der Verdacht entstehen, als ob England ein Ein- verständniß mit dem Zweibund suche, während man in Wirklichkeit nur eine verkehrte Politik von der Hand in den Mund gemacht habe. Deutschland habe gefühlt, daß England die europäische Sache im Stiche lasse, die zur Zeit gleichbedeutend sei mit der Aufrechterhaltung des jetzigen Besitzstandes. Deutschland strebe jetzt mit Un freundlichkeiten gegen England darnach, England eine bessere Werthschätzung der deutschen Freundschaft beizu bringen. Lord Salisbury werde aber eme starke und beständige Politik einschlagen und der Welt klar machen, daß England die Regelung der türkischen Frage im Einverständnisse mit den Dreibundmächten, also mit Deutschland, Oesterreich, Italien und nicht mit dem Zweibunde Rußland und Frankreich anstrebe, womit dann alle Kriegsgefahr beseitigt sei. Darin ist nun Wesentliches ganz übergangen, und zwar solche Dinge, die den Engländern ernste Sorgen machen, vor allein die Stellung Englands in Egypten, die Noth wendigkeit, seinen Weg nach Indien zu sichern. Man sieht, wie unbequem es für England ist, wenn Deutschland in guter Freundschaft mit Rußland lebt. Aber es fehlt die Einsicht, daß es mit dem englischen System, das in den vergangenen Jahrhunderten so viele Vortheile für England brachte, nämlich die Gegensätze auf dem Festlande auszunutzen, andere für sich ins Feuer zu schicken und selbst „hinter" der europäischen Front zu bleiben, unwi derruflich vorbei ist. Wir können in Gemüthsruhe ab- warten, ob in dieser Beziehung Lord Salisbury bei der neuen Orientirung seiner Politik, bei seiner neuen deutsch freundlichen Richtung, welche der Artikel seiner Morning Post ankündigen soll, erkennen will, daß England nicht mehr Andere die Kastanien aus dem Feuer holen lasten kann, sondern daß es selbst hervortreten und in Thaten seinen Mann stellen muß. Aber auch wenn wirklich ein großer und fester Entschluß der jetzigen conservativen Staatsmänner in England vorliegt, im Verein mit dem Dreibund gegen die russischen Weltherrschaftsgelüste vor zugehen, wer bürgt uns für die Beständigkeit dieser Politik und für den Bestand dieses Ministeriums, da in England die wechselnde Volksstimmung und das Parlament die entscheidende Rolle in der Hand hat? Politische Rundschau. Deutsches Reich. Zum Thee waren am Mittwoch Abend bei den kaiser lichen Majestäten die Minister Miquel und v. Hammer stein geladen. Am Donnerstag, ihrem Hochzeitstage, nahmen der Kaiser und die Kaiserin die Glückwünsche der nächsten Umgebung entgegen und begaben sich zur Tafel bei der Kaiserin Friedrich. Im kgl. Schlosse fand Abends eine größere Gesellschaft statt. Anläßlich des Hochzeitstages liefen äußerst zahlreiche Bouketts und Blumen-Arrangements, sowie briefliche und telegraphische Glückwünsche ein. Im Reichskanzlerpalais nahm der Kaiser einen längeren Vortrag des Fürsten Hohenlohe entgegen. Der commandirende General des 15. Armeecorps, v. Blume, hat, wie die „Strßbg. Post" jetzt feststcllt, eines Ohrenleidens wegen vor einigen Wochen dem Kaiser sein Abschiedsgesuch eingereicht. Eine Entscheidung darauf ist noch nicht erfolgt. Ueber die colonialpolitische Auffassung des Fürsten Bismarck geht dem „Hann. Cur." von einem der Theilnehmer an den jüngsten Empfängen in Fried- richsruh eine Miltheilung zu, die nach vielen Richtungen hin äußerst interessant ist. In Bezug auf die Coloni sationsfrage hält Fürst Bismarck nach wie vor fest, daß in fernen Erdtheilen der Kaufmann voran und der Staat mit seinem Schutze ihm nachfolgen müsse. Es sei immer das Richtige, einen Küstenstrich von zwei oder drei Tage reisen Breite in Besitz zu nehmen und mit den dahinter liegenden Negern freundschaftliche Abkommen zu treffen; würden diese verletzt oder kämen sonstige Gewaltthätig- keiten vor, so müsse man unverzüglich militärische Expe ditionen in das Hinterland zur energischen und abschrecken den Züchtigung der Eingeborenen vornehmen. Von der Verpflanzung des preußischen Regierungsastestors und seines bureaukratischen Systems nach Afrika verspricht sich der Fürst wenig Erfolge. Der Altreichskanzler ist auch kein unbedingter Anhänger der Aufhebung der Sklaverei. Dagegen sprach er sich mit Schärfe gegen die brutale und falsche Behandlung der Schwarzen aus, wie sie leider auch von deutscher Seite in den bekannten Fällen vor gekommen sei. Es stecke zwar in den Negervölkern etwas von der Pferde- und Hundenatur, aber selbst in Bezug auf diese beiden Thiere sei das System der Dressur mittels Schlägen veraltet. Wißmann habe die richtige Art und Weise gehabt, mit den Negerstämmen fertig zu werden. Der Bundesrath hat Donnerstag dem Ausschuß antrag, betr. Handel mit denaturirtem Branntwein, sowie dem Ausschußantrag zu dem Antrag Preußens, betreffend Regelung der Arbeitsverhältniffe in Bäckereien und Con- ditoreien zugestimmt. Es wird erwogen, ob und wie eine Aenderung der bestehenden Vorschriften über die Zurück weisung von Personen, die das Verhandeln vor Gericht geschäftsmäßig betreiben, zu erfolgen hat. Die erste schwerwiegende Aenderung hat die Reichs tagscommission an dem Entwurf des neuen bürger lichen Gesetzbuches vorgenommen. Mit 13 gegen 8 Stimmen wurde ein Antrag des Abg. Groeber (Ctr.) zu Z 21 und damit der Grundsatz angenommen, daß alle Vereine, welche nicht gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstoßen, Corporationsrechte erlangen nur durch Eintrag in das Register des zuständigen Amtsgerichtes, ohne Concession oder Einspruch der Re gierung. Von Anfang an war zu erkennen, daß sich beim Vereinsrecht die Hauptschwierigkeiten ergeben würden. Die Reichstagscommission für das bürgerliche Gesetz buch macht cs nunmehr dem Reichstage nach, sie pausirt auch. Am Donnerstag wurde die Weiterberathung bis Dienstag, den 3. März, vertagt. In Sachen der neuen Börsenreform steht nun die Entscheidung bevor. Keins von allen Gesetzen, die zur Stunde im Reichstage sind, ist härter umstritten, als das neue Börsengesetz, und mit lebhafter Spannung er wartet man deshalb, in welcher Form es zu Stande kommt. Die Entscheidung steht nun bevor, nachdem in der Reichs tagscommission die erste Berathung der Vorlage zum Abschluß gebracht ist. Im Verlause der zweiten Lesung wird aus der Haltung der verbündeten Regierungen sicher werden, ob und welche der gefaßten scharfen Be schlüsse sie für nicht annehmbar halten. Die Commis- sionsmchrheit meint, es würden vielleicht formelle, aber nicht prinzipielle Aenderungen vorgenommen zu werden brauchen. Eine neue politische Partei haben wir nun im deut schen Reiche mehr, nachdem die christlich-sociale Gruppe des Herrn Stöcker auf ihrem Parteitag in Frankfurt a. Main soeben die Bildung einer eigenen christlich-socia len Partei beschlossen hat. Das ist die erste praktische