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^Waldenburg, 5. Februar 1896. Parteien werden immer bestehen, so lange in der Politik die Menschen sich von ihren so sehr von einander abweichenden Anschauungen und Ueberzeugungen leiten lassen, und es ist auch ganz gut so. Im Wioerstreit der Meinungen siegt das Bessere über das Gute, die Einseitigkeit macht sich weniger leicht breit und die ge- - sährliche Selbstzufriedenheit, die Feindin aller Reformen, kann ihr Haupt nicht so leicht erheben. Wir erwarten natürlich, das; allen Parteien ohne Ausnahme Volks- und Landes-Interessen höher stehen, als die der Partei, und der friedliche Bürger bedauert es aufrichtig, wenn im Partcikampf die Fahne der Partei höher gehalten wird als oie deS Paterlandes. Auch wir im deutschen Reiche haben mehr als einmal zu sehr zugespitzte Partei- Auseinandersetzungen gehabt, die sich üppig breit machten, bis wieder der Ernst der Zeil und die praktischen Volks bedürfnisse sie in den Hintergrund für geraume Monate drängten. Und dieser Ernst der Zeit, die praktischen „ Volksbedürfnisse sind es auch, welche zwar nicht die Bil dung von Parteien, wohl aber die Fortdauer derselben unter starren, unveränderten Formen verhindern. Zeit und Zcitbedürfnisse zwingen auch Parteianschauungen Mehr oder minder nach ihrem Willen, wo eine Weige rung besteht, dem Rechnung zu tragen, da folgt ein Ver- - - gehen und Zerstäuben. Wer nicht mit der Zeitströmung geht, wer die Volksseele und ihre Stimmung nicht kun dig zu deuten weiß, der verliert Gegenwart und Zu kunft zugleich. Ein bekannter deutscher Staatsmann unserer Zeit hat das Wort gebraucht, daß alle deutschen Parteien sich ' 4 überlebt hätten. Es ist selbstredend, daß keine Partei die Berechtigung dieses Spruches zugeben wird, man kann ja auch beim besten Willen nicht verlangen, daß Jemand sein eigenes Todesurtheil unterschreibt. Aber das wird Niemand in Abrede stellen, daß in unseren Parteien, gerade so wie im Volke, Gegenströmungen vor- is Händen sind, welche den alten Parteiverband entweder . schon gesprengt haben oder zu sprengen drohen. In der freisinnigen Partei ist die bekannte Spaltung eingetreten, aus der conservativen Partei ist jetzt Herr Stöcker aus geschieden, der in seiner politischen Richtung mehr ist, als eine einzelne Persönlichkeit, und bei den National liberalen, wie im Centrum fehlt es auch nicht an poli tischen und wirthschaftlichen Meinungsverschiedenheiten. Würde heute der frühere schroffe Parteizwang aufrecht gehalten, keine einzige Partei würde zur Stunde mehr heil und ganz sein. Unsere Parteien sind in einer Umbildung begriffen, und diese Umbildung wird um so weiter sich vollziehen, je mehr die Wähler von ihren Volksvertretern eine bestimmte, praktische Arbeit fordern. Und die wird gefordert, mehr und immer mehr, denn das ist des Volkes Wille: Des Abgeordneten Amt soll nicht blos ein Amt der Ehre, sondern erst recht ein solches der Arbeit sein. Ehre und Preis nicht den Worten, sondern der vollbrachten That und auch dem redlichen Wollen. An unserer äußeren Parteigruppirung wird sich kaum viel verändern, um so mehr aber im Wesen der Parteien. Heute hat es keine Partei fertig gebracht, eine leitende Stellung in unserer Reich-Politik einzunehmcn. Wir haben nur vereinzelt Episoden gehabt, in welchen eine klare Richtung der ganzen politischen Entwickelung ihren Stempel aufprägte, wir können da nur drei solcher Epi soden geltend -machen. Die erste war die liberale Aera bis in den Beginn der siebziger Jahre; dann kam von 1879 ab Furst Bismarcks wirtschaftliche und social politische Mehrheit, und endlich zuletzt der Kartell-Reichs tag. Die Gegnerschaft der Parteien ist in der Form oft weniger heftig, als in der Sache, aber sie ist heute so, daß die Wiedergewinnung einer festen NeichstagS- mehrheit recht schwer ist. Und eben dieser Umstand wird ein Ansporn sein für die Parteien, durch Thatkraft und zielbewußte praktische Politik für sich immer weitere Volks- krcise zu gewinnen. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Kaiser hörte am Dienstag den Vortrag des Staatssekretärs v. Marschall im Auswärtigen Amt. Im kgl. Schlosse arbeitete Se. Majestät hierauf mit dem Chef des Militärcabinets und empfing den neuen türkischen Botschafter Ghalib Bey in Antrittsaudienz. Nachmittags nahm der Kaiser den Vortrag des Chefs des Marine- cabinets entgegen. Der soeben erfolgte plötzliche Rücktritt des comman- direnden Generals des 3. preußischen Armeecorps, des Prinzen Friedrich von Hohenzollern, ist in ver schiedenen Zeitungen mit der bekannten Affaire Kotze, in welcher der Prinz das Urtheil des militärischen Ehren gerichts in Rathenow bestätigt hatte, in Verbindung ge bracht. Diese Annahme ist aber eine unzutreffende, der Prinz hat sich mit diesen Rücktrittsgedanken schon seit längerer Zeit getragen. Außer dem Prinzen Friedrich von Hohenzollern, der dauernd seinen Wohnsitz in Süddeutschland nimmt, wird nach der „Köln. Ztg." auch Prinz Albert von Altenburg mit Gemahlin demnächst Berlin verlassen und nach Schloß Kuchelmiß bei Serrahn in Mecklenburg- Schwerin übersiedeln. Beim Reichskanzler Fürsten Hohenlohe findet Mitt woch Abend eine parlamentarische Soiree statt, zu welcher über 300 Einladungen ergangen sind. Die Reichstagsabgeordneten Graf Mirbach und von Kardorff waren in den letzten Tagen beim Fürsten Bismarck. Die Großherzogin von Oldenburg ist, wie ver lautet, dem Krebs zum Opfer gefallen. Die Heimge gangene, die in glücklichster Ehe lebte, war im ganzen Lande verehrt und geliebt als Wohlthäterin und Helferin in der Noth. Man schätzt die alljährlich von ihr für Werke der Barmherzigkeit verwendete Summe auf min destens 50,000 Mk. 1870 nahm sie die Organisation der Krankenpflege in die Hand und war unablässig be müht, auch durch Förderung des ihren Namen tragenden Diaconissenstifts und des Kinderkrankenhauses Werke der Liebe und Barmherzigkeit zu üben. Auch für Kunst hatte sie lebhaftes Interesse. Der Großherzog wird den Verlust um so schwerer empfinden, als die Gatten kaum je von einander getrennt waren. Hofprediger a. D. Stöcker hat an seine Wähler im Landtagswahlkreise Minden-Lübbecke folgende Erklärung gerichtet: „Den Wählern und Wahlmännern, welche mir das Vertrauen geschenkt haben, mich in das Abgeord netenhaus zu wählen, theilc ich hierdurch mit, daß ge wisse Umstände mich veranlaßt haben, auS der deutsch« conservativen Partei des Abgeordnetenhauses auszuscheiden. Meine politische, sociale und kirchenpolitische Haltung erleidet dadurch nicht die geringste Veränderung." In der Deutschen Landwirthschafts-Gesellschaft hat Staatssekretär v. Bötticher dieser Tage folgende, mit großem Beifall aufgenommene Erklärung abgegeben: „Mir ist es ein Bedürfniß, mit dem Deutschen Land- wirthschaftsrath in möglichst enge Berührung zu kommen. Die Aufgaben auch meines Ressorts weisen mit Noth wendigkeit darauf hin, daß für die Landwirthschast, soweit es in den Umständen liegt, das Möglichste geschieht, und ich freue mich, daß ich von dem Standpunkte meines Amtes aus, wenn auch nur in geringem Maße, dazu beitragen kann, daß die Interessen der Landwirthschast gewahrt werden. Daß die Landwirthschast-das Bedürfniß nach einer kräftigeren Vertretung empfindet, ist ein sehr begreiflicher Wunsch, dessen Erfüllung nicht blos im Interesse der Landwirthschast, sondern auch in dem des Vaterlandes liegt. Dazu mitzuwirken, wird mir stets eine besondere Freude sein." Die Budgetcommission hat die Berathung des Mili täretats beendet. Im Extraordinarium des sächsischen Coniingents werden als erste Rate zum Vorbau eines Familienwohnhauses für das Kasernement eines Infanterie regiments in Dresden 30,000 Mk. gefordert für Ent wurf und Baubeginn. Hier wurden zunächst nur 3000 Mk. für den Entwurf bewilligt. Zur Vergrößerung des Artillerie-Schießplatzes bei Zeithain sind als 2. Rate 2,500,000 Mk. gefordert; hier wurden 400,000 Mk. gestrichen. Beim Etat für Württemberg wurde die erste Rate von 5000 Mk. zum Neubau eines Garnisonlazareths in Weingarten abgelehnt. Im Uebrigen wurden alle Ansätze des Etats genehmigt. Zwischen der preußischen Regierung und dem Bund der Landwirthe soll Dank der Bemühungen des Reichskanzlers und des Finanzministers ein ver trauliches Uebereinkommen erzielt sein. Die Regierung will eine ganze Reihe von Maßnahmen im Interesse der Landwirthschast vorbereiten, mit alleiniger Ausnahme des Antrages Kanitz. Nach dem Verlauf der letzten landwirthschaftlichen Debatten im preußischen Landtage klingt das nicht direct unwahrscheinlich. In Deutsch-Südwestafrika ist von englischen Kauf leuten ein sehr dreister Waffenschmuggel betrieben, dem zu steuern einem energischen deutschen Einschreiten gelungen ist. Bei Wiederholungen soll nunmehr eine empfindliche Strafe erfolgen. Frankreich. Der Revolver-Journalist Rosenthal-Saint-Cöre ist wegen seines schlechten Gesundheitszustandes aus dem Untersuchungs-Gefängniß ins Krankenhaus gebracht. Italien. König Menelik von Abefsynien hat doch nicht gewagt, auf die italienischen Offiziere der Besatzung von Makalle, die er als Geiseln noch zurückbehalten hatte, dauernd seine Hand zu legen. Er hat sie ins italienische Haupt quartier mit Friedensanträgen abreisen lassen, wo die Herren auch glücklich angekommen sind. Die Friedens aussichten sind indessen nicht so besonders groß, weil Menelik das von den Italienern geforderte Protectorat über ganz Abefsynien doch nicht zugestehen will. Weitere kleinere Scharmützel haben zwischen den Vorposten statt- gesunden, aber kein ernster Zusammenstoß. England. Heute Mittwoch findet die Beisetzung der Leiche des Prinzen Heinrich von Battenberg statt. Der Minister Balfour sprach in einer Rede von einem englisch-nordamerikanischen Bündniß. Das Schau spiel würde der ganzen Welt ein Hauptspaß sein. In den nächsten Tagen tritt da- Parlament wieder zusammen. Interpellationen über die auswärtige Politik wird es regnen. und 4 Dvmicrstag, de» 6. Februar 1896 ! I Filialen: in Altstadtwaldenburg bei Herrn Kaufmann Otto Förster; in Kaufunzen bei Herrn Fr. Janaschek; in Langenchurs dorf bei Herrn H. Stiegler; in Penig bei Frau Kaufmann Max Härtig, Leipzieerstr. 163; in Rochsburg bei Herrn Paul Zehl; in Wolkenburg bei Herrn Ernst Rösche; in Ziegelheim bei Herrn Eduard Kirsten. N 30 Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Zugleich weit verbreitet in den Städten Penig, Lunzenau, Lichtenstein-Calluderg, und in den Ortschaften der nachstehenden Standesamtsbezirke: Altstadt-Waldenburg, Braunsdorf, Callenberg, St. Egidien, Ehrenhain, Frohnsdorf, Falken, Grumbach, Kaufungen, Langenchursdorf, Langen leuba-Niederhain, Langenleuba-Oberhain, Niederwiera, Oberwiera, Oberwinkel, Oelsnitz i. E., Reichenbach, Remse, Rochsburg, Rüßdorf, Schlagwitz, Schwaben, Wolkenburg und Ziegelheim. krfcheint täglich m:t Ausnahme der Tage Sonn- und Festtage«. «mmhme von Inseraten für die nächster- scheinende Nummer bis mittags 12 Uhr. Der A 'EemeMSpreiS beträgt' vierteljähr lich 1 Nr. 2S Pf. Einzelne Nrn. b Pf. Inserate pro Zeile 10 Ps., Fp-so Pj Expedition: Waldenburg, Obertasse 291 V Witternngsbericht, ausgenommen am 5. Februar, nachm. 4 Uhr. Barometerstand 773 mm. reducirt aus den Meeresspiegel. Thermometerstlmd -i- 1" L. (Morgens 8 Uhr — 0,^.) Feuchtigkeitsgehalt der Luft nach Lambrechts Polymeter 70"/«. Thaupunkt — 4 Grad. Windrichtung: West. Daher Wttterungsaussichteu für den 6. Februar: Trübe bis halbheiter.