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Beilage zu Nr. 242. IWhUPl TlWlSÜ M WSlhMUM AM!M Sonnabend, - lk Oktober lS2ß pomcatts Heimkehr. PoincarS ist von seiner Studienfahrt durch El- saß-Lothringen nach Paris zurückgekehrt. Ueber seine Eindrücke während der Reise hat er sich bisher aus geschwiegen. Aber schon die Tatsache dieser Studien- fayrt beweist, daß Poincar6 die Lage für sehr ernst hält. Mag man in Paris auch noch so ost erklären, daß es keine elsaß-lothringische Frage gibt, sie ist doch da und wird Frankreich noch manche Sorge machen. Die Lage im Elsaß ist für Frankreich und seine zentralistische Einheit bedrohlich geworden. Nicht erst seit der Gründung des elsaß-lothringischen Heimat bundes, der seit einigen Monaten bestehenden Zusam-- menfassung aller aus die Wahrung ihrer Rechte bedach ten Elsaß-Lothringer, vor allem aber, seit dem die Leute vom Heimatbund mit Disziplinarstrafen, mit Amtsenthebungen und sogar mit Knüppeln bedroht wurden. Der Angriff der Nationalisten, die die Ver fechter des bedingungslosen Anschlusses und der uni formen Angleichung an Frankreich sind, hat den Zu sammenschluß der Heimattreuen nur befördert. Die größte elsässische Partei, die Katholische Volkspartci, freilich, ist noch in ihrer Haltung unentschieden, aber es ist das übereinstimmende Urteil aller Kenner der elsaß-lothringischen Verhältnisse, daß in Zukunft im Elsaß niemals eine Partei, die auf Anhänger in der Alteingesessenen Bevölkerung rechnet, um weitgehende Zugeständnisse an die Heimatbundbewegung herum- kommt. . Poincars hat auf seiner Reise, wie auch wohl schon vorher, Petitionen von der einen und von der an deren Seite erhalten. Wenn man glaubt, daß er sich von der Notwendigkeit gewisser Zugeständnisse hat überzeugen lassen, dann befindet man sich aus einem völligen Irrweg. Zwischen Paris und dem Elsaß gibt es gar kein Kompromiß und weder Herr Briand noch vor allem Herr Poincare haben überhaupt die Möglichkeit, Zugeständnisse zu machen, die den elsäs- sischen Forderungen auch nur einigermaßen Rechnung tragen. Die völlige Angleichung Elsaß-Lothrin- gens an das Verwaltungssystem Jnnerfrankreichs ist keine Forderung der oder jener radikalen Partei, sie ist die Forderung fast aller französischen Parteigrup pen. Ganz unberechtigt ist es, wenn man Deutschland kür die elsässische Heimatbundbewegung verantwort lich machen will. Wir haben mit Elfaß-L°thringen während seiner Zugehörigkeit zum Reiche ähnliche Er fahrungen gemacht, wie jetzt Frankreich. Kurz vor dem Kriege waren wir auch schon zu der Erkenntnis gelangt, daß nur eins helfen kann: weitgehende Auto nomie. Die Struktur Deutschlands als Bundesstaat hätte auch eine solche Entwicklung erleichtert. Als Teil des straffen Einheitsstaates Frankreich fühlt sich heute Elsaß-Lothringen naturgemäß noch weit beengter als früher. Daher erklärt es sich auch, wenn die Autonomiebewegung heute vielfach noch schärfer zum Ausdruck kommt, als früher. Man darf sich nicht un gestraft über die elsässische Eigenart hinwegsetzen. Armenrecht für penMflen von Lippe. Das ga,He Bormöge-n durch die Inflation verloren, Der Detmolder Magistrat hat dem früheren Lan desherrn von Lippe, Fürst Leopold, auf seinen Antrag in einem von ihm angestrengten Prozeß das Armen- recht zugestanden. Die Klage, um vre es sich dabei handelt, richtet sich, wie ausdrücklich betont wird, nicht gegen den Staat Lippe, sondern gegen einen Privat schuldner des Fürsten. Die Biesterfelder Linie, die in Livve-Detmold herrschte, war ursprünglich arm, doch übernahm sie beim Regierungsantritt den umfangreichen Dominial- besitz. In der zwangsweise durchgeführten Ausein andersetzung entfielen von dem etwa 23 000 Hektar umfassenden Dominialbesitz sechs Siebentel an den Staat und ungefähr 3500 Hektar an den Fürsten. Der Staat übernahm damals außerdem das Hof theater im Wert von 1 Million Mark, den größeren Teil des Hausschmuckes, den der Staat für 800 000 Mark veräußerte, und die Fürst-Leopold-Hochschule, die mit 2,5 Millionen Mark ausgestattet war. Der Staat wollte dafür eine Abfindung von 1 Million Mark geben. Diese Abstandssumme wurde im Oktober 1922 in Höhe von 1650 Goldmark ausgezahlt. Der Fürst hat im Juli 1925 den Vertrag wegen Irrtums ansechf- ten lassen. . . Sine Ehrenerklärung für Gürtner. Dr. Levi nimmt seine Beschuldigungen zurück. Der Femeausschuß des Reichstags hat am Mitt woch die Vernehmungen in München beendet. Am Schluß der Verhandlungen gab der Berichterstatter Abg. Dr. Levr (Soz.) eine Erklärung ab, daß er nach dem Ergebnis der in München stattgehabten Beweis aufnahme nicht anstehe, folgendes zu erklären: Sein )Dr. Levis) Eindruck, als ob -er Schritt des Dr. Gademann bei den Staatsanwälten in Augsburg, der zur Enthaftung nnd schließlich znr Antzerverfolgnngsetzung der in der Mordsache Hartung verdächtigten Personen führte, auf die Initiative des Justizministers Gürtners znrück- gchc, lasse sich nicht ansrecht erhalten. Landgerichtsrat Gürt ner habe lediglich im Auftrage des Jnstizministers den Vor trag der Staatsanwälte entgegengenommen und an de» I«- stizminister weitergegeven. In einer Entschließung des Ausschusses wird im Anschluß an diese Erklärung festgestellt, daß die gegen Gürtner erhobenen Vorwürfe der Grundlage entbehren Es sei besonders für widerlegt erachtet worden, daß der jetzige Justizminister und damalige Landgerichts rat Gürtner irgendwie im Falle Hartung oder im Falle Gareis in die schwebende Untersuchung eingegrif fen oder seinen Einfluß geltend gemacht habe, um den Fortgang des Verfahrens zu hemmen. Mißbilligung des Abg. Levi. In einer nichtöffentlichen Sitzung hat der Feme ausschuh dem Abgeordneten Levi seine Mißbilligung darüber ausgesprochen, daß er Aktenmaterial zu einem polemischen Zeitungsartikel verwandte. Dieser Antrag wurde mit vierzehn Stimmen bei acht Stimmenthal tungen der Sozialdemokraten und der Kommunisten angenommen. Die Sozialdemokraten haben erklärt, daß sie sich durch diese Entschließung nicht gebunden fühlten. ^^Mr'ssemelnschast. „ der ersten Oktoberwoche hat in Berlin eine Vor tragsreihe stattgefunden, in der die Begriffe der National wirtschaft und der Werksgemeinschaft behandelt wurden. Die Anhänger der Werksgemeinschafts-Jdee weisen darauf hin, daß die Gewerkschaften und ihre Gegenspieler die indu striellen Arbeitgeberverbände wenig geeignet seien, den sozialen Frieden zu begründen, weil die Eeroerkschafts- beamten und die Unternehmer-Syndici eben von den Diffe renzen leben, die zwischen den beiden großen sozialen Grup pen bestehen. Die großen Verbände könnten gar nicht be urteilen, ob und in welchem Umfange die für einen ganzen Eewerbezweig oder einen Landesteil aufgestellten Forde rungen in den einzelnen Betrieben verwirklicht werden können. Die wahre Solidarität bestehe nicht unter der Arbeitnehmerschaft einer ganzen Branche oder eines großen Bezirks und auch nicht zwischen der Unternehmerschaft in einem umfangreichen örtlichen oder fachlichen Rahmen, sondern zwischen allen, die in einem Betriebe — einem Werke — zusammenarbeiten. Diese tatsächliche Solidarität müsse sich auch äußerlich dadurch kundtun, daß die Unter nehmer (bzw. ihre Beauftragten) und die gesamte übrige Belegschaft eine aktive Werkskameradschaft ins Leben rufen und betätigen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist es allerdings, daß kein allzu großer Wechsel innerhalb der Belegschaft stattfindet, daß also eine gewisse Bodenständig keit und ein gemeinsames Heimatgefühl besteht. Diese Vor aussetzungen find in den großen Industriegebieten und in den Großstädten mit ihrer stark fluktuierenden Bevölkerung nicht gegeben. Immerhin ist es zu begrüßen, daß in anderen Gegenden, wo diese Bedingungen erfüllt sind, die Werks gemeinschaft praktisch gepflegt wird. Dies ist besonders in der Lausitz der Fall, wo bereits einige Dutzend Unternehmer und Betriebsleiter und etwa 4000 Arbeitnehmer zu solchen Werksgemeinschaften zusammengeschlossen sind. Die Gewerkschaften fürchten, daß ihnen durch den Fort schritt der Werksgemeinschaften das Wasser abgegraben wird. Sie versuchen, die neue Idee als einen Irrtum, ja sogar als eine bewußte Irreführung der Arbeiter und Angestellten zu verdächtigen. Wenn allerdings der Arbeit geber oder sein Sachwalter den Versuch macht, durch solche Werksgemeinschaften jede Forderung und jede Kritik de^ Belegschaft im Keime zu ersticken, so trifft das erwähnte scharfe Urteil zu. Es hieße aber, einen gesunden Gedanken totschlagen, wenn man leugnen wollte, daß der weitaus größte Teil der Anhänger der Werksgemeinschaft ehrlich den Frieden und die Milderung der zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bestehenden Gegensätze erstrebt. Das geht schon daraus hervor, daß hierbei nicht nur den Ar beitern und Angestellten, sondern auch den Unternehmern und Betriebsleitern Opfer auferlegt werden. Das Zuge hörigkeitsgefühl zu einem Betriebe läßt sich nur dann wecken und stärken, wenn die in einem Werke beschäftigten Gehilfen als ein wichtiges und unentbehrliches Stück des ganzen Werkes angesehen und behandelt werden. Die Her oorkehrung eines kühlen, nüchternen Vorgesetztenverhält nisses verträgt sich mit einer wirklichen Betriebskamerad schäft nicht. Es muß sich noch erweisen, ob die in der Zde« so einleuchtenden Bestrebungen dieser Art auch die Feuer probe einer weiten praktischen Anwendung bestehen werden, Mode schau und Wohltätigkeit. — Die ersten gesell« schaftlichen Ereignisse. — Die Kleidermodelle des kom menden Winters. Die Zeit hat begonnen, da wir die Stadt innügev lieben als im Sommer, der mit seiner leuchtenden Wärme die Sehnsucht nach Wald und Wiesen, nach dem Meer und den Bergen in uns entfacht. In jenen leuch tenden Tagen, die nun schon in die Ferne gerückt sind, ist die Stadt uns gleichgültig, fast wie ein Feind, der uns im Bann hält, und dessen wir uns nicht ev» wehren können. Aber jetzt, da die Bäume im letzten flammenden Gelb und Rot aufleuchten, da zu unseren Füßen ge storbene Blätter ihr Klagelied rascheln, und die letz-, ten Blumen in den Gärten und den Anlagen frö steln, doch noch einmal in den knalligsten Farben auf-- leuchten, ehe auch sie zur Mutter Erde heimkehren, jetzt empfinden wir die Stadt als einen lieben guten Freund, in dessen Arme wir nach langer Trennung zurückkehren, hingegeben seinen Erzählungen und die Frage im Herzen, mit der die Stadt wieder Besitz von uns ergreift: „Was ist denn los in Berlin?" Heimchen. Roman von Erich Eben st ein. Copyright by Greiner L Comp., Berlin W 30. „ (Nachdruck vc-iocn.) Fortsetzung. selbst zuweilen Herzens, wenn selbst lächelnd, Den wollte sie. .. nur den! eritauru^ ich ihn denn?" fragte sie sich win den unruhigen Schlag ihres ' N V°r ihr auftauchte, überleaen ^nu schüttelte sie, über sich »verlegen den schönen Kopf, war Torbri^ >ag gewiß nicht in ihrer Linie! Liebe hieß sich selbst aufgebcn, die eigene Wn. Über einer' anderen, hieß - sich unter- Ug Fredegild dies vermocht, das suhlte sie. Ihr TYP cheß herrschen und genießen. gefiel ihr besser als jeder andere Mann b^her. S ine elegante Erscheinung paßte zu der ihren... sie "Eden em schönes Paar abgeben und Auf sehen erregen, wo sie sich zeigten. Und die alte Frau mit dem grauen Scheitel würde wütend sein, si^d 'yr die Demütigung von gestern heim zuzahlen - ein Hochgenuß! ", Schritt für Schritt wollte sie sie verdrängen — aus dem Herzen des Sohnes und dem Haus, als dessen Herrscherin sie sich gestern o stolz gegeben. . . Aber -- er war mcht gekommen! Weil die Mutter es verhinderte? Weil er selbst nicht kommen wollte? Oder weil äußere Umstande ihn abge- halten hatten? Das waren die Fragen, die Fredegild beschäftigten, während man am Klavier m brausender Begeisterung Wagnermusik spielte und sang, und ft viele ..ianne^ in Liebe und Bewunderung aus ihrem Schneewittchengepcht ruhten. , . < Serena war inzwischen glücklich und zufrieden in ihrer Fensternische neben ihrem gespannt lauschenden Zuhörer. Sie erzählte das Märchen von der Wunderblume und dein einsamen Zwerg, das sie selbst erdacht hatte. Das Dunkel, der leise rauschende Nachtwind draußen, ihre weiche, biegsame Stimme und die eindringlich hin gebende Art ihres Sprechens, die alles Wunderbare wie unmittelbares Selbsterlebnis wirken ließ, spann beide in Märchenstimmung ein. Traumversunken fielen die Worte von ihren Lippen, traumversunkcn trank sie das Ohr des Zuhörers. So völlig losgelöst waren beide von der Wirklichkeit, daß sie gar nicht merkten, wie drüben die Musik verstummte, Stühle gerückt wurden und sich der Raum draußen vor den Samtvorhängen wieder mit schwatzenden Menschen füllte. „Und der einsame Zwerg, den die böse Fee verzaubert und nach dem wilden Geisterwald verbannt hatte, auf daß er dort die Wunderblume hüte, wußte so wenig, daß die golden schillernde Blume, die er jeden Morgen und Abend traurig mit feinen Tränen begoß, damit sie nicht verdorre, in Wahrheit seine geliebte Prinzessin Goldhaar war, wie die Wunderblume nicht ahnte, daß hinter der Mißgestalt des armen Zwerges ihr Verlobter, Prinz Fortunatus, steckte. Denn das war die Rache der boshaften Fee, weil Fortunatus lieber auf ihr diamantenes Schloß samt all feinen Juwelenschätzen verzichtete, als von Goldhaar zu lassen, obwohl diese nur ein armes kleines Prinzeßchen ohne Land und Schätze war: Daß die beiden in der wüsten Einsamkeit des Geisterwaldes langsam dahinsterben sollten, ohne einander zu erkennen und erst im Augen blick des Todes ihre wirkliche Gestalt wiedererlangend, begreifen sollten, wie nahe sie einander gewesen. Und all die grauen Eulen und Schlangen und Wölfe und andern Ungetiere dieses schrecklichen Waldes ohne Farben, Blumen und Sonnenschein, in dem ewig nur lichtloses Grau und das Schweigen des Todes herrschte, sollten dann plötzlich um das arme sterbende Paar auftauchen und ihm unter grauenvollem Hohngelächter zurufen: „Dies, ist das. Werk der Fee Usubaru!" Aber inzwischen war Fortunatus' treuer Freund nach vielen Irrfahrten auch an die Hütte des frommen Ein- siedlers gekommen, der das Gelübde getan, nur drei Stunden zu ruhen täglich und die übrige Zeit unermüdlich zu arbeiten und dem Gott dafür die Gnade des zweiten Gesichtes verliehen hatte, so daß er alles zu sehen ver mochte, was nur irgendwo auf Erden geschieht. Und der Einsiedler war ein Feind der Fee Usubaru und wußte längst um ihre boshafte Tat an Goldhaar und Fortunatus, und als nun Ritter Goland zu ihm kam, da..." In diesem Augenblick wurden die Samtvorhänge an der Nische weit zurückgejchoben, so daß eine Flut Hellen Lichts sich hereinergoß. Eine sehr zarte, etwas kränklich aussehende Dame in schwarzer Spitzentoilette mit wunderschönem silbergrauen Haar stand zwischen den Vorhängen, diese mit ausge streckten Armen anseinanderhaltend und sagte: „Ach, Friedibubi, es war herrlich! Sei nicht böse, daß ich dich so lange allein ließ, aber ich konnte mich wirklich nicht eher losreißen von diesem lang entbehrten Genuß!" Friedibubr aber antwortete etwas ungeduldig: „Ja, ja, bitte, störe uns nicht, Mama, es ist so wunderschön! Heimchen, erzählen Sie weiter! Also — als Ritter Goland zu dem Einsiedler kam...?" Aber Serena dachte gar nicht an Weitererzählen. Ganz verstört starrte sie auf „Friedibubi", von dem sie jetzt im Hellen Licht sah, daß er kein Knabe war, wie sie nach Stimme und Gebaren vermuten hatte müssen, son dern ein großer, schlanker, junger Mann von mindestens. 25— 26 Jahren mit einem kohlschwarzen Schnurrbart. Hatte er, die Dunkelheit benützend, sie zum Besten gehalten, als er sich als Knabe gab, und sich Märchen von ihr erzählen ließ? Aber nein — dazu sah er zu harmlos aus. Immerhin empfand Serena die Lage als furchtbar peinlich Was mochte die Dame, die offenbar Frau Kol bergs Schwester war, von ihr denken? Sie hatte sich erhoben. Wie mit Blut übergossen, stammelte sie zu Frau Dorner gewendet: ! ' (Fortsetzung folgt.^