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schießen die Verbündeten Truppen in Peking den befestigten kaiserlichen Palast, in dem sich die Kaiserin-Wittwe angeblich noch befindet. Da an dem Inhalt dieser amtlichen Depesche offenbar nicht zu zweifeln ist, so ist man zu der Annahme genöthigt, daß die Situation in Peking doch wesentlich ernster ist, als sie nach den bisherigen Telegrammen erschien. Die Nachricht von der Befreiung der Fremden ist bisher glücklicherweise nirgends dementirt oder auch nur ange zweifelt worden. Es ist also die Annahme berechtigt, daß die Rettung thatsächlich erfolgt ist. Da der für wahrscheinlich gehaltene Waffenstillstand aber nicht ein getreten ist, so müssen sich die Chinesen irgendwelche Widersetzlichkeiten bisher nicht bekannt gewordener Art haben zu Schulden kommen lassen, da sonst eine Be schießung des Kaiserpalastes wohl nicht erfolgt wäre. Ta die Verbündeten aber innerhalb der Stadt sind, so braucht man um sie keine Besorgniß weiter zu haben, sie werden nunmehr ohne jede Frage mit Leichtigkeit der Chinesen Herr. Verstärkungstruppen rücken im Uebrigen auf der Straße Tientsin-Peking ununterbrochen vor, so daß die Chinesen in kürzester Zeit auch den letzten Rest eines Widerstandes aufzugeben gezwungen sein werden. Das deutsche Detachement befand sich einer am 20. August in Berlin eingetroffenen amtlichen Depesche zufolge bereits vor Tagen an dem Flußhafen Pekings, es hörte während seines Vormarsches fortwährend Kanonendonner, ein Zeichen, daß die Verbündeten noch im Kampfe mit den Chinesen begriffen waren. Jetzt befindet sich das deutsche Detachement natürlich längst in der Hauptstadt. Ueber die weitere Entwickelung, die die China angelegenheit nehmen wird, läßt sich noch immer wenig sagen. Nach einer Rede des französischen Ministers Telcasss scheint es beinah, als habe auch Frankreich Neigung, Sonderwünsche in China geltend zu machen. In Pariser politischen Kreisen glaubt man, daß zwischen Rußland und Frankreich in allerjüngster Zeit eine Ab machung darüber erfolgt ist, welche Specialforderungen Englands in China abzuweisen seien. Man glaubt in französischen Regicrungskreisen, daß die neuerlichen Miß erfolge in Südafrika England daran verhindern würde, sich auch in China eine mißliche Lage zu schaffen. Deutschlands Haltung in der Cyinafrage ist die klarste und offenkundigste und daher diejenige, der das größte Vertrauen entgegengebracht wird. Daß Deutschland garnicht daran denkt, über das nothwendige Maß hinaus zugehen, sondern den Krieg nur so lange fortzusetzen, als es die Nothwendigkeit erheischt, das hat Kaiser Wil helm erst in seiner jüngsten Ansprache an den scheiden den Generalfeldmarschall Grafen Waldersee hervorge hoben. Afrika. Lord Roberts ist über alle Maßen ärgerlich; die Erfolglosigkeit der langwierigen Jagd auf Tewet allein erklärt diese Verdrießlichkeit garnicht zur Genüge; er muß auch sonst noch Mißgeschick gehabt haben. Eine von dem Generalissimus soeben erlassene Proclama- tion zeugt von einer nichts weniger als heiteren Ge- - müthsverfassung. Alle Personen, so heißt es in dieser Proclamation, welche ihren Eid, neutral zu bleiben, brechen, machen sich der Todesstrafe, oder einer Frei heits- oder Geldstrafe schuldig. Alle Burghers, die innerhalb der britischen Occupation wohnen, die den Neutralitätseid nicht geleistet haben, werden als Kriegs gefangene betrachtet und fortgeschafft. Alle Häuser und sonstigen Gebäude derjenigen Farmen, die Feinde be herbergen, sollen dem Erdboden gleichgemacht und den Besitzern dieser Farmen Geldbußen auferlegt werden. Die Verschwörung in Pretoria, die sich beschließlich als das harmloseste Ereigniß von der Welt herausgestellt hat, obwohl sie von der englischen Kriegsberichterstattung zu einer Haupt- und Staatsaction aufgebauscht worden war, kann diesen drakonischen Befehl unmöglich veran laßt haben. Lord Roberts hat zweifellos recht unan genehme Widerwärtigkeiten erfahren, die seine giftige Stimmung begreiflich machen. Es ist dann vielleicht doch etwas Wahres an der Meldung von der Gefangen nahme von 4000 Engländern durch Dewet. Jeden falls haben die Ereignisse auf dem südafrikanischen Kriegs schauplätze neuerdings wieder ein höheres Interesse ge wonnen, und seitdem sich die Hoffnung auf eine Wen dung der Dinge zu Gunsten der Buren zu heben be ginnt, erhöht sich die Spannung, mit der man den kommenden Dingen entgegenschaut. Der Sekretär des Burengenerals Botha, der in Neapel ankam, erklärte, der südafrikanische Krieg werde noch sehr lange Zeit dauern, da die Engländer trotz ihrer gewaltigen Streit- kräfte keine Fortschritte machten. Außerdem theilte der Secretär, Baron Sandberg mit, daß die Goldminen in folge Mangels von Pumpen beinahe werthlos geworden seien. Die „Kreuz-Ztg." schreibt über die Lage in Süd afrika: Wenn auch eine Bestätigung der Meldung noch fehle, wonach General Dewet 4000 Engländer zu Ge fangenen gemacht habe, so sei doch ganz gewiß, daß die Gesammtlage für die Engländer augenblicklich wieder durchaus nicht angenehm ist. Ob Proclamationen in dem Sinne, wie General Roberts sie jetzt erlassen hat, für die britischen Interessen von Vortheil seien, sei zu bezweifeln. Für die fügsamen und schwächlichen Ge- müther hat die Sache keinen Zweck, denn von ihnen haben die Engländer wohl überhaupt nichts zu befürchten. Jene aber, die sich nicht beugen wollen, werden dadurch nur zu immer erbitterterem Widerstande getrieben, und was dann schließlich noch kommen kann, davon haben die britischen Generale ja schon einen Vorgeschmack in den so argen Verlegenheiten, die durch den vortrefflichen Dewet ihnen bereitet werden. Bezüglich der Roberts- schen Proclamation sei schließlich noch bemerkt, daß sie den Regeln des Völkerrechts widerspricht und daher erst recht geeignet ist, böses Blut zu machen. Aus dem MulÄenthale. ^Waldenburg, 21. August. Se. Durchlaucht Fürst Otto Victor von Schönburg-Waldenburg begeht morgen, den 22. d., seinen Geburtstag und vollendet an diesem Tage sein 18. Lebensjahr. Aus diesem Anlasse geben wir an dieser Stelle unseren ehrerbietigen und herzlichsten Glückwünschen Ausdruck. *— Se. Durchlaucht Prinz Friedrich von Schönburg- Waldenburg ist am 18. d. M. nach Glatzen in Böhmen abgereist. *— Bei dem gestern Nachmittag erfolgten Königsschuß ging die Königswürde auf Herrn Schießhausbesitzer Robert Partzschefeld über. In Ergänzung unserer gestrigen Notiz können wir heute noch mittheilen, daß die Fahne, welche die am Sonntag hier anwesende Schützencompagnie aus Ernstthal mit sich führte, ein Geschenk der Waldenburger Schützen ist, sie wurde der genannten Compagnie im Jahre 1840 verehrt. Ferner können wir noch mittheilen, daß das kgl. sächsische Ministerium der hiesigen Schützengesellschaft die An schaffung zweier Kanonen genehmigt hat. Infolge dessen wird demnächst die Bildung einer Artillerie-Abtheilung vorgenommen werden. *— Für den Fall der Zwangsversteigerung eines Hauses, das ganz oder theilweise vermicthet ist, schreibt das Gesetz vor, daß der Ersteher des Hauses den Miethern mit der gesetzlichen (d. h. je nachdem mit einer viertel jährigen, einmonatigen oder einwöchigen) Kündigungsfrist kündigen kann. Er braucht also den von dem früheren Hauswirth mit den Miethern abgeschlossenen Vertrag, nach dem den Miethern vielleicht noch auf Jahre hinaus nicht gekündigt werden kann oder der den Miethern Anspruch auf längere Kündigung giebt, nicht zu beachten. Kündigt er aber, nachdem ihm das Haus zugeschlagen worden ist, nicht für den ersten Termin, für den er nach dem eben Gesagten kündigen kann, so muß er auch den von dem Vorbesitzer eingegangenen Vertrag halten, gerade wie dieser ihn hätte halten müssen. Das alles gilt aber, wohlgemerkt, nur dann, wenn die Miether schon in dem Hause wohnen. Hat jemand in dem ver steigerten Hause eingemiethet, ohne daß er zur Zeit der Einleitung des Zwangsversteigerungsverfahrens bereits eingezogen war, so braucht ihn der Ersteher überhaupt nicht in das Haus zu lassen. *— In der Nacht zum Sonnabend wurden auf der Lichtenstein-Waldenburgerstraße, zwischen Callenberg und dem Gasthof zur „Katze", von ruchloser Hand nicht weniger als 20 Stück Obstbäume von 3—6 00a Mitten stärke abgebrochen. Weiter machte der an der genann ten Straße wohnhafte Gutsbesitzer Ihle am Sonnabend Morgen die Wahrnehmung, daß ein in seinem Garten stehender, Früchte tragender Obstbaum gleichfalls abge brochen worden war. Man kann nur hoffen, daß es der Polizei bald gelingen möge, die Thäter zu ermitteln. *— Das königl. Ministerium des Innern hat den sämmtlichen sächsischen Gewerbekammern eine Verord- * nung über die vom Landtage zum Schutze des Klein handels und Kleingewerbes beschlossene und von der königl. Staatsregierung erbetene Sonderbesteuerung der Waarenhäuser, Konsumvereine u. s. w. übersandt und um ein Gutachten darüber ersucht. In der Hauptsache wird dies Gutachten auf Vorschläge zur Besteuerung lauten. Aus der ganzen Maßnahme ist zu erkennen, daß die Ausarbeitung einer entsprechenden Vorlage für den nächsten Landtag bevorsteht. Unterhaltungstheil. Pygmalion. Novelle von Anton Frhr. von Perfall. 12) (Fortsetzung.) Er unterdrückte mit Mühe ein hartes Wort, so un angenehm berührte ihn jetzt ihr Erscheinen. Was drängte sie sich immer zwischen ihn und seinen Liebling? Was hatte sie für ein Recht dazu? „Ich möchte Sie bei dieser Gelegenheit ersuchen," sagte er in gemessener Förmlichkeit, die seine Erregung schlecht verbarg, „Fräulein Marie von nun an in der Führung des Haushaltes etwas freiere Hand zu lassen." Der behäbigen Frau schlug es wie eine Flamme in das gutmüthige Gesicht, und um den noch immer ener gischen Mund zuckte es verdächtig, ob vor Zorn oder Schmerz war nicht zu unterscheiden. „Grad' heraus gesagt, Herr Holaus, die Frau Opel ist überflüssig geworden im Hause und soll sich zum Kuckuck scheeren?" Holaus machte eine abwehrende Bewegung. „Nun, Sie sagen es ja nicht, und ich bin nicht die Frau, die's abwartet, bis Sie's sagen. Daß ich mir am Ende einen Abschied nach sechzehn Jahren ein biß chen anders gedacht, das können Sie mir net verdenken." Sie wischte mit dem Rücken der Hand, eine alte, unaustilgbare Gewohnheit, über die Augen, die schlaffen Züge schienen wieder auffallend gefestigt. „Und am Ende ist's besser so, was einmal sein muß, muß sein, und der alte Opel muß sich halt auch darein fügen." Sie nestelte mit uusicheren Händen den Schlüsselbund los, welchen sie stets als Wahrzeichen ihres Amtes bei sich trug. „Ta, Marieke, das eine Mal darf ich Dich schon noch so nennen, nimm's und trag's in Ehren." Marie blickte rathlos auf Holaus, der mit hastigen Schritten, die Hände auf dem Rücken, auf und ab ging, bald stehen bleibend und Miene machend, die Haus hälterin zu unterbrechen, bald wieder die Achsel zuckend weiter schreitend; als ihr aber Frau Opel die Schlüssel hinreichte, als sie die Hellen Thränen in den lieben, treuen Augen sah, da hielt sie es nicht länger. Sie fiel der alten Freundin, die seit sie dachte die Mutter stelle an ihr vertrat, um den Hals und küßte sie. „Und Du glaubst, daß ich das ruhig mit ansehe, daß ich mein liebes Mutterl so mir nichts, dir nichts ziehen lasse. Nicht um alles in der Welt, eher —" „Was eher?" Holaus blieb dicht vor ihr stehen und sah sie mit einem Blick an, der nichts Väterliches an sich hatte, mit einem Blick, der sie beben machte. „Sprich es nur aus, eher verläßt Tu Deinen Vater und gehst mit ihr?" „Aber Papa, habe Mitleid mit mir," erwiderte das Mädchen zaghaft, scheu ihn anblickend. „Es ist alles so ganz anders geworden, Herrn Herrmann darf ich nicht mehr Onkel nennen, die gute Frau, die mir meine Mutter ersetzte, die Tu selbst mich lieben lehrtest, soll plötzlich aus dem Hause, das ich eben betrete. — Das ist alles so sonderbar, so unfaßlich —" „Jedenfalls nicht so sonderbar und unfaßlich, als daß ein Kind seinen Vater zu verlassen droht, wenn ihm sein Wille nicht geschieht," entgegnete Holaus. „Tas wollt' ich nicht, gewiß nicht, Papa." Marie wandte sich flehend gegen ihn. „Ich weiß selbst nicht, wie mir in diesem Augen blicke war, was ich damit sagen wollte —" „Aber ich weiß es! Oh, solche Augenblicke sind sehr wichtig, da zeigt sich die Wahrheit. Natürlich! was bin ich Dir denn gewesen, was kann ein Mann einem Mäd chen sein, und wenn es zwanzigmal sein Kind — Sie pflegte Dich, zog Dich auf, wachte bei Dir, wenn Du krank warst, sie war Deine zweite Mutter —" Er lachte höhnisch auf und setzte seine stürmische Wanderung durch das Zimmer fort. Marie starrte ihn sprachlos an. Sprach so der Vater zu seinem Kinde? Wie kam er dazu, an ihrer Liebe zu zweifeln. Frau Opel unterbrach zuerst die peinliche Stille. „Was ärgern's Ihnen denn so, Herr Holaus? Meinen's denn, ich möcht' Unfried' stiften in Jhr'm Haus? Ein paar Tag' wird's ja doch Zeit haben zum Fortgehen, für so viel Jahr, zwei Tag', is das z'viel, Herr Holaus — dann geh' ich ja." „Sie gehen überhaupt nicht, Sie bleiben!" herrschte jetzt plötzlich Holaus, vor ihr stehen bleibend. Sie müssen bleiben! Oder habe ich vom Fortgehen ge sprochen? Sie haben davon gesprochen. Sie habeu mir so yuasi gekündigt, nach sechzehn Jahren. Was habe ich denn so Schreckliches von Ihnen verlangt? Daß Sie Marie in den Haushalt einführen. Ist das nicht nothwendig, sehr nothwendig für eine junge Dame? Also, was haben Sie denn? Haben Sie sich sonst über etwas zu beklagen? Habe ich Sie nicht stets behandelt wie eine Angehörige des Hauses? Also!" „Oh, Du guter, lieber Papa!" jubelte jetzt Marie, ihren Arm um seinen Nacken schlingend, „ich wußte es ja, daß es Dir nicht Ernst war." Er wehrte ihrer kindlichen Zärtlichkeit und löste leise ihre Arme. „Geh' jetzt, Marie. Ich bin etwas erregt, ich habe einen geschäftlichen Verdruß gehabt, dann Deine Ankunft. Lasse Dich nicht schrecken — und Sie kennen mich ja, Frau Opel." Er trat zu der tiefbewegten Frau und reichte ihr die Hand. „Sticht wahr, Siebleiben, selbstverständlich! Sie sind mir ja jetzt nothwendiger als je, mir und Marie, das wird Ihnen doch genügen." „Ich wär' auch net 'gangen, Herr Holaus, noch net!" (Fortsetzung folgt.)