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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 25.11.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-11-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189911252
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18991125
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18991125
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-11
- Tag 1899-11-25
-
Monat
1899-11
-
Jahr
1899
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 25.11.1899
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Aeilage zum Ireiöerget Anzeiger und Tageblatt. F 274. «u—l ' — 18SS Sonnabend, den 23. November. Kn HöchreNstir. Roman von H. PalmS-Payse«. (12. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) Der mehrfach in ihm rege gewordene Verdacht, daß auf Giselas Wille bei der Verlobung sehr viel Zwang von Seiten des ihm berechnend erscheinenden Vaters ausgeübt worden sei, schien sich bestätigen zu wollen. Aber sein Verstand und sein Gefühl sagten ihm, daß, wenn es sich in der That so verhielt, nicht oies allein, etwas Ergreifenderes den seelischen Konflikt in Gisela herbeigeführt haben müsse. Er kannte nicht viel Frauen, denn er hatte sich sein Leben lang unter klirrenden Waffen auf dem Felde der Ehre bewegt — aber er kannte Gisela. Sie kannte er und wußte es auch, daß sie ihn liebte. Dafür hätte er seine Hand ins Feuer gelegt. Aber es war eine zarte, eben erst dem Keim entsprossene, noch schüchterne Liebe, deren scheuen Zärtlichkeit er deshalb mit unendlicher Zartheit begegnete. Welch' finstere Macht wollte ihm diese nun rauben? Alles, was an Feuer und Kraft in ihm lebt, erwacht und rührt sich und seine Stimme bebt in verhaltenem Schmerz, als er vortretend jetzt das erste Wort in die erregte Unterhaltung wirft. „Mit Verlaub, lieber Herr v. Belendorf," entschuldigt er seine Einsprache, „gestatten Sie mir ein paar Worte. Wir können uns diese schwere Stunde kürzen, wenn —" er wandte sich jetzt Gisela zu, „wenn Du auch einmal das Wort an mich richten möchtest, Gisela." Ein scheuer Blick trifft ihn. „Sprick." sagt sie und wendet ihren Kops schnell wieder zurück. Ulrich stellt sich Gisela gegenüber ans Fenster, während Herr v. Belendorf mit schleifendem Schritt hüstelnd in den Hinter grund weicht. „Ich brauche wohl nicht zu versichern, daß ich nach keiner Richtung hin irgend welchen Zwang auf Dich auszuüben ge denke. Du wirst ja nichts Gesetzwidriges, Unedles thun wollen, nichts, was Du nicht mit Deinem Gewissen verantworten kannst." „Ich hoffe e» " „Wenn Du vor Gottes Altar die entscheidend« Frage mit „Ja" nicht beantworten kannst und willst und hier aussprichst: „ich will die Ehe überhaupt nicht beginnen," so veranlassen Dich schwerwiegende Gründe dazu." „Ja," tönt es Ulrich fest entgegen. „Ursachen, die über Nacht, binnen vierundzwanzig Stun den — nein — in noch kürzerer Zeit in Dir gereift sind — Deinem Verhalten nach in noch kürzerer Zeit," betonte er wei cheren Tones. „Du wirst das zugeben?" „Ja und nein," antwortet Gisela, wobei sich ihr Antlitz in tiefe Gluth taucht. „Möchtest Du Dich erklären?" „Ich kann das nicht in ein paar Worten thun." „Das ist auch nicht nöthig. Nichts darf Dich zur Eile orangen. Aeußere gesellschaftliche Rücksichten kommen in die ser Stund« nicht in Betracht. Sprich aus Deinem Herzen heraus. Ich weiß, Du bist wahr — nun sei auch offen." Er sagte eL mit schwerem Athemzug, traucrvoll, aber doch gütigen Tones. Beklemmend wirkt Giselas Zurückhaltung auf ihn. Er sieht es ihr an, sie scheut sich vor dieser Aussprache. Was steht denn zwischen ihnen? Es muß etwas Ungeheuerliches sein! Er sieht sie an einen Tisch Herangehen, an eine Kristall flasche mit Wasser. Etwas davon gießt sie in ein Glas, trinkt und lehrt nun wieder zum Fenster zurück. „Verzeih," bemerkte sie mit unsicherer Stimme, „ich fühlte mich schlecht — ich bin sehr erregt. Es wird mir schwer, offen zu sem. Denn was ich zu sagen habe, ist etwas Furchtbares. EL wird Dich erschrecken — erschüttern. Oder — vielleicht —" sie richtet sich plötzlich straff auf und faßt ihn ins Auge — „nun, es ist doch — das eine und andere." „Du sprichst in Räthseln." Herr v. Belendorf hüstelt, fuchtelt nervös mit seinem Batist tuche in der Luft unv geht hin und her. Etwas hastig fährt Gisela fort: „Es traf vor einiger Zeit ein Brief an mich em — es war darin die Red« von Dir — und nur von Dir. Man warnte mich vor Deinem Charakter und einer Eheschließung. Nach den darin enthaltenen An schuldigungen, die Deine Vergangenheit treffen — Dein Le ben und Lieben in Italien, Dein Verhältniß zu Maria — Marias Tod — mußt Du entweder ein gefährlicher Mensch sein oder einen — nichtswürdigen Feind besitzen." Sie hält athemloS inne. Ihre Augen hängen an seinem Mund. Er sieht sie mit einem starren Erstaunen an. Eine Antwort schwebt ihm auf der Lippe, aber Herr v. Belendorf kann nicht mehr an sich halten und fällt ihm in die Rede. „Thorheit, davon zu sprechen, Thorheit!" ruft er zornig, „anonymer Wisch, abgethane Sache — äh, äh — Papierkorb — Papierkorb!^ Die Gespanntheit weicht auS Ulrichs Zügen, eine eisige Ruhe lagert sich um Mund und Nase. Seine Augen blicken verächtlich. „Ein anonymer Brief gilt mir und auch wohl Anderen nichts mehr als — ein leeres Blatt Papier. Traurig, wenn meine Braut" — sein Ton nimmt eine Gisela unbekannte Härte an — „anders darüber denkt — meine Braut, die mich kennt!" „Sehr richtig — sehr richtig!" stimmt Herr v. Belendorf zu. Gisela fühlt den Muth in sich erwachen. Der Härte und Strenge ist sie gewachsen — beides hat etwas Aufstachelndes für sie, während ein zärtlicher Blick, ein Ton warmer Liebe ihre Seele zerschmelzen kann. „Ich habe mich bemüht," fährt sie erregt fort, „mit aller Kraft, der ich fähig war, meinen Glauben an Dich aufrecht zu halten und über anonyme Briefe zu denken derart wie die Eltern. Aber Du selbst trägst an allen meinen Zweifeln Schuld —" „An Deinen Zweifeln?" In Ulrichs Ton macht sich ein drohendes Schwellen bemerkbar. „Du hast Dich fortgesetzt mit so viel Geheimnißvollem um geben, suchst Allem, was Deine Äergangenheit und Dein ehe liches Verhältniß mit Maria betrifft, so geflissentlich auszuwei chen, bist selbst so wenig offen gewesen, daß —" Sie stockt. „Daß Du elenden Verleumdungen Glauben schenktest?" ruft er flammenden Blickes, in der Erregung aufspringend und e«» Schritt vortretend. „Daß «ick Furcht und Sraueu vor Dir beschlich." „Gisela!" „Ich fürchte Dein Auge — Deine Hand — v Gott — nicht nur das — ich fürchte Dich ganz und gar, so wie Du da vor mir stehst in Derner ganzen Person. Und wenn sich das gestern auf einen Moment beschwichtigte —" sie blickt zur Erde und ihre erregte Stimme wird weich und zitternd — „so kam es, weil Deine Liebe eine Art Bann auf mich ausübt — und — weil ich Dich auch zu lieben anfing." „Gisela — Gisela!" Es liegt ein tiefer Schmerz in dem Mahnruf. Er erinnert sich des gestrigen Abends — wie sie angstvoll ihm entfloh, aber dann wieder zur Einsicht und zur Ruhe gelangte und gedenkt der Stunde am Morgen im Treib haus, ihrer Zärtlichkeit, sieht den Nelkenstock vor sich und ath- met den feuchtwarmen Blumenduft ein und fühlt ihre weichen Lippen auf seinem Munde. Der Athem versagt ihm fast bei der kurz hervorgestoßenen Frage: „Und danach — was folgte dann? — Quäle mich nicht so grausam — wessen schuldigt man mich an?" „Du hast Dich an Maria versündigt." Er starrt Gisela sprachlos an. Jegliche Färb« ist auS seinem Gesicht gewichen. „Wodurch, durch Mord oder Todtschlag etwa?" fragte er hohnvoll. Er hat eigentlich lachen wollen. Das Ganze war ja eine einzige lächerliche Rederei, für die es kaum einen Na men gab. Und doch bereitete ihm diese Rederei grausamen Schmerz. Gisela schweigt. Sie kann das „Ja" nicht über die erblaßten Lippen bringen, zum ersten Male, nie vorher — auch nicht einmal, ist ihr der Gedanke gekommen: wenn er nun unschuldig wäre? „Und das Alles — das Alles hat der anonyme Freund oder vielmehr der „nichtswürdige Feind" geschrieben?" lachte er nun doch sarkastisch auf. Plötzlich lagert sich ein tiefer Emst über sein Gesicht. „Und das glaubst Du?" fragte er. Jedes einzelne Wort fällt schwer von seinen Lippen. „Und das glaubst Du?" ruft er nochmals mit steigender Stimme. Es liegt etwas in seinem Blick, wovor sie den ihrigen senkt. — Etwas wie tiefste Beschämung überkommt sie. „Holla, mein lieber Ulrich, äh, äh," ruft Herr v. Belendorf und hält in seinem erregten Gange inne, „vergessen Sie nicht, wer vor Ihnen steht: ein kindisches Weib, das nicht Welt und Menschen kennt." „Und das glaubst Du?" fragte Ulrich zum dritten Male, mit plötzlich veränderter, trauervoller, wie verloschener Stimme. „Wenn auch nicht das, nicht daran," antwortete Gisela, zur Seite sehend, unsicheren Tones — „so doch —" „Nun? foltere mich nicht, ich bitte Dich, mit geheimnißvollen Andeutungen." „So doch an Etwas — an Etwas, was fast ebenso schlimm ist." (Fortsetzung folgt.) Verschiedenes. * Wie der RaubmörderJos. Goenczi verhaftet wurde. „Am 23. August 1897 wurden die Wittwe Auguste Schultze geb. Lutze und ihre Stieftochter Klara Schultze in ihrem Hause Königgrätzerstraße 35 zu Berlin ermordet aufgefunden. Die beiden Frauen sind durch Schläge auf den Kopf, welche mittels scharfer und schwerer Instrumente ausgeführt wurden, getödtet worden. Die Leichname, die mit schwarzer Wachsleinwand um wickelt und mit Bindfaden fest zusammengeschnürt und in ge nagelte Kisten verpackt waren, sind im Keller des genannten Hauses durch darauf geschaufelte Erde versteckt worden." So hieß es seinerzeit in dem S t e ck b r i e f, den das Berliner Po lizei-Präsidium hinter dem der Blutthat dringend verdächtigen, flüchtigen Schuhmacher Josef Goenczr erließ. Der Mörder ist inzwischen bekanntlich Mitte September in Rio Janeiro ent deckt worden. Nach Erledigung der üblichen Formalitäten wur de er an die deutsche Regierung ausgeliefert und ist soeben auf der „Jtaparrica", einem Schiff der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Gesellschaft, in Hamburg eingetroffen. Um den Aufenthaltsort des flüchtigen Verbrechers, dessen Spuren nur bis Brüssel führten, zu entdecken, hat die Berliner Kriminal polizei zum ersten Male ein Verfahren in Anwendung gebracht, wie es in diesem Umfange noch nie bei irgend einem Kriminal falle zur Ausführung gebracht worden ist. An der Hand amt licher Dokumente soll das Verfahren im Nachstehenden geschil dert werden. Der Doppelmord, der am 23. August 1897 ent deckt wusde, war schon am 14. August begangen worden. Vier Tage noch war Goenczi ruhig in dem Hause in der König- gratzerstraße geblieben, das er im Auftrage der Wittwe Schultze verwaltete. Erst am Abend des 18. August verschwand er aus Berlin und nun lenkte sich nach der Auffindung der beiden Lei chen der Verdacht sofort auf ihn. Mit ihm war seine Ehefrau Anna Goenczi, geb. Sattler, verschwunden, die am 20. Januar 1849 in Windorf (Königreich Bayern) geboren ist. In der Begleitung des Ehepaares befand sich ein weiß und gelb gefleck ter Wolfsspitz, der auf den Namen „Butzi" hörte. In Frank furt a. O., in Cottbus und Halle tauchten Spuren des Paares auf, und am 25. August waren die Flüchtigen in Brüssel. Von da ab fehlte jede Spur von ihnen, und auch nicht der leiseste Anhaltspunkt wurde entdeckt, obwohl die Berliner Polizei es an den umfassendsten Nachforschungen in der üblichen Weise nicht fehlen ließ. Der Kriminalkommissar, Herr v. Kracht, dem die Führung der Untersuchung übertragen war, machte verschie dene Reisen nack Mllncken und Wien, um dort theils bei den Verwandten der Frau Goenczi, theils an den Orten, an denen Goenczi selbst früher gearbeitet hatte, nähere Erkundigungen einzuziehen. Auf diesem Wege konnte jedoch nichts irgendwie Wesentliches ermittelt werden. Goenczi war und blieb ver schwunden. Alle Mitteilungen, die der Polizei über den ver meintlichen weiteren Weg der Flüchtigen zugetragen wurden, erwiesen sich als irrthümlich. Man mußte natürlich annehmen, daß Goenczi, nachdem er sich einige Zeit in Brüssel versteckt ge halten, von irgend einem belgischen oder holländischen Hafen aus den Weg Lber's Meer angetreten hatte, aber wohin er sich dann in Wahrheit gewendet hatte, das blieb ein scheinbar un lösliches Näthsel. Da kam Herr v. Kracht auf den Gedanken, das übliche Verfolgungsmittel der Polizei, den Steckbrief, mit dem Bilde und der möglichst genauen Personalbeschreibung des Verbrechers, in einer Weise und in einem Umfange auszunutzen, wie es bisher noch von keiner Kriminalbehörde der Welt ge schehen war. Und er fand mit diesem Plan, der aller dings mit sehr viel Arbeit und ganz ungewöhnlichen Kosten verknüpft war, bei seinen Vorgesetzten vollstes Verständniß und bereitwilligstes Entgegenkommen. Durch die zahlreichen Reise» des Polizeipräsidenten Herrn v. Windheim und die mannigfal tigen Eindrücke, die er auf ihnen im Auslande gewonnen hat, sowie durch den vor zwei Jahren erfolgten Wechsel in der Lei tung der Berliner Kriminalpolizei ist m diese Behörde ein fri scher, kosmopolitischer Zug gekommen, der wohl auch fernerhin noch gute Früchte zeitigen dürfte. Die Verfolgung auf der neuen Basis konnte freilich erst beginnen, nachdem die Polizei allmälig alle näheren Erkennungszeichen gesammelt hatte, die für die genaue Personalbeschreibung des Gornczi erforderlich waren. Darüber vergingen fast zwei Jahre und erst in diesem Sommer konnte der neue umfassende Plan zur Ausführung ge bracht werden. Es wurden Clichäs mit den Bildern des Josef und der Anna Goenczi angefertigt und dieselben an den Kopf eines Aufrufs gesetzt, in dem es in der Personalbeschreibung des Goenczi u. A. hieß: „Besondere Erkennungszeichen: Große Narben, beginnend an der rechten Halsseite und bis hinter die Mitte der Ohrmuschel reichend. Die in den österreichischen militärischen Strafanstalten aufgenommenen Signalements be zeichnen diese Narben als Brand- und Skrophelnarben. Goenczi selbst gab stets an, dieselben rührten von einer in den Feldzügen erhaltenen Schußwunde her. Als weiteres Erkennungszeichen ist ein erbsengroßes Muttermal am rechten Schulterblatt zu er wähnen." Der Aufruf schloß mit den Worten: „Auf die Er greifung des Goenczi haben die Gerichtsbehörden eine Beloh nung von 1000 gesetzt. Alle Behörden, inländische und ausländische, Tageszeitungen, Privatpersonen u. s. w. werden ergebenst gebeten, dieser Bekanntmachung die weitmöglichste Verbreitung angedeihen und Nachrichten, die zur Ermittetzmg des Goenczr führen könnten, an die unterzeichnete Behörde ge langen lassen zu wollen. Königliches Polizeipräsidium Berlin." Dieser Aufruf wurde nun zunächst in fünfzehn lebende Sprachen übersetzt, was auch schon mit gewissen Schwierigkeiten ver knüpft war, da sich m Berlin z. B. kein Setzer auftreiben ließ, der der türkischen Sprache mächtig war. Alsdann wur de er in 100 000 Exemplaren an sämmtliche deutschen und österreichisch-ungarischen Konsulate in der ganzen Welt, an alle polizei lichen Verhandlungsblätter, sowie an die großen Fachblätter in Deutschland, England und Amerika verschickt. Da man keinerlei Anhaltspunkt dafür hatte, wohin Goenczi sich von Brüssel aus gewendet haben könnte, ging die Polizei von der ganz richtigen Voraussetzung aus, daß sie bei dex Verfolgung keiner subjektiven Vermuthung Raum geben, sondern daß sie auch nicht den geringsten und weltabgeschiedensten Platz außer Acht lassen durfte. Man wußte, daß Goenczi bei seinem bluti gen Werke so gut wie nichts erbeutet hatte und daß er fast mit tellos in die Ferne hinausgeflüchtet war. Es lag also die An nahme nahe, daß er, wohin sein Weg ihn auch geführt haben mochte, sich über kurz oder lang nach Arbeit umsehen mußte. Da er außer der deutschen und ungarischen Sprache nur noch des Rumänischen und Polnischen mächtig war, mußte er sich unbedingt an deutsche oder österreichisch-ungarische Landsleute wenden. So wanderten die Packete mit den Clichös und Auf rufen, an deren Verpackung und Frankirung drei Polizeibe amte zwei volle Tage zu thun gehabt hatten, hinaus in all« Welt. Bis nach Bloemfontein und Pretoria in Südafrika, bis nach Chili und Peru, bis in's innerste Sibirien, nach Indien und Australien, nach Tokio in Japan und nach Söul auf Ko rea flatterten die Aufrufe zu allen Konsuln des Deutschen Reichs und Oesterreich-Ungarns. Den Aufrufen lag ein vom Juli ds. Js. datirtes Begleitschreiben des Berliner Polizeiprä sidiums bei, in dem es u. A. hieß: „Die zur Ergreifung des Raubmörders Josef Goenczi getroffenen Maßnahmen des un terzeichneten Polizeipräsidiums haben bisher zu keinem Ergeb niß geführt. Es sind nicht die geringsten Anhaltspunkte für eine begründete Vermuthung darüber erbracht worden, wohin der Genannte sich gewandt haben könnte. Das Polizeipräsi dium hat sich daher veranlaßt gefühlt, die Nachforschungen mög lichst weit auszudehnen. Die Konsulate werden ergebenst ge beten, die anliegenden Bekanntmachungen den Agenturen, De- pendencen und Vertrauenspersonen, desgleichen den Polizeibe hörden und wichtigsten Zeitungen ihres Kosularbezirks zuzu stellen, sowie in den Klubs, Versammlungslokalen und Kasinos der geselligen und sonstigen Vereinigungen deutscher, bezw. öster reichisch-unaarischer Staatsangehöriger aushängen zu lassen, überhaupt jede für die Erreichung des Zwecks geeignet erschei nende Maßregel treffen zu wollen." Und Alle, an di. das Po lizeipräsidium sich wandte, kamen seinem Wunsche mit freudi gem Eifer nach. Die Konsulate entfalteten zum großen Theil eine so emsige Rührigkeit, daß verschiedenen von ihnen eine neue Sendung von Aufrufen zugehen mußte. Da Goenczi Schuh macher war, wurde auch die in Berlin erscheinende Fachzeit schrift „Schuh und Leder", die über die ganze zivilisirte Erde verbreitet ist, gebeten, den Aufruf zu veröffentlichen, und sie that dies wiederholt in durchaus uneigennütziger Weise. So war das Netz ausgeworfen, in dessen enagezogenen Maschen Goenczi sich früher oder später fangen mußte. In allen Kon sulaten, Klublokalitäten, Kasinos und Restaurants, in denen auch am fernsten Ende der Welt Deutsche und Oesterreicher ver kehrten, hing sein Bild mit seiner genauen Personalbeschreibung, und irgend Jemand, an den er geschäftlich ich zu wenden ge- nöthigt war, mußte ihn danach wiedererkennen. Und der Er folg stellte sich rascher ein, als selbst der kühnste Optimist zu hoffen gewagt hatte. Am 11. Juli ds. Js. waren jene Aufrufe von Berlin abgeschickt worden, Mitte August waren sie auf den deutschen Konsulaten in Brasilien eingetroffen, und bereits am 15. September lies hier die telegraphische Nachricht von der soeben in Rio Janeiro erfolgten Verhaftung des Goenczi und seiner Ehefrau ein. Nicht ein Zufall hatte diese Verhaftung herbeigeführt, sondern ausschließlich jenes von der Berliner Kri minalpolizei so energisch durchgeführte neue Verfahren. Ein österreichifcher Kommis hatte in Rio Janeiro auf d«m öster reichisch-ungarischen Konsulat den Aufruf mit dem Bild der Goenczi gesehen und sich dabei erinnert, daß er kurz zuvor mit einem Manne zusammengetroffen war, der dem Bilde des Goen czi ähnlich sah. Auf dre Angaben des KommiS hin erfolgte dann alsbald die Verhaftung des Mörders und seiner Frau, die sich übrigens immer noch nicht von ihrem weißgelben Wolfspitz „Butzi" getrennt hatten. Bei dem ungeheuren Aufsehen, das die Blutthat Goenczis ihrer Zeit gerade um der Scheußlichkeit ihrer Ausführung willen erregt hätte, wurde die Meldung von dem Erfolg der Berliner Kriminalpolizei mit besonderer Ge- nugthuung begrüßt. Hoffentlich zieht sie aus diesem Erfolge auch für die Zukunft die Lehre, daß es immer gut ist, wenn man nicht beständig schablonenmäßig in dem ausgefahrenen Ge leise weiterarbeitet, sondern wichtige Kriminalfälle auch ge schickt zu wdikümslisiun weiß.
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