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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 21.09.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-09-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189909213
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18990921
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18990921
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-09
- Tag 1899-09-21
-
Monat
1899-09
-
Jahr
1899
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 21.09.1899
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^S220 Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Sette 2. — 21. September. isr» Politische Umschau. Freiberg, den 20. September. Deutschland. Aus Binz aus Rügen wird von gestern Dienstag gemeldet: S. M. Dacht „Hohenzollern" mit dem Kaiser an Bord ist vormittags wegen schwerer See hier vor Anker ge gangen. Die Weiterreise erfolgt um 1 Uhr nachmittags. An kunft in Malmö voraussichtlich 6*/, Uhr abends. Von dort wird sich Seine Majestät über Sofdeborg nach Snogeholm begeben. Die Nachricht, daß der lippesche Staatsm inister von Miesitscheck als Nachfolger des in den Ruhestand tretenden OberpräsidialratHS von Pusch in Danzig in Aussicht genommen sei, frischt in Lippe-Detmold wieder die Erinnerung an die unliebsamen Vorgänge auf, die sich zwischen dem dortigen und dem Preußischen Hofe abgespielt haben. Damals hatte sich be kanntlich der Graf-Regent zur Absendung einer Bcschwerdeschrift an die deutschen Bundesfürsten veranlaßt gesehen, in der er über Nichtbeachtung der preußisch-lippeschen MiUtärkonvcntion Klage führte. Hierbei soll Herr v. Miesitscheck, der Verfasser jener Beschwerde, sich versehentlich auf die frühere Konvention von 1867 berufen haben, die inzwischen durch eine neue ersetzt und gerade in den streitigen Punkten abgeändert worden war. Auch sonst hat seine zweijährige Ministerthätigkeit im Lande viel fache Anfeindungen erfahren. Es wäre deshalb begreiflich, wenn Herr v. Miesitscheck den Wunsch hegen sollte, aus dem lippeschen Staatsdienste zu scheiden. Er war bereits vor seinem Amts antritt in Detmold als Tecernent beim Oberprändium in Danzig beschäftigt und ist durch seine Gemahlin, eine geborene ». Goßler, mit dem jetzigen Oberpräsidenten von Westprenßen verwandt. Von einer Herrn v. Miesitscheck nahestehenden Lküe wird zwar erklärt, daß diesem von seiner angeblich bevorstehenden Ernennung zum Oberpräsidialrath nichts bekannt sei, allein di: Hinzufügung, daß man eS dem Minister gewiß nicht verdenken könnte, wenn er bei der Erschwerung seiner Stellung durch das Verhalten seiner Gegner in eine liebgewordene Tätigkeit zurückzukehren geneigt wäre, läßt doch darauf schließen, daß seines Bleibens in Detmold nicht mehr lange sein dürste. Ueber „Reichsfreundlichkeit in München" schreibt der „Odin": Wir haben schon mehrere Male auf das eigenthüm- liche Verhalten gewisser bayerischer Behörden gegenüber jeder nationalen Gesinnung hingewiesen. Heute werden uns zweiMit- theilungen, welche wohl das Stärkste darstellen, was man bis jetzt in dieser Hinsicht gehört hat. Es paßt aber so vollständig in den Rahmen der ganzen partikularistischen Anwandlung Bayerns, daß man sich eigentlich nicht zu sehr wundern darf. Am 18. Januar dieses Jahres gedachte das Offizier-Corps des kgl. 1. Infanterie-Regiments den ReichSgründungstag feierlich zu begehen und erbat sich zu diesem Zwecke die Mit wirkung der Regimentsmusik. Der Regiments-Kommandeur ver weigerte die Erlaubniß der Mitwirkung der Kapelle. Daraufhin erklärten die Offiziere, es sei ihnen anheim gestellt, einmal monat lich die Militärkapelle für ihre eigenen Zwecke zu verwenden, sie verlangten daher diese Gewährung für den 18. Januar. Die daraus erfolgte Erklärung des Regimentskommandeurs lautete, die Offiziere könnten die Kapelle zu jeder Zeit zu ihrer Verfügung haben, jedoch nicht für den 18. Januar, zum Reichsgründungs- tage! — Der zweite Fall spielt im kgl. bahr. Kadettencorps zu München. Am 27. Januar dieses Jahres sollte, wie immer, der Geburtstag Kaiser Wilhelms II., als des obersten Befehlshabers der vereinigten deutschen Armeen, gefeiert werden. Wie nicht anders zu erwarten, bestand die Absicht, bei dieser Feier ein Hoch auf den Kaiser auszubringen. Diese selbstverständliche Huldigung wurde vom Kommandeur des Kadettencorps unter sagt. (!) — Wir stellen diese beiden Thatsachen fest und über lassen der gesammten deutschen Presse, soweit sie nicht in dem partikularistisch-ultramontanen Fahrwasser treibt, die richtige Nutz anwendung. Gegenüber etwaigen Dementis bemerken wir aus drücklich, daß die Person des Gewährsmannes jeden Zweifel an diesen thatsächlichen Vorkommnissen ausschließt. Unsere seiner zeitige Mittheilung über Aufforderung zur Betheiligung evan gelischer Offiziere an der Fronleichnamsprozejsion kam aus gleichen Kreisen wie die heutige, sie wurde von der Behörde nicht dementirt, und wir glauben, daß auch unser heutiger Bericht nicht abgeleugnet wird. Zum Oberpräsidenten von Brandenburg ist Ministerial direktor von Bitter bestimmt, der in den letzten Tagen als ^esignirt für daS Oberpräsidium in Hannover oder daS in Posen bezeichnet worden war. Der deutsche Reichstag ist gerettet: vr. Lieber bleibt! Die „Neisser Zeitung" von heute erhält aus Camberg folgendes Telegramm: „Es ist nicht wahr, daß ich nach Ostasien reise, vr. Lieber." Luxemburg. Aus Luxemburg, 16. September, wird der „Köln. Zeit." geschrieben: Der Ausgang, den die DreyfuS-An- gelegenheit genommen, hat den Hierlands noch vielfach herrschenden Sympathien für Frankreich einen argen Stoß gegeben. Unsere Philister zehrten noch immer von der alten Phrase, daß Frankreich daS Musterland der Freiheit und Gleichheit sei und daß dort die Gedanken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit ihre edelste Verkörperung gefunden haben. Ihre Ideale wohnten an der Seine; was vom Westen kam, galt als rühmenswerth und mußte flugs nachgeahmt werden. Wurden diese Leute darauf hingewiesen, daß das Ländchen doch auch Deutschland einigen Dank schulde, weil es ohne seine Zugehörigkeit zu Zolldeutschland gar nicht leben könne, so waren sie gleich mit der Antwort bei der Hand, daß wir Frankreich noch viel mehr, nämlich unsere Freiheit und alle Errungenschaften der modernen Civilisation verdanken. Und nun begeht dieses Land am Ende des neun zehnten Jahrhunderts bewußt und absichtlich einen Justizmord und streicht sich selber von der Liste der Rechtsstaaten. Denn die wohlfeile Ausrede, daß Frankreich für die verbrecherische That des Kriegsgerichts in Rennes überhaupt nicht verantwortlich sei, kann nicht gelten. Jedes Land hat die Gerichte, die es verdient, und zudem ist es eine offenkundige Thatsache, daß die Franzosen in ihrer großen Mehrheit auf Seiten des Kriegsgerichts stehen. Unsere Französlinge schleichen deshalb betrübt einher und wagen es nicht mehr, uns ein Land als Vorbild zu preisen, das die Grundsätze seiner eigenen großen Revolution verleugnet und mit einem gewaltigen Sprung »ach rückwärts in den Schlamm des mittelalterlichen Jnquisitionsprozesses zurückgesunken ist. Die vernünftigen Leute aber schätzen sich glücklich, daß sich vor dreißig Jahren das Sehnen dieser Französlinge nicht erfüllt hat und Luxemburg nicht zu einem Lande geschlagen wurde, in dem Lüge und Verbrechen über unschuldige Menschen zu Gericht sitzen. England. Die Lektüre der englischen Presse ist wieder einmal sehr interessant. In ihren Besprechungen der Trans vaal-Frage weist sie mit dem selvstbewußsein einer unschulds vollen Seele die „Unterstellung" zurück, daß England jemals einen Konflikt mit der Südafrikanischen Republik gesucht habe, daß sein „Zartgefühl" sich sogar gegen den Kampf mit einem so kleinen Staate sträube und daß es nur gezwungen durch die beständigen „Herausforderungen" des Präsidenten Krüger sich entschließen würde, mit Gewalt sein Recht zu vertreten. Nun, die Ritterlichkeit der Briten wlderstandsunsähigen Gegnern gegen über ist ja bekannt; sie hat sich z. B. vor einigen Jahren dem kleinen Portugal gegenüber in ihrem ganzen Glanze gezeigt. Diese stimmungsvollen Plaidoyers haben übrigens einen schwarzen Hintergrund, sie zeigen, daß man sich in London sehr ernst mit dem Kriege beschäftigt und dessen Ausbruch nahe bevorstehend erachtet. Frankreich. Die Untersuchungs-Kommission des Senats wählte zum Präsidenten Berenger, zu Beisitzern Chovet, Cordelet und Cazot. Präsident und Beisitzer begannen mit Prüfung der Akten. Die Belagerung des „FortChabrol" hat dem Staate in Folge der an die wachhabenden Polizeigarde- und Jnfanterie- mannschaften gezahlten Gehaltszuschüsse bis jetzt bereits 350000 Francs gekostet, wozu noch die den geschädigten Kaufleuten zu gewährenden Entschädigungen treten. Der „Held des Forts Chabrol" ist Lump in Folio! Ihm widmen die „Droits de l'homme" eine Biographie, die Folgendes feststellt: Jules Gusrin, am 14. September 1860 in Madrid geboren, wurde 1885 Direktor einer Pariser Oeleinsuhr- gesellschaft, gründete mit zwei Hamburger Kaufleuten eine Kon kurrenzfirma und wurde am 5. Januar 1888 zu 5000 Fr. Strafe wegen unlauteren Wettbewerbs und Vertrauensbruchs, begangen durch die Auslieferung der Geschäftsbücher, verurtheilt. Als die Gesellschafter einen Fehlbetrag von 200000 Fr. entdeckten und von Gusrin Rechenschaft forderten, zeigte sich dieser darüber so beleidigt, daß er ihnen seine Zeugen sandte, sie auszuspießen drohte und das ganze Viertel gegen sie, die Juden und Prussiens, in Bewegung setzte. Diese schwiegen darauf still und gaben die Sache auf. Gusrin fand zwei neue Dumme, machte 1888 Bankrott mit 370000 Fr. Passiven und die Gläubiger erhielten 3 Proz. Bereits im November 1888 gründete Butrin eine neue Handelsgesellschaft mit 40000 Fr. Einlage. Beim JahreSschluß verabredeten die Kommanditäre mit Guvri« eine Durchsicht der Bücher auf den 31. Dezember. Allein in der Nacht vorher brich in den BureauS der Firma Feuer auS, daS die RechnungSbücher zerstörte. Die Polizei verhaftete Gusrin wegen Verdachts der Brandstiftung, ließ ihn aber auf Verwendung zweier Abgeordneter wieder loS. Die Versicherungsgesellschaft weigerte sich, eine Ent schädigung zu zahlen, und Guerin zog eS vor, nicht zu klage». Die Firma machte am 26. September 1889 Bankerott ohne eine« Centime Aktivum. Zwischendurch hatte er auch noch mit einem gewissen Bernhardt eine Firma gegründet für den Betrieb raffinirten OeleS; sie ging schon nach sechs Monaten in die Brüche mit einem Verlust von 150000 FrS. Da lernte Guörm im August 1892 den bekannten Antisemitenhäuptling Marquis de Moros kennen, der ihm einen jungen Mann Namens Robl« zuführte. Dieser hatte gerade einen Theil seines Vermögen! st die Hände bekommen, und so gründete Guerin mit ihm eme Gesellschaft für den Verkauf von Mineralölen und Alkohol. Such der Vater Roblins betheiligte sich an dem Geschäft mit MM Francs; als er aber auf Anstellung eines besondern Rechnungs- sührers drang, jagte Guerin bald den ersten und noch Vicranden Rechnungssührer zum Teufel. Ein gerichtlich bestellter Bevoll mächtigter wurde von Guerin bei dem Versucht, an die Bücher zu gehen, halbtodt geprügelt und zur Thür hinausgeworsen. Die schließliche Liquidation des Geschäfts war die Folge. Roblin klagte nun gegen Gusrin wegen Betrugs, Diebstahls und Hinter ziehung sozialen Vermögens; die Staatsanwaltschaft machte dem Kläger aber soviel Schwierigkeiten und Einwände, daß er, der Sache überdrüssig, sie nicht weiter verfolgte. In ähnlicher Weife legte Gusrin 1895 einen Kaufmann mit 45000 Frank» hinein. Der Hauptmann Voulet erklärte in seinem Brief an den Oberstleutnant Klobb, daß er den Befehl über seine Expedition behalten und daß er (den inzwischen von ihm erschossenen) Obers! Klobb als Feind behandeln würde. Seine um ihre Meinung befragten Leute hätten seinen Entschluß gebilligt und er werde eher Alles aufs Spiel setzen, als seinen Platz einem Jntriguasten von der Art Klobbs abtreten. — In dem gestern durch de» Kolonialminister Decrais im Ministerrathe vorgelegten Berichte des Leutnants Cornu — Kommandant in Doste — wird mit- getheilt, Cornu sei am 1. August d. I. in Ganu mit einem Sergeanten, zwei Korporalen, 29 Artilleristen und 2 SpahiS z», sammengetroffen, welche der Mission Klobb angehörten. Sieben derselben seien verwundet gewesen. Der Bericht giebt sodann folgende Erzählung des Sergeanten Mahmadu Uatte wieder: Die Mission Klobb war am lO.Juli d.J. in einem Dorfe der Land schaft Damangara. Oberst Klobb entsandte einen Boten an den Hauptmann Voulet. Dieser übergab dem Boten ein Schreiben und sagte zu ihm: Sage Deinem Oberst, daß hier kein Master ist, ich werve ins nächste Dorf gehen, wo ich solches finden werde." Oberst Klobb entsandte hierauf einen zweiten Boten an Boule., welchen dieser am Abend des 13. Juli empfing. Voulet ver sammelte seine eingeborenen Unteroffiziere und fragte sie, ob sie dem Oberst gehorchen wollten, der komme, um ihre Gefangenen ihnen wegzunehmen, oder ob sie ihn lieber mit Flintenschüssen zu empfangen gedächten. Sie antworteten, sie würden ihrem Hauptmann gehorchen. Hauptmann Boulet schrieb hieraus den bereits bekannten Brief und schickte denselben durch den Korporal Mahmadu Kamara; Voulet sagte zu ihm: Sage dem Oberst, wenn er in meineKolonne hereinzukommen versuche, so werde ich ihn angreisen. Die Träger verirrten sich und das Schrift stück wurde dem Oberst nicht ausgehändigt. Am Morgen des 14. Juli machten sich die beiden Missionen nach Damangora auf den Weg; (es wird vermuthet, daß dies ein neuer Name für die Oertlichkeit Zinder ist). Gegen 8 Uhr, erzählte der Sergeant weiter, gewannen die beiden Missionen Fühlung mit einander. Oberst Klobb ließ die französische Fahne entfalten. Voulet, der der einzige Europäer am Platze war, rief dem Oberst zu, er er kenne ihn sehr gut und begehe keine Verwechselung; aber er fordere ihn auf, Halt zu machen, oder er werde das Feuer er öffnen. Der Oberst erwiderte, daß er weiter vorrücken, aber in keinem Falle Feuer geben werde und gab seiner Truppe genau Fiebes-Rebelltn. Roman von Roy Teilet. (22. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten ' Er hatte sein Leben gerettet, nur um es noch einmal zu ver lieren. Weshalb hatte er ihm auch damals nicht im Hampstead- Teich ein Ende gemacht! Cora hatte ihn getäuscht; Errima ihn abgewiesen — die eine in lachendem Trotz, die andere in gerech tem Unwillen. An der einen hatte er sich gerächt, aber bei der anderen durfte er es nicht. Oder vielmehr, da gab es garnichts zu rächen; Errima hatte ihm ja kein Unrecht gethan; sie glaubte sich wie ein Stück Waare einem Bewerber ausgeliefert, der sich hatte überreden lasten, sie zu nehmen. Wie konnte sie denn wissen, daß er fest entschlossen gewesen war, nicht um sie zu wer ben, und daß nur ihr verändertes, gütiges Wesen die Veran lassung war, daß sein Entschluß nicht standhielt? Aber das alles konnte er ihr ja nicht erklären. Sein Leben war verschont geblieben — für eine Weile — aber seinem Schicksal konnte er nicht entgehen. Das folgte ihm nach, und würde ihn verfolgen bis an sein Ende. Er mußte sein Geschick tragen. Und doch, wie anders hätte alles sein können! Wie glücklich hätte er mit dem Mädchen werden können! Um dieses Zornes willen liebte er sie nur umso tiefer, denn er bewies, wie rein und edel ihr Herz war. Was ihn das Geschehene noch schmerzlicher empfinden ließ, war der Gedanke, daß sie litt wie er selber. In so manchem paßten sie gut zu einander, und doch würden sie nie vereint sein. Wie gern hätte er ihr Schluchzen beruhigt, ihre Thränen getrock net und gethan, was in seiner Macht stand, um Sonnenschein in ihr Leben zu bringen. Aber das ging nicht an. Seine eigene verbrecherische Thorheit hatte es ihm unmöglich gemacht, Glück zu genießen und es anderen mitzutheilen. XIX. Eine halbe Stunde darauf traf Dr. Vipan den jungen Mann noch im Atelier, wie er mißvergnügt zum Fenster hinaus schaute. „Was, ist die Sitzung schon zu Ende?" rief der Doktor ver wundert. „Ich denke, sie dauert immer bis halb eins." Carolath wandte sich hastig um. Er war ärgerlich auf sich selbst und auf die ganze Welt. Und gegen den Doktor hegte er einen ganz besonderen Groll; denn war er es nicht gewesen, der den erniedrigenden Plan ausgeheckt? Freilich, Carolath hatte sich dazu bereit erklärt; Errimas vorwurfsvolle Miene tauchte vor ihm aus, während des Doktors Stimme an sein Ohr klang. „Ja, die Sitzung ist aus", erklärte er; „wir werden über haupt keine Sitzungen mehr haben." Mehr aus der Stimme und dem Wesen als aus den Worten des jungen Mannes hörte Dr. Vipan heraus, daß zwischen ihm und dem jungen Mädchen wohl nicht alles in Ordnung sein mochte. Aber das beunruhigte ihn nicht weiter. „Sie haben sich gezankt", dachte er; „das ist ein ganz gutes Zeichen; denn sie würden sich nicht die Mühe nehmen, zu zanken, wären sie ein ander gleichgiltig". „Also ein kleines Mißverständniß?" meinte der Alte fragend. „Nein, durchaus nicht", entgegnete Carolath bitter. „Im Gegentheil, wir sind beide zu der Ueberzeugung gekommen, daß wir einander niemals etwas sein können." „Wie meinen Sie das?" fragte der Doktor erregt. „Haben Sie ihr denn einen Antrag gemacht?" „Ja, ich denke, Sie wünschten es; oder war es nicht so?" „Freilich, aber doch mit Vorsicht." „Nun, ich habe es eben ohne alle Vorsicht gethan." „Aber weshalb denn? Da Ihr Gefühl nicht betheiligt war, hätten Sie doch mit Ueberlegung zu Werle gehen sollen!" „Was erwarteten Sie denn, Herr Doktor, als Sie Ihre Nichte und mich veranlaßten, beständig beisammen zu sein?" „Das habe ich Ihnen ja gleich zu Anfang gesagt — ich er wartete, daß sie sich in Sie verlieben würde. Sre sind jung, hübsch, haben gewinnende Manieren". „Oh, lassen Sie doch das beiseite," unterbrach Carolath den Alten ungeduldig. „Sie meinten also, Ihre Nichte würde mich lieb gewinnen. Erwarteten Sie denn garnicht, daß ich mich in das junge Mädchen verlieben könnte?" „Nein, durchaus nicht. Anderen war sie bisher nicht son derlich anziehend erschienen. Und außerdem hatten Sie alle Ursache, die Weiber zu hasten." „Nun, dann lasten Sie mich Ihnen sagen, daß gerade das Gegentheil von dem geschehen ist, was Sie erwartet hatten. Nicht Ihre Nichte hat sich in mich verliebt, sondern ich mich in sie." „Nicht möglich! Ich dächte, Sie hätten mir erzählt, daß Sic nie wieder lieben konnten!" „Wenn ich das gethan habe, so war ich ein Thor." „Ich sehe schließlich das Unglück nicht ein", meinte der Doktor. „Es war ja gerade mcht unbedingt nöthig, daß Sie Ihre zukünftige Frau liebten, aber sicherlich schadet es doch nichts." „Miß Ravenshaw wird niemals meine Frau werden." Dr. Vipan lächelte ungläubig. „Sie wollen damit sagen, daß Sie Ihnen heute einen Korb gegeben hat. Das ist kein Grund, weshalb sie morgen nichi einwilligen sollte. Sie kamen ein wenig plötzlich mit Ihrem Antrag. Die Frauen bedürfen immer einer gewissen Zeit, um sich mrt einem neuen Gedanken vertraut zu machen. Kommen Sie im unrechten Augenblick damit, so werden Sie immer ein „Nein" hören. Aber das sagen sie dann bloß, um Zeit zum Ueberlegen zu gewinnen." In diesem Falle dürften Sie sich doch wohl täuschen, Herr Doktor. Errima würde mich niemals nehmen; offenbar Hoß! sie mich. Aber selbst wenn das nicht der Fall wäre, eine Bei- bind^g z^vis^en uns beiden ist doch unmöglich." „Weil ich ihr nicht zum zweiten Mal einen Antrag machen würde." Des Doktors Stirn umwölkte sich. Aber gleich darcn wurde sie wieder hell. Hier spielte ja nur die verletzte Eiga- liebe des Bewerbers mit, und die würde man sicherlich Lberwm- den können. „Sie dürfen den Korb nicht so ernst nehmen", meinst Dr. Vipan. „Sie verstehen mich offenbar nicht, Herr Doktor", entgeg nete Carolath stolz. Meine erste Werbung schon war eine Schändlichkeit, und ich will sie nicht zum zweiten Mal begehen.' „Eine Schändlichkeit — wie memen Sie das?" fragte der Doktor unruhig. Seine Augen begannen zu funkeln und seine dünnen, blassen Lippen bebten. „Nun, ist's nicht eine Schändlichkeit, wenn ein Mörder es wagt, um die Hand eines so süßen, unschuldigen Wesens, wie Errima, zu werben?" „Sie haben sich nun einmal dazu verpflichtet." „Ja, zu meiner Schande muß rch das eingestehen. Aber damals war ich nicht bei klarer Besinnung. Der Gedanke da ran, wie man meine eigenen Gefühle mißhandelt, hatte mich toll gemacht. Ich haßte die Weiber und bildete mir ein, sie ver dienten keine Schonung. Aber bald kam ich wieder zur Ver nunft. Als ich Errima zuerst sah, fühlte ich Mitleid für sie; allmählich lernte ich sie lieben. Nimmermehr hätte ich um sie ge worben, nur um Ihnen, Herr Doktor, einen Dienst zu erweisen. Im Gegentheil, ich war fest entschlossen, nichts dergleichen zu thun; aber ehe ich es noch recht wußte, hatte ich sie so lieb ge wonnen, daß mir jene. Worte gegen meinen Willen ent schlüpften. Ick habe niedrig und verächtlich gehandelt und will es nicht noch einmal thun." (Fortsetzung folgt.)
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