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„Nun, noch find eS fast drei Monate, und diesmal wird er uns, denke ich, endlich glücken. Der Zufall will uns wohl." Miß Vipan hätte gern noch mehr Fragen an ihren Bruder gerichtet. Wer der junge Mann war, woher er so plötzlich auf getaucht? Wodurch der Bruder so großen Einfluß auf ihn ge wonnen? Denn daß er nichts weiter war, als ein lahmer Pa tient, das hatte sie nicht einen Augenblick lang geglaubt. That- sächlich merkte sie auch an ihres Bruders ganzer Art, daß er diesen Glauben von ihr gar nicht erwartete. Sie wußte jedenfalls genug, um ihr Benehmen danach rich ten zu können, und das genügte ja fürs erste. Freilich hätte sie gern alles erfahren, sie war keineswegs frei von weiblicher Neugier. Aber sicherlich hatte ihr Bruder seine guten Gründe, sie nicht vollständig ins Vertrauen zu ziehen. Und schließlich, wenn sie, und wäre es auch noch so wenig, zu seinem Glücke und zu seiner Ruhe beitragen konnte, so fühlte sie sich vollauf befriedigt. „Uebrigens, wie heißt denn Dein Schützling?" fragte sie dann. Dr. Vipan hatte das beinahe selbst vergessen. Aber durch eine gewaltsame Willensanstrengung vermochte er sich des Na mens wieder zu erinnern. „Charles Edwardes", entgegnete er hastig. Miß Vipan kannte ihren Bruder genugsam, um sofort zu merken, daß er ihr einen falschen Namen genannt. Aber sie ging ohne Weiteres darauf ein. „Sag' mal, wo ist denn heute die Zeitung?" fragte der Doktor. Miß Vipan reichte sie ihm hin und beobachtete, wie er sie eifrig suchend durchflog. Für gewöhnlich zeigte er sehr wenig Interesse für die Tagesneuigkeiten. Aber heute schien das anders. Als er schließlich seine Forschung beendet, fragte er nur: „Willst Du sie lesen, Sarah?" „Mir liegt nicht viel daran." „Dann nehme ich sie mit mir. Und paß' auf, Sarah: Sorge dafür, daß künftig die Zeitung nicht hier in die Zimmer kommt, oder laß sie wenigstens nicht herumliegen. Sie könnte mal etwas enthalten, was für unsern Gast zu erfahren schmerz lich wäre. In Deinem Zimmer magst Du sie natürlich lesen nach Herzenslust." „Ich vrstehe", sagte Miß Vipan wieder trocken, und bei sich selbst fügte sie hinzu: „Wenn er mir den richtigen Namen des lungen Mannes genannt bätte, würde ich in der Zeitung gewiß etwas über ihn herausfinoen können." In diesem Augenblick trat Errima herein, und daS vertrau liche Gespräch erreichte damit sein Ende. „Ich will jetzt nach unserem Gaste sehen", sagte Dr. Vipan, „aber ich nehme an, daß er sobald nicht herunterkommen wird. Er war gestern Abend, als er zu Bette ging, sehr erschöpft." (Fortsetzung folgt.) Verschiedenes. * Neber die verunglückte Nordpolreise der norwegische» Journalisten Walter Wellmann schreibt man der „Voss. Ztg." aus Christiania: Alles, was über diese Expedition an Einzel heiten zutage tritt, macht das unerfreuliche Bild, das der Ver lauf des Unternehmens bietet, nur noch größer, und man wird unter den zahlreichen Expeditionen, die im Laufe des gegen wärtigen Jahrzehnts abgegangen sind, keine finden, die so un günstigen Erfolg gehabt hatte. Schon von vornherein verlief sie nicht vrogrammgemäß. Ursprünglich hieß es, die Expedi tion wollte noch im vorigen Jahre, bald nach der Landung, den nördlichsten Theil von Franz Josef-Land zu erreichen suchen, dort überwintern und gleich nach Beendigung der Polarnacht die Schlittenreise gegen den Nordpol antreten. Statt dessen überwinterte die Expedition beim Cap Tegethoff, im Süden der Jnselgruvpe, die beiden Norweger Bentsen und Björwig aber ließ Wellmann etwas über einen halben Grad nörolicher beim Cap Heller überwintern, was gar keinen Zweck hatte und um so verdrehter erscheinen muß, als die beiden in einer engen, zur Ueberwinterung ganz ungeeigneten Steinhütte Hausen mußten, welchem Zustande es zuzuschreiben ist, daß Bentsen, der die an strengende Nansensche Expedition gut überstanden hatte, zu Grunde ging. Damit die Leiche nicht von Raubthieren gefressen wurde, behielt Björwig sie zwei Monate hindurch in der engen Hütte, da er allein nicht imstande war, sie ordentlich zu begra ben. Von der Niederlassung am Cap Tegethoff, wo man sehr aut eingerichtet war, ließ sich die ganze Zeit hindurch niemand bei den am Cap Heller hausenden Norwegern sehen, obgleich eine Schlittenreise dorthin während des Winters keine Unmög lichkeit gewesen wäre. Auch in der Wahl seiner drei amerika nischen Begleiter ist Wellmann nicht glücklich gewesen. Bald win litt an Rheumatismus, Dr. Hofmann, der Arzt, hatte Matzenschmerzen, und der dritte, Harlan, war überhaupt von schwächlicher Konstitution, sodaß Wellmann im Februar nur in Begleitung der beiden Norweger, die sich bei ihm befanden, die Schlittenreise antrat, und ihnen schloß sich beim Cap Heller, nachdem Bentsen begraben worden war, Björwig an. Am 21. März befand sich diese Expedition auf dem Meereseis, unge fähr auf dem 82. Breitengrad, und an diesem Tage, sowie am 23. März begann sich das Eis zu „schrauben". In kurzer Zeit thürmte sich das Eis rings um die Scholle, auf der sich die Ex pedition befand, auf, sodaß es überall einen Wall bildete. Schnell lud man einen Theil des Proviants von den Schlitten, zog diese über den Eiswall und brachte auch eine An zahl Hunde hinüber. Dann versuchte man den vielen Proviant und die Ausrüstung zu bergen, als plötzlich der ganze Eiswall über die Scholle stürzte und alles begrub, während die Nordpol fahrer hilflos dastanden und mit Schrecken auf das fürchter liche Schauspiel sahen. Viele Hunde sanken heulend in das krachende Eisgrab, und nur wenige konnten gerettet werden. Hier in diesen Eismaffen zog sich auch Wellmann eine erhebliche Verletzung am Beine zu und und es blieb nun nichts übrig, als umzukehren. Während der 18tägigen Fahrt zur Südküste wurde Wellmann von seinen Begleitern auf dem Schlitten ge fahren. * Arbeiter, die bedeutende Gelehrte werden, sind in England keine gar so ungewöhnliche Erscheinung. Eine eng lische Revue erzählt die interessante Lebensgeschichte von einigen, die sichin den letzten Jahren einen Namen in der wissenschaft lichen Welt gemacht haben. Noch im Jahre 1890 war Thomas Rees einfacher Bergmann in einer Kohlengrube; er war jedoch außerordentlich begabt und ihn beseelte ein so tiefer Drang nach wissenschaftlicher Erkenntniß, daß er sich durch unermüdlich an gestrengten Fleiß reiche Kenntnisse erwarb und nach 6 Jahren konnte er Spaten und Spitzhacke mit dem Talar und Doktor» Hut eines englischen mnArster »rtinm vertauschen. Kurz nachdem er sich diesen Grad erworben hatte, wurde Rees als Pro fessor an das Brecon College, eine der führenden theologischen hohen Schulen in Wales, berufen. Eine außerordentlich ehren volle Laufbahn hat auch Joseph Owen hinter sich, der vor we nigen Jahren als Arbeiter in Oldham, in Lancashire, lebte. Durch barte und selbstverleugnende Arbeit gelang «S ihm, in eine Schule der Univrrsity Extension zu kommen, und er wurde am Balliol College in Oxford zugelassen. Während seiner Studienjahre lebte er mit seiner Zungen Frau in eurem kleinen Hause; er beschäftigte sich in erster Linie mit ökonomischen Wissenschaften und Geschichte. Wenige Tage vor seinem Schlußexamen starb seine Frau, aber der energische Mann ließ sich, trotzdem der Schlag ihn schwer traf, dadurch nicht bewegen, von der Prüfung zurllckzutreten, er machte ein glänzendes Exa men und erhielt ein Stipendium von jährlich 2000 für zwei Jahre. Einer der hervorragendsten Mathemathiker Englands war vor 30 Jahren als Knecht auf einem Pachtgut in Dork- shire angestellt. Um drei Uhr des Morgens stand er bereits auf und arbeitete lange Stunden, während sonst noch MleS im Hause schlief, und eS gelang ihm, sich so gute mathematische Kenntnisse anzueignen, daß er in einer mathematischen Klasse zu Cambridge Aufnahme fand. Seine Universitätslaufbahn brachte ihm eme ununterbrochene Folge von Preisen und Aus zeichnungen, die er mit erstem Grad im mathematischen Examen m Cambridge, krönte. Auch die Zahl der englischen Arbeiter, die sich auf literarischem Gebiete bethätigt und ausgezeichnet haben, ist ziemlich groß. Es ist noch nicht lange her, daß Bal four einem früheren Polizisten eine Pension von 800 für daS Jahr bewilligte. Charles Asheton hatte, während er bei der Polizeitruppe von Merionetshire diente, literarische Studien, Sprachen und ähnliche Fächer getrieben, auch eimge verdienst volle Bücher veröffentlicht und viele Preise aus den Eistefodd- festen, den eigenartigen Sängerkriegen der „keltischen" Barden m Wales gewonnen. Sein Hauptwerk ist eine Geschichte der wallisischen Literatur. Unter den Bergarbeitern im Norden Englands sind einige Dichter von großer natürlicher Begabung bekannt geworden, vor Allen Joseph Skipsey und James An derson, Anderson ist vor Kurzem gestorben; er war der Ver fasser kurzer und kräftiger Lieder, die ihm viele Preise und einen großen Ruf als Lokaldichter einbrachten. Gerade als er starb, hatte er einen Band seiner Gedichte veröffentlichen wollen. Ferner ist hier als literarisch begabter Mann zu erwähnen Tho mas Burt, Mitglied des Parlaments, der im Alter von 10 Jahren in den Bergwerken zu arbeiten begann, und der jetzt reichliche Beiträge zu den führenden englischen Monatsschrift^ dem „Nineteenth Century , der „Contemporary Review" u. A. liefert. Broadhurst, ebenfalls ein Mitglied des Parlaments, der auf nationalökonomischem Gebiete Werke veröffentlicht, hat seine Laufbahn als Grobschmied begonnen. »Russische Lynchjustiz. Wie ein Odessaer Blatt auL GeorgyewSk im Kaukasus meldet, haben die Besitzer eines Berg werks vei Sadon im Terek-Bezirk sich einer geradezu haarsträu benden Handlungsweise schuldig gemacht, indem sie einige in ihren Gruben beschäftigte junge Leute den grausamsten Tor turen unterwarfen. Aus dem Zimmer des Kassirers war eine große Summe Geldes gestohlen worden, und der Verdacht lenkte sich auf zehn Burschen im Alter von 16 bis 19 Jahren. Anstatt nun die Polizei mit der Untersuchung der Angeiegenheit zu be trauen, nahmen die Eigenthümer des Bergwerks die Sache selbst in die Hand und begannen, um ein Geständniß zu erzwingen, die vermeintlichen Schuldigen zu foltern. Die Jünglinge wurden zuerst drei Tage und Nächte ohne Wasser oder jegliche Nahrung eingesperrt. Dann verabreichte man ihnen eine ge hörige Anzahl Stock- und Peitschenschläge. Als diese Methode noch nichts fruchten wollte, band man den Unglücklichen Hände und Füße, hob ihre Augenlider in die Höhe und durchstach diese mit Nadeln. Ferner wurden die bedauernSwerthen jungen Menschen gegen eine Steinmauer geschleudert, bis sie bewußtlos liegen blieben. Einige Eimer kalten Wassers brachten die Ohn mächtigen wieder zu sich, und nun machten sich die Menschen quäler daran, ihren Opfern mit einem harten Instrument die Vorderzähne auszustoßen. Zum Glück erfuhr endlich die Be hörde von diesen Gewaltmaßregeln. Die gepeinigten jungen Leute, von denen einige dem Tode nahe sind, wurden in ein Hospital geschafft, und ihre eigenmächtig handelndenBrodherren sehen jetzt einer exemplarischen Bestrafung entgegen. * Ein Freiberger auf Reisen sendet unS nachstehende» Etotz» seufze» eines Hotelgastes: X. Hotel in X. am See. Schöne Lage, sonst o weh! Weil der Spesen sind so viel, Wie ich gleich beweisen will. Willst Du essen oder trinken, Mußt Du einem Kellner winken; Kommt das Zahlen dann heran, Hast Du auf dem Hals drei Manu: Der Zählkellner, Grandseigneur, Heischt ein nobligeS Douceur, Der die Speisen Dir gebracht, Wedelnd nach dem Trinkgeld tracht', Und der bringt den Trank der Labe, Wartet auch auf eine Gabe. Reist Du ab: Die Stubenfee Schielt nach Deinem Portemonnaie Oberkellner mit der Nota - Oeffnet weit die große Pfota. Glaubt man fertig sich, o weh, Kommet noch der Herr Portier; Weil er nichts für Dich gethan, Nimmt er gern« Trinkgeld an. Was Du giebst des Hauses Knecht, Hat verdient er recht und schlecht. Sechsmal Trinkgeld zahltest Du, Eh' das Portemonnaie zur Ruh', Wohnst in höherem Stockwerk Du, Kommt das Licht auch noch hinzu. Diese Spesen zu entrichten, Wilr'n des WirtheS eigne Pflichten, Denn für Zimmer, Trinken, Essen Reichlich ist der Preis bemessen, Daß der Wirth — der arme Mann! —- Dieses Alles tragen kann. Bon Service, List und Licht, Davon spreche heut' ich nicht. >ll, I». Rocke«, dircksr. letre. egen »bv rden. use aut len. ütungSbeikSt )uberture Torquato m Herd" ei Iones, iderewLki. lbeud bei egen, oßer die «b«d» Misten« U Spedition E gelanzen m boruck. Atm n der MMN >en kann christen sm die Expedtl'^ Theil w dl- dank. der Liebe u. nae unserer w. Richt« rzlichentonk ember lbSS erlaWL berg. -du» mellen M urg, fir d« gner in Fee'' hdruckmi nm ch in Freiberg, iß: Rr. ?. jx «NM« 1. Menage zum Areikerger Anzeiger und Tageblatt. F 205. Sonntag, den S. September. Auflösung des Preisräthsels. SMa«, Tanne, Nero, Roma, Alma, Maro. ES gingen im Ganzen 59 Lösungen ein und zwar auS Freiberg 32, Brand, Weißenborn und FreibergSdorf je 3, Erbis- dorf, Hilbersdorf, Halsbrücke, Klingenberg und Frankenstein je 2, Friedeburg, Zug, Tuttendorf, Hetzdorf, Siebenlehn, Oederan, Dresden und Franzensfeste je 1. Falsch waren 4 Lösungen. Von den 55 richtigen Lösungen, die in die Urne kamen, wurde gezogen Nr. 27 mit der Unterschrift: Elfrieda Berger, Freiberg. Gewinn: .Für frohe Kiuderherzen" von Renata Beutner. Ke-es-Kedtvev. Loman von Roy Telle». (7. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) VI. Dr. Vipan arbeitete, obwohl er so spät schlafen gegangen war, schon seit einigen Stunden in seinem Laboratorium. Gewöhnlich pflegte er um acht Uhr allein zu frühstücken, wäh rend die Damen erst eine Stunde später erschienen. Nur selten ließ er sich bei ihrem Frühstück blicken, und dann auch nur auf einige Augenblicke, wenn er seiner Schwester irgend welche Wei sungen geben wollte. Aber heute morgen wollte er das gemein same Frühmal nicht versäumen. Seine Schwester erschien zuerst. Ihre Züge glichen denen des Bruders. Es war dasselbe raubvotzelartige Gesicht, die selben durchdringenden Augen. Aber während er nur mittel groß war, erschien sie für eine Frau auffallend hoch gewachsen, mit schmalen Schultern. Sie ging ein wenig nach vorn ge beugt, wie jemand, der in der Jugend zu schnell gewachsen ist, leicht diese Haltung anzunehmen Pflegt. Das graue, kurzge schnittene Haar hing ziemlich wild um das Gesicht. Die Lippen schienen dünn und blutleer. Offenbar war sie eine Frau, die einer leidenschaftlichen Liebe nicht fähig war, der man aber Wohl jene hündische Anhänglichkeit an einen stärkeren Charakter zu trauen durfte, wie man das häufig bei Frauen findet, denen Mutter Natur die zarte, hingebende Weiblichkeit versagt hat. Die Geschwister begrüßten einander ohne sonderliche Herz lichkeit. Die Schwester verehrte den Bruder, aber sie that es in ihrer kühlen, verständigen Art, und der Doktor empfand, so weit er überhaupt imstande war, sich für etwas anderes als für seiner Schwester. Aber die Aeußerung einer Empfindung schien die Aeußerung einer Empfindung einer Empfindung erschien beiden als etwas unsäglich Albernes. So nickten sie einander nur zu, indem sie sich „Guten Morgen" sagten. „Ich denke, Du hast schon gehört, Sarah", begann Dr. Vipan, „daß wir einen Gast im Hause haben." ^a wohl — Mary hat es mir gesagt — einen jungen Mann. Sie erzählte auch, daß er kem Gepäck bei sich hätte, daß seine Stiefel sehr schmutzig und seine Kleider mit Staub bedeckt gewesen wären." „Das stimmt alles. Er war auf dem Wege mich aufzu suchen, als ihm ein Unfall zustieß. Während er nicht weit von hier einen steilen Hügel hinabfuhr, stürzte er mit dem Zweirad, schlug mit dem Kopf auf einen Stein und verlor das Bewußt sein. Als er wieder zur Besinnung kam, waren Zweirad und Mantelsack verschwunden. Nur mit größter Anstrengung ver suchte er sich fortzuschleppen, denn er hatte sich das eine Bein ernstlich verletzt. Zum Glück fand ich ihn zufällig und brachte ihn hierher." „Du hast mir nicht erzählt, daß Du ihn erwartetest", be merkte Miß Vipan trocken. „Ich wußte nicht, daß er kommen würde. Er wollte mir ja auch nur einen Besuch machen. Aber nun habe ich ihn zum Bleiben überredet." „So — da wird er wohl längere Zeit unser Gast sein?" „Wir haben vereinbart, daß er hier bleibt, bis er wieder ganz hergestellt ist. Das wird wohl noch eine geraume Zeit dauern. Da er übrigens seinen Mantelsack schwerlich zurück bekommen wird, so müssen wir ihm einige Sachen besorgen." „Kann er sich denn nichts von Hause kommen lassen?" „Nein, er hat sich mit seiner Familie entzweit und kam eigentlich, um mich wegen seiner Auswanderung um Rath zu fragen. Du weißt ja, ich bin bekannt für menschenfreund lich, und ein Freund von ihm, den ich flüchtig kenne, hat ihm ge- rathen, mich aufzusuchen. — Ich sage Dir das alles nur, meine liebe Sarah, damit Du im Stande bist, den Dienstboten zu er klären, wie er hierher kam und weshalb er nicht ausgehen kann. Er ist zwar so lahm, daß sich das von selbst erklärt." „Ich verstehe", sagte Miß Vipan. In Wirklichkeit begriff sie nichts von all dem. Sie hörte nur die Wünsche ihres Bruders heraus. Sie wußte, daß er ihr andeuten wollte, wie er die Angelegenheit aufgefaßt zu haben wünschte Daraus folgte für die Schwester noch keineswegs, daß der Bericht über den jungen Mann der Wahrheit entsprach. Zwischen den Geschwistern galt das stillschweigende Ueberein- kommen, daß dasjenige, was der Bruder als Thatsache hinzu stellen für gut befand, von der Schwester auch als solche genom men wurde. Dadurch vermied man nicht nur jeden Streit, der Schwester blieb auch allerhand überflüssiges Wissen erspart. Aber in dem gegenwärtigen Falle hielt sie es doch für nothwen dig, über den jungen Mann etwas mehr zu erfahren, als das, was der Bruder für genügend befunden. „Er wird natürlich viel mit Errima zusammen sein", be merkte sie nach einer kurzen Pause. „Freilich, was schadet das? — Im Gegentheil —" „Ich versteht. Sollte sie ihm gefallen, so würde er keinen Widerspruch von Deiner Seite zu befürchten haben." „Durchaus nicht." „Ich halte das leider nur für sehr unwahrscheinlich", sagte Miß Vipan zweifelnd. „Wir haben es ja schon so oft versucht. Sie ist zu wenig anziehend. Und dann scheinen die jungen Leute aar so bald mißtrauisch zu werden. Man ist heut zu Tage so übertrieben vorsichtig." „Ja, das mag wohl sein. Aber in diesem Fall habe ich guten Grund, anzunehmen, daß der junge Mann sich so leicht nicht wird abschrecken lassen." „So, wirklich? Na, das freut mich; denn nun fängt die Sache bald an, ernst zu werden. Kennt er Deine Lage?" ^7,Nicht ganz. Er weiß nur, daß er das Mädchen heirathen „Viel Zeit ist nicht mehr zu verlieren". 1890.