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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 25.08.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-08-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189908258
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18990825
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18990825
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-08
- Tag 1899-08-25
-
Monat
1899-08
-
Jahr
1899
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 25.08.1899
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18« angebliche Reise des Dreyfus nach Brüssel, Nachahmung der S-chrift Esterhazys, als er das Begleitschreiben verfaßte, Be ziehungen Scheurer-Kestners zur Familie Dreyfus und zu an deren Juden, Verschwörung, um demSchuldigen jemand anders zu substituiren u. s. w. Gonse verlangt, zu Esterhazys schriftlicher Aussage Bemerkungen zu machen. Esterhazy be hauptet, er sei der Mann des Generalstabes gewesen. Das ist nicht wahr. 1897 hatte Esterhazy mit duHatydeClam und Gribelin die bekannten nächtlichen Zusammenkünfte mit falschem Bart, blauer Brille u. s. w. Zeuge wußte davon Mchts, er, der Vorgesetzte du Paty de Elams, erfuhr es erst im ^Zuni 1898 und war überrascht und verstimmt. Im Oktober 1897 erhielt der Generalstab nicht unterzeichnete Briefe, die den bevorstehenden Feldzug gegen Esterhazy ankündigten und um Schutz baten. Du Paty de Elam empfahl bei einem ebenfalls anonymen Briefe, dem Schreiber zu ratben, er solle ganz ruhig bleiben. Gonfe übermittelte Viesen Vorschlag dem Kriegs minister Billot, der befahl, den Brief nicht abzuschicken, da er nicht das richtige Mittel sei. Das ist alles, was der Zeuge von ber Sache vom Oktober 1897 bis zum Juni 1898 wußte. Zeuge leugnet, daß der Generalstab Esterhazy vertheidigt, ihm den Rechtsanwalt Tezenas beigegeben, mit Depellieux zusammen an seiner Freisprechung vor dem Kriegsgericht gearbeitet habe. Was Henry für Esterhazy gethan haben mag, weiß Zeuge nicht. Henry ist todt, ma« kann ihn also nicht befragen. Du Paty be Elam ist eben nach einer Untersuchung Taverneers freige- fprochen worden, also ist er nicht mehr ein Angeklagter Zeuge soll Esterhazy nach dem Zolaprozeß zu einem Zweikampf mit Picquart militärische Sekundanten verschafft haben. Das ist nicht wahr. Zeuge hat nur Esterhazy und hohen Offizieren Rathschläge gegeben, die dazu führten, daß die Offiziere ein willigten, Esterhazys Sekundanten zu sein. Es folgt ein über aus dramatisches Kreuzverhör. Boisdeffre erklärt sodann, er erkläre formell die Aussage Esterhazys für falsch. Er verachte diese Lügen und weise sie zurück mit der ganzen, ihnen gebührenden Verachtung. (Lebhafte Beweguirg im Saale.) Alsdann wird die von der Pays vor dein Kassationshof« abgegeben« Erklärung verlesen. Hierauf girbt General Lebelin de Dionne, Oberst der Kriegsschule, schlechte Auskunft über DreysuS, den er beständig zu tadeln hatte. Dreyfus erklärt den Tadel mit Angaben der Ordnungs-Kommission, welche ihm ungerechte Noten gegeben habe, weil mau keine Juden in dem Generalstabe haben wollte. Dreyfus leugnet die Reden, welche man ihm hinsichtlich der Elsässer und Lothringer zuschreibt. Dec Ingenieur Lanquety hatte erklärt, er habe ihn, Dreyfus, in 'Brüssel im Jahre 1894 getroffen, er könne aber das Datum nicht -mehr genau feststellen. Dreyfus erinnert ihn daran, daß er ihn >in Brüssel im Jahre 1886 nur ein einziges Mal getroffen und »in einem Restaurant gesprochen habe, und zwar war dies wäh rend der Ausstellung. „Ja", erwidert der Zeuge. Hieraus wird die Sitzung auf morgen vertagt. WMtilcheHtscha«. Freiberg, de« 24. August. DeuHHlanV. Auf Befehl des Kaisers wird di« Jacht „Hvhrnzollern" am 16. September im Hafen von Swinemünde zur Ausnahme des Monarchen und feines Gefolges bereit liegen. Der Kaiser begiebt sich an diesem Tage nach Malmö zum Jagd besuche bei dem Grasen Tiper und kehrt gegen den 27. d. Mts. wieder nach Swinemüude zurück. An und auf der 'Jacht sind übrigens »ach Beendigung der Nordlandsreise vielfache kleine Verorderungen vorgenommen worden. Eine auf dem Achterdeck geschaffene Plattform dient zur Ausstellung von Tischen und Stühlen für den Kaiser, und die beide» vorderen Masten des «Schiffes haben auf spezielle Weisung des Kaisers einen röthlichen Anstrich erhalten. Die bemerkenSwertheste 'Neuerung ist indessen, daß auf der „Hohenzollern" eine Fischerei-Abtheilung eingerichtet ist, deren Fischzüge besonders auf den Fjorden außerordentlich interessant und auch lohnend waren und dem Kaiser manch schönes Gericht für die Mittagstafel lieserten. Die Abtheilung steht unter dem Befehl eines Schrffsosfiziers. Der Daily Mail wird von ihrem Spezialkorrespondenten aus Bertin telegraphirt: „Wie ich vernehme, soll Prinz Heinrich von Preuße« aus seiner Rückkehr von China an Bord seines Flaggenschifscs „Deutschland" den Hasen von San Francisco und möglicherweise auch andere amerikanische Hascnplätze be suchen. Etz ist auch möglich, daß er nach Washington geht, nm den Präsidenten zu besuchen, der ihn dringend eingeladen hat." Ein parlamentarischer Berichterstatter meldet, in der gestrigen 'preußischen Kronrathssi-tzung scheine Miquels Einfluß gesiegt zu haben. Dem Vernehmen nach soll namentlich die Frage der Auflösung in der Schwebe geblieben sein. Auch die Minister bleiben alle vorläufig im Amt, selbst Miquel tritt nicht zurück. Der Landtag wird am 26. d. M. geschlossen werden; die Auflösung wird später «rfolgen. Man will wissen, als Nachfolger deS Freiherrn v. d. Recke als Minister des Innern komme in erster Linie der Geh. Ober- regierungsrath im Reichsamt des Innern Landtagsabgeordnetcr vr. Kelch in Betracht. Ueber den Umstimmungsversuch, den der Minister von der Recke unmittelbar vor der dritten Lesung der peußischen Kanalvorlage b«i den politischen Beamten, welche Gegner der Vorlage Warrn, gemacht hat, war bisher nichts Zuverlässiges bekannt geworden. Nach Mittheilnngeu, welche die „Nat.-Zeit." für wohlbegründet hält, scheint der Minister eine ihm zugegangene Anweisung des Kaisers in einer ihr nicht durchaus entsprechenden Art ausgeführt zu haben. Sie soll dahin gelautet haben, daß diese Beamten selbstverständlich in ihrer parlamentarischen Ab stimmung frei seien, daß die Beibehaltung ihrer amtlichen Stellungen aber nach einem Votum gegen die Kanalvorlage un möglich sein würde. Herr von der Recke dagegen soll die bctr. Beamten aufgefordert haben, für die Vorlage zu stimmen. Die Prinzessin von Wales ist in Wörishofen angekommen, wo sie sich wegen ihres Rheumatismus einer Kneipp kur unterziehen wird. Von Wörishofen wird sie nach Dänemark gehen und mehrere Wochen mit ihrem Vater, dem König Christian, aus Schloß Bernstorff verbringen, wo die Kaiserin-Wittwe von Rußland mit ihrer jüngsten Tochter, der König von Griechenland und viele andere Mitglieder der dänischen Königsfamilie eintrefsen sollen. Der Prinz von Wales bleibt bis Freitag, den 1. September, in Marienbad und fährt dann nach Frankfurt am Main, um von dort aus die Kaiserin Friedrich auf Schloß Friedrichshof zu besuchen. Nach Homburg wird der Prinz in diesem Jahre nicht reisen. Die Meldung, daß der Chef des General st abes der Armee, General der Kavallerie nnd Gcneraladjutant Graf v. Schliessen nach den diesjährigen großen Herbstmanövern aus seiner Stellung, die er seit dem 7. Februar 1891 inne hat, scheiden und als Nachfolger den lommandirenden General des Gardecorps General der Infanterie v. Bock und Polach erhalten dürfte, wird in maßgebenden Kreisen als zutreffend bezeichnet. Unter dem Verdachte der Spionage ist am Montag in Pillau (Ostpreußen) ein Franzose Namens Müller verhaftet worden. Er wurde nach Königsberg transportirt und von Kriminalbeamten in Empfang genommen. Im Hotel wurden seine Effekten durchsucht; es wurde nichts Belastendes gefunden. Müller soll für ein Pariser Blatt reisen. Aus Schlettstadt in Elsaß-Lothringen schreibt der „Tgl. Rund schau" ein Leser: Folgende Thatsache, die mir neulich von einem Beamten des nicht weit von hier gelegenen Städtchens Oberehn- heim erzählt wurde, interessirt Sie vielleicht. Genanntes Städtchen hat eine jährliche Einnahme von etwa 150 000 Mk. aus seinen Waldungen und anderem Grundbesitz. Es hat vor einigen Jahren eine katholische Kirche für den Preis von etwa 1^/^ Million Mark gebaut. Bald darauf hat die Gemeinde ihren jüdischen Angehörigen einen Zuschuß von 40 000 Mk. zum Bau einer Synagoge aus deren Ansuchen bewilligt. Jetzt sind die evangelischen Gemeindemitglieder, welche um einen Zu schuß zum Bau einer evangelischen Kirche gebeten haben, glatt abgewiesen worden. Wenn man denkt, die Regierung griffe da ein und suchte auf die Gemeinde einzuwirken, so irrt man sich gewaltig, die sagt, wenn es nur angeht, zu allem Ja und Amen. — Ein solches Verhalten einer „christlichen" Gemeinde ist unerhört. Oesterreich. Aus Gra 8 litz wird noch gemeldet: Die Bevölkerung ist außerordentlich erbittert gegen de» inzwischen von feinem Amte entfernten Regicrungskommissar Rott, welcher das Blutbad veranlaßt hat. Ausschreitungen gegen die Soldaten sind nicht vorgekommen. Ruhig zogen die Massen in den Gassen umher, und als das Militär am Montag vor den Schulgebäuden, wo es Nachtlager bezog, Ausstellung nahm, da entwickelte sich sogar ein herzlicher Verkehr zwischen ihnen und dem Volke. Es ist ein großes Glück, daß man das 73. Regiment nach Graslitz beordert hat, denn dieses ist ein deutsches Regiment. Viele Sol daten sind aus Graslitz und Umgebung gebürtig. Wären Czechen gekommen, so wäre am Montag Abend vielleicht unabsehbarer Unglück geschehen, denn diese hätten möglicherweise die Bevölke rung gereizt, wie es ein Zug czrchischer Gendarmen that, der a« Montag Nachmittag ankam, so daß es beinahe wieder zum Blut vergießen gekommen wäre. Arge Erbitterung herrscht hier über Re Zeitungsberichte, welche den Vorgang im Sinne des Herrn Rott darstellen. Es ist völlig unwahr, daß die Bevölkerung mit den Waffen in der Hand, den Gendarmen entgegengetreten sei, daß sie eS gewesen sei, welche mit Angriffen vorgegangen. Am Dienstag kam es wieder zu erheblichen Ausschreitungen, als die Gendarmerie abrückte. Auf dem Wege zum Bahnhose wurden die Gendarmen von den Volksmengen unaufhörlich mit Steinen beworfen. Auf dem Bahnhose selbst regnete es förmlich Steine. Zu großer Erregung kam die Volksmenge, als die Frau dH erschossenen Schusters Dittel mit mehreren ihrer Kinder aus dem Bahnhofe ankam. Ms mehrere Steine die Gendarmen getroffen, ließ der Führer derselben mit gefälltem Bajonett aus die AM menge vorgehen. Nur der Besonnenheit einiger Herren ist es zu danken, daß erneutes Blutvergießen verhindert wurde. Dunh den Steinhagel wurden fast sämmtliche Fenster des Eisenbahn- zuges eingeworfen. — Unwahr ist die Meldung eines Chemnitz« Blattes, daß der Bahnhofsvorstand die Gendarmen zum Abfeuern einer Salve veranlaßt haben soll. — Als das Militär einrückte, hatte sich vor der Schule und der Kaserne eine nach Tausenden zählende Volksmenge angesammelt. Ausschreitungen gegen die Soldaten kamen nicht vor. Heute Mittwoch Nachmittag werden drei Erschossene beerdigt. Der schwerverwundete Schlosser Rödig ist Dienstag Abend gestorben. Der junge Willnauer, der am Kopfe schwer verletzt ist, liegt hoffnungslos darnieder. —Beerdigt werden heute Mittwoch: Schuhmacher Dittel, Vater von 7 Kindern, Maurer Bäumet, Vater von 2 Kindern, und Stowasser, 16 Jahre alt. Unter den Schwerverletzten befinden sich noch der Fabrik- arbeiter Pösch, Kriegelstein, die Mutter des Kriegelstein und die Frau des erschossenen Maurers Bäumel. Die Vorgänge in Graslitz haben in ganz Oester reich eine ungeheuere Aufregung hervorgerufen, denn sie zeigen deutlich, wie weit bereits die Erbitterung gediehen. Ganz rich- tig sagt die „N. Fr. Pr.": „Die Regierung scheint noch immer kerne richtige Vorstellung von dem Gemüthszustande der Deut schen, insbesondere der Deutschen in Böhmen, zu haben, denn die bisher ausschließlich anbewendeten Mittel: Maßregelung, Polizei und Gendarmerie hätten nur dann einen Sinn, wenn darauf zu rechnen wäre, daß die Bevölkerung sich dadurch werde abschreüen oder durch die Länge der Zeit werde ermüden lassen. Die Erfahrung lehrt aber das Gegentheil. Je schärfer der Druck, desto hartnäckiger wird derWiderstand, seineKraft ist von Tag zu Tag gewachsen". Nun fand in Graslitz überhaupt nur eine ziemlich harmlose Kundgebung gegen die Zuckersteuer statt, und ihr wurde sofort mit einer Gewalt entgegengetreten, die gar nicht gerechtfertigt war. Unglücklicherweise kamen die Arbeiter in diesem Augenblicke von einem Ausfluge zurück, und sie, die gar nichts wußten von den Demonstrationen der Deutschnatio nalen wurden von den Gendarmen aufs Korn genommen, und nun gab es Todte und Verwundete. Das war ein Mißver- sländniß, das nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist, obwohl selbst die Regierung — in diesem Falle die böhmische Statt halterei — die Ueberbriffe ihrer Beamten autzumachen sucht. So wurde der Leiter der Bezirkshauptmannschaft, Roth, sei- nesAmtesenthobcn und sofort aus der Stadt ent ernt, und in einem öffentlichen Aufruf kündigt der Bürgermeister von Graslitz an, daß zur Vermeidung weiteren Blutvergießens das Scharfschützenkorps, das Veteranenkorps und die städtische Feuerwehr die Besorgung des Wachdienstes übernehmen. K nun heute die Beerdigung der unschuldigen Opfer des Sonn tags (durchweg Arbeiter) stattfindet, hat sich doch die Statt halterei genöthigt gesehen, Militär nach Graslitz zu senden, das am Bahnhof lagert. Es gährt in ganz W e st b ö h m en; was in Asch, Graslitz und Eger vorkam, hat auch in Karlsbad Nach ahmung gefunden, und es wird endlich Zeit, daß in Oesterreich eine andere Regierung ans Ruder kommt. Deutsche als Re bellen gegen die Staatsgewalt ist in Oesterreich eine unbekannte Erscheinung, die seit den mittelalterlichen Bauernkriegen und der Protestantenzeit undenkbar war. Stets stützten die Deut schen das vielsprachige Reich, selbst wenn sie ihre eigenen Inter essen dabei schädigten. Was müssen also die österreichischen Ministerien der letzten zwei Jahrzehnte gesündigt haben, um diese loyalste aller Bevölkerungen zum offenen Äiderstande zn bringen? Die czechischen Sonderbestrebungen, die Sprachrn- Aeffie's Heirath. Roman von Heinrich Lee. (31. Fortsetzung u. Schluß. (Nachdruck verboten.) Ein dumpfer brummender Klang durch die blaue Luft, das Tamtam, das die Hotelgäste zum Mittagessen rief. „Nun komm", sagte der Oberst und er zog ihren Arm in den seinen. Leonie aber blieb noch stehen. „Sag' es mir", sprach sie —„ist nun Alles, Alles gut?" „Alles!" „Wie habe ich es nur verdient?" „Damit, Leonie, soll sich kein Glücklicher quälen und Du hast wahr und aufrichtig bereut. Das ist vielleicht genug." Sie gingen. Wie ein Brautpaar schritten sie dahin. Zum zlveitenMale scholl der Klang des Tamtam durch den Garten. Die blühende Erde breitete sich wie ein Paradies um sie. Oben am dunkelblauen Himmel stieg ein Falke über ihnen empor, bis er, nur noch ein schwarzes Pünktchen, im Aether ver schwand. Der Winter war wieder gekommen und es war Weihnachten geworden. Die schöne Villa des Oberst lag im Schnee gebettet, aber sie schaute so fast nur noch traulicher und behaglicher aus. -Aus den Fenstern, soweit sie nicht die Herabgelaffenen Rolljalou- sieen verschlossen, glänzte durch die schon sinkende Dämmerung Heller Lichterschein. Er kam aus dem Speisezimmer, wo aus dein wohlbekannten, schon festlich angerichteten Tisch fünf Ge decke lagen, das fünfte für Curt, der heut aus Berlin eintraf. Eine Thür öffnete sich und Leonie trat ein. Sie hatte diesmal, was die kleine Tafel betraf, noch ihre ganz besonders festlichen Anordnungen gegeben. Das alte Erbstück aus der Familie des Oberst, das Meißner Service mit den Bottengruberschen Malereien stand auf dem Tisch, — das ciselrrte silberne Fischbesteck, das er ihr am letzten Geburtstage geschenkt, und für den Champagner die neuen, im Licht des Kronleuchters blitzenden Diamantgläser. Dazwischen waren über den blendenden Damast Veilchen und Maiblöckchen, die Kostbarkeiten des Treibhauses, gestreut. Leonre sah, daß Alles gut war. Geräuschlos öffnete sich abermals die Thür. Ein Arm legte sich um Leonie und sie erschrak nicht, sie wußte, wer es war. „Das sieht ja aus", scherzte der Oberst — „als ob wir heute Wunder wen erwarten." „Das ist auch so, Hermann", lächelte sie ihn an — „heute erwarten wir den ersten Weihnachtsabend, der uns Eins sieht." Aus dem Vestibül erklang die Klingel. Es waren Brockstreeks. „Wo habt Ihr Curt gelassen?" fragte Leonie. „Er kommt nach", ecrwiderte Steffie, deren geröthetes, blühendes und lachendes Gesichtchen jetzt aus dem Pelz, aus dem ihr Brockstreek half, zum Vorschein kam — „er wollte noch schnell ein paar Einkäufe machen. Wir konnten es ihm nicht ausreden." Man trat ins Zimmer. „Was ist denn heute mit Deinem Manne los", fragte der Oberst — „der sieht mir ja so curios aus und reden thut er auch nicht." Steffie wurde noch röther und Brockstreek, indem er seiner jungen liebreizenden Frau einen Blick verzehrender Liebe zu warf wie ein schwärmerischer Primaner, antwortete jetzt mit froher Miene: „Herr Oberst, das sind Familiengeheimnisse!" „Alle Wetter!" fuhr der Oberst auf. Und Leonie barg Steffies erglühenden Kopf an ihrer Brust. Das war Brockstreeks Weihnachtsgeschenk, das ihm Steffie vorhin in der Dunkelheit, als sie ihr Haus verließen, ins Ohr geraunt hatte. „Von Curt werdet Ihr auch etwas erfahren!" bemerkte dann Steffie, nachdem sie sich aus Leonies Umarmung freigemacht hatte. Natürlich wollte man sich bis zu Curts Ankunft nicht ge dulden, Steffie mußte beichten. Die große Neuigkeit bestand in nichts Geringerem als darin, daß Curt in Berlin eine junge Dame hatte kennen lernen, an die er sein Herz verloren hatte und da Alles in schönster Ord nung war, so war er fest entschlossen, das zu thun, was auch andere junge Leute unter solchen Verhältnissen ja thun, nämlich sich mit ihr zu verloben und sie zu heirathen. Mögen sich die lieben Leser selbst ausmalen, was diesen Worten Steffies folgte. Während sich dann der Oberst, von Brockstreek, der es sich nicht nehmen lassen wollte, begleitet, in den Keller begab, wo er unter einem besonderen Verschlusse, zu dem er allein den Schlüssel führte, seine große Rarität, einen Johannisberger Schloßabzug vom Jahre 1862 stehen hatte, den er sich prinzipiell nur für die großen Augenblicke, die im Leben vorzukommen pflegen, verspürte, sagte Leonie, nachdem die Herren sie beide allein gelassen hatte, zu Steffie, indem sie ihre Hände ergriff: „Du kannst nicht wissen, Steffie, welche Freude mir diese Nachricht über Curt macht." „Doch, Leonie, ich weiß es," antwortete Steffie mit Be deutung. „Allen Segen über ihn!" Die Herren kamen mit den Flaschen, aus denen der dunlle Bodensatz hervorsah und die erst gründlich umgegossen werde« wollten, zurück und wieder scholl die Klingel durchs Haus. „Curt!" Sie eilten ihm Alle entgehn. Erst aber als sie ihn drin rm Saale hatten, unter dem KrE leuchterlicht, zeigte es sich, wie gut das Kommando für ihn av geschlagen war. Er'sah froh und männlich geworden aus und küßte Leon« mit einer so unbefangenen Ritterlichkeit die Hand, daß von dn alten Schüchternheit an ihm nichts mehr zu merken war und daß ein Jeder nun begreifen mußte, wie fremde junge Damrn sich in ihn verlieben konnten. Der Oberst erklärte sogar, sich „soviel" von dem Kommando für ihn gar nicht erwartet zu haben. Dann ging eine Thür auf und sie traten unter den duften den, lichterstrahlenden Baum und dann ging es zu Tisch. A s aber erst der edle goldne Tropfen in die grünen Römer floß, stand der Oberst von seinem Sitze auf und sagte, weil er as Regimentskommandeur sich nun einmal gerne sprechen hörte: „Das Glas »vollen wir trinken auf die unsichtbaren MiM über uns, denen all' unser Thun und Treiben am Ende doch empfohlen bleiben muß. In Dankbarkeit und Demuth wollen wir es leeren und in Hoffnung! Daß sie uns ihre Huld und Gunst bewahren — heute und immer!" Die Gläser erklangen. Von ferne läuteten die Weihnachts glocken, die den Frieden kündeten, den Gott auf die Erde ge sandt — und Glocken und Gläser tönten in Eins zusammen.
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