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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 02.08.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-08-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189908025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18990802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18990802
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-08
- Tag 1899-08-02
-
Monat
1899-08
-
Jahr
1899
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 02.08.1899
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^S17? Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Sette 2. — 2. August. ist di« leidig« Thatsache, daß in diesem Falle die Nothlage de^ Arbeitgebers auch noch durch Vermittler in jeder irgend straf freien Art und Weise ausgebeutet wird. Um den Schlesischen Bahnhof in Berlin herum ist ein Agententhum anzutreffen, das für die Nachweisung einer Hand voll Leute Vermittlungsgebühren sich bezahlen läßt, die mindestens zu der Leistung des Vermittlers in gar keinem Verhältniß stehen. Namentlich dann nicht, wenn man die Leute sich genau betrachtet, die ein solcher Vermittler de« großen Gütern im weiteren Umkreis von Berlin zuführt. Im Osten ziehen die Arbeitskräfte ab, um in die großen Städte Her doch nach Möglichkeit in ihre Nähe zu gelangen. Dort im Miten erleiden deshalb die Ernte-Arbeiten vielfach einen Aufschub, der dem Besitzer zu schwerem Schaden gereicht. Wo aber die Landflüchtigen des Ostens wieder Arbeit nehmen, steht zunächst der gewerbsmäßige Arbeitsvermittler in, Wege, und der Arbeit geber ist nicht im Stande, diese Arbeitskräfte zu erreichen, ohne daß er vorher seine Wirthschafts- und Produktionskosten erheblich belastet hat. Und je größer die Noth an Leuten, desto größer die Provisionsgebühr für jeden vermittelten Arbeiter. Das ist deun doch ein Uebel, das beseitigt werden könnte. Die Novelle zur Gewerbeordnung, mit der zur Zeit der Reichstag befaßt ist, regelt ja das Gesindemaklerwesen in zweckmäßiger neuer Weise. Aber den ländlichen Arbeitsnachweis auf gemeinnütziger Grund lage zu organisiren, kann nicht Sache des Staates, sein; hier könnten indessen die Kreise und Städte mit Hilfe der Landwirth- schaftskammern und vielleicht auch mit Hilfe der Provinzen die erforderlichen Einrichtungen treffen. Durch die Presse ist in der letzten Zeit der Bericht über ein angebliches Interview mit dem amerikanischen Admiral Dewey in Triest gegangen, den wir überhaupt nicht erwähnten, weil er von vornherein unglaubhaft erschien und ganz im Sinne der früheren Entstellungen angeblich deutschfeindlicher Aeußerungen Deweys gehalten war. Nach einem Telegramm der „New-Porl World" aus Triest bemerkte Admiral Dewey, als ihm das Inter view gezeigt wurde, das die angeblich von ihm gethane Aeußerung enthält, der nächste Krieg Amerikas werde mit Deutschland sein, er habe keine Zeit, alles dumme Zeug und alle Lügen, die seit seiner Ankunft in Triest über ihn gedruckt wurden, zu bestätigen Her zu dementiren. (Nach einer Meldung des stets deutsch feindlichen „New-Dork Herold" aus Triest sollte Admiral Dewey an Bord der „Olympia" auf die Frage eines Interviewers, was Deutschland auf den Philippinen suche, geäußert haben: „Es will lediglich verhindern, daß Andere von dem, was Deutschland nicht haben oder behalten kann, Besitz ergreifen. Unser nächster Krieg wird mit Deutschland sein. Wir haben keinerlei freundliche Akte feiten- Deutschlands zu verzeichnen. Admiral Diederichs wurde abberusen, nicht um uns Genugthuung zu geben, sondern weil seine Zeit um war und weil seine Abberufung dem allgemeinen deutschen Plane entsprach." „Aber Prinz Heinrich?" fragte der Interviewer. „Er hat genau den Charakter seines Bruders," antwortete Dewey. Dann von Samoa sprechend, sagte er: „Unser natürlicher Alliirter ist England. Die kleinen Differenzen wegen der Venezuela-Grenze und des Fischereirechtes beigelegt werden.") Das Gesuch der katholischen Schulvorstände in Vtsrsen, den wegen feiner Bismarck-Lästerungen bekannten Pfarrer Richen wieder als Schulinspektor einzusetzen, hat die Düsseldorfer Regierung zurückgewiesen. Oesterreich-Ungarn. Die Angst vor dem deutsche» Kaiser. Vor einigen Jahren kam ein österreichischer Statthalter, der sein« Provinz bereiste — so erzählt der österreichische Reichs- rathsabgeordnete vr. Ernst Beyreuther in dem Kampfblatt „Odin" — in die Stadt N., die eine geräumige, schöne Turn halle erbaut hatte. Er besichtigte die Schule. Ehrerbietigst wurde die Exzellenz begrüßt, patriotische Lieder ertönten aus den jungen Kehlen, ein wohlgefälliges Schmunzeln ergoß sich über das Antlitz des Statthalters. Plötzlich legten sich schwerc"Falten auf seine landesbekümmerte Stirn. Flüchtig umherschweifend waren seine Blicke auf einen Gegenstand gestoßen, dessen Entdeckung ihn in solche Unruhe versetzte, daß er sich kaum mehr Hinzuschauen traute. Er verabschiedete sich von dem Direktor mit Aeußerungen des Lobes über das Verhalten der Schuljugend, fügte aber sehr ver stimmt und tadelnd hinzu: „Herr Direktor, das kann ich unter keinen Umständen dulden, daß in dem Turnsaale der Schule die Büste des Kaisers Wilhelm aufgestellt bleibt." — „Die Büste des Kaisers Wilhelm?" frug erstaunt der Direktor. „Sie irren, Exzellenz, das ist ja die Büste unseres Turnvaters Jahn." „So, so," erwiderte der Statthalter, „hat von Weitem merkwürdige Aehnlichkeit mit dem deutschen Kaiser. Und übrigens auch ein Preuße, dieser Jahn, gehört ebenso wenig in österreichische Schule. Am Ende wollen Sie auch noch dem Bismarck ein Denkmal in Oesterreich errichten!" Die Protestbewegung in Oesterreich geht unaufhaltsam weiter, in die Breite und in die Tieft, und ohnmächtig sind alle Mittel, sie zum Stillstände zu bringen. Und diese Mittel? Lange Spalten der amtlichen „Wiener Zeitung", gefüllt mit Beschlag nahmen, Erkenntnissen gegen Zeitungen, die Sistirung von Gemeinderathsbeschlüssen, Versammlungsverbote, Auflösung von Vereinen und Versammlungen, Straßentumulte, bei denen das Einschreiten, Ein hauen und Einreiten der Polizei in Wien eine Hauptrolle spielt, in der Provinz das Aufgebot von Gendarmen bei jeder politischen Veranstaltung — dies sind die Regierungs künste eines Systems, das vom § 14 lebt. Wie verschwenderisch diese österreichischen Hausmittel jetzt angewendet werden, zeigt schon der Umstand, daß die „Wiener Zeitung" in den drei letzten Tagen hundertvierzehn Beschlagnahme-Erkenntnisse gegen Zeitungen veröffentlichte!! Die Widerstandsbewegung gegen die neue Zucker st euer brachte auch am Sonntage eine stattliche Reihe von Kundgebungen, namentlich in Nieder- und Oberösterreich und Dcutschböhmen. Die Wiener Zuckerbäcker sind von dem geplanten Demonstrationsumzuge durch die Straßen der Stadt abgekommen, dagegen wird der Gedanke erwogen, eine Abordnung ans kaiser liche Hoflager nach Ischl zu entsenden. — Der deutsch-fortschritt liche Abgeordnete vr. Pergelt sprach am Sonntag in einer massenhaft besuchten Versammlung in Warnsdorf gegen den Ausgleich, nach ihm der christlich-soziale Landtagsabgeordnete Pater Opitz. Eine zweite Versammlung in Rumburg, wo Pergelt gleichfalls Bericht erstatten sollte, wurde wegen lärmender Vorsälle ausgelöst. — In Kornenburg fand unter freiem Himmel eine Volksversammlung gegen die vom Landtage beschlossene Wahlreform statt; der Hauptredner Preißl sagte: „Wir sind bessere Christen als Lueger. In Deutschland würde man dieser Partei offen sagen: ihr seid eine Schande für das Christenthum". — In Boryslaw wurde trotz behördlichen Verbotes eine Arbeiter- Versammlung gegen die mittels Nothverordnung ausgeschriebenen Steuern abgehalten, der Straßenkundgebungen folgten. — An einer Arbeiter-Versammlung in Przemysl nahmen 2000 Personen theil. Die Versamnilung wurde, kaum daß der Arbeiterführer Liebermann em Paar Worte gegen die Regierung, den Grafen Thun und die Steuern gesprochen hatte, ausgelöst. Die Menge lief sodann gegen den Ringplatz, wurde jedoch von der Polizei mit blanker Waffe zerstreut. Soeben hat der Gemeindeausschuß von Villach (Kärnten) beschlossen, die Schulstraße, die schönste Straße der Stadt, künftig „Bismarck-Straße" zu nennen. Damit hat sich das wackere Villach in die nicht mehr so kltine Zahl der deutsch österreichischen Städte gestellt, die dem Namen des größten Deutschen eine Ehrung erweisen. Schweiz. Ueber die Friedenskonferenz macht ein Wort des schweizerischen Obersten Künzli die Runde. Die schweizerische Regierung hat das Wort obleugnen lassen. Es soll ^lautet haben: Der größte und dümmste Schwindel deS Joh» Hunderts! Frankreich. Einem Mitarbeiter der „Aurore" sagt Zola, der in seiner Sommcrvilla zu Medan wohnt: Er werde nicht nach Rennes kommen, obwohl ihm mehrere Einladungen von dortigen Ein wohnern zugingen, weil er auch den Schein vermeiden wolle, als ob er über das günstige Urtheil des Kriegsgerichts Zweifel hegen könnte. Zola versichert, daß er niemals über die Dreyfus-Affaire schreiben werde; man habe ihm in England unglaubliche Summen angeboten und ihn nach Amerika zu Vorträgen eingelade»; er lehnte alles ab. „Die Ausbeutung der Dreysus-Affaire durch mich," sagte er, „wäre gemein und niedrig; sie gehört der Geschichte an und ist so fesselnd tragisch, wie man sie aus der Bühne nie sehen kann. Um ei» Theaterstück daraus zu machen, müßte man ei» romantisches Stück zufügen; das würde ihren Charakter beeinträchtigen. Ich werde also nie einen Roman oder ein Stück schreiben. Vielleicht aber könnte ich mich entschließen, einmal auf wenigen Seite» meine persönlichen Eindrücke z« resumiren als Beitrag zur Geschichte. Ich würde diese Bläu« den Schriftstellern vermachen, die etwa nach fünfzig Jahren dje Affaire studiren wollen. Der „Figaro" veröffentlicht einen Brief deS verstorbene» Obersten Sandherr an den damaligen Chefredakteur des „Echo de l'armüe" Tivry vom 5. Januar 1895, in welche« Sandherr diesen auffordert, keinen Artikel über Geständnisse des Dreyfus zu veröffentlichen. Dreyfus habe keine Geständnisse gemacht, es sei daher von Geständnissen des Dreyfus nichts zu halten und dieselben könnten dem Proteste desselben nicht gegen übergestellt werden. Weiter veröffentlicht „Figaro" einen Brief des Kapitäns Freystätter, Mitgliedes des Kriegsgerichts von 1894, in welchem dieser den Kassationshof ersucht, ihn zu verhören. Freystätter bittet in diesem Briese den Präsidenten des Kassationshofes, man möge ihm Gelegenheit geben, sich mit seinem Gewissen bezüglich des Prozesses von 1894 auseinander zusetzen. Er hoffe, der Präsident werde die ernsten Erwägungen begreifen, welche ihn zu seinem Vorgehen bestimmten. Die Aus sage Freystätters ist auf einen Punkt beschränkt. Er giebt an, Henry habe bei seiner ersten Vernehmung behauptet, daß DrcyfuS schuldig sei, ohne daß er jedoch andere Zeugenschasten als die seinige dafür anführte. Bei seiner zweiten Vernehmung habe Henry versichert, eine ehrenhafte Persönlichkeit, deren Namen er nicht nennen wolle, wisse, daß Dreyfus dem Auslande Dokumente ausgeliefert habe. Zugleich habe Henry auf eine Bemerkung des Majors Galtet erklärt, es gebe gewisse Geheimnisse eines Offiziers, die dessen Käppi nicht wissen dürft. Diese Erklärung, sagte Freystätter, habe auf ihn großen Einfluß ausgeübt und ihm die Haltung Henrys gegenüber Dreyfus erklärlich gemacht. Die Üeberzeugung von der Schuld des Dreyfus sei durch die Aus sagen zweier Schriftsachverständigen herbeigeführt worden, welche das Bordereau mit Bestimmtheit Dreyfus zuschrieben. Nachdem die von zwei anderen Schriftsachverständigen dargelegten graphischen Unähnlichkeiten von Bertillon erklärt worden waren, habe das Bordereau in den vier Sitzungen des Kriegsgerichts die einzige Grundlage der Anklage gebildet. Außerdem veröffentlicht der „Figaro" die Aussage Löpines, welcher den Verhandlungen des Kriegsgerichts 1894 als Polizei präsekt beiwohnte, und einen von der Polizeipräfektur (Abtheilung für Spieldienst) verfaßten Bericht betreffend Dreyfus., In Ler Aussage des Polizeipräsekten Lepine heißt es, die Verhandlungen deS Kriegsgerichts hätten keinen besonders feierlichen Charakter gehabt, vielmehr sei die Vernehmung ihm hohl erschienen. Der Angeklagte habe durch seine Haltung keine Sympathien erweckt und habe Alles geleugnet. Bisweilen habe sein Gesicht sich krampfhaft verzogen, doch sei kein Ruf der Entrüstung oder Bewegung laut geworden. Drei Thatsache» machte» ans Lepine besonderen Eindruck: Zuerst die Aussage Henrys, welcher auf ihn Steffie's Heirath. Roman von Heinrich Lee. (11. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) So hatte bei seinem so plötzlichen Anblick auch Leonies Antlitz im ersten Moment ausgesehen. Nur aber einen Moment. „Rette Dich" schrie ihr eine Stimme zu. Nun spielte ihr altes, unbe fangenes Lächeln wieder um ihre Lippen. „Du kommst gerade zur rechten Zeit", sagte sie — „Herr von Brockstreek hat sich um Steffie's Hand beworben. Ich habe ihm zur Antwort gegeben, daß nächst Dir Steffie selber sich über ihren künftigen Gatten zu entscheiden habe, daß ich meinerseits aber ihm kein Hinderniß entgegensetze. Herr von Brockstreek ist in seiner Dankbarkeit sehr stürmisch. Es ist also kein Zweifel, daß er in Steffie sich recht ordentlich verliebt hat." Leonie verkündigte diese frohe Botschaft mit soviel guter Laune, daß es für den Oberst, nachdem er nun wieder sich selbst zurückgewonnen hatte, eigentlich räthselhast sein mußte, in welcher eigentümlichen Haltung Brockstreek vor ihm stand. Er schien ganz verworren und betäubt zu sein. „Nun, das freut mich, Brockstreek," sagte er, trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand, „ich hätte Ihnen," fuhr er in jovialem Tone fort — „eine so vernünftige und gute Wahl nicht zugetraut. Fragen Sie nur meine Frau — das muß ich Ihnen offen be kennen. Auch ich gebe Ihnen gern meine Einwilligung. Es wird nun nur noch auf Steffie selber ankommen. Das Beste ist, wir fragen sie gleich auf der Stelle selbst. Dann ist gleich Alles in Ordnung. Ist Steffie zu Hause?" Diese Frage war an Leonie gerichtet. „Ich will nach ihr sehen," erwiderte sie — „und finde ich sie, dann bringe ich Ihnen, Herr von Brockstreek, ihre Antwort." Während der Oberst mit Brockstreek, dem der Schweiß aus der Stirn stand, im Salon zurückblieb, begab sich Leonie nach Steffies Zimmer hinauf. Vor der Thür blieb sie erst erschöpft noch einmal stehen. Was war geschehen? Was hatte sie gethan? Es war zum Nachdenken jetzt keine Zeit. Dann klopfte sie. Verstört in der Meinung, daß es ein Dieustbote war, öffnete Steffie. Als sie Leonie erblickte, wollte sie, die Hände vor das Gesicht schlagend, in einen Winkel sich flüchten, aber Leonie hielt sie fest. Es zuckte ihr durch den Sinn, daß Steffie ihr Opfer nun geworden war, wenn auch ein festlich bekränztes, das selbst nichts davon wußte, daß es ein Opfer war. Im Gegentheil, wurde ihr das Glück, dem sie wie der Sonne nicht einmal ins Gesicht hatte sehen können, so blendend war sein Schein für sie gewesen, nicht in einer märchenhaften Art und Geschwindigkeit jetzt plötzlich erfüllt? Wenn Brockstreek seine künftige Frau nicht liebte, wenn er nach Allem, was geschehen war, sie, die bisher für ihn so gleichgiltig wie ein Staubkorn gewesen, nur noch hassen konnte — an all' das jetzt zu denken, war nicht die Zeit. „Herr von Brockstreek ist gekommen, Steffie," sagte Leonie — „und weißt Du, was ihn hergeführt hat? Er hat um Deine Hand angehalten. Er wünscht Dich zu seiner Frau!" Steffie zuckte heftig zusammen. „Nun verspottest Du mich noch!" flüsterte sie klagend. „Was Du redest! Er wartet! Ich komme zu Dir, um ihm Deine Antwort zu bringen oder wenn Du willst, so gieb sie ihm selbst." Langsam löste sich Steffie von ihr los. Als verstünde sie nicht, was Leonie zu ihr sagte, so sah sie zu ihr auf. Sie strich sich über die Stirn, blickte sich im Zimmer um und sprach dann: „Nun träume ich. Oder, Leonie, ich habe meinen Verstand verloren!" Leonie zog sie noch einmal an sich. „Du träumst nicht, Steffie, und Du hast auch Deinen ge sunden Verstand. Du sollst Dich entscheiden, ob Du die Werb ung Herrn von Brockstreeks annehmen willst! Es ist so, wie ich Dir sage, er will Dich zu seiner Frau!" Noch immer wartete sie vergeblich, daß Steffie in einen Frendenjubel ansbrechen würde. Als Steffie wieder ihr Gesicht erhob, stand ein müdes bitteres Lächeln darauf. „Ich weiß, wie Ihr cs gemacht habt", sagte sie — „Ihr habt ihm Alles erzählt, daß die Leute über ihn und mich reden! Ihr habt ihn gezwungen!" Sie konnte nicht daran glauben, sie wollte sich nicht belügen lassen. „Welche Thorheiten von Dir", sagte Leonie jetzt heftig — „ich werde ihm also mittheilen, daß Du Dich besinnen, daß Du Dir es überlegen wirst!" Und noch einmal richteten sich Steffie's Augen auf sie. Dann warf sie sich an ihre Brust und ein Schrei brach von ihren Lippen. „Leonie!" Leonie strich ihr über daS blonde Haar. „Soll ich's ihm sagen oder willst Du eS selbst thun?" fragte sie. „Du!" tönte eS kaum hörbar zu ihr herauf. „Soll er Dich nicht sehen?" „Nicht jetzt." „Nachher?" „In!" „Gut. Ich lasse Dich allein. Du wirst zu Dir kommen und vernünftig werden. Dann hole ich Dich." Als Leonie nnten in den Salon zurückkehrte, stand der Oberst soeben im Begriff, da die Ordonnanz mit der Diensttasche ge kommen war, sich in sein Arbeitszimmer zu begebe». „Ich gratulire Ihnen, Herr von Brockstreek," sagte Leonie — „ich bringe Ihnen Steffies Jawort. Sie ist nur noch sehr aufgeregt. Wenn sie sich beruhigt hat, sollen Sie es noch selbst von ihr bekommen." Brockstreek versuchte eine glückliche Miene aufzusetzen und seinen Dank auszusprechen. „Was Sie bloß für ein Gesicht machen", sagte der Oberst mit guter Laune — „ich hätt' mir Sie nun, Brockstreek, als glücklichen Bräutigam ganz anders vorgestellt. Das kommt wohl aber noch!" Er verabschiedete sich und Beide waren nun wieder allein. „Ich hoffe," nahm Leonie zuerst das Wort, „Sie sehen nun das, was Ihre Pflicht ist, sich klar vorgezeichnet." Der Maske bedurfte er nun nicht mehr. Finster und zerknirscht stand er vor ihr. „Was haben Sie gethan!" sagte er. „Das Einzige, was mir übrig blieb, um Sie und mich zu retten. Danken Sie es meiner Geistesgegenwart!" Er lachte höhnisch. „Und ich — ich bin das Opfer." „Sie sind der Schuldige." Sie sprachen flüsternd und halblaut. „Einer wahnsinnigen Komödie wollen Sie mich überliefern," fuhr er fort — „mein Leben wollen Sie vernichten. Und wenn ich mich weigere — noch jetzt?" „Dann wird mein Mann die Wahrheit erfahren." „Die Wahrheit. Ich habe Ihnen nur die Hand geküßt. Das ist mein ganzes Verbrechen." „Es kommt wohl auf das Wie dabei an." „So mag er mich lieber niederschießen — als das!" „Und ich ? Oder komme ich für Sie nicht in Betracht? Die Wahrheit? Nein, ich branchte sie nicht vor ihm zu scheuen. Wird er mir aber noch glauben — noch jetzt?" Sie zischte es ihm zu. Er begriff in diesem Augenblicke nicht mehr, wie er sich zu seiner Tollheit überhaupt hatte Hinreißen lasse» können. Wo war der Wahnsinn seiner Leidenschaft geblieben? Wie auf dem Felde der erste Batterieschuß den morgentlichen Nebel zerreißt, so war auch seine Leidenschaft mit einem Schlage jetzt verraucht, ver rauscht. Nur eine Frau, wie andere, stand ihm noch gegenüber — eine Frau, der er sein Unglück, das seines ganzen LebenS, dankte und für die in seiner Brust nur noch das Gefühl des Vernichteten gegen seinen Vernichter Platz finden konnte. „Es ist geschehen," sagte sie und ihr Ton war ruhiger und kalt — „thun wir, was uns zu thun noch übrig bleibt." Keine Möglichkeit baute sich rettend mehr vor ihm auf — jetzt, »ach dem, was geschehen war, jetzt nicht mehr. Oder — er gab sie preis, diese Fra», da»» aber war er ei» Schurke. „Warten Sie hier," gebot sie — „ich werde Steffie holen." Sie ging und er blieb mit sich allein. Seine Gedanke» flöge» der, die sie ihm holen wollte, entgegen. Das also war seine zukünftige Frau. Diese war es, der er sich aufgespart hatte. Das war das Ende. Er meinte, ein schallendes Hohngelächter um sich zu hören... Mit welcher Miene er ihr entgegentreten sollte? Was sollte er ihr sagen? Er fühlte, wie diese lächerliche Kleinigkeit in diesem Augen blick für ihn das Wichtigste wurde, wie er ihr wortlos, rathlos gegenüberstehen würde, statt die Komödie, zu der er nun für sein Lebelang verurtheilt war, gleich ins Geleis zu bringen. Die Welt würde sich sagen, daß er eine Vermmftsheirath cingegangen war, noch vorausgesetzt, daß dieses Mädchen reich war. Eine Vernunftshcirath und es war Tollheit. (Forts, folgt.)
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