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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 10.08.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-08-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189908107
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18990810
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18990810
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-08
- Tag 1899-08-10
-
Monat
1899-08
-
Jahr
1899
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 10.08.1899
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184 Freiberger A«zeiger ««d Tageblatt. Seite 2. — 1V. August. 18»» geblieben. Selbst mit dem rascheren Tempo, welche- seinem Schiffneubau durch das Flottengesetz gegeben, bleibt es auch für absehbare Zeit hinter der russischen Ostseeflotte zurück. Das neuere deutsche Material ist gut, wenn auch nicht von der grüßten Art, Instandhaltung desselben und Ausbildung des Personals steht der englischen nicht nach. In den acht Küstenpanzern der „Siegfrieds-Klasse besitzt die deutsche Marine Schiffe, welche durch ihre Gesammteinrichtung und ihre See-Eigenschaften zur Ver wendung in allen Meeren geeignet wären, wenn es ihnen nicht an Kohlenfassungsvermögen, somit genügendem Aktionsradius mangelte. Ein Durchschneiden im Nullspant und eine Ver längerung derselben würde aus diesen minderwerthigen Küsten- vercheidigern ein nicht zu verachtendes Hochseegeschwader machen. Sie würden wahrscheinlich unter Beibehaltung ihrer jetzigen Maschine» nicht einmal an Geschwindigkeit einbüßen. Mit Kreuzern wird die deutsche Marine auch nach vollständiger Durch führung des Flottengesetzes und selbst unter Zugrundelegung der für dasselbe maßgebenden Motive ungenügend versehen sein. Zur Zeit sind fast alle gebrauchsfähigen Kreuzer in Dienst, für die Flottenmanöver sind nicht genügend vorhanden. Die Indienst stellung eines Uebungsgeschwaders von Kreuzern, wie es doch analog dem Uebungsgeschwader von Panzerschiffen zur Vor bildung für den Krieg sehr wünschenswerth wäre, liegt noch in unabsehbarer Ferne. Die in wenigen Wochen bevorstehende Nebernahme der Marianen-, Karolinen- und Palaosinseln durchdieReichS- regierung wird sich an Ort und Stelle ohne besonders große Feierlichkeit abfpielen, da mit der Flaggenhissung nur das kleine Kanonenboot „Jaguar" betraut ist. Bei der Feierlichkeit der Flaggenhissung im neuen deutschen Gebiet wird der „Jaguar" von seiner nur 120 Mann starken Besatzung kaum mehr als 50 Mann an Land setzen können, während die kleinen Schnellladekanonen des Fahrzeuges den Salut geben werden. In Vertretung der Manne wird der Kommandant des „Jaguar", Korv.-Kapitän Kinderling, und einige Offiziere des Fahrzeugs der Feierlichkeit beiwohnen, von denen sich Kapitän-Leutnant Wedding, die Ober leutnants Bach und Franck und die Leutnants Ritter v. Wächter und Pochhammer an Bord de? Kanonenboots befinden. Da der „Jaguar" nach vorliegenden Meldungen erst gegen Ende November die chinesischen Küsten erreicht haben wird, so soll das Schiff noch der Flaggenhissung auf den Hauptinseln des Archipels auch noch eine erste Rundreise in diesen unternehmen. Das neue Weingesetz ist nun im Entwurf fertig. ES enthält in 16 Paragraphen folgende wesentliche Bestimmungen, die im Vergleich zu dem jetzt geltenden Recht fast durchweg Ver schärfungen bedeuten: Wein im Sinne des ueuen Gesetzes ist das durch alkoholische Gährung aus dem Safte der Weintrauben mittelst solcher Verfahren oder Zusätze hergestellte Getränk, welches als eine Verfälschung oder Nachahmung nicht anzusehen ist. Die gewerbsmäßige Herstellung der Trester-, Rosinen- und Hefewrine ist verboten, ebenso di« Bereitung von Kunstweinen mittelst Säuren und Essenzen (als Benzoesäure, Borsäure, un reiner Sprit, unreiner Stärkezucker u. a.). Als Verfälschung oder Nachahmung ist nicht anzusehen: 1) Die anerkannte Kcller- behandlung einschließlich der Verwendung von Reinzuchthefen. 2) Die Vermischung (Verschnitt) von Wein mit Wein. 3) Die Entsäuerung mittelst reinen gefällten kohlensauren Kalks. 4) Der Zusatz von technisch reinem Rohr-, Rüben- oder Invertzucker, technisch reinem Stärkezucker, auch in wässeriger Lösung. Jedoch darf ein solcher Zusatz nur erfolgen, um den Wein zu verbessern, ohne seine Menge erheblich zu vermehren. Auf Schaumweine finden die erwähnten Bor- ichriften keine Anwendung. Jedoch darf Schaumwein, welcher nicht mittelst Gährung auf der Flasche hergestellt ist, nur mit der deutlichen Inschrift „Kohlensäurezusatz" auf der Flasche und in den Preislisten oder sonstigen Angeboten feilgehalten oder verkauft werden. Sehr einschneidend ist ferner die Bestimmung des tz 8, wonach die Beamten der Polizei und die von der Polizei behörde beauftragten Sachverständigen befugt sein sollen, in di« Räume, in denen Wein, weinhaltige oder weinähnliche Getränke gewerbsmäßig hergestellt, aufbewahrt, feilgehalten oder verpackt werden, jederzeit einzutreten und daselbst Besichtigungen vorzu nehmen, auch nach ihrer Auswahl Proben zum Zwecke der Unter suchung zu entnehmen, eine Bestimmung, durch welche gewisser maßen die Kellerkontrolle eingeführt wird. — Auch die Straf bestimmungen sind schärfer, als die gegenwärtig geltenden Gesetze. Bei vorsätzlichen Zuwiderhandlungen kann neben Gefängnißstrafe bis zu fünf Jahren auch auf den Verlust der bürgerlichen Ehren rechte erkannt werden. Bei fahrlässiger Zuwiderhandlung ist aus Gefängniß bis zu sechs Monaten neben Geldstrafen zu erkennen. Auch kann in gewissen Fällen auf Einziehung der Getränke er kannt werden. Die Korrektur des ReichStags-StenogrammS. Den „M. N. N." zufolge verlautet, Bureau-Direktor Knack habe den Präsidenten Grafen Ballestrem wegen der bekannten Steno grammänderung um Verzeihung gebeten. Der Präsident habe sich damit zufrieden erklärt. Die Sozialdemokraten wollten aber die Angelegenheit in der ersten Sitzung des GesammtvorstandeS nach Zusammentritt des Reichstages zur Sprache bringen. Oesterreich-Nngarn. Der Abgeordnete Wolf befindet sich dem großen Blutverlust entsprechend wohl. Die glatte Wundheilung wird in etwa acht Tagen erwartet. Der Ver wundete bringt die Zeit mit Lesen zu. Am 13. August beab sichtigt Wolf in Arnau zu sprechen. Drei katholische Priester aus Oe st erreich auf einem thüringischen Gustav Adolf-Feste. Man schreibt der „Tgl. Ndsch.": In der Nähe des zur Parochie von Pfarrer Lic. Bräunlich gehörigen Ortes Rockau fand Sonntag, den 30. Juli, ein Waldfest des Gustav Adolf-Vereins statt, bei dem in der Nachvcrsammlung unter der gespanntesten Aufmerk samkeit der aus weitem Umkreise zusammengeströmten Festbesucher drei Oesterreicher Ansprachen hielten, die bis vor Kurzem noch katholische Priester waren. M. Bayer, bis Pfingsten d. I. katholischer Priester in Eibeswald (Steiermark) und in Graz zur evangelischen Kirche übergetreten, sprach aus eigener Anschauung und Erfahrung über die Los von Rom-Bewegung in Oesterreich und deren Beurtheilung in klerikalen Kreisen, wobei er erzählte, daß er manchen Glückwunsch erhalten anläßlich seines Uebertritts — auch aus dem Kreise seiner früheren Standesgenossen. Joh. Petran, der aus dem Salzburgischen stammt, dem Lande so vieler evangelischen Zeugen und Dulder, stellte evangelische Toleranz und katholische Intoleranz wirkungsvoll einander gegenüber. Als Dritter sprach Jos. Jaworski aus Galizien, der siebzehn Jahre lang dem Jesuitenorden angehört hat und mit Vorliebe als „Missionar" ausgesandt wurde. In packender, bilderreicher Rede erörterte er die Frage: „Warum muß den übertretenden katho lischen Priestern Hilfe gebracht werden?" Er erklärte, ein Asyl sür übertretende Priester schon vom Standpunkte der allgemeinen Menschenliebe aus für dringend nöthig. Bei dem großen Mangel an Entgegenkommen seitens der Protestanten, die immer gleich den Vorwurs der „Proselytenmacherei" fürchteten, der den Römischen nie Skrupel mache, müßten viele nach evangelischer Wahrheit und Freiheit ringende Priester ihr Ideal als unerreich bar fahren lassen. Aus diesen drei Ansprachen klang die dank bare Freude von Col. 1, 12—13 (Danksaget dem Vater, der uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsterniß) deutlich heraus; der eine der neuen Glaubensgenossen bekannte es freudig: „Jetzt fühle ich mich wohl, jetzt glücklich, jetzt habe ich den Friede» ge funden, den ich so lange gesucht." — Eine Tellersammlung sür den Gustav Adolf-Verein ergab an 200 Mk., ein hier zu Laud« noch nie erreichter Ertrag. Der Arbeiter Kube, welcher in Prag in der Nacht des 8. Mai den Studenten des Rechts Rohm« durch sechs Messerstiche verwundete, wurde vom Bezirksgericht Smichow zu vierzehntägigem Arrest, Zahlung von 100 Gulden Schmerzensgeld, sowie weiteren 75 Gulden Entschädigung für verdorbene Kleider rc. verurthcilt. Frankreich. Der „Cri de Paris" erzählt, wie die Advokaten Demange und Labori dazu kamen, die Vertheidigung von Dreyfus zu übernehmen. Im Jahre 1894 wandte sich die Familie Dreyfus zuerst an Waldeck-Rousseau. Dieser hatte aber kurz vorher den Prozeß Legay vor dem Schwurgericht verloren und sich das Wort gegeben, keine Kriminalfälle mehr zu plaidiren. Er lehnte daher ab und empfahl seinen Freund Demange. Dieser hatte zwar den Mörder Wladimiro vertheidigt, wo Dreyfus Zeuge der Gegen partei war, aber er übernahm dennoch die von Waldeck abgelehnte Aufgabe, weil ihm der Fall große Theilnahme einflößte. Was Labori betrifft, so soll Leblois, der Freund Picquarts, den Ver mittler gespielt haben. Leblois begab sich eines Tages zu Labori, weil er die seither zur „Grande Revue" umgewandelte „Revue du Palais" redigirte, und schlug ihm einen Artikel vor, worin die Gründe für die Unschuld von Dreyfus entwickelt würden. LaboZ antwortete, ein „Revue"-Artikel könne in dieser Sache nicht viel helfen, denn um Dreyfus von der Teufelsiusel zu befreien, bedürfe es kräftigerer Mittel und einer unbedingten Hingabe. Persönlich sei er dazu bereit, aber als Direktor der „Revue" könne er es nicht thun. Leblois erinnerte sich an diese Worte, als Frau Dreyfus im Esterhazy-Prozeß als Civil-Partei auftreteu wollte, und empfahl ihr Labori. Frau Dreyfus begab sich zu ihm, und er erklärte sich sofort bereit. Diesem Beispiel folgte Zola, als er sich vor dem Schwurgericht zu verantworten hatte, und Labori zeichnete sich hier in einer Weise auS, daß Demange selbst den Wunsch aussprach, man möchte ihm Labori in Rennes zur Seite stellen. Demange hat sich zwar die erste Rede Vorbehalten, aber seinem Kollegen die Betheiligung am Zeugenverhör durch Fragen und Einwürfe überlassen. Die Arbeiter der Pariser Gasgesellschaft haben theilweise die Arbeit niedergelegt und verlangen Lohnerhöhung. Es wurden Maßregeln zum Schutze der Freiheit der Arbeiter ge troffen. Die Ausständigen verhalten sich ruhig. Die Gesellschaft ist im Stande, zum mindesten für acht Tage die Beleuchtung aufrechtzuerhalten. Xutzlanv. Wie schon mitgetheilt, ist das Gebäu de des Marinekadettencorps inPetersburg von einem großen Brande heimgesucht worden. Nach einstündiger Thätigkeit gelang es der Feuerwehr unter Mitwirkung von Militär den Brand in der Marinekadettenschule auf seinen Herd zu beschränken. Der Dachstuhl des Gebäudes ist bis zum Observatorium vollständig niedergebrannt, das letztere selbst zum größten Theil vernichtet. In einer Fabrik in Sormowo bei Nischni Nowgorod kam es aus Anlaß der Lohnabrechnung zu R u h e st ö r un g en. Die Arbeiter zertrümmerten die Fenster in der Wohnung des Fabrik- direltorS und beschädigten das Komptoir. Mehrere Personen wurden durch Steinwürfe verletzt. Nachdem Militär requirirt ivar, wurde die Ruhe wieder hergestellt. Ostafie«. Die bereits erwähnten Unruhen in Ki- autschou und besonders in der Gegend von Kaumi tragen, wie es scheint, doch ernsteren Charakter, als man anfänglich an zunehmen geneigt war. Eine Extraausgabe des „Ostasiatischen Lloyd" von Montag, den 3. Juli, enthält folgende Mitthei- Steffie's Heirath. Roman von Heinrich Lee. (18. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Fünftes Kapitel. Das schöne Frnhlingswetter hielt an und al- am nächsten Morgen der Oberst, Leonie und Stcsiie in der Glasveranda beim Frühstück saßen, leuchtete die Sonne so warm und freundlich über den gemüthlichen Tisch, daß Leonie, die sonst gegen die Morgenluft etwas empfindlich war, selbst die Thür öffnete, die zum Garten hinausging und der frische Würzhauch von den Beeten voll hereinquoll. Steffie war, wie sich zeigte, wieder völlig hergestellt. Sie sah vielleicht noch etwas bleich aus, aber das hatte wohl keine Bedeutung mehr. Der Oberst war in die Zeitungen vertieft und Leonie blättert« in dem Modenjournal, auf das sie abonnirt war und das die Post gebracht hatte. Es war Zeit, an ein hübsches Frühjahrskleid zu denken. „Ich denke, wir gehen noch heute Vormittag zu Graf", sagte sie — Graf war der große tonangebende Modebazar „und dann suchen wir auch gleich für Dich etwas auS, etwas recht hübsches. Damit wollen wir Max überraschen." Steffie antwortete nichts. Es kam für sie ja nur noch dar auf an, sobald wie möglich allein mit Leonte zu sein. Endlich stand der Oberst aus. Er verabschiedete sich in ge wohnter Weise und der Augenblick, auf den Steffie gewartet hatte, war da. „Komm", sagte Leonie — „wir wollen bald Toilette machen. Ich denke, wir gehen bei dem schönen Morgen zu Fuß und machen dabei eine kleine Promenade." „Ich muß Dir erst etwas sagen, Leonie", sprach Steffie. „Nun?" „Ich heirathe Herrn von Brockstreek nicht!" Mit festem Tone «ar es über ihre Lippen gekommen und mit festem Blick sah sie Leonie an. „Was meinst Du?" Leonie betrachtete sie nicht anders, als hätte sie den Verstand verloren. „Du erinnerst Dich an gestern — wie Ihr Alle glaubtet, ich wäre krank geworden. Es war etwas anderes. Du hast mit Herrn von Brockstreek eine Unterhaltung gehabt, über mich, über meine Verlobung mit ihm. Ich konnte nichts dafür, ich habe aber Alles gehört, durch die Mauerwand — daß er mich nicht liebt, daß er sich nur um Deinetwillen, um Dir nicht zu schaden, mit mir verlobt hat, daß Ihr mich getäuscht habt — Du und er! Nun weißt Du es, nun mußt Du auch einsehen, daß ich ihn nie und nimmer heirathen kann." Leonie war todtenblaß geworden. „W a s hast Du gehört?" stammelte sie. „Ich habe es Dir gesagt". Blitzschnell zog an Leonie das Gespräch mit ihm wieder vorüber. Aber sie entsann sich nur noch des Inhalts, nicht mehr der einzelnen Worte und wie weit dieselben sie hätten ver- rathen können. „Du hast falsch verstanden. Es ist nicht so, wie Du glaubst , brachte sie nur fassungslos hervor. „Auch jetzt willst Du mich noch täuschen, Leonie!" Trauer und Unmuth redeten aus ihrem Gesicht — die ganze vertrauende kindliche Liebe, die sie für sie gefühlt hatte und die nun so schmählich betrogen worden war. Leonie stand auf und wie sie jetzt zu sprechen begann, mit heiserer Stimme, in vergehender Angst, ihre Hände umklam mernd, ihr ganzes Schicksal zu dieses Mädchens Füßen legend, das sie bis zu diesem Augenblick wie ein Kind behandelt hatte, so gab sie sich keine Mühe mehr, den Schein noch weiter aufrecht zu erhalten — wenn sie nur eine Rettung für sich selber fand. „Was willst Du thun?" begann sie. Steffie sah nur, in welcher Angst sie schwebte, ohne sie noch immer gänzlich zu verstehen. „Ihm seinen Ring zurückschicken", erwiderte sie — „Dich wollte ich darum bitten, daß Du es thust. Hier ist er. Ich kann es nicht." Sie zog ihn aus der Tasche heraus und legte ihn auf den Tisch. „Und ich?" flüsterte Leonie — „an mich denkst Du nicht? Welche Erklärung soll ich, willst Du ihm dafür geben?" Aie Wahrheit!" „Die Wahrheit! Siehst Du nicht, daß^as unmöglich ist? Daß Du mich verrathen würdest, mich und M? Daß Du mich verderben wirst, uns Beide — und nicht nur uns Beide, auch meinen Mann?" „Onkel?" fuhr Steffie auf. Dann starrte sie ihr sprachlos ins Gesicht. „Er würde die Wahrheit nicht glauben, nicht jetzt mehr. Ich kann Dir nicht erzählen, was gestern zwischen mir und ihm vor gegangen ist. Jetzt müßte er mich für eine Lügnerin halten. Ich bin es — ja! Aber nicht die, für die er mich jetzt halten würde. Denk' nicht an mich — denke an ihn!" Sie wußte nicht mehr, was sie sprach, daß Steffie sie nicht verstehen konnte, daß sie erst jetzt von ihr, von der ganzen Wahr heit denSchleier herabriß und sie ihr preisgab. „Ich begreife Dich nicht", erwiderte Steffie — „wenn ich Dich begreifen soll, so mußt Du mir die ganze Wahrheit sagen — die ganze." Leonie hielt inne. Mit einem Male wurde sie sich bewußt, zu welcher Voreilig keit sie sich hatte Hinreißen lassen. Aber schon im nächsten Mo ment Zögerte sie nicht mehr. Wenn Steffie sie begreifen, wenn sie einsehen sollte, um was es sich handelte, wenn sic ihr gehor chen sollte, so mußte sie Alles, Alles wissen. Was an Rück sichten, was an Bedenken sich in ihr regen mochte, noch jetzt — es mußte verstummen vor dem einen, dem furchtbar drängenden Zweck, der Rettung ihrer selbst. „Hör' mich an und setze Dich", sagte sie. Steffie gehorchte. Es war ihr, als hätte sie ein Wirbelwind erfaßt, der ihr den Sand ins Gesicht warf, der sie herumschleuderte, daß ihr die Sinne vergingen. Und Leonie erzählte und sie hörte zu, hörte und hörte. Wie Leonie ihre Handlungsweise zu erklären, sie in der ent schuldigenden Form darzustellen versuchte, die in der That auch der Wahrheit entsprach, wie sie alle Verantwortung auf sich selber nahm, um Brockstreek davon zu entlasten, wie sie die Verwegenheit, die er sich gegen sie erlaubte, nur als Unbesonnen heit, zu der er sich hatte hinreißen lassen, hinstellte, wie ihr in dem kritischen Momente das Rettungsmittel eingefallen war, durch das sie, weil sie um Steffies stille Neigung wußte, sie — Steffie — ja selber glücklich zu machen hoffte, wie Brockstreel ja gewiß auch bereits auf dem Wege war, sie liebzugewinnen, wenn er es auch als der Charakter, der er war, abzuleugnen versucht hatte, wie unter allen diesen Umständen Steffie, wenn sie nicht Alle miteinander ins Unglück bringen wollte, da jeder Widerstand von ihr die Wahrheit an das Licht bringen mußte, auf einer Lösung der Verlobung nicht beharren durfte, wie sie ausharren mußte bis zum Altar, wie es bei der Vorsorge, und Liebe, mit der sie der Onkel umfing, nur ihre Pflicht war, ihm den Schlag, den die Wahrheit ihm versetzen mußte, zu er sparen — alles das, was Leonie ihr zu-sagen wußte, es rauschte an ihren Ohren vorbei wie ein Traum. Jetzt erst sah sie, was hinter dem Schleier, der sich anfangs nur zum Theil vor ihr ge lüftet hatte, verborgen gewesen war — eine in Trümmer zer fallene Welt,deren glänzender Schein, der sie einst so glücklich gemacht hatte, Trug und Lüge war. Wie Leonie sich selbst und den Mann, dessen Eigen sie hatte werden sollen, zu entschuldi gen vermochte, alle ihre Gründe — sie konnte nichts davon ver stehen. Alles das auf ein Mal — es war zuviel. Es fand in ihrem Kopse keinen Eingang. Es staute sich davor. Eins — Eins nur thürmte sich klar und deutlich vor ihr auf und alles Uebrige wogte nur noch wie ein formloser Nebel um dies Eine. Es war das Opfer, das Leonie von ihr forderte, und sie selber sollte dieses Opfer sein. Es wallte etwas in ihr auf. „Willst Du mich noch verderben?" fragte Leonie, nachdem sie geendet hatte. „Wie könnte ich so etwas wollen, Leonie", erwiderte Steffie — „aber das, was Du von mirverlangst, seine Frau zu werden, das kann ich nicht thun." „Steffie!« Sie unterdrückte ihren Aufschrei, sie umklammerte von Neueni Steffie's Hände, aber ehe sie noch einen weiteren Laut hcrvorbringen konnte, nahm Steffie schon selbst das Wort. Es war, als hätte sich plötzlich in ihr etwas aufgeschlossen, et was Neues. „Du denkst an Dich, Leonie", sagte sie — „aber an mich denkst Du nicht. Du denkst nicht daran, was Du mir bisher schon zugefügt hast. Es ist geschehen. Wir wollen nicht mehr davon sprechen. Was aber willst Du, das ich noch weiter für Dich thun soll? Nein, Leonie, ich brauche es Dir nicht zu sagen. Ihr habt mjch für ein einfältiges Kind gehalten. Ich bin es wohl auch und Ihr habt Recht gehabt. Schon weil uh habe glauben können, daß er mich liebt. Nun aber ist es in mir klar geworden. Leonie, nun sehe ich Alles, ich sehe es — wenn ich jetzt noch seineFrau würde,Ivas aus mir werden müßte. Lieber will ich ja sterben. Leonie, hab' doch auch Mitleid mit mir!« Wie das Anqstgebet einer der Vernichtung preisgegebenen Creatur rang es sich von ihren Lippen zu ihr empor (Fortsetzung folgt.)
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