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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 30.06.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189906309
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18990630
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18990630
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-06
- Tag 1899-06-30
-
Monat
1899-06
-
Jahr
1899
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 30.06.1899
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14S Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Seite S. — 30 Juni. bliebenen Südsee-Jnseln an Deutschlanv die spanischen Cortes ihre Zustimmung gegeben und in Deutschland Bundesrath und Reichstag die zur Ausführung erforderlichen Mittel bewilligt haben, wird dem Vernehmen nach die Ratifikation des Ab kommens nunmehr möglichst beschleunigt. Hierdurch wird auch die Aussicht eröffnet, daß die gleichzeitig zwischen Deutschland und Spanien über die wechselseitige meistbegünstigte Behandlung der Waareneinfuhr getroffene Vereinbaruug, die vom Bundesrath und Reichstag angenommen worden ist, noch zu Anfang Juli d. I. in beiden Ländern in Kraft treten wird. Bei Gelegenheit der letzten Karolinendebatte kam der Fürst Herbert Bismarck auf die Entwicklung der Samoafrage zu sprechen, und stellte, was bisher in der Oeffentlichkeit übersehen war, fest, daß die Reichsregierung 1894 eine sehr günstige Gelegenheit gehabt habe, die Samoafrage für Deutschland befriedigend zu lösen. Im Frühjahr 1894 habe der amerikanische Minister des Auswärtigen, Gresham, an den Präsidenten Cleve land ein langes amtliches Memorandum überreicht, welches dringend empfahl, daß Amerika sich aus Samoa zurückzöge. Diese Denkschrift hat Cleveland in amtlicher Form dem ameri kanischen Senate vorgclegt. Im Mai desselben Jahres habe Lord Salisbury in beglaubigter Form erklären lassen, daß England in Samoa keine politischen, sondern nur kommerzielle Interessen verfolge. Weder Caprivi noch Herr von Marschall habe sich 1894 diese Situation zu Nutze gemacht, sondern die Dinge einfach gehen lassen. Hätte die damalige Regierung eingcgrisien, so wäre uns die jetzige Nieder lage in Samoa erspart geblieben. Die Kolonialfreunde werden es dem Fürsten Herbert Dank wissen, daß er mit diesen sehr interessanten Darlegungen ihnen zu Hilfe gekommen ist, denn es ist durch sie der Beweis geliefert, daß die derzeitigen Angriffe auf die Geschäftsführung des Herrn Caprivi und von Marschall durchaus gerechtfertigt waren. DaS Coburger Hofmarschallamt veröffentlicht Folgendes: Da der Berliner Berichterstatter der Londoner „Dayli Mail" darauf beharrt, daß Se. Königl. Hoheit der Herzog von Coburg abzudanken beabsichtige, so habe ich den Auftrag erhalten, dieses Gerücht auf das Entschiedenste zu widerlegen. Coburg, den 28. Juni 1899. von Ruexleben, Hofmarschall. Die Kanalkommission deS preußischen Abgeordnetenhauses setzte gestern die Generaldiskussion über die Kompensationen fort. Ein Antrag Lieber auf Einsetzung einer Subkommission zur Sichtung der Kompensationsforderungen und Vorberathung von Vorschlägen wurde mit 19 gegen 7 Stimmen abgelehnt. Die Spezialdiskussion wird also im Plenum der Kommission statt- 'finden. Nach längeren Verhandlungen wurde ferner mit 14 gegen 12 Stimmen beschlossen, auch über den zweiten Theil der KommissionSberathungen schriftlich Bericht zu erstatten, nachdem als feststehend erachtet worden ist, daß in diesem Falle die Kanal vorlage vor der Vertagung nicht mehr an das Plenum gelangen kann. Die Tapetenfabrikanten Deutschlands haben jüngst einen Ring geschloffen, wobei jedes Mitglied sich verpflichtete bei einer Kon ventionalstrafe bis zu 3000 Nik. nur an Mitglieder des Tapeten händlervereins zu liefern, die die Tapetenpreise in der vorge schriebenen Höhe halten und dieWaaren mit durch weg 125 Proz. Nutzen verkaufen sollen. Die dem.Verein nicht angehörende Tapetenhandlung Ernst Heiden u. Söhnen Köln ver kaufte einzelne Waaren unter dem vorgeschriebenen Preise, worauf seitens deS Vorsitzenden des Fabrikantenvereins, MnxLanghammer- Chemnitz der Firma die briefliche Aufforderung zuging, dem Verein eine freiwillige Buße von 100 Mk. anzubieten, da sonst die Sperre über sie verhängt werden würde. Als Heiden das Ausinnen zurück wies, wurde die Handlung ausgesperrt. Heiden reichte hierauf bei der Staatsanwaltschaft den Antrag ein, gegen Langhammer die Klage auf Erpressung einzuleiten. Die Staatsanwaltschaft entsprach dem Antrag; es wurde ein Ermitteluugsverfahren ein- geleitet und zahlreiche Zeugenvernehmungen angeordnet. Jnsge- ßrmmt wurden seitens des Fabrikantenvereins über 100 Händler ausgesperrt, welche gleichfalls die Gründung eines Verbandes planen. Andererseits wurde aber auch seitens einer Anzahl Fabrikanten die Einberufung einer Versammlung angeregt, um Maßnahmen zur Durchbrechung des Ringes zu planen. Die Sonne. Roman von Anton v. Persall-Schliersee. (37. Fortsetzung.) Nachdruck verboten.) Zum ersten Male nannte er sie — Johanna! Ihr Aus bleiben hatte ihn beunruhigt, er blickte nach ihr aus wie nach seinem Stern, unter dem allein er siegen konnte. Diese tansend- .köpfige Menge, welche ihm, ihrem erklärten Liebling zujanchzen 'wird, alle diese vornehmen Damen aus den gefüllten Tribünen, deren Augen ihn Verfölgen werden, deren Herzen ängstlich für ihn schlagen werden, sie alle existiren nicht für ihn, nur sie — sie allein! Der Gedanke an sie wird Cyclop beflügeln und zum Siege tragen. Es wird ihr Sieg sein! Und da zweifelte sic «och, wägte sie noch? Jetzt sollte Regina da sein und er — der ewig Bedenkliche, Kleinmnthigc, der Weltverächter! Aber was sollten sie denn hier? Was wußten sie von diesem feurigen Stürmen und Drängen, diesem tausendfältigen Leben in einer Minute! — Da ertönte das Signal, ein unartikulirter Schrei der ent fesselten Erwartung aus tausend Kehlen. Das Rennen hatte be gonnen. Johanne lauschte gespannt. Sie kommen! Sie kommen. Ein Junge, an die Flaggenstange geklammert, stieß den Rus aus. Lautlose Stille trat ein. Johanna blickte starr die Bahn ent lang. Wie ein Sturmwind fegte es daher. Blau und weiß, dicht an einander zwei Pferdeköpfe, dumpfes Hufgerassel, ein geller Zuruf, dann hoben sich die Centaurenleiber mit sausendem Sprunge, ein eigenartiges Aechzen — die Reiter sind jenseits des Hindernisses gelandet. Der Weiße dicht neben dem Blauen — Epaminondas schnellte sogar um Kopfeslänge voraus. Wieder tauchte ein Punkt auf vor dem Waldsaum. Sie schloß die Augen, um nichts zu sehen, drückte den Daumen un willkürlich in die Hand nnd zählte die Sekunden. „Teufel — Epaminondas hält aus!" rief Egon im Bügel stehend. Johanna kam fast der Gedanke, zu beben. „Hoch! Hoch! Auslassen! Auslassen! Jetzt! Jetzt!" rief cS um sie her. „Der Leining! Hurrah! Der Leining!" Da öffnete sie erst die Augen. Und was sie jetzt sah, ließ sie einen lauten Ansrnf der Bewunderung, entfesselter Leiden schaft ausstoßen, unbekümmert um ihre Umgebung. Cyclop hatte jetzt die Zügel, seine geblähten Nüstern leuchteten wie Scharlach, sein Feuerauge war blutunterlaufen. Sein Reiter schien drucklos über ihm zu schweben, während er weit vorge- bcugt die unbezwingliche Macht seines Willens ihm mitzutheilcn schien. Epaminondas Kops berührte säst Cyelops Hintertheil. Vor dem Absprung kam er etwas aus dem Gleichgewicht, er Von „links liberalen Zukunftsträumen" weiß die „Post" zu erzählen: Es zeigt sich, daß des Pudels Kern bei dem Eifern für die Kanalvorlage der lebhafte Wunsch der Links liberalen, einschließlich der Linksnationalliberalen, war und ist, zu in Regime nie im Reiche und in Preußen zu ge langen. Wie wir hören, Hot man sich in diesen Kreisen auch schon einigermaßen über die Vertheilung der Bente schlüssig ge macht. Man nimmt Herrn v. Eynern als künftigen Finanz- ministcr in Aussicht, Herr Bassermann soll den Grafen Posadowsky im Reichsamte des Innern ersetzen und Herr Eugen Richter die Fürsorge für die Entwickelung der Flotte im Marine-Amte übernehmen. Daß mit Herrn Singer wegen Uebernahme des Kultusministeriums verhandelt werde, halten wir dagegen für eine Ente. Italien. In der italienischen Kammer sollte gestern die Budgetdebatte fortgesetzt werden, aber sofort nach dem Beginn der Sitzung beantragte Bonacci die Sitzung zu unterbrechen, da die Kammer vor allem die Frage bezüglich des Dekrets über die politischen Maßnahmen (Sozialisteng^etz) zu erledigen habe. Der Bautenminister Lacava überließ es der Kammer, hierüber eine Entscheidung zu treffen, worauf dann beschlossen wurde, die Sitzung auszuheben und Nachmittags eine zweite Sitzung statt finden zu lassen. Ueber diese Nachmittagssitzung wird berichtet: Das Haus und die Tribünen sind dicht besetzt. Ministerpräsident Pellonx zieht die vorläufige Vorlage betreffend die politischen Maßnahmen zurück und legt das königliche Dekret vom 22. d. M. über dieselbe Frage vor, damit dasselbe durch Kammerbeschluß Gesetzeskraft erlange. Pelloux bespricht den vom Ministerium an den König erstatteten Bericht welcher dem Erlaß des Dekrets vorausging, setzt die Gründe auseinander, welche letzteres ver anlaßt hätten und siigt hinzu, die Negierung sei sich vollkommen bewußt, daß die Maßnahmen, zu welchen sie sich unter unserer Verantwortlichkeit entschließen mußte, außergewöhnliche seien, eben so außergewöhnlich sei aber auch die geschaffene Lage, welche die Kammer hindere ihre Thätigkeit auszuüben und die Regierung außer Stand setze, die parlamentarischen Arbeiten zu überwachen. Der Weg, welchen die Regierung gewählt habe, um diesem Zu stande ein Ende zu machen, welchen die Würde der Kammer und der Regierung nicht länger dulden könnten, scheine ihr der einzige, der zu einem praktischen Resultat führen könne und gleichzeitig auch die parlamentarischen Vorrechte wahre. Die Regierungen halte andere Lösungen nicht znr Erörterung geeignet, da sie in irgend einer Weise den Triumph von Systemen bedeuten könnten, welche schließlich zum völligen Umsturz der bestehenden Ordnung führen würden. Die Regierung habe alles versucht, bevor sie bei diesem Entschlusse angelangt sei. Man habe sie sogar in der Kammer der schuldHasten Schwäche angeklagt und sie aufgernsen, das Recht der Majorität und die Würde der Re gierung zu vertheidigen. Das habe die Regierung mit ihren Entschlüssen thnn wollen in der Hoffnung, diesen schon viel zu sehr ausgedehnten Erörterungen, wie dies ja im allseitigen Interesse liege, ein Ende machen zu können. Es seien zwei ganz gesonderte Fragen, mit denen die Kammer sich zu beschäftigen habe, nämlich 1) mit den Maßregeln selbst, welche in dem königlichen Dekret enthalten seien, 2) mit der neuen Form, in welcher sie der Kamnier unterbreitet werden. Was die Maß nahmen selbst anbetreffe, so bitte die Regierung die Kammer, so schnell wie möglich über diese zu bernthen, um dadurch den Be weis zu liefern, daß die Staatsgewalten regelmäßig funktioniren können. Pelloux verlangt schließlich, daß das Dekret an dieselbe Kommission verwiesen werde, welche schon den Gesetzentwurf über die politischen Maßnahmen zu prüfen hatte. (Zustimmung, Be wegung.) Bonnacci erinnert daran, daß er als Jnstizminister in dem Kabinett di Nudini Maßnahmen vorgelcgt habe bezüglich der Vereinigungen, der Presse und der öffentlichen Dienste und daß er die Regierung in dem Kampfe gegen die Obstruktionisten unterstützt habe; aber heute handle es sich um eine andere Sache, nämlich um positive Rechte und die Würde des Palaments. Redner behauptet, das Dekret sei eine Verletzung der Konstitution, (die Rechte und das Ccntrum protestiren dagegen, mährend die Linke lebhaft Beifall klatscht), er hoffe, daß die Kammer es ver stehen werde, ihre Rechte und ihre Würde zu wahren. Bonacci bringt alsdann folgenden Antrag ein: Die Kammer erklärt das Dekret vom 22. d. M. für null und nichtig und tadelt die fürchtete wohl «in neues, unvorhergesehenes Hinderniß. Epami nondas setzte dadurch zuvor, obwohl er mit dem Hus die Hürde streifte; doch dieser Nebenbuhlerschaft bedurfte Cyclop allein noch, um zum Aeußersten angcspornt zu werden. Er kam, nachdem er gelandet, keinen Augenblick mehr aus dem Tempo und übernahm sosorr die Führung unter einem Hurrah, das sich im Nu dem ganzen Felde mittheillc und nicht mehr endete, bis es zu einem förmlichen Orkan anivnchS, das Zeichen des entschiedenen Sieges. Das weite Gefilde schien von einem fliehenden Heere bedeckt, das kopfüber zu Fuß und zu Pferd nach einem Punkte hindrängte. Johanna flog Allen voraus, eine Menschenmauer, welche das Cattclhaus lärmend umdrängte, gebot ihr Halt. Die Backer nnd Bootmaker machten hastig ihre Eintragungen, die Freude der Gewinnenden, der Verlust der Verlierenden wurde in einem tollen Wirrwarr von Stimmen laut. Der Name Leining war ans allen Lippen. Die Menge drohte die Schranken des Sattelplatzes zu durchbrechen, um den Helden des Tages zu bejubeln. Herren vom Renncomitö, Gendarmen sprengten zurück- drängend, schreiend mit wilden Armbewegungen hin und her, die bald mit Gelächter, bald mit drohendem Gemurmel erwidert wurden. Eben wurde Cyclop, in Decken gehüllt, herausgesührt, die alte Apathie hatte sich seiner bemächtigt, der Jockey zog ihn am langen Zügel wie einen ermptteicn Ackergaul. Von einer Schaar Offiziere umringt, erblickte Johanna den Sieger. Er ging eben der Treppe zum Aussichtsthurme zu, von dessen Plattform ihm Tücher und Sonnenschirme entgcgenwinkten. Johanna suchte vergebens vorwärts zu kommen, immer neue Massen drängten sich vor ihr. Die Schranken des Sattelplatzes waren längst durchbrochen. „Fräulein Ningelmann, ich gratulire! Ein glänzender Sieg!" rief plötzlich neben ihr eine bekannte Stimme. Sie wandte sich erstaunt, Treuberg stand unter der Menge, eine Dame am Arme, dieselbe, welche sie neben ihm im Theater gesehen. Diese sonderbare Beglückwünschung, die mit ihrem eigenen Jdcengang so auffallend übercinstimmte, machte sie be troffen und verlegen. Auch die Umstehenden blickten neugierig auf die Reiterin, die in so naher Beziehung zum Reiter stand. Sie fühlte einen Theil des Triumphes auf sich selbst übertragen, und sie wies ihn nicht zurück. Ihr Antlitz strahlte im Abglanz des Erfolges. „Ich danke Ihnen in deS Grafen Namen," er widerte sic. „Vergessen Sic nur nicht — heute Abend — Sie müssen kommen." „Heute Abend?" fragte sic erstaunt. „Tic Sonne! Allerdings ein schlechter Tag, wenn nicht einmal die besten Freunde —" Minister als die Urheber deS Dekrets. (Beifall auf der Linken.) Branca erklärt, er habe bisher die Regierung unterstützt, werde es aber nicht mehr thun, weil sie den KonstitutionaliSmuS der. letzt habe. Nocito spricht in demselben Sinne. In der belgischen Kammer kam es gestern zu Prügelszenen. Aus Brüssel wird gemeldet: Die Sitzung der Kammer war zu Beginn ziemlich ruhig. Die Rechte und die Linke tauschten scharfe Auseinandersetzungen aus wegen der gestern von der Quästur veranlaßten Sicherheitsmaßregeln. Schließlich, nachdem die hierauf bezügliche Tagesordnung der Sozialisten abgelehnt war, während die Tagesordnung der Rechten, welche das Ver trauen zur Wachsamkeit des Vorsitzenden aussprach, gegen die Stimmen der Sozialisten angenommen worden war, wird von der Linken ein Höllenlärm in Scene gesetzt. Die Sozialisten pfeifen, schreien, blasen aus Trompeten und dringen in die Mitte des Sitzungssaales vor. Der katholische Deputirte Guchtenaeve, ein Arbeiter aus Gent, wird von den Sozialisten durchgeprügelt. Die Saaldiener sind ohnmächtig dagegen und werden in dem allgemeinen Handgemenge hin- und hergestoßen. Minister van den Peereboom, welcher ruhig auf seiner Bank verbleibt, wird von den Sozialisten mit Beleidigungen überschüttet, Mörder ge nannt und als die Ursache alles Uebels angeklagt. Der Präsident hebt die Sitzung inmitten eines unbeschreiblichen Durcheinanders auf. Soldaten räumten die öffentlichen Tribünen. Frankreich. Einer Meldung der „Agence Havas" zufolge wird das Kriegsgericht in Rennes zusammengesetzt sein aus dem Genieoberst Jouaust (Vorsitzender), den Artillerie-Kommandanten Perougniart, Breon, Profilet, Merle und den Hauptleuten Parfait und Bauvais. Ein Mitarbeiter des „Matin" schreibt seinem Blatte aus derBretagne, wo das Meer stürmisch, der Himmel grau ist und ein rauher Nordwestwind über das Land hinweht: Die Natur ist trostlos, die herrschende Stimmung ist aber noch trost loser. Was man da sieht, liest und hört, ist nicht schön. Man möchte weinen, denn lachen kann man nicht mehr. Der Glaube ist hier kräftig, aber der gute Glaube scheint mir abwesend zu sein. Man hört überall nur sage»: „Auch wenn Dreyfus unschuldig ist, hat das Kriegsgericht diePflicht, ihn zu verurtheilen." Fragt man warum, so wird ge antwortet, die Ehre der Armee erheische es. Diese Leute be denken nicht, daß die Ehre der Soldaten, wie die anderer Menschen, darin besteht, Fehlergutzumachen, die begangen worden sein können und nicht darin, sie unter neuen Fehlern zu ver bergen. Die oben erwähnte Meinung habe ich aus dem Munde von Leuten der höchsten Gesellschaftskreise gehört; für die anderen existirt die Frage der Unschuld überhaupt nicht, denn sie wissen nichts von dem Spruche des Kassationshoss. Was hat für einen Bretonen der Kassationshof zu bedeuten? Viel weniger, als der Herr Pfarrer. . . Die Aufregung der Gemüther und der Fanatismus sind derart, daß die ärgsten Skandale gewärtigt werden müssen und daß Studenten in Rennes das Anerbieten gemacht haben, Frau Dreyfus als Leibwache zu dienen. Der Verurtheilte von 1894 ist von der Pistole oder dem Dolche eines Rasenden bedroht und sogar an Gift hat man gedacht, weshalb alle Speisen und Getränke offiziell gekostet werden sollen. Die Steuerbewegung in ganz Spanien dauert fort. Im Süden und Osten ereignen sich täglich nene Krawalle; infolge des Schluffes der Läden und vieler öffentlicher Einrichtungen stocken Gewerbe und Verkehr. Seit Eingreifen des Militärs ist die Zahl der Todten und Verwundeten gestiegen, sowohl unter dem Publikum, als auch den Truppen selbst. In Saragossa herrscht förmlicher Aufruhr. Von Seiten der Regierung ist heute erklärt worden, die Ordnung würde aufrecht erhalten werden und „wenn die Leichname Hundertweise die Straßen bedecken". Deutschlands Macht in der Türkei. So betitelt Sir Ellis Ashmead Bartlett einen Brief, den er an die Londoner Pall Mall Gazette richtet. Dieser Brief ist, selbst wenn man annimmt, daß Sir Ellis den Thatsachen, die wir znr Zeit nicht prüfen können, eine seinen Zwecken dienende Darstellung gegeben hat, ein so sprechendes Zeugniß für die Energie der Vertreter des deutschen Reiches im Orient und für die Fruchtbarkeit der von ihnen verfolgten Politik, daß wir ihn unsern Lesern nicht Johanna erröthete. Sie hatte wirklich über dem Rennen die Premiere vergessen, den Genossen im Wettlauf um das Glück. Das mußte wieder gut gemacht werden. Es war ihr, als müsse sie diesen Mann mit ihren Armen herausheben aus der Mosse, die ihn umdrängte. Gerade heute war der rechte Tag, der Tag ihres Sieges, er sollte auch der des seinen werden. Dieses Zusammentreffen bewegte sie und weckte von Neuem den Glauben in ihr an eine wunderbare Verquickung ihrer Schicksale. „Verlassen Sie sich darauf, ich werde am Platze sein und gewiß nicht allein. Alles muß mit, Cyclop und d.e Sonne sollen sich um die Palme des Tages streiten. Kommen Sie doch mit! Es wird den Grasen sehr freuen." Trenberg zögerte verlegen, mit einem Blick auf seine Gefährtin Barbara. „Ah Pardon!" Johannas Blick kreuzte sich mit dem Barbaras. „Aber die Dame kann ja mitkommen —in das Getümmel," fügte sie dann bezeichnend hinzu. „Ich danke, ich habe nicht das geringste Interesse daran," erwiderte Barbara schroff. „Ja, dann allerdings. Auf Wiedersehen, heute Abend, Herr Trenberg." Die Menge öffnete ihr jetzt bereitwillig, fast ehrfurchtsvoll eine Gasse; als sie sich wieder nach Trenberg umsah, hatte sich vor demselben die Menge bereits wieder geschlossen. Sie ritt dem Aussichtsthurme zu. Von Weitem schon sah sie die rothe Blouse oben auf der Plattform, von Herren und Damen um drängt. Und wie sie sich der Treppe näherte, welche von außen hinausführte, da stieg Graf Leining herab, ihr entgegen, schön wie ein junger Gott, im Abglanz des jungen Sieges. Er be grüßte sie mit einem Feuer, welches nur die Erregung des Augenblicks entschuldigte. Sie schwang sich auf seiner Hand aus dem Sattel, ibr Pferd einem Jockey übergebend. Oben auf der Plattform drängte sich alles an die Brüstung und betrachtete mit gemischter Empfindung diese Huldigung. „Sie standen bei dem vierten Hinderniß," flüsterte Leining. „Konnten Sie mich denn sehen in diesem Augenblick?" fragte Johanna entzückt. „Nein, aber ich fühlte Ihre Nähe, das stärkte mich. Danke schön, Johanna." Seine Hand drückte leidenschaftlich die ihre, während er sie die Treppe hinanfführte. Die Rcgimentsmusik begann eben einen Jubelmarsch. Das Publikum fiel plötzlich mit donnerndem Hurrah ein, und als die rothc Farbe aus der obersten Stufe erschien, tönte der Name Leining aus tausend Kchlcu. (Fortsctzung folgt.)
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