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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 29.06.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189906292
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18990629
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18990629
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-06
- Tag 1899-06-29
-
Monat
1899-06
-
Jahr
1899
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 29.06.1899
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L8VV Kreiherger Anzeiger und Tageblatt. Seite 2. — 29. Juni 148 deuten gesprochen worden, so HLtten sie unmöglich den Abgeord neten und den Berichterstattern der Presse entgehen können; sie find thatsächlich in den stenographischen Bericht «ingefügt, ohne vom Präsidenten geäußert z« sein-. Wie der „Ostas. Lloyd* berichtet, erhielt Vize-Admiral d. Diederichs auf der Heimreise in Hongkong ein Schreiben deS amerikanischen Kontre-Admirals Dewey, in dem dieser sein Bedauern über die falschen Nachrichten aussprach, die in der Presse über ihr Berhältniß vor Manila erschienen wären und daun zur Verhetzung beider Völker auSgenutzt worden wären. „Die vom Lize-Admiral v. Diederichs ausgesprochene Bitte, diesen Brief gelegentlich veröffentlichen zu dürfen, ist von Contre- admiral Dewey berritwilligst zugestanden. Man wird die Ver öffentlichung nach der Ankunft des Herrn Vize-Admirals v.Diederichs iu Deutschland erwarten dürfen." Die Hallenser Studentenschafterläßt zur Aufklärung über die kurz gemeldeten Vorgänge beim Fackelzuge am 21. Juni zur Ehrung des Andenkens des Fürsten Bismarck folgende Mit- cheilung au die Presse: „Gemäß den Beschlüssen des Hamburger Bertreter-Tages hatte die Hallenser Studentenschaft am 21. Juni eine BiSmarckgedächtnißfeier durch einen Fackelzug zu veranstalten beschloss«. Den Mittelpunkt dieser Feier sollte ein Kaiserhoch und eine BiSmarckrede aus dem Marktplatze bilden. Nachdem der Studentenausschuß von der Polizeibehörde bis zum letzten Augenblicke hingehalt« war, wurden schließlich Kaiserhoch und BiSmarckrede verboten. Auch Vorstellungen beim Herrn Ober bürgermeister fruchteten nichts, vielmehr wurden die drei Ver irrter deS Studentenausschusses, di« fich iu letzter Stunde noch p«söulich au den Herrn Oberbürgermeister wandten, von diesem i» barscher Weise in Gegenwart von Zeugen in einem öffent lich« Lokale abgewiesen. Begründet wurde das Verbot mit dem Hinweis auf zu erwartende sozialdemokratisch« Gegenkundgebungen, die zu verhindern der Polizeibehörde eine genügende Anzahl von Schutzleuten nicht zur Verfügung stände. Die Verhinderung mit dieser Begründung mußte in der Oeffentlichkeit um so mehr Aus seh« erreg«, als doS Programm deS Fackelzuges schon durch die Hallescheii Zeitungen gegangen war. Als trotzdem von einem Theilnehmer deS FackelzugeS am Schluffe desselben auS persön licher Initiative ohne Auftrag deS Ausschusses der Versuch ge macht wurde, eiu Kaiserhoch auszubringen, wurde dies sofort von eine« Polizcibeamten verhindert. Bon der verspäteten Erlaub nis ei» Kaiserhoch ohne jede Red« ausbringen zu dürfen, konnte nicht mehr Gebrauch gemacht werden. Statt dessen wurde in der zwei Tage darauf stattfindenden Sitzung des Studenten ausschusses beschloss«, em Ergebenheitstelegramm an Se. Maje stät abzuschicken. Damit in Zukunft ähnliche Vorkommnisse aus geschlossen fiud, hat der Ausschuß der Hallenser Studentenschaft dahingehende Beschwerde au den Herrn Regierungspräsidenten gerichtet.* Nach einer in der Hauptsache gleichlautenden Mit- theilung der „Deutschen Ztg." waren beide Reden von der Höllisch« Polizei mit der Begründung verboten, die dortige sl^raldemokratische Bevölkerung sei durch die Hetze gegen die „Zucht- hauSvorlage* so sehr erregt, daß schwere Unruhen zu befürchten sei«, wenn jene beiden Reden gehalten würden. — Die „Hamb. Nachr." bemerk« hierzu: Wenn diese Angabe den Thatsachen ent spricht — und daS scheint kaum zweifelhaft zu sein — so würde das allerdings, wie daS citirte Blatt meint, ein geradezu er schreckendes Licht auf die Zustände werfen, zu denen wir bereits gelangt find. Ja der preußischen Monarchie verwehrt eine staat liche Behörde den Ausdruck vaterländischer und monarchischer Ge sinnung, weil daS bei den Pöbelmassen Anstoß erregen könnte, die im Banne der staatsfeindlich« revolutionären Sozialdemo kratie stehen! Wenn wirklich nicht ausreichend Schutzmannschaft «r Verfügung stand, so hätte die Höllische Garnison leicht zur Aufrechterhaltung der Ordnung aufgeboten werden können. Daß eine Behörde, und noch dazu eine, der« besondere Aufgabe der Schutz der staatlich« Ordnung ist, in dieser Weise öffentlich vor der Sozialdemokratie kapituliry daS ist doch eiue Handlungs weise, die mit dem ihr gebührende» Ausdruck zu beleg« wir leid« veHicht« müssen. Der BundeSrath hat den Landesregierungen anheimgegebm, überall da, wo erforderlich, im Verordnungswege örtliche Bäfckereiverorduuuge», die sich auf die Beschaffenheit der Schlafstätten der Gesellen und Lehrlinge, sowie die sanitär hygienischen Einrichtungen »n den Betrieben beziehen, zu erlass«. Ter Hamburger und Lübecker Senat haben bereits früher, in letzter Zeit auch die großherzogl. Weimarer Regierung für die Stadt Weimar eine solche Cpezial-Bäckereiverordnung erlassen. Erst gestern haben die Berliner Maurer wieder auf sämmtlichen Bauten die Arbeit ausgenommen, und schon steht im Baugewerbe eine neue Beunruhigung bevor. Die Bauhülfsarbeiter beschlossen, am 3. Juli in einen Ausstand einzutreten, wenn ihre Forderungen nicht bewilligt würden. Sie verlangen für gewöhnliche Lohn arbeiten (Ausschachten) einen Minimalstundenlohn von 40 Pfg. fest (bisher meistens 35 Pfg., 32^, Pfg.), für gewöhnliche Arbeit am Hochbau (Wassertragen und Hülse beim Rüstbau) 45 Pfg., für Stein- und Kalkträgcr 60—65 Psg. Damit der Reigen ge schloffen wird, wollen auch die Zimmerleute streiken. Ihre Forderungen haben sie noch nicht sormulirt. In drei Tagen Teutsch gelernt hat in Samter ein polnischer Dominalvoigt Nameus Nowaczyk. Wegen Körper verletzung ongeklagt, gab er vor dem dortigen Schöffengericht an, nur Polnisch zu verstehen, und weigerte sich beharrlich, trotz mehrfacher Vorhaltungen und Ermahnungen, deutsch zu sprechen. Ta er drei Jahre beim Militär gedient hatte und den Schöffen bekannt war, daß er deutsch sprechen könne, so stellte der Amts anwalt den Antrag, den rc. Nowaczyk wegen Ungebühr vor Gericht mit einer sofort zu vollziehenden Haftstrase von 2 Tagen zu bestrafe». Tas Schöffengericht ging aber noch über das be antragte Strafmaß hinaus und verurtheilte ihn zu drei Tagen Haft, der höchsten zulässig« Strafe. Nach dieser exemplarischen Strafe konnte Nowaczyk gut deutsch sprechen, sodaß die Ver handlung bis zu Ende in deutscher Sprache geführt wurde. Wegen Körperverletzung wurde er dann unit 10 Mark Geldbuße bestraft. Unter der Spitzmarke: „Sozialdemokratischer Größen wahn- schreibt die „Tgl. Rdsch.": „Genosse- Liebknecht hat am Sonnabend in Pieschen bei Dresden eine Rede zu dem Zwecke gehalten, den ketzerischen „Genossen" Bernstein als einen für die Sozialdemokratie ganz bedeutungslosen, inferioren Geist auSzu- geben. In dieser Rede zog Liebknecht den genannten sozialistischen Theoretiker in demselben Grade herab, in dem er die sozial demokratische Masse demagogisch herausstrich. Er hat nämlich nach dem Bericht der „Sächsischen Arbeiterzeitung- seinen Zuhörern folgende donnernde Phrase an den Kopf geworfen: „Wir sind die einzige Partei, die ihre Mitglieder belehrt und ihnen Unter richt giebt über alle politischen Einrichtungen. Deshalb sind unsere Arbeiter auch den studirten Politikern so über legen. Ich getraue mir in kürzerer Zeit, wie jetzt Loubet, iu Frankreich ein Ministerium aus unseren Reihen zu bilden, das die Posadowsly, Bitfeld u. s. w. bei Wjeitjem über ragt.- — Bekanntlich war es der Sozialdemokrat von Vollmar, der auf dem letzten sozialdemokratischen Parteitage wörtlich gesagt hat: „Es könnte der deutschen Sozialdemokratie gar nichts Unglück seligeres passiren, als daß wir jetzt genöthigt wären, die politische Macht zu übernehmen." Wenn Herr Liebknecht von der Ueber- nahme der politischen Macht durch die Sozialdemokratie — das bedeutete doch die Bildung eines sozialdemokratischen Ministeriums — eine ganz andere Auffassung hat, so liegt dies daran, daß von Vollmar Realist, Liebknecht ein fanatischer Phantast ist. Ueber die innere Situation m Oesterreich werden jetzt folgende Angaben verbreitet: Man wünscht in maßgebenden Kreisen den Zusammentritt der Delegationen für den Monat Oktober. Unter diesen Umständen ist die österreichische Regierung genöthigt, den Reichsrath längstens Ende Sep tember zur Vornahme der Delegationswahlen einzuberusen. Von den Maßnahmen, welche das österreichische Kabinett bis dahin unternimmt, hängt es ab, ob das Parlament normal funktioniren, oder ob neben der Tagung der Delegation in der bisherigen Weise weiter obstruirt werden wird. Politisch« Persönlichkeiten, welche in der letzten Zeit Gelegenheit hatten, mit dem Kaiser in Berührung zu kommen, haben den Eindruck empfangen, daß die Krone bezüglich der Sanirung des Parlaments jene Anschau ungen billigt, die der Obmann der katholischen Volkspartei, vr. Kathrein, in den beiden letzten Sitzung« des ExekutivcomiteS der Rechten zum Ausdruck gebracht hat, und die darin gipfeln, daß durch die Publikation des Pfingstprogramms der deutschen Parteien der Moment und die Operationsbasis zur Einleitung einer Berständigungsaktion mit den Deutschen gegeben sei. In Verbindung damit werden die Aeußerungen des Minister präsidenten gebracht, welche auch er in den Sitzungen des Exekutiv- comites bezüglich der Einleitung einer Verständigungsaksion mit den Deutschen gemacht hat und die sich bekanntlich an jene des Obmanns der katholischen Volkspartei anlehnen. England. Die Engländer haben Sorgen, die genügende Zahl von Soldaten für die gedachte Heeresverstärkung zu finden. Jetzt wird bekannt, daß der Oberst Matthias in Tenby erklärt hat, die Konskription sei in Sicht. Jahr für Jahr werde die Weltkarte mit mehr Roth bemalt, und es sei durchaus nöthig, mehr Soldaten einzustellen, um den immer größer werdenden Besitz zu vertheidigen. Offiziere habe man genug, aber an Soldaten sei großer Mangel, und wenn die Leute sich nicht frei willig zum Kriegsdienst stellten, so müsse man sie eben dazu zwingen. Frankreich. Mit harter Mühe hat das Kabinett Waldeck-Rousseau sich behauptet, in zwei Abstimmungen hat es Mehrheiten von nur 23 und 26 Stimmen erzielt, und auch diese dankte es offenbar nur dem Eingreifen Brissons, besten knappe, aber eindringliche Mahstung, sich zur Vertheidigung der Republik um das Kabinett zu schaaren, die noch schwankenden Radikalen für die Regierung gewann. Die Hauptangriffe gegen das Kabinett gingen von jener Gruppe von Sozialisten aus, die trotz der eingefleischtesten Legitimisten nichts gelernt und nichts vergessen haben, jenen kurzsichtigen Schlagwort reitern, denen der Haß gegen General Galliffet mehr gilt, als die Sorge um die Republik, und die in ihrer fanatischen Verblendung nicht gewahren, daß sie nur den Meline, Drumont und Guärin, dittaturlüsternen Heerführern und lauernden Thronforderern in die Hände arbeiten. Dieser Herr Mirman, besten ganze politische Bedeutung darin wurzelt, daß er ein paar Monate lang seine Zeit zwischen Kasernenhos und Parlamentssaal theilen mußte, fuhr mit einer Wuth gegen das Kabinett los, daß dem alten Fuchs Meline das Herz nn Leibe lachte, und sand Unterstützung durch die Sozialisten Zevaes und Vaillant, den Radikalen Pelletan und die Melinisten Hemon und Maudine, eine gemischte Gesellschaft, deren tobenden und ulkend« Chorus Nationalisten und Mslmisten bildeten. Waldeck- Rousssau sprach klug und verständig, aber ohne starkes Temperament, ihm sekundirte der Sozialist Viviani, beide fanden leine rechte Resonanz. Erst als Brisson sich ins Gefecht warf, kam Leben und Stimmung m die Linke, und als der Sieg des Kabinetts in der Abstimmung über die Vertrauensfrage sieb entschieden hatte, durchjauchzte der Ruf: „Hoch die Republik! Nieder mit Meline und den Jesuiten!" den weiten Saal. Ob der Sieg, der durch die Vertrauenskundgebung des Senats mit 187 gegen 25 Stimmen verstärktes Gewicht erhielt, nachhaltig sein wird, wird hauvt- sächlich von der Regierung abhängen. Geht diese jetzt energisch an die Arbeit, deren Ziele in der gestrigen Antritiserklärung abgesteckt sind, ohne sich auf weitere Auseinandersetzung mit Ler- Kammer einzulasten, dann wird es seine Aufgabe zu Ende führen können. Die Vertagung der Kammern wird rasch erfolgen, und dann regiert Waldeck-Rousseau ungestört bis zum Herbst. Nach Ausweis des amtlichen Sitzungsprotokolls bestand bst Mehrhett, welche vorgestern für das Kabinett stimmte, aus 158 Radikalen, 26 Sozialisten, 77 gemäßigten Republikanern und einem Mitglied der Rechten, die Minderheit aus 107 gemäßigten Republikanern, 39 Nationalisten, 78 Monarchisten und Nalliirten und einem Radikalsozialisten. Der Abstimmung enthielten sich 29 gemäßigte Republikaner, darunter Charles, Dupuy, Krantz, Ribot, Lebret und Barthou, ferner 19 Sozialisten, 13 Radikal- soziallsten, 12 Radikale. — Die radikalen Blätter heben mit großer Genugthuung hervor, daß die Majorität aus rein repu blikanischen Stimmen bestehe und das Kabinett nun eine hin reichende Stütze in der Kammer habe, um sich längere Zeit zu behaupten. Die gemäßigten und nationalistischen Blätter erklären, daS Ministerium habe seinen Sieg nur dem Umstande Die Ssuie. Roman von Anton v. Perfall-Schliersee. (58. Fortsetzung.) Nachdruck verboten.) Johannas Abschied von der Schwester war kühl, die Kluft, die fie von nun an schied, war doch unüberbrückbar, andererseits konnte ihr Regina den schlimmen Einfluß aus den Vater nicht vergebru. „Die soll nur mürbe werden, anders wird sie nicht kurirt," sagte fie zu Franz in ihrer Weise, als die beiden das Haus ver laffen; „aber der Vater, der arme, verführte Vater! - Aus dem Bahnhofe wartete eine Menschenmenge unter Führung des Apothekers. Alles wollte den alten Amtmann noch einmal sehen, der zu so Großem berufen, aus besten Hand sich Segen über Tausende ergießen sollte. Das Gerücht hatte ihn ja bereits zum Direktor der Gesellschaft, zum Gründer einer neuen Stadt befördert. Er konnte die Hände nicht alle drücken, die sich ihm entgegenstreckten, die Namen nicht aller verstehen, die ihm in Erinnerung gebracht wurden. Johanna genoß in vollen Zügen die Wonne der Popularität mit. Sie sah einmal als Kind die Abfahrt eines Mitgliedes des königlichen Hauses mit an — gerade so war es! Unter donnerndem Hurrah verließ der Zug den Bahnhof. Johanna stand am Fenster und winkte dem Volke mit dem Taschen tuche. Ringelmann liefen die Hellen Thränen über die Wangen. DaS war der glücklichste Tag seines Lebens. 7. Kapitel. Auf dem Sattelplatze, diesem viel angestrebten, aber streng sich dem Unberufenen verschließenden Heillgthum des Rennplatzes, war die Sportwelt von ganz W. weiblich und männlich versammelt. Der Bretterzaun, welcher denselben nach allen Seiten abschloß, war nicht nur eine materielle, sondern auch bildliche Schranke. Die hohe Gesellschaft befand sich innerhalb, oder batte wenigstens freien Zutritt von der ersten Galerie aus und. ließ sich einmal darin sehen. DaS ganze übrige, mit schwarzen Menschenmafien sich füllende Feld kam dagegen gar nicht in Betracht, das war der Tummelplatz des niedrigsten Volkes, dem heute wiedereinmal deutlich bewiesen werden sollte, daß das Blut ein ganz besonderer Saft, Abstammung und Geburt kein leerer Wahn seien, trotz aller Aufklärung und allen beißenden Spotts. Aber selbst die hervorragendsten Vertreter dieses Dogmas mußten heute innerhalb dieses abgegrenzten Raumes zurücktreten vor ihren vierbeinigen Genossen, welchen das allgemeine Interesse galt. Da trippelte, in eine wollene Decke gehüllt, geführt von ihrem krummbeinigen, spindeldürren Trainer, Alhalia, die große SimonStochter aus la Fleche, die Siegerin im letzten norddeutschen Derby einher, die sich heute im Handicap von Neuem erproben soll — während EpaminondaS, die Perle des Graditzer Gestüts, unverhüllt seine edlen Glieder der Schaar der Bewunderer und Kritiker zeigt, die ihn umdrängen. Er steht vor seinem ersten Debüt, voll nervöser Ungeduld, die Wichtigkeit des Tages ahnend. Jede Muskel unter der schimmernden Haut schwellt dem Siege entgegen, während das feurige Auge unverwandt Achalm verfolgt. Das meiste Interesse nahm jedoch ein Pferd in Anspruch, das besten im Vergleich zu dem eben genannten kaum würdig erschien. Ausfallend lang gebaut, bis zur Häßlichkeit abgemagert, die Haut matt, beugte es seinen Giraffenhals wie ermattet zur Erde nieder, ein Bild des Phlegmas, nur in den zierlichen, ständig beweglichen Ohren herrschte reges Leben: Cyclop des Grafen Leining. Er selbst stand in Fuldreß, seine Farbe war in roth, daneben, den Ellbogen auf den Rücken des Thieres ge stützt, und ergötzte sich an den vielsagenden Blicken, welche die Beschauer sich zuwarfen, an den unvorsichtigen Achselbewegungen und leisen Bemerkungen, die ihm nicht entgingen, während die günstigen Orakelsprüche seiner nächsten Umgebung ihn ebensowenig aus dem Gleichgewicht brachten. Wiederholt stellte er sich aus die Zehenspitzen, um freien Aus blick zu haben. Das Herrenreiten eröffnete den Tag. Ungeduld, Enttäuschung prägte sich in seinem von allen Seiten scharf be obachteten Antlitz aus. Ein schlimmes Ding für einen Reiter, eine Viertelstunde vor Beginn des Rennens, das im Ringe der Wartenden nicht unbemertt blieb. Plötzlich erhellte sich sein Antlitz, und selbst Cyclop, vielleicht daß durch den Arm auf seinem Rücken die Uebertragung stattfand, hob blitzschnell den Kopf und stieß ein Helles Wiehern aus. Ein Reiterpaar sprengte in den Sattelplatz, Leutnant von Sternau und seine Cousine Johanna. Letztere hatte Leining sofort entdeckt und ritt in kurzem Galopv auf ihn zu. Ihr Erscheinen erregte selbst in dieser Umgebung berechtigtes Ausseben. Eine vollendete Amazone! Woher sie » nur hatte, weiß der Kuckuk. Das Bischen Stcrnau'sche Blut konnte es doch nicht ausmachen! Gerade an dem heutigen Tage machte man sich un willkürlich Gedanken darüber, an welchem die Rasse und Ab stammungsfrage eine so große Rolle spielte. Doch diese kümmerte sich keinen Deut um alle auf sie gerichteten Gläser und reichte dem Grasen herzhaft die Hand. „Wie können Sie das thun? Wissen Sie denn nicht, was das heißt, in solcher Stunde beunruhigt zu werden?" Ein herber Vorwurf lag in den Wort« des Grafen. Johanna wurde seuerroth. „Wirklich, habe ich das? O, Egon ist schuld!" Sie wies auf den Leutnant, der eben eintrat. „Natürlich, das versteht er ja nicht," bemerkte der Graf mit einer wegwerfenden Kopsbcwegung. „Aber Sie müssen es ver stehen, Fräulern Johanna — kennen ja meinen Aberglauben. „Sie und abergläubisch?" Johanna lächelte verlegen. „Jeder Götzendienst ist Aberglaube," erwiderte Leining mit ge dämpfter Stimme, dann laut, allen Umstehenden vernehmbar: „Ja, Sie allein sind schuld, wenn mir etwas zustößt —" „Herr Graf, keinen Scherz — er könnte schlimme Folgen haben." „Wie so?" „Wenn Ihnen wirklich etwas zustieße — welche entsetzliche Bedeutung würden Ihre Worte für mich gewinnen!" „Wäre die Strafe zu groß, meinen Sie?" Der Raum um Johanna war jetzt frei, ein Glockenzeichen hatte die Neugierigen weggelockt. „Tödtlich," sagte sie. Ein zweites Glockenzeichen. Eine mächtige Flutbwelle be wegte das Mcnschenmeer ringsum; sie pflanzte sich rhythmisch fort, brandete die dichtbesetzte Tribüne hinauf, wühlte auch den Sattelplatz aus, in dessen Mitte der thurmartige Pavillon mit der von Mitgliedern des Rennclubs und der vornehmsten Gesell schaft besetzten Plattform wie ein Leuchtthurm sich erhov. Leining schwang sich in den Sattel. Cyclop erhob blitzschnell das Hauvt, seine ganze Figur veränderte sich, ein nervöses Zittern bewegte einen Augenblick jede Muskel, jeden Nerv, dem Windstoß ver gleichbar, der über eine eben noch regungslose Wasserfläche fegt. Leining streichelte den Hals des Thieres und flüsterte ihm Zauberworte zu. Die Leidenschaft des Thieres hatte sich ihm mitgetheilt, oder umgekehrt, Reiter und Pferd bildeten ein Wesen, von einem Herzschlag beseelt, einem Gedanken, und auch auf Johanna sprang diese mystische Reitergluth über. „Herrlich! Sie müssen siegen!" „Wenn Sie es sagen, habe ich schon gesiegt. Geben Sie nur Acht, Cyclop wird Wunder thun." Tas dritte Zeichen ertönte zum Anreiten vor dem Start. Leining wendete ianst Cyclop. „Leben Sie wohl Johanna, auf fröhliches Wiedersehen!" Zu Fuß und zu Pferde strömte alles dem Startplatz zu, an welchem die rolhcn, blauen und gelben, vom Luftzug geblähten Jacken der Reiter lustig herableuchteteu. Ter ganze Sattelplatz ivar leer. Nur Johanna wandte ihr Pferd nach der entgegen gesetzten Seite, nachdem sie ihren Begleiter Egon seiner Kavaliers» vflicht, sie zu begleiten, enthoben. Die weite Renusläche lag vor ihr. 'Rothe Fähnchen bezcichneten die Bahn, schwarze Klumpen, bald klein, bald größer, die Hindernisse, welche die Neugierigen umdrängten. Hinter ihr brauste die erregte Menge, welche die Tribünen, den Startplatz, das erste Hinderniß umdrängte; gab cs doch hier am meisten zu sehen. Sie wandte den Kopf nicht und ritt in entgegengesetzter Rich tung guer über das leere Feld. Die Einsamkeit that ihr wohl. (Fortsetzung folgt.)
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