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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 22.04.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189904222
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18990422
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18990422
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-04
- Tag 1899-04-22
-
Monat
1899-04
-
Jahr
1899
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 22.04.1899
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Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Seite S. — 22. April. 18S» halben Million ergeben. 3 2 2 3 3 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 Armee-Corps bayerisches Corps Armee-Corps die „Kreuzztg. Bataillone 40 34 33 33 32 31 30 29 29 29 29 28 28 28 28 25 25 25 24 23 22 21 21 2. bayerrisches Corps 15. Armee-Corps Garde-Corps 1. Armee-Corps giebt hierüber folgende Uebersicht: Corps Divisionen Brigaden 7 5 5 6 6 5 5 5 5 5 5 5 5 5 4 4 4 4 4 4 4 4 4 14. 1. 17. 5. 6. 7. 9. 2. 8. 1«. 18. 3. 13. 17. 11. 10. 4. 12. 19. Der vertheilt. Wir finden Armee-Corps von 21 und solche von 33 bis 40 Bataillonen, also fast doppelt so starke; Postkommission des Reichstags ist von der Reichs postverwaltung der Nachweis der mit der Beförderung der Zeitungen verbundenen Kosten, sowie eine umfängliche Uebersicht über die Wirkung der vorgcschlagenen Neuordnung, der etwaigen Abänderungen nach den verschiedensten Richtungen und der bisher von anderer Seite gemachten Vorschläge zum Postzeitungstarif vorgelegt worden. Darnach belaufen sich die Kosten für die Be sorgung, Abfertigung und Beförderung der Zeitungen im Ganzen auf 6118363 Mk. Die gesammte verbleibende Einnahme beläuft sich nach dem gegenwärtigen Tarife auf 7591307 Mk.; sie würde sich nach der Regierungsvorlage auf 9397 485 Mk., also um 1806178 Mk. höher stellen. Bei der um 25 Prozent ermäßigten Regierungsvorlage ergebe sich nur ein Plus von 43150 Mk., bei der um 20 Prozent ermäßigten ein solches von 707 825 Mk., während bei dem Wegfalle des 1 Kilogramm-Freigewicht sich das Mehr gegen jetzt auf 177 453 Mk. vermindern würde. Der erste Antrag Oertel ergebe eine Mindereinnahme gegen jetzt von 787774 Mk-, der zweite Antrag Oertel eine solche von 1094856 Mk. und der erste Antrag des Augustinusvereins sogar eine solche von 1279749 Mk. Von den übrigen Vorschlägen des Augustinusvereins ergebe nur der dritte ein Mehr gegen jetzt und zwar von 252930 Mk. Die übrigen drei Anträge dcS inspektoren. Abg. Frhr. Heyl zu Hernsheim (nl.), nimmt sodann nochmals zur Begründung seiner Anträge das Wort und beklagt sich dabei über die schlechte Behandlung seiner Reden seitens der Journalistentribüne. Besonders zu tadeln sei der Oldenberg'sche Bericht, der in seiner Heimathspresse benutzt werde, aber ein völlig falsches Bild seiner Reden hier im Hause gebe. Nach einer noch maligen Befürwortung der von verschiedenen Rednern angefochtenen Bestimmungen erhielt das Wort Abg. Raab (Reformp.) Auch seine Freunde begrüßen die Vorlage mit Freuden, insbesondere billige er die Konzessionspflicht für Stellenvermittler, um die Stellensuchenden vor Uebervor- theilung zu schützen. Den Schutzbestimmungen für die An gestellten der Ladengeschäfte stimme er mit besonderer Freude bei, er ist aber der Meinung, daß die Bestimmungen nicht nur aus die Angestellten in offenen Ladengeschäften, sondern auch auf die in den Komptoirs ausgedehnt werden müssen. Redner wies bei dieser Gelegenheit die Angriffe des Abg. Jacobskötter auf den deutschnationalen Handlungsgehülfenverband zurück und erklärte, daß diese Angriffe auf absoluter Unkenntniß der Verhältnisse beruhen. Herr Lenzmann rühmte sich damit, daß die Rechts anwälte im Gegensatz zu den Zünftlern und Agrariern nicht schreien. Euer Ruhm ist eitel. Die Rechtsanwälte haben keinen Anlaß zu schreien; sie haben ihre Zunft, keine ausländische Konkurrenz und sie haben den Antrag Kanitz in Form einer Gebührenordnung. (Rufe: Sehr gut!) Wenn die Gewerbetreibenden und Landwirthe auch nur annähernd den Schutz hätten, den die Zunft des Herrn Lenzmann genießt, wären sie sehr zufrieden. Redner schloß mit der Hoffnung, daß aus der Vor lage ein gutes Gesetz noch in dieser Session zu Stande komme. Abg. Bebel (Soz.) bekämpfte die Vorlage, weil die Be stimmungen theilS unzulänglich seien, theils zu sehr nach der Polizei riechen. Abg. Gamp (Rp.) wandte sich in scharfer Weise gegen den Abg. Lenzmann, der den Agrariern Habgier vorge worfen hatte. Redner wies diesen Vorwurf als eine ebenso un begründete wie unerhörte persönliche Beleidigung zurück und stellte sest, daß die Agrarier nicht aus persönlichen, sondern aus allgemeinen Interessen ihre Forderungen vertreten. Nach einer weiteren Rede des Abg. v. Stumm wurde die Debatte ge schloffen und die Vorlage nebst den beiden nationalliberalen An trägen an eine Kommission von 21 Mitgliedern verwiesen. Zum Schluß ermahnte der Präsident die Mitglieder, die an wesend sind und die, die nicht anwesend sind, zahlreicher zu er scheinen, da ein stets beschlußunfähiges Haus der Würde des Reichstages nicht entspreche. — Dienstag: Antrag Liebermann von Sonnenberg betr. Schächtverbot; Antrag Hitze: Arbeiter kammer. Der Gewährsmann des „Reichsboten" bemerkt zu der gestern mitgetheilten Erklärung des Herrn Kaplans Hoheisel: daß aus ihr nicht ersichtlich sei, auf welche Weise der Herr Kaplan sich „vergewissert" habe, „daß die Marienschwester ihn auf ausdrücklichen Wunsch des Kranken und mit Wissen der Frau habe rufen lassen", da die Schwester ihm doch nicht selbst diese Vergewisserung über ihre Aussage geben konnte. Er fragt ferner, warum der Herr Kaplan den Kranken nicht in Gegenwart der Frau gefragt habe, ob er von ihm die heilige Kommunion verlange, sondern diese Frage erst gethan habe, als er hinter verschlossenen Thüren allein mit ihm war. Dann theilt er noch folgendes Thatsächliche mit: „Am Abend des nächstfolgenden Tages, Dienstag, den 11. April, wurde durch den bekannten Evangelisten Hertzka der Seelsorger der Familie Hoffmann, Pastor Riemer, gerufen. In Gegenwart der Ehefrau, deren Schwägerin und des Herrn Hertzka richtete Pastor Riemer an den Kranken die Frage: „Lieber Herr Hoffmann, haben Sie der Marien schwester oder sonst Jemand gegenüber irgendwie den Wunsch ausgesprochen, die heilige Kommunion aus den Händen eines katholischen Priesters zu empfangen?" Mit feierlichen Worten, klar und bestimmt und unter ausdrücklicher Versicherung, daß er wie seine Familie im evangelischen Glauben leben und sterben wollen, verneinte er die Frage des Geistlichen. Diese vier Personen sind bereit, diese Thatsache eidlich zu bezeugen. Darauf kniete Pastor Niemer nieder zum Gebet. Der Kranke ist in zwischen gestorben." — Bei den scharfen Gegensätzen zwischen den Angaben des „Reichsboten" und denen der „Germania" ist eine eingehende und rücksichtslose amtliche Untersuchung der An gelegenheit hoffentlich sogleich zu erwarten. Von der sozialdemokratischen „Moral" werden der „Deutschen Tagesztg." im Anschlusse an den jüngsten Wahl kampf in Berlin II recht erbauliche Dinge mitgetheilt. In einer am Montage abgehaltenen freisinnigen Versammlung erzählte ein Bezirksvorsteher, wie es dem freisinnigen Wahlcomits sehr schwer geworden sei, einen Drucker zu finden, bei dem die freisinnigen Wahlflugblätter vor sozialdemokratischem Diebstahl sicher waren. An einem Freitag wurde ein Flugblatt in Druck gegeben, das am Sonntage zur Vertheilung kommen sollte; am Freitag Abend jedoch konnte schon der sozialdemokratische Kandidat Fischer den Inhalt des Flugblattes in einer Parteiversammlung mittheilen. Ebenso sind Briese, die an die Chefs Berliner Firmen geschrieben wurden, durch Diebstahl in den Besitz des „Vorwärts" gekommen. Daß der leidende Theil diesmal der Freisinn ist, der in früheren Fällen die Sozialdemokratie immer vertheidigte oder entschuldigte, darin liegt eine gewisse Ironie des Schicksals. Das „Schneidemühler Tagebl." meldet: Wegen Verdachts des Landesverraths wurde Feldwebel Albrecht vom 129. Jns.-Reg. von Bromberg nach Spandau gebracht. Oesterreich. In Georgenthal (Böhmen) streiken über 200 Weber und Weberinnen; sie verlangen Lohnerhöhung und Frei- gebung des I.Mai. In der Bodenbacher Knopffabrik von Pächter streikt eine Anzahl von Arbeitern, wodurch die Kündigung der anderen nothwendig geworden ist. Die Fabrikanten wollen eine geringe Lohnerhöhung bewilligen, mit der die Arbeiter nicht ein verstanden sind. In Ringelshain und Schönbach ist ein Bahn arbeiterstreik ausgebrochen. Verhandlungen zur Beilegung des selben sind im Gange. Vorgestern fanden Ansammlungen statt, bei denen es zu keiner Ruhestörung kam. Nach einer in Budweis abgehaltenen Versammlung des politischen Vereins „Buducrost", in welcher die Vorschläge der Baumeister erörtert worden waren, versuchten circa 1000 Arbeiter durch die Straßen zu ziehen, sie wurden aber von der Polizei zerstreut. Eine Verhaftung wurde vorgenommen. Zahlreiche israelitische Kaufleute schlossen ihre Läden. Die Nacht verlief ruhig. Gestern wurden auf einem Bauplatze arbeitende Personen mit Steinen beworfen. Belgien. Die Zahl der Ausständigen im Becken von Charleroi nimmt beträchtlich zu; sie wird nunmehr auf 18000 geschätzt. In den meisten Gruben wird jedoch noch in be schränktem Umfange gearbeitet. Ueberall herrscht Ruhe. Wie verlautet, beabsichtigen einige Hüttenwerke aus Mangel an Kohlen die Feuer zu löschen. Wenn der Ausstand bis Sonnabend nicht beendet sei, dürften mehrere große industrielle Werke vorläufig geschlossen werden. Im Kohlenbecken von Seraing ist die Lage sehr viel ernster geworden. Es arbeiten kaum einige Arbeiter. Der Vorstand des Kohlenbergwerks Kessales bietet den Arbeitern eine Erhöhung der Löhne an. Die anderen Vorstände sind hierzu ebenfalls geneigt, aber die Ausständigen weigern sich, nichtsdestoweniger zu arbeiten. In Herstal ist kein Arbeiter ausständig. Der belgische Kriegsminister, welcher den ebenso seltenen, wie harmonischen Namen Vandenpeereboom führt, hat, wie aus Brüssel mitgetheilt wird, unlängst mit großem Mißfallen bemerkt, daß eine größere Anzahl älterer Offiziere, welche die ersehnte reiche Gattin nicht haben heimführen können, zarte außereheliche Ver bindungen eingegangen sind. In der Befürchtung nun, daß einer der Offiziere auf den Gedanken kommen könnte, den aus dieser „Liaison" hervorgegangenen Kindern seinen Namen zu geben und die bisherige Gefährtin zu heirathen, hat er in einem Circular jedem Offizier unter Androhung der Degradation aufs Strengste verboten, eine „Geliebte" zu heirathen oder überhaupt eine Frau, welche nicht von respektablem Range ist und in jeder Gesellschaft eingesührt werden kann. In den Niederlanden sieht man in offiziellen wie in den Bevölkerungskreisen der Friedenskonferenz mit recht ge mischten Gefühlen entgegen. Die niederländische Regierung hatte, wie der „Int. Korr." von unterrichteter Seite aus dem Haag be richtet wird, bei der Uebernahme der Einberufung der Friedens konferenz es als selbstverständlich angesehen, daß auch die Buren staaten eine Einladung erhalten würden. Dies war um so mehr zu erwarten, da ja auch Bulgarien anfangs auf die Liste der Einzuladendcn gesetzt war. Gleichzeitig mit dem Einspruch der Türkei gegen die Zulassung Bulgariens erfolgten jedoch auch Vor stellungen Englands in Petersburg, um die Ausschließung Transvaals durchzusetzen. Der Zar gab dem Wunsche Folge, so daß die niederländische Regierung in die Zwangslage versetzt war, entweder die Abhaltung der Konferenz im Haag zurückzu weisen oder der Zurücksetzung Transvaals zuzustimmcn. Eine Anfrage bei der Regierung des Oranje-Freistaates, ob dieser die Einladung annehmen werde,ß wenn Transvaal ausgeschlossen bleibe, beantwortete Präsident Steyn dahin, daß er eine Ein ladung des Oranje-Staates in diesem Falle als eine Beleidigung der gesammten niederländischen Bevölkerung Südafrikas anfehen würde. Frankreich. Die Wiederaufnahmeangelegenheit tritt in ihren entscheidenden Endabschnitt. Es scheint, daß die ver einigten Senate die Vernehmung des Hauptmanns Freystätter und die Gegenüberstellung Rogets und Bcrtulus beschlossen an dem bisherigen Geschäftsbetriebe ändern; die Polizei werde! Augustinusvereins würden jeder ein Minus von ungefähr einer nur noch mehr belastet. Die Mißstände im Gewerbebetriebe be seitige man am besten durch gesetzliche Festlegung der Koalitions freiheit. Eine Mindestruhezeit von zehn Stunden sei das Ge ringste, was vorgeschrieben werden müsse. Die Ruhepause sollte auf elf Stunden erhöht und die Mittagspause verlängert werden. Zum Schluß verlangte Redner die Einstellung weiblicher Fabrik- PoNNsche Umschau. Freiberg, den 21. April. Man ist so gewöhnt, die deutsche Armee als ein gleich mäßig organifirtes Ganzes zu betrachten, daß man fast überrascht ist, in der jüngst erschienenen Armee-Eintheilung eine ganz un regelmäßige Zusammensetzung zu finden. So ist das Garde-Corps daS einzige, das einen Kavallerie-Divisionsstab und 8 Kavallerie- Regimenter besitzt, das 2. bayerische und 1. Armee-Corps verfügen über 6 Regimenter, das 6. über 5, das 11. wie 19. über 2, die sämmtlichen übrigen Corps über 4 Kavallerie-Regimenter. Die Corps sind durchschnittlich mit 8 bis 9 Artillerie-Abtheilungen versehen, das 2. bayerische Corps, das stärkste von allen, hat 11, dagegen das 18. nur 3 und das 19. nur 4 Artillerie-Abtheilungen. Fast noch ungleicher als die anderen Waffen ist die Infanterie haben. Die nationalistischen Blätter kündigen dies mit der eigenen Hinzufügung an, dieser Beschluß sei »om Strafsenat vergebens hartnäckig bekämpft worden. Die Nationalisten rühmen sich in Gesprächen, einer Mehrheit für die Verwerfung des Wiederaufnahmcgesuchs sicher zu sein. De Lanessan, riesen Fall ins Auge fassend, sagt im „Rappel": „Die Regierung väre dann gezwungen, am Tage nach der Urtheilsfällung die Vernichtung des 1894er Verfahrens zu fordern, das wäre aber weit gefährlicher als die Wiederaufnahme, denn die Vernichtung bedeutet die Feststellung von General MercierS Verbrechen durch das Höchste Gericht. Er müßte verfolgt und verurtheilt werden. Das Strafverfahren gegen Mercier würde eine ganze Reihe anderer Verfolgungen gegen die Lügner und Fälscher des Generalstabs von Lanth, Gribelin, du Paty de Claw ns zu Roget, Pcllieux und Boisdeffre nach sich ziehen." Da irrt ich de Lanessan. Die Regierung hat nach dem Wortlaut de» Zesetzes wohl das Recht, doch keineswegs die Pflicht, Richter, die einen Rechtsbruch begangen haben, zu verfolgen. Eine lange Er zählung des „Matin" von Esterhazys Aufenthalt in Holland nach seiner Flucht aus Paris enthält den seltsamen Zug, »aß >u Paty de Clam damals die Verbindung mit Esterhazy durch eine Gattin aufrecht erhielt, die ihm nach Rotterdam nachreiste ind ihn vier Tage hinter einander jeden Abend von 8 bis 9 Uhl in seinem Gasthof besuchte. Hr. Jacques Bertillon, Vorsteher deS statistischen Amtes der Stadt Paris, nicht zu verwechseln mit dem bösartigen Narren E. Bertillon, dem sein Schriftgutachten in der Dreyfussache wenig beneidenswerthen Ruhm gewonnen hat, beschäftigt sich in einem Vortrage, den er kürzlich im „Volksbunde zur Vermehrung der ranzösischen Bevölkerung" gehalten hat, mit der beständigen Abnahme der Geburten in Frankreich, die nach seiner Ueberzeugung das französische Volk, den französischen Staat mit dem nahen Untergange bedroht. Die Rolle Frankreichs in Luropa, führt Hr. Bertillon aus, wird immer unansehnlicher. Im das Jahr 1700 waren die Verhältnisse etwa diese: Frank reich zählte 20 Millionen Einwohner, Großbritannien 8 bis 10, das heilige römische Reich, mit den österreichischen Erblonden, 19 Millionen, Rußland wurde, wenigstens politisch, noch kaum zu Europa gerechnet. Die vier gesitteten Großmächte hatten also zusammen 50 Millionen Einwohner, darunter Frankreich allein 20, oder 40 v. H. 1789 hatte Frankreich 26 Millionen Ein wohner, England 12, das h. römische Reich 28, Rußland 25; zusammen giebt das 96 Millionen, von denen auf Frankreich 26 oder immer noch 27 v. H. entfallen. 1896 hatte Frankreich 38,2 Millionen, England 39,5, Deutschland 52,7, Oesterreich- Ungarn 44,9, Italien 31,3, Rußland 116, Nordamerika 72,8; die gesitteten Weltmächte zählten zusammen 395,4 Millionen Einwohner, und Frankreichs Antheil an diesen war weniger als ein Zehntel. England hat in diesen zwei Jahrhunderten seine Bevölkerung vervierfacht, Deutschland sie mehr als verdreifacht, Frankreich sie noch lange nicht verdoppelt, obschon es seitdem Nizza, Savoyen, das Gebiet von Avignon und Lothringen (bis auf das wieder verlorene Gebiet von Metz bis Sieck) erworben und nur das Elsaß verloren hat. Einst war die französische Sprache in Europa vorherrschend. Heute ist sie die Muttersprache von 46 Millionen Franzosen, Schweizern, Belgiern, Kreolen und Kanadiern, während Deutsch von mindestens 90 Millionen Deutschen, Oesterreichern, Schweizern, Balten und anderen Ruffen und Nordamerikanern von der Wiege an gesprochen wird. Englisch ist sogar die Muttersprache von 120 Millionen, von 340 anderen Millionen, für die es die Amtssprache der Regierung und Verwaltung ist, nicht zu sprechen. Der Rückgang Frankreichs ist einzig auf die Abnahme der Geburten zurückzuführen. Diese ist seit 1800 stetig. Es entfielen auf 1000 Franzosen in einem Jahre lebende Geburten: 1801—10 33, 1811—20 32, in den folgenden Jahrzehnten 31, 29, 27, 26, 26, 25, 24, endlich von 1891 bis 1895 21,6. Frankreich zählt 87 Departements. Von diesen hatten 1886 einen Bevölkerungszuwachs 58, einen Rück gang 29; 1891 waren diese Zahlen 32 und 55, 1896 sogar 23 und 64. Das heißt in 23 Departements nahm die Bevölkerung noch etwas zu, in 64 dagegen nahm sie ab, zum Theil reißend schnell. 1890, 1891, 1892 und 1895 überstieg die Zahl der Todesfälle die der Geburten, und die französische Bevölkerung verminderte sich in ihrer Gesammtheit. In den wohlhabenden Departements haben die Familien 2 Kinder, und wenn diese nicht früh sterben, so bleibt der Bestand unverändert; in den reichsten Departements aber (Eure, Cöte-d'Or u. s. w.) haben die Familien nur noch ein Kind, das folgende Geschlecht ist also nothwendig halb so zahlreich wie das voraufgegangene. Dem gegenüber stehen diese Zahlen: in Deutschland entfallen aus 1000 Personen jährlich 38 Geburten (1896 und 1897, wahrschein lich nur vorübergehend, etwas weniger, 36,2), in England 33, in Italien 38. Die Entvölkerung zieht zahlreiche Ausländer nach Frankreich, das deren weitaus die meisten in Europa beherbergt. 1851 gab es in Frankreich 379 280 Ausländer und 13525 Natu- ralisirte, zusammen 392814 Fremdbürtige; 1891 waren diese Zahlen 1130211 und 170704, zusammen 1300915, undseitdem sind sie weiter gewachsen. Welches sind die Ursachen dieser Be völkerungsverhältnisse ? Nach Herrn Bertillon sind sie aus schließlich wirthschaftlicher Natur. Man will keine Kinder haben, weil sie zu viel kosten und weil man das Vermögen nicht unter zu viel Erben vertheilen will. Besonders die Vorschrift des französischen Gesetzes, das allen Kindern das gleiche Erbrecht cin- räumt, den Eltern das Verfügungsrecht über den größten Theil des Vermögens nimmt und den Zwangsverkauf des unbeweg lichen Gemeinbesitzes der Erben befiehlt, hat verwüstende Wirkungen. Man hat alle möglichen Heilmittel vorgeschlagen, von denen Herr Bertillon sich gar nichts verspricht. Solche Quacksalbermütel sind: Die Einführung der Klage auf An erkennung der Vaterschaft unehelicher Kinder, die Abschaffung der Ehescheidung (!), der Sozialismus, die Stärkung des religiösen Gefühls, die Erleichterung der Eheschließung, die Aushebung der Klöster u. s. w. Herr Bertillon macht andere Vorschläge. Jede Familie mit mehr als drei Kindern soll von allen Steuern be freit sein, die mit drei Kindern die gegenwärtigen Steuern weiter bezahlen, jede mit weniger als drei Kindern einen Zuschlag von 10 bis 50 v. H. erleiden (zwei Kinder 10 v. H., ein Kind 30 v. H., kein Kind 40 v. H., Junggesellen über 30 Jahre 50 v. H.). Da es in Frankreich nur 2122210 Familien mit mehr als drei Kindern giebt (2364202 haben zwei Kinder, 2639894 nur eins, 1848572 sind kinderlos), so würde die neue Besteuerungsweise daS Staatscinkommen nicht vermindern, sondern ein wenig ver mehren. Ferner soll der Staat, wenn ein einziges Kind erbt, die Hälfte, bei zwei Kindern ein Drittel der Hinterlassenschaft an sich nehmen und aus diesen Mitteln den Eltern, die mehr als drei Kinder groß gezogen haben und Unterstützung brauchen, eine Altersversorgung bezahlen. Die Vorschläge haben keine Aussicht, angenommen zu werden, und das ist schade. Sie würden einen lehrreichen soziologischen Versuch ermöglichen, der lehren würde, ob die Ursachen der französischen Unfruchtbarkeit nur wirthschaftli^ sind und mit Willen und Bewußtsein beseitigt werden können.
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