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S1 1822 übersetze derselbe, daß es sich Per nur um eine Gewerbenovelle handele. Gegen den Achtuhr-Ladenschluß bestehe großer Wider spruch, man thue daher gut, den Handlungsgehilfen mit etwas sanfteren Mitteln zu helfen. Statt der Maximalarbeitszeit em pfehle sich eine Minimalruhezeit; eine solche von 10 Stunden werde zur Noth auch für die Handlungsgehilfen m der Großstadt genügen und stelle jedenfalls schon einen großen Fortschritt dar. Persönlich glaube er, daß der Antrag Bassermann keinen Be denken unterliege. Anders liege die Sache mit dem Anträge Heyl; die Vorschläge desselben betr. den Arbeitsschutz in den Werkstätten der Hausgewerbetreibenden dürsten zum Theil nicht durchführbar sein. Die Sonntagsruhe sei außerdem schon jetzt auf die Werkstätten ausgedehnt. Einen eigentlichen Heimarbeiter der in seiner Stube arbeite, könne mau aber unmöglich zwingen, am Sonntage zu ruhen; auch könne er gar nicht überwacht werden. Ob ferner Ueberarbeit vorliege, wie der Antrag Heyl sie unter Umständen verbieten wolle, das festzustellen sei dem Richter gar nicht möglich. Nach Paragraph 4 desselben Antrages solle die Aufsichtsbehörde sogar darüber wachen, ob Haus arbeiterinnen, denen Wohnung ode» Beköstigung gewährt werde, beides auch ausreichend und gesundheitsgemäß erhielten. Gestern hat sich ein Sturm im Hause erhoben, weil die Hausschlachtungen kontrolirt werden sollen; der Sturm hat sich erhoben, obwohl ich nachwies, daß in einem Falle 40 Personen infolge von Haus- .schlachtung eines kranken Thieres schwer erkrankt sind — und hier verlangt man, die Polizei solle daS gesund« Wohnen und die ge sunde und ausreichende Beköstigung überwachen. Solche Vor schläge kann ich wirklich nicht ernst nehmen: ich bitte dringend legen Sie sich einige Beschränkung auf, sonst wird eS nicht mög lich, die den Betreffenden zugedachten Wohlthaten noch in dieser Session zum Beschlusse zu erheben. Abg. Frhr. v. Stumm (ReichSP.): Die Vorschläge der Regierungsvorlage verdienen vor denen dieselbe Materie be treffenden Anträgen der Nationalliberalen den Vorzug. Das Ver halten der letzteren ist um so weniger verständlich als die 88 114» und 137» des Entwurfs durchweg nichts anderes enthalten, als was die Nationalliberalen vor zwei Jahren gewünscht haben. Ferner ist es merkwürdig, daß heute die nationalliberalen Anträge auch diejenigen Punkte in sich ausgenommen haben, die sie vor zwei Jahren an der Regierungsvorlage getadelt haben. Die An träge deS Freiherrn von Heyl scheinen mir von einer ganz falschen Grundlage auszugehen. Außerdem ist eine solche Rumu- lation von Gesetzen, wie sie seine Anträge darstellen, höchst be denklich, man weiß schließlich gar nicht mehr waS Recht ist. Es ist heute schon sehr schwer, die Uebersicht zu behalten. Handwerk und Hausindustrie lassen sich nicht anders scheiden, als indem man sagt, Handwerk ist, wenn einer nur für Kunden arbeitet, Hausindustrie, wenn er durch Vermittelung eines Auftraggebers für den Kunden arbeitet. Wissen Sie eine bessere Definition, so bitte, lassen Sie sie hören. Die Arbeiterschutzbestimmungen lassen sich nicht ohne Weiteres auf die Hausindustrie oder gar auf einzelne Heimarbeiter anwenden. Sollen denn einzelne Beamte berechtigt sein, abends die Wohnungen von alleinstehenden Näherinnen zu betreten, um die Befolgung der Arbeiterschutz bestimmungen, wie sie Freiherr von Heyl vorschlägt, zu kon- trolliren? DaS wäre doch sehr bedenklich. Außerdem leiden die Anträge des Freiherrn von Heyl an Unklarheit und daran, daß ihre Forderungen zu weit gehen, z. B. soll die Aufsichtsbehörde darüber wachen, daß die Arbeiterinnen oder jugendlichen Arbeiter ausreichende und gesundheitsgemäße Ernährung erhalten. Wohin soll das führen? Ich behaupte — nehmen Sie mir das nicht übel — so macht man keine Gesetze. In den Schank- undGast- wirthschaften läßt sich die Mittagsruhe schwer regeln; wann ist denn die Mittagsstunde? In Berlin schwankt sie von 1 bis 8 Uhr abends, wenigstens habe ich zu jeder Stunde während dieser Zeit das beobachten können. Im Allgemeinen kann ich nur bitten, die Anträge der Nationalliberalen mit der Vorlage nicht zu verquicken und sich auf den Boden der letzteren zu stellen. Abg. Pfannkuch (Soz.): Die Vorlage sei bloße Flick arbeit; die Borlage sowohl wie der Antrag Heyl befriedigten weder Arbeitgeber noch Arbeiter. Die Heimarbeit müsse eigent lich ganz aus dem Rahmen der wirthschaftlichen Thätigkeit ge- lrWvgsstörm. Roman von Nataly vou Eschstruth. (6S. Fortsetzung.) Nachdruck verboten.) Die Thüre flog schmetternd auf, Rothtraut stürmte mit roth- gesrorenem Gesichtchen in das Zimmer und streckte dem jungen Gutsherrn beide Hände entgegen. „Endlich, endlich lassen Sie sich einmal wieder sehen!" jubelte sie voll so ehrlicher Freude, daß ein warmer Strahl aus Josefs umschatteten Augen leuchtete. „Was haben Sie denn nur vorgehabt? Waren Sie krank — wirklich krank? Gott sei Lob -nd Dank, nun ist es aber vorüber, und nun kommen Sie wieder alle Tage — und heute essen Sie mit unS, nicht wahr, lieber Herr von Torisdorff?" Die Worte sprudelten ihr nur so von den Lippen, und dabei drückte sie seine Hände und war ganz außer sich vor Freude. > „Gewiß, bleibe ich heute hier, und Ihre Langeweile soll nun auch ein Ende haben; ich habe Ihnen soeben Besuch an gemeldet." „Besuch?!" Wie ein Schrei klang's von ihren Lippen, sie preßte die Händchen gegen das Herz, und ihr Gesichtchen sah plötzlich aus wie in Feuer getaucht. „Kommt er — wirklich, kommt er?" „Er? — Von wem reden Sie, Fräulein Rothtraut?" „Nun, von ihm, vom Ihrem Bruder Klaus!" jauchzte sie auf, als sei sie ihrer Sache ganz gewiß. „Ja, Klaus kommt allerdings auch mit, — er wird eine An verwandte zu uns bringen." „Eine Verwandte?" „Ein junges Mädchen, welches Sie hoffentlich als liebe Freundin willkommen heißen!" Rothtraut breitete stürmisch die Arme aus: „Ein junges Mädchen — und Ihr Bruder — Hi rrah, welch eine Ueber- raschung! Und ob ich sie willkommen heißen will! Ach das ist ja beinah der Freude zu viel!" Noch ein sröhliches Plaudern hi» und her, die Aufregung, die muntere Frische der Kleinen tbaten Josef wohl. Endlich schritt er nach der Thüre. »Ich will den Antwortsbries an meinen Bruder hier schreiben, finde ich wohl Tinte auf meinem Schreibtisch, oder ist sie einge trocknet?" „Sehen Sie nur mal zu!" lächelte Nothtraut schelmisch und huschte ihm voran m sein Arbeitszimmer. Wie wohnlich, warm und traut! Blumen blühten, und die Uhr tickte. Nein, er war nicht fremd geworden. Auf dem Schreibtisch stand alles in tadelloser Sauberkeit und Ordnung, und Rothtraut rieb sich schmunzelnd die Hände beim Anblick seiner freudigen Ueberraschung. Plötzlich stutzte er und blickt- auf das Bild des Stiefbruders. Es stak verkehrt im Rahmen. strichen werden, denn nirgends sei die kapitalistische Ausbeutung der Arbeitskraft schlimmer, als in der Form der Heimarbeit- Die Gewerbeaussicht müsse «uf Hausindustrie und Handwerk aus gedehnt und auf Arbeitskammern aufgebaut werden- Weshalb solle ferner nicht ebenso wie anderwärts auch bei unS eine Maximal- Arbeitszeit möglich sein? Dem Uebelstand auf dem Gebiete der Gesindevermittlung und der Stellenvermittlung überhaupt könne viel radikaler entgegengearbeitet werden, wenn «»fach verboten werde, von Stellensuchern Gebühren zu erheben. Abg. Jakobskötter (kons.): Wir haben ein großes In teresse daran, daß die Vorlage Gesetz wird. Was hat denn nun der Vorredner Positives vorgeschlagen? Nichts weiter, als daß die Gebühren an die Stellcnvermittler nur von den Arbeit gebern gezahlt werden sollen, wo schon jetzt letztere alle Lasten der Sozialpolitik zu tragen haben! Inkonsequent war es, daß der Vorredner einmal die Ausdehnung der Kouzessionspflicht von sich wies, dann aber beantragte, die Kategorie der Heirathsvermittler auch mit einzubcziehen. Ich habe natürlich nichts dagegen, ich verstehe bloß die Inkonsequenz des Herrn Pfannkuch nicht. Die in Artikel 6 der Vorlage vorgeschlagenen Lohnbücher und Arbeits zettel betrachten wir nur als einen Versuch, den wir aber mit der Regierung machen wollen. Die Heimarbeit an sich ist etwas so gesundes, so gerechtes und natürliches, daß ich nicht verstehe, wie man sie so verurtheilen kann. Den Anträgen, die Heimarbeit zu verbieten, können wir ruhig entgegensehen, die Verbündeten Regierungen werden sie nicht annehmen. Dabei leugnen wir nicht, daß ein Mißbrauch damit getrieben werden kann; hier Ab hilfe zu schaffen, wollen wir eben versucken. Der wichtigste Artikel ist Artikel 8, der sich mit den Verhältnissen der Gehilfen und Lehrlinge beschäftigt. Daß eine Regelung dieser Verhält nisse nöthig ist, wird Niemand bestreiten. Jeder weiß auch, daß in keinem Beruf eine solche Ausbeutung besteht, wie im Kauf mannsberuf. Aber die Kaufleute halten doch ihre Läden nicht bloß zum Bergnügen und des Erwerbs wegen offen, sondern um dem Publikum zu dienen. Sie haben oft genug einen einheit lichen Ladenschluß einführen wollen, aber das ist eben nur mög lich durch gesetzliche Bestimmungen. Die Erfahrungen mit der Bäckereiverordnung und den Bestimmungen über die Sonntags ruhe, die Unzufriedenheit darüber in den betheiligten Kreisen, lassen es aber doch nicht räthlich erscheinen, so weit zu gehen, wie die Gehilfenverbände es vielfach wollen, d. h. den einheitlichen 8 Uhr-Ladenschluß einzuführen. Das ist, fuhr Redner fort, schon wegen der Verschiedenheit der Verhältnisse in den verschiedenen Gegenden und Städten nicht möglich. Auch mit der Mittags pause ist es ähnlich. Das Verlangen, den Angestellten eine Pause von einer Stunde und mehr zu geben, während die Prinzipale dann die Kunden bedienen müßten, versteht doch wirklich kein Mensch. Nöthig ist, daß die Angestellten nicht über Gebühr ausgenützt werden, wie es jetzt ist; dem wird durch die zehnstündige Ruhezeit entsprochen. In einer Eingabe, die von Leipzig aus an uns ergangen ist, wird um eine bessere Legung der Zeit der Sonntagsruhe gebeten. Ich gebe zu, daß diese Wünsche in dieser Beziehung sehr verschieden sein können, aber diese kann man nicht alle erfüllen. Berschiedene Auswüchse, die sich bei der Sonntagsruhe herausgebildet haben, zu beseitigen, wird die Kommission Gelegenheit haben. Auf die sonstigen weit gehenden Forderungen von Gehilsenverbänden gehe ich nicht ein. Ob es möglich sein wird, der Lehrlingszüchterei im Kausmanns betriebe entgegenzutreten, weiß ich nicht; wünschenswerth wäre eine Regelung ähnlich der im Handwerksbetriebe. Ich beantrage namens meiner Freunde ebenfalls die Verweisung an eine Kommission von 21 Mitgliedern und hoffe, daß deren Arbeiten einen bedeutsamen Schritt auf dem Wege sozialer Fürsorge be deuten werden. (Beifall rechts.) Abg. Pauli-Potsdam (wild, Antisemit) spricht sich für die Regierungsvorlage auS und stimmt mit dem Abg. Pfannkuch darin überein, daß die Stellenvermittelungsgebühren nur von den Arbeitgebern gezahlt werden sollen. Die längere Mittagspause würde zur Folge haben, daß mehr bei Licht gearbeitet werden müßte. Bauarbeiter z. B. wollen gar keine lange Mittagspause, denen liegt vielmehr daran, abends eine Stunde früher nach „Wer hat denn die Photographie herausgenommen?" fragte er. „Und die Blumen, welche davor liegen —" Ein leiser Laut höchster Bestürzung. Rothtraut sah so todt- verlegen aus wie noch nie. Sie schlug wie in namenloser Bestürzung beide Hände vor das Gesicht. „Ach, in der Eile . . . Mama kam gerade ... ich wollte nämlich das Bild mit Blumen ... der Rahmen sah so dunkel aus . . ." und dann brach sie kurz ab, wandte sich um und stürmte zur Thüre. Josef lächelte. „Seltsames Kind, als ob sie eine Sünde begangen hätte!" Ein Menschenkenner war Josef nicht. 23. Kapitel. Es war ein unfreundlicher Morgen. Ein Gemisch von Regen und Schnee stäubte durch die Luft, und die Thüringer Berge ver schwanden hinter grauen Nebelwogen, daß sich kaum ihre Umrisse gegen den schweren wolkigen Himmel abzeichneten. Der März hatte den Winter um sein Recht bertrügen wollen, nun mußten es der letzte April und der Anfang des Mai um so emdfindlicher büßen und dem gestrengen Herrn die pflichtige Steuer zahlen. Klaus ging, in einen dicken Pelz gewickelt, aus dem Perron des Bohnhofs auf und nieder. Sein nachdenklicher Blick war geradeaus gerichtet. Nun war alles vorbereitet, und wenn es Charitas gelang, sich unbemerkt aus dem Hause zu entfernen, so konnte man den Plan wohl als geglückt ansehen. Und warum und wodurch sollte sie in dieser sehr frühen Morgenstunde aufgehalten werden? War es doch in erstaunlich guter Weise geglückt, daß Klaus unter dem Pseudonym eines Ver sicherungsagenten die Villa betreten und in bequemster Weise Charitas ein Zettelchen zustecken konnte. Leider war das Dienst mädchen, wohl von der Herrschaft beauftragt, keinen Augenblick aus ihrer Nähe gewichen und war ein mündliches Besprechen der Angelegenheit dadurch unmöglich geworden. Aber der Zettel genügte ja. Er enthielt die wenigen Worte: „Wenn möglich, kommen Sie morgen früh zu dem Schnellzug 5^ an die Bahn. Ich habe alles vorbereitet und erwarte Sie, falls Sie morgen verhindert sind, auch alle folgenden Tage um diese Zeit aus dem Perron. Eine Frau Geheimräthin von Damasus auf Lichtenhagen bei Rankendorf wird Sie als liebe Tochter auf nehmen und Ihnen, so lange es Ihnen gefällt, von Herzen gern Zuflucht gewähren. Wenn möglich, hinterlassen Sie einen Brief an die Pflegeeltern und theilen Sie denselben mit, daß Sie sich als deutsche Gesellschafterin mit einer älteren Dame in das Ausland begeben; im Herbst, zu Ihrer Mündigkeitserklärung, würden Sie zurückkehren. Ein Aufgebot der Polizei würde nur zur Folge haben, alle guten und verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen ihnen sür immer zu lösen." Falls die Flucht sür morgen früh zu ermöglichen sei, bitte er, ein brennendes Licht Hause gehen zu können. Im klebrigen schließe ich mich dem Bor« schlage an, die Vorlage an eine Kommission zu überweisen. Weiterbrrathung Donnerstag. Politische Umschau. Freiberg, den 20. April. Deutschland. Die Kommission für die Postvorlage des Reichstages lehnte mit 20 gegen 5 St. den Artikel ab, der hauptsächlich verlangt, daß das Postregal auch auf verschlossene, innerhalb des Ursprungsvrtes verbleibende Briefe (Stadtbriefe und Ortsbriefe) auszudehnen sei. Darauf zogen Müller-Sagan, Singer unl Hasse ihre Anträge zu Artikel 2 zurück. Die Kommission berieth ferner die Bestimmungen betreffend die Beförderung der Briefe und politischen Zeitungen durch Expreßboten oder Fuhren (§ 2 des Artikels 2). Die Bestimmungen wurden nach längerer Debatte mit 20 gegen 5 Stimmen abgelehnt. Die Abgg. Haffe, Singer und Müller-Sagan zogen daraus ihre Anträge zu diesem Paragraph zurück. Kardinal Erzbischof Krementz vonKöln ist seit einige» Tagen erkrankt. Vorgestern hatte sich sein Befinden so ver schlimmert, daß man für sein Leben Befürchtungen hegte. Später konnte eine kleine Besserung in seinem Zustande festgestellt werden. Zum Befinden des vr. Krementz versichert der ibn be handelnde Oberarzt deS Kölner Marienhospitals I)r. Brohl, daß der Fieberanfall vorgestern Abend eine derartige Schwäche herbei führte, daß der Kranke um */,7 Uhr Abends mit den Sterbe sakramenten versehen wurde. Abends ^/,10 Uhr machten Brohl, sowie der Geheimrath Königs nochmals einen Besuch und fanden den Kranken etwas ruhiger. Die Nacht wurde indessen wieder unruhig verbracht. Die Aerzte befürchten eine Wiederholung des Anfalles. Bei dem hohen Alter, sowie dem steten Kräfteversall des Kirchenfürsten steht daS Schlimmste zu befürchten. — Der Kölner Erzbischof gilt als der „Primas von Preußen", er ist daS erste und hervorragendste Mitglied deS preußischen Epis kopates, wie er denn auch bei den Fuldaer Bischofskonferenzen den Vorsitz führt. Wie gemeldet, theilte Rechtsanwalt vr. Vielhaben von der deutsch-sozialen Resormpartei mit, daß er sein ReichStaosmandat für den Wahlkreis Kassel-Hofgeismar-Rinteln auS GeschLsts- rücksichten niederlegt. Bei der Ersatzwahl gilt Herr Oswald Zimmermann-Dresden als wahrscheinlicher Kandidat der deutsch-sozialen Reformpartei. Ueber einen Fall von katholischer Proselytenmacherei berichtete dieser Tage der „Reichsbote". Seiner Darstellung widerspricht jetzt in der klerikalen „Germania" Kaplan Hoheisel von St. Michael, indem er schreibt: „Am 11. April frühmorgens wurde ich von einer Marienschwester zu dem p. Hoffmann, Borck straße 47, gerufen, um demselben die Sterbesakramente zu er- theilen. Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß die Schwester mich auf ausdrücklichen Wunsch des ManneS und mit Wissen der Frau gerufen, ging ich sofort hin und verrichtete im Beisein der Angehörigen, ohne von denselben gestört zu werden, die üblichen Vorbereitungsgebete. Als ich dann dem Kranken die Beichte ab nehmen wollte, bat ich die Anwesenden, für einige Augenblicke das Zimmer zu verlassen. Nur die Frau weigerte sich dessen mit den Worten, sie könne Alles hören, was ihr Mann mit mir zu sprechen habe, und übrigens dürfe ihr Mann niemals das heilige Abendmahl aus meinen Händen empfangen, weil er vor Kurzem erst das Abendmahl aus der Hand des protestantischen Geistlichen erhalten hätte. Ich richtete daher an den Mann die bestimmte Frage, ob er mich habe rufen lassen. Derselbe bejahte dieses und forderte darauf die Frau auf, hmauSzugehen, was auch geschah. Nun bat mich der Mann ausdrücklich, dasür zu sorgen, daß wir allein blieben. Dies war der Grund, warum ich die Thür abschloß. Der Mann erklärte mir nun, es thue ihm äußerst leid, daß er sich durch fortwährendes Zusetzen habe bewegen lassen, das protestantische Abendmahl zu empfangen, und bat auch, ihm sofort im Geheimen die heilige Kommunion zu reichen, weil es ihm sonst unmöglich gemacht werden würde. Inzwischen tobte die Frau im Nebenzimmer in einer solchen Weise, daß ich hinaus ¬ gegen elf Uhr an eins der Frontfenster zu stellen! Das Licht hatte gebrannt, uud nun schritt Klaus unter dem Glasdach des Perrons auf und nieder und wartete. Es war nicht mehr viel Zeit zu verlieren, das erste Glocken zeichen war gegeben. Voll sorgender Unruhe schritt der junge Mann auf den Bahn hofsplatz zurück und schaute den Weg hinab. Richtig! Dort in dem grauen Regendunst taucht eine hohe, eilig schreitende Mädchengestalt auf. Sie sieht ihn — er winkt ihr zu und macht ein Zeichen, dann stürmt er zur Telegraphen station und legt hastig einen beschriebenen Zettel und Geld vor dem Beamten nieder. „Bitte sehr, die Depesche aufzngeben — ich bin sehr eilig!" sagt er höflich grüßend. „Wir kommen heute Vormittag 10 Uhr 40 Minuten in Rankendorf an. Klaus," steht in dem Telegramm, welches an den Freiherrn von Torisdorff gerichtet ist. Wenige Augenblicke später drückt KlauS voll freudiger Er regung die Hand des jungen Mädchens. „Gott sei Dank, so weit also wäre eS geglückt!" athmet er auf. „Ich besorge jetzt die Fahrkarten und händige Ihnen die Ihre ein. Vorsichtshalber steige ich hier in ein Rauchcoupe, damit man unS nicht zusammen abreisen sieht. Wenn Sie ge- statten, schließe ich mich Ihnen in Weimar an." Charitas hat leichenhaft bleich ausgesehen, jetzt fluthet dunkl« Gluth über ihre Wangen. „Herr Sterley", flüstert sie gepreßt, „ich habe eine große, herzliche Bitte an Sie!" „Befehlen Sie, mein gnädiges Fräulein!" „Reisen Sie nicht mit mir! Reisen Sie, bitte, nach München zurück! Ihre Empfehlung begleitet mich ja — und es würde mir unerträglich sein, wenn meine Abreise von hier auch nnr den leisesten Schein einer Entführung trüge!" Er verneigt sich respektvoll. „Sie haben darüber in jeder Weise zn bestimmen, mein gnädiges Fräulein. Daß ich etliche Tage später für ganz kurze Zeit nach Lichtenhagen komme, ge statten Sie mir hoffentlich, ich habe geschäftliche Angelegenheiten dort zu erledigen, welche meine persönliche Anwesenheit er fordern!" „Selbstverständlich, Herr Sterley! Es handelt sich ja lediglich um meine Abreise hier und die möglicherweise austauchenden Gerüchte! Ich werde im Gegentheil von Herzen froh sein, wenn ich bald Gelegenheit finde, Ihnen für all die großen, großen Opfer, welche Sie mir gebracht, danken zu können! Gott lohn es Ihnen, und nun leben Sie wohl, die Zeit drängt wohl!" (Fortsetzung folgt.)