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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 12.04.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189904120
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18990412
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18990412
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-04
- Tag 1899-04-12
-
Monat
1899-04
-
Jahr
1899
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 12.04.1899
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1899 giftige» Farbe» bestrichen, die Einfuhr derfelbeu ver boten oder doch wesentlich erschwert werden soll. Die be- theiligten Kreise sind deshalb zur Erklärung über die Sachlage veranlaßt worden. Gcmüthsmenschen find unsere lieben „Vettern* jenseits deS OzeanS. Der Leipziger Handelskammer lag in einer ihrer letzten Sitzungen daS Ersuchen deS amerikanischen Konsuls z» Leipzig vor, ihm eine Reihe von Fragen zu beant worten über die Zurichtung und Bearbeitung von Kaninchen fellen für die Hutmacherei, über die dabei zur Verwendung kommenden Materialien, Werkzeuge und Maschinen, über die Preise, die Nutzbarmachung der Abfälle u. s. w., unter möglichst eingehender Beschreibung (!) der verschiedenen Verfahren und Prozesse, denen die Felle bis zur Fertigstellung für den Gebrauch des Hutmachers unterworfen werden. Die Handelskammer hat darauf die einzig richtige Antwort abgegeben, daß fie, obwohl gern bereit, den Verkehr Deutschlands mit anderen Staaten zu fördern, es doch grundsätzlich ablehnen müsse, über die technischen Vorgänge in der deutschen Industrie Berichte zu erstatten, die geeignet sein könnten, dem ausländischen Wettbewerb Vorschub zu leisten. Wie jetzt auS der Zusammenstellung der amerikanischen Äonsularberichte sich zeigt, schreibt der „Hann. Courier", gehen die amerikanischen Konsuln mit diesen in die innersten Verhält nisse eindringenden Anfragen durchaus systematisch vor. Die deutsche „Papier- und Schreibwaaren-Zeitung" ist in der Lage, den Fragebogen abzudrucken, welchen ein Konsul für die Papier industrie versandt hat. Dieser ist noch umfangreicher und dringt noch mehr in die industriellen und Betriebsverhältnisse ein, als beispielsweise die vom Reichsamt des Innern versandten pro duktionsstatistischen Fragebogen. Es wird gefragt u. a. nach den Ein- und Verkaufspreisen, nach den verarbeiteten Quantitäten, Adressen aller Art, Fabrikationsmethoden, der Ein- und Ausfuhr, den Tarifverhältnissen u. v. a. Einem Gewährsmann wurde für die Beantwortung der vielen Fragen, bei der auch ganz eminente Kenntnisse auf allen möglichen Gebieten vorausgesetzt werden, echt amerikanisch ein kleiner Geldbetrag geboten, der aber in gar keinem Verhältnis stand zu der ganz kolossalen Arbeit, die die Beant wortung verursachen würde. Es bedarf wohl keiner besonderen Mahnung, wie nothwendig es ist, ausländische Konsuln und ähn liche Kundschafter von dem Eindringen in unsere Industrie mit aller Energie fernzuhalten. — Man muß es den Pankees lassen: iie find ein Völkchen von einer fröhlichen, fast kindlichen Unver frorenheit. Aus Eger wird der „Köln. Ztg." von einem unstatthaften militärischen Uebergriff wie folgt berichtet: Der Sohn eines seil langen Jahren in Eger angestellten königlich bayrischen Liscnbahnbeamten wurde 'von seiner Garnison Ingolstadt zum Besuch seiner sterbenskranken Mutter telegraphisch nach Eger ge rufen. Aus einem Gange zur Stadt führte ihn der Weg an einer österreichischen Kaserne vorbei, wobei er den Wachtposten — seinen später« protokollarischen Aussagen gemäß — nicht zu Gesicht bekam. Ein in der Nähe befindlicher österreichischer Unter offizier hielt den bayrischen Infanteristen an und warf ihm vor, daß er dem Wachtposten die Honneurs nicht erwiesen habe. Mit dem Bemerken, er habe keinen Posten gesehen, legitimirte sich der bayrische Soldat durch seinen Urlaubspaß — unterzeichnet und gestempelt vom 10. bayrischen Infanterie-Regiment in Ingolstadt und außerdem legitimirt durch einen Vermerk des österreichischen Egerer Militärkommandos, bei dem sich der bayrische Soldat vor schriftsmäßig zum Urlaub in Eger angemeldet hatte. Der österreichische Unteroffizier hielt trotzdem den deutschen Soldaten fest mit dem Bemerken, der Urlaubspaß könne wohl Schwindel sein, und steckte ihn inS Gefängniß. Nach drei Stunden erst wurde der deutsche Soldat aus seiner Haft entlassen, ohne daß ihm irgend eine Art weiterer Aufklärung zutheil geworden wäre. Nach eingezogenen Erkundigungen hat die österreichische Militär behörde bisher noch keine Schritte zur Entschuldigung unter nommen. Ein solcher Mißgriff ist in keiner Weise entschuldbar, da es in Eger durchaus nicht zu den Seltenheiten zählt, daß deutsche Soldaten als Söhne der dort in großer Zahl wohnenden reichsdeutschen Bahn- und Zollbeamten auf Urlaub in der Stadt weilen. In Oesterreich sind allerdings die Wachtposten von den Soldaten zu grüßen, doch kann davo» ein fremdländischer Soldat kaum Kenntniß haben; keinesfalls kann daraus ein Recht her geleitet werden, daß auf Grund einer solchen Unterlassung eine Haftstrafe von drei Stunden ausgesprochen wird und noch dazu von einem Unteroffizier. Wir gaben kürzlich die Mittheilung der demokratischen „Volks- ztg." wieder, daß der infolge der bekannten Vorgänge in der Nacht nach dem Tode des Fürsten Bismarck entlassene und be strafte Förster Spörke einen Prozeß gegen den Fürsten Herbert Bismarck auf Zahlung der ihm angeblich zustehenden Pension angestrengt habe und in diesem Prozeß von dem Rechts anwalt vr. Vielhaben vertreten werde. Nunmehr berichtigt sich die „Volksztg." selbst, indem fie schreibt, daß die Klage wahr scheinlich zurückgezogen werde, und daß der Vertreter des Försters Spörke der Rechtsanwalt Vielhaben nicht sei. Von einem ultramontanen Streich meldet das „Osthavell. Kreisbl." aus Nauen: Großes und berechtigtes Aussehen erregt in der hiesigen Gemeinde nachstehender Vorgang. Als bei der am 26. vorigen Monats stattgefundenen Konfirmation das Mädchen Ida Schultz zum Empfange des Segens aufgerufen wurde, stellte sich heraus, daß dasselbe im Gotteshause fehlte. Der konfirmirende Geistliche nahm zunächst an, daß das Kind durch plötzliche Erkrankung behindert sei, in der Kirche zu er scheinen. Schon im Laufe deS Nachmittags aber cirkulirte ein Gerücht, das, so unglaublich es ursprünglich auch erschien, am kommenden Tage leider umfassende Bestätigung fand. Das Kind, welches einer gemischten Ehe entstammt, in der die Mutter katholisch, der Vater evangelisch ist — die Eltern leben von einander getrennt —, war am Tage vor der Einsegnung in aller Stille durch eine Frau, welche selbst Kon vertitin sein soll, dem katholischen St. Afra-Stift in Berlin zugeführt worden. Das Kind hat die hiesige evan gelische Schule sieben Jahre lang besucht, eS hat an dem Kon- firmanden-Untcrricht zwei Jahre hindurch theilgenommen und hat am 19. v. M. der kirchlichen Prüfung der Konfirmanden bei gewohnt. Von seiner Ueberführung in daS St. Afra-Stift ist weder dem Geistlichen, dessen Konfirmandin das Kind gewesen, noch dem Rektor der Schule die geringste Mittheilung zugegangen. Nach dem Eingeständniß der Mutter, welches diese dem Herrn Superintendenten vr. Stürzebein gemacht, war die ganze Mani pulation ohne Zweifel darauf berechnet gewesen, daß man ge glaubt hatte, die Kinder träten in großen Gruppen zum Em pfange des Segens an den Altar, so daß das Fehlen eines Kindes unter der große« Zahl der Mitkonfirmanden nicht be merkt werden würde. Man hatte aber nicht mit der Thatsache gerechnet, daß die Kinder stets bei ihrem vollen Namen zum Empfange des Segens an den Altar gerufen werden, so daß das Fehlen eines Kindes sofort bemerkt werden muß. Selbst verständlich sind umfassende Erhebungen und Recherchen ein geleitet, um festzustellen, auf welche Einflüsse der empörende Vorgang zurückzuführen ist, auch ob und inwieweit das Kind, das allerdings das 14. Lebensjahr vollendet hat, unter fremdem Druck oder aus freier Ueberzeugung auf einen eventuellen Kon sessionswechsel eingegangen ist, was freilich bei einem 14jährigen, bisher durchaus evangelisch erzogenen Kinde für jeden Einsichtigen von vornherein ausgeschlossen ist. Die Entrüstung über einen derartigen Vorgang, welcher das evangelische Kind unmittelbar dem Altar (um keinen härteren Ausdruck zu gebrauchen) entzogen hat, ist in der hiesigen Gemeinde eine tiefgehende und allgemeine. Wir haben seit langen Jahren mit unseren katholischen Mit bürgern in tiefstem, nie getrübtem konfessionellen Frieden gelebt, der von den Geistlichen beider Konfessionen mit peinlicher Sorg falt gehütet worden ist. Schon seit einiger Zeit aber wurden Symptome beobachtet, welche eine Trübung dieses Friedens be fürchten ließen. Dieser neueste Vorgang drm-t natürlich den konfessionellen Frieden auf das Bedenklichste zu gefährden. Vielleicht aber hat er das Gute gehabt, das protestantische Ge wissen wach zu rufen und zu schärfen, welches ähnliche Vorgänge mitten im Herzen der Mark und in einer bis auf eine geringe Minorität durch und durch evangelischen Gemeinde nicht zu dulden entschlossen sein wird. Der Polizeiinspektor Schnübbe in Barmen ist angeblich an einer Nervenüberreizung erkrankt und einstweilen beurlaubt. Der Oberbürgermeister hat veranlaßt, daß er in ärztliche Behandlung genommen worden ist. Wie es heißt, hat Schnübbe dem Ober bürgermeister ein Strafmandat wegen nächtlicherRuhc» störung zugestellt. Schnübbe war vor dem Dienstantritt des jüngst gewählten Oberbürgermeisters vr. Lentze oberster Leiter der dortigen Polizei, als aber Lentze sein Amt hier übernahm, übernahm er auch gleichzeitig die Leitung des Polizeiwesens. Oesterreich. Im böhmischen Landtag wurde ein Anttag Skardas auf Abänderung der Landtagswahlordnung einer besonderen Kommission überwiesen. Engel begründet seinen Antrag auf Einsetzung einer Kommission zurBerathung derbem Landtage bei seiner Eröffnung am 28. Dezember v. Js. zuge- gangenen kaiserlichen Botschaft und führt aus, die schroffe Haltung der Deutschen wegen Ueberreichung der Adresse sei unbegründet. Die Hauptmomente der Adresse strebten das Wohl des Landes und die Festigung der Bande zwischen Volk und Dynastie an. Das Volk Böhmens war stets und ist auch heute noch zur Ver ständigung bereit und giebt die Hoffnung nicht auf, daß es noch in der letzten Stunde gelingen werde, Frieden zu schaffen. Redner schließt mit Citirung der Wahlsprüche: justitia rexnornm kuuckumentum und: viribus nnitis sowie mit dem Rufe: Gott segne und erhalte unseren Allergnädigsten Kaiser. Lebhafter Beifall im Hause und auf den Galerien. Der Antrag Engel wurde der zur Berathung des Antrags Skarda einzusetzenden Kommission überwiesen. — Am Schluffe der Sitzung interpellirte Engel über die Exzesse in Nachod. England. In aller Stille haben die Engländer die Tonga-Inseln annektirt. Die „Times" theilen ans Melbourne mit: „Privatnachrichten aus Tonga zu Folge haben der Kapitän des englischen Kreuzers „Tauranga" und der eng lische Vizekonsul kürzlich ein Abkommen mit dem König der Tonga-(Freundschafts-)Jnseln Geo.g kl. abgeschloffen. Danach verpflichtet sich der König, seine Suveränitätsrechte nicht aus zugeben, noch irgend einen Theil des Königreichs der Tonga- Inseln an eine fremde Macht (!) abzutreten, zu verkaufen oder zu verpfänden. England verpflichtet sich dagegen, die Unab hängigkeit des Königreichs zu garantiren. — Was diese garantirte Unabhängigkeit bedeutet, ist klar. Bezeichnend ist, daß dieser wiederum die deutschen Interessen gröblich verletzende Schritt mit der verleumderischen Behauptung begründet wird, daß Deutschland Schritte gethan habe, um sich den Besitz der Inselgruppe zu sichern. Es werden darüber Geschichten verbreitet, die völlig unwahr sind. Ebenso unverschämte Lügen über einen deutsch-ameri kanischen Zwischenfall werden m London verbreitet. Es wird da berichtet: „In Apia wünschte ein deutscher Seeoffizier bei einem amerikanischen, außerhalb der Stadt aufgestellten Posten vorbei zu passiren. Nach seinem Paß befragt, erklärte der Offizier, keines solchen zu bedürfen, und drängte sich vorbei, worauf der Posten dem Offizier einen Faustschlag zwischen die Augen ver setzte und hinzusügte: „Erzähle Deinen Freunden, daß Du mit einem Amerikaner zu thun hattest!" Der Ossizier hat den „Falke" bisher nicht wieder verlassen. — An der Geschichte ist natürlich kein Wort wahr. Frankreich. Der „Figaro" veröffentlicht Zeugenaussagen des Generals Zurlinden vor der Kriminalkammer des Kassations hofes vom 15. November 1898. General Zurlinden sprach sich über die Thatsachen aus, durch welche er zu der Ueberzeugung von der Schuld Dreyfus' gelangt ist. Als er ins Kriegsmimsterium eintrat, kannte er die Dreyfus-Angelegenheit nicht, er schenkte der Ueberzeugung seines Vorgängers Glauben. Die Fälschung Henrys beunruhigte ihn. Er meinte zuerst, daß die Revision nothwendig geworden sei, und er erbat sich von seinen Kollegen die nöthige Zeit, um die Akten zu studiren. Durch die Prüfung derselben gewann er aber die Ueberzeugung, daß das Urtheil gegen Dreyfus in gerechter Weise erfolgt sei. Der Selbstmord Henrys konnte bei ihm nicht die Entscheidung des Kriegsgerichts ab schwächen. General Zurlinden zählte sodann die Dokumente des geheimen Dossiers auf, welche seiner Ansicht nach be wiesen, daß ein Verräther im Generalstab gewesen sei und daß nur ein Artillerie- oder Genieoffizier des Generalstabes dem Auslande diese Geheimnisse habe ausliefern können. Der Zeuge Fruhlingsstüme. Roman von Nataly von Eschstrutch. 61. Fortsetzung.) Nachdruck verboten.) Rastlos, voll fiebernden Eifer's malt er — und sein schönes, ahnungsloses Modell sitzt so still und traumverloren, als bannten eS unsichtbare Gewalten auf diesen Platz. Unter der Hand des Künstlers gestaltet sich das Werk, oberes ist und bleibt noch skizzenhaft; denn die Entfernung und Unbequem lichkeit des Sehens erschwert die Wiedergabe sehr. Im ersten Augenblick hat Klaus den Plan gefaßt, seine An wesenheit völlig zu verheimlichen und jeden Morgen ungestört an seinem Werk zu arbeiten, er sieht aber ein, daß die stets wechselnde Beleuchtung stört, und daß er unmöglich auf den seltenen Zufall rechnen kann, Charitas jeden Morgen dieselbe Stellung einnehmen zu sehen. Er könnte das Bild jetzt voll freier Phantasie vollenden, eine Aehnlichkeit, streng und absolut, ist ja nicht nothwendig. Solche halb gekünstelten Bilder machen aber leicht den Ein druck des Unwahren, Puppenhaften, während ein Portrait, bis in alle Details nach dem Leben ausgearbeitet, von ganz anderer Impression ist und viel impulsiver wirkt. Ach, daß er Charitas bewegen könnte, ihm ein paar Mal thatsächlich zu dem Bild zu sitzen. Der Ausdruck ihres Gesichtes würde vielleicht nicht so seelen voll und unbeeinflußt sein, aber dessen benöthigt er nicht mehr, es gilt jetzt hauptsächlich die Ausführung der Einzelheiten. Wie aber wäre daran zu denken? — Bei dieser Sprödigkeit und Unnahbarkeit, welche ihre ganze Persönlichkeit vor dem fremden Mann wie mit einem Eiseshauch umgiebt. Klaus seufzt leise ans. Nein, er will nicht allzuviel verlangen, er will für das seltene Glück, welches ihm bereits zu Theil geworden, von Herzen dankbar sein! Die junge Dame auf der Mauer regt sich und sieht nach der Uhr, ihrer Unruhe ist es anzumerkeu, daß die Minuten ihres Bleibens gezählt sind. . Hastig packt Klaus seine Sachen zusammen, so flink und laut los, daß er auch jetzt nicht bemerkt wird, und dann eilt er auf leisen Sohlen hinter dem Bosquet hin, um plötzlich, ganz wie von ungefähr, mit hallendem Schritt des Weges entlang zu kommen. Ueberrascht wendet Charitas den Kops, erhebt sich sofort 2nd will mit flüchtigem Gruß vor ihm her in den Seitenpfad schreiten. Aber der junge Maler schwenkt so fröhlich den Hut und ruft ihr so heiter seinen „Guten Morgen", wie geht cs, mein gnädiges Fräulein?" entgegen, daß sic unhöflich wäre, weiter zu schreiten. „Ich freue mich, Sie wieder hier zu sehen!" sagt sie freund lich, aber sehr reservirt: „Sie machen also wirklich Gebrauch von unserer Aussicht hier? Hoffentlich mit bestem Erfolg!" Und wieder will sie weiter schreiten. Schon aber steht er vor ihr und bietet ihr mit dem treu herzigsten Gesicht von der Welt die Hand entgegen. „Welch eine Herzensfreude, deutsche Heimathsklänge zu hören!" sagt er voll Wärme, und seine blauen Augen strahlen sie an: „O Sie glauben nicht, mein gnädiges Fräulein, was das für einen einsamen Wandersmann in der Fremde besagen will! — Sie besitzen gewiß Ihre Angehörigen hier, welche Sie das Aus land gar nicht empfinden lassen, aber ich muß mit meinem Schatten plaudern, wenn ich deutsche Worte hören will!" Sie nickt ihre volle Theilnahme zu. „O dieses Leid der Ver einsamung kann ich Ihnen nachsühlen! Man kann wohl nirgends so traurig gestimmt sein wie in diesem lachenden, jubilirenden Land der Sonne, dessen Götter nicht die unseren sind!" „Sinnbildlich gemeint — gewiß. Sie können mir nachsühlen, mein Fräulein, aber gewiß nicht zwischen Ihren Angehörigen dasselbe Heimweh empfinden wie ich großes Kind, welches so viel schon im Leben ertragen lernte, nur nicht das Verlaffensein! Ein seltsames Beben geht um ihre Lippen. „Das Heimweh! Und ob ich es kenne, Herr Sterley. Ich bin eine Waise, — und die, welche mit mir hier sind, steyen mir nicht nahe." — Leise, sehr leise sagt sie es, wie heimliches Schluchzen klingt's durch ihre Stimme. Er tritt einen Schritt näher zu ihr heran, er blickt ihr in das Ange und wiederholt mit zuckenden Lippen: „Eine Waise wie ich! Auch ich stehe allein aus der Welt, auch ich habe von dem Liebsten, das ich besaß, scheiden müssen." Wie ein jähes Erschrecken gcht's über ihr Antlitz, inniges Mitgefühl spiegelt sich in ihrem Blick. „Haben Sie Ihre Eltern noch gekannt?" „Ten Vater kannte ich Gott sei gelobt dafür, an die Mutter habe ich nur eine unklare Erinnerung — aber ganz und gar entbehre ich der Erinnerung an sie doch nicht. Ich kann mich noch entsinnen, wie ich ihr vor dem Kaminfeuer auf dem Schoße saß, wie sie mir liebe Märchen erzählte nnd mit der weichen, kleinen Hand über meine Locken strich! — O diese zärtliche Lieb kosung fühle ich noch ost im Traum, und dieses selige Empfinden ist zum Segen sür mein ganzes Leben geworden!" — Thränen glänzten in Charitas' Augen, sie blickte den Sprecher nicht mehr an wie einen Fremden. „Wie glücklich sind Sie! Ich besitze nichts, — nicht einmal eine Erinnerung an meine Lieben." „So früh verloren Sie die Eltern?" — „Mein Vater verunglückte bei einer Schnitzeljagd am Hubertustag — er war Artillerieoffizier — drei Wochen vor dem ich geboren ward, und Mütterchen überlebte das Herzeleid nicht lange, — ich bin fremd und verlaffen gewesen, so lange ich denken kann!" — Da neigte er sich, faßte ihre Hand und drückte sie stumm an die Lippen, und Charitas verstand ihn recht. Ein wehes Lächeln dankte ihm. „Sie haben es aber ver standen, Ihr Leben glücklich zu gestalten?" fuhr sie ruhiger sott. Ich kämpfe um das Glück, Fräulein Beckwitz! Jn denSchooß fällt es wohl keinem, und die Schicksale, welche hinter mir liegen, sind schwer. Aber ich habe den Glauben an mich selbst noch nicht verloren und denke mit Shakespeare: „Das Glück 'neS braven Kerls kommt wohl einmal ins Stocken!" Man mußdann nur Geduld und Gottvertrauen haben, um das gestrandete Schiss- lei« wieder flott zu machen!" „Sie sind Maler von Beruf?" „Ich möchte ein Menzel, Makart oder am liebsten ein Raffael werden!" scherzte er mit einem Anflug seiner alten Heiterkeit. „Es wird nicht am Erfolg fehlen! Könnte man ihn mit guten Wünschen herbei zaubern, er sollte Ihnen sicher sein." Die Hellen Klänge einer Uhr schallen durch die offene Balkon- thüre der Favorita, und Charitas schrickt empor. „Ich muß gehen!" sagte sie schnell. „Mein Dienst beginnt. Und Sie werden ungeduldig sein, den Grund zum künftigen Ruhm zu legen! Glück auf zur Arbeit — möchte Ihr GemÄde ein Meisterwerk werden!" Sie legt noch einmal die Hand in seine dargereichte Rechte. Klaus zieht respektvoll den Hut. „Auf Wiedersehen!" Er ver meidet es, ihr nachzusehen, wie er alles unterlassen möchte, was ihr unangenehm auffallcn könnte. Mechanisch packt er seine Malutensilien zusammen und schreitet nach dem Meer hinab. Dort setzt er sich auf einen Kahn, welcher im Sande liegt und starrt in das Gekräusel der kommenden und gehenden Wellen, bis die Sonnengluth ihn zwingt, heimzukehren. Er hat nur noch einen Gedanken: „Armes, armes Mädchen!" und nur noch ein Interesse: „Wie könnte sie glücklich werden?" Zu Hause sitzt er vor dem Bild und sieht regungslos in das traurige, sehnsuchtsvolle Angesicht. „Armes, armes Kind!" Und dann überkommt ihn wieder die selige Begeisterung, die stolze Freude an seinem Werk. Es muß gelingen! Und Signora Julia wird Recht haben: Dies Bild wird ein Meisterwerk, welches ihn zum Maestro macht. (Fortsetzung folgt.)
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