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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 24.02.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189902240
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18990224
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18990224
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-02
- Tag 1899-02-24
-
Monat
1899-02
-
Jahr
1899
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 24.02.1899
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4« Freiberger ««zeige» ««d Tageblatt, «eite L. — 24. «ebr««r. igung der Der Abg. 1879 eine engere und mehr organische Verbindung zwischen den beiden Mächten im Auge gehabt hab«, indessen der Abneigung der Rationalliberale und freisinnige Bereinigung abgelehnt; dagegen wurde ein Antrag Gröber, die Durchschnittsstärke der Bataillone auf 584 Mann zu erhöhen, gegen die Stimmen der Linken an genommen. Dann wurde di« Vermehrung der EtatSstärke beider Artillerie bewilligt, namentlich für die reitenden Batterien, 80 Fußartillerie-Bataillone, die Versuchs-Kompagnie der Artillerie«, und für die Eisenbahn-Kompagnien, die Telegraphentruppe «. Endlich wurde auch die Resolution Gröber betreffend die Koste» für den Ersatz der Abkommandirungen bezw. der Nachweis der von der Civilverwaltung beanspruchten militärischen Kosten ange nommen. Der Rest deS Gesetzes wurde ohne wesentliche Er örterungen erledigt. Auch in der jetzigen Tagung find die verschiedensten Anträge auf Ausdehnung der Sonntagsruhe an den Reichstag gelangt, so von Droschkenkutschern, von Barbieren u. s. w. Die „B. P. N." bemerken dazu, daß von den verbündeten Regierungen eine Aenderung der auf die Sonntagsruhe bezüglichen Be stimmungen der Gewerbeordnung zur Zeit nicht m Aussicht genommen ist. vr. Ksarl PeterS hat im Berlage von Hermann Walther in Berlin unter dem Titel „Mißbrauch der Amtsgewalt* eine Rechtfertigung erscheinen lassen, die nach verschiedene» Richtungen nicht ohne Interesse ist. Die Schrift Peters gipfelt in folgender Beschwerde: „Vom Jahre 1894 an fühlte ich mich in Berlin unter einer sehr gehässigen polizeilichen Beauf sichtigung. Erschien ich mit Bekannten in einer Restauration, so setzte sich an den Nebentisch ein Mensch, welcher eifrig zu schreiben pflegte. Dem Wirth erklärte er wohl, er interessire sich sür meinen Hund, oder auch, er höre mich so gerne sprechen, man möge ihm doch einen Tisch neben dem meinigen reserviren. Wir erfuhren schließlich, daß diese interessirte Persönlichkeit, welch« mir wie ein Schatten überallhin folgte, ein Beamter der politischen Polizei sei. Oder auch, es drängten sich allerhand zweideutige Persönlichkeiten an mich heran, welche unter der MaSke der Freundschaft und Verehrung abends mit mir an einem Tisch zu sitzen wünschten. Wie wir festgestellt haben, handelte eS sich darum, daß sie, ä I» Baumann, eine unbedachte Bemerkung von mir erlauschen wollten, um solche hernach zu denunzire». Es war die Atmosphäre der Tausch Leckert-Lützow-Periode, in welcher ich mich mitten drin befand. Theilweije, um dieser widerlichen Spionage zu entgehen, siedelte ich 1896 nach England über. Nun begann eine ebenso unheimliche Ueber- wachung meiner Korrespondenz. Viele meinerBriefe ver schwanden überhaupt, eine Reihe anderer trug u nver- kennbar Spuren des EröfsnetseinS. Dies war be sonders schlimm im Winter 1896/1897. Ein besonders eklatanter Fall war der Diebstahl meiner Aktenstücke. Im Dezember 1896 schickte die Firma v. d. Heydt L Co. in Berlin eine Kiste mit Akten für mich ab, welche ich theilweise für meine Vertheidigung in dem Prozeß, mit welchem die Herren Hellwig und Genossen mich bedrohten, nöthig hatte. Die Kiste war eingeschrieben und versichert, wie ich es angegeben hatte, lag also im Verwahrsam der deutschen Post. Schon nach zwei Tagen erhielt ich die Mittheilung von v. d. Heydts, daß meine Akten kiste vom Hamburger Bahnhof in Berlin aus räthselhaste Weise verschwunden sei. Nach einigen weiteren Tagen erfuhr ich von derselben Firma, die Kiste sei erbrochen in einem Hos der Wilhelm- straße ausgesunden und ihnen durch einen Polizisten wieder zu- gestellt worden. Gott sei Dank hatte ich meine wichtigsten Asten dieser Kiste nicht anvrrtraut, aber ich vermißte hernach an meinen Dokumenten unter Anderen mehrere Privatbriest deS Herrn Kayser, ein sehr wichtiges Schreiben de» Herrn v. Bülow vom Kilimandscharo an mich und Anderes. Alle diese Dokumente waren sehr werthvoll gegenüber der Anklage. Ich bin nicht in der Lage, irgend Jemanden des Diebstahls und der Eröffnung meiner Altenkiste zu zeihen. Aber daß eine Hand dabei im Spiel gewesen ist, welche e n Interesse an meinem Prozeß hatte, und zwar ein mir feind seliges, daS unterliegt wohl keinem Zweifel. In Deutschland mokirt man sich über die skandalösen Enthüllungen im Zusammen hang mit dem Fall Dreyfus. Nun, meint man, daß es erheblich AuS gut unterrichteten Kreisen erfährt die „D. Tgztg.", daß der Reichskanzler entschlossen sei, bald nach seinem Geburts tage den Abschied zu nehmen, und daß als sein Nachfolger der Petersburger Gesandte Fürst Radolin bestimmt ausersehen sei. Das Blatt giebt diese Meldung, wie eL sie gehört hat, ohne sich dafür verbürgen zu wollen. Die „Berl. Börs.-Zeit." schreibt: Die gestrigen Beschlüsse der Budgetkommission haben wider alles Erwarten der inneren Lage ein ernstes Gepräge verliehen. Die Militärver waltung kann allerdings nicht in Abrede stellen, daß ihre Forderung betreffs der Schaffung von neuen Reiterregimentern zunächst so unverständlich als schief motivirt war. Aber wir haben schon darauf hingewiesen, daß die Militärverwaltung andrerseits keine Mühe gescheut hat, um die Forderung verstände lich und den weitesten Bolkskreisen annehmbar zu machen. Wenn es ursprünglich den Anschein hatte, als ob ein Theil der Melde reiter-Schwadronen verschwinden und mit als Material für neue Regimenter dienen sollte, die zu „glänzenden Attaquen* bestimmt wären, so haben die mittlerweile gelieferten Aufklärungen gerade das Gegentheil bewiesen: eS handelt sich lediglich um Vermehrung der Meldereiter-Schwadronen, damit jedem Armeecorps je eine solche Schwadron beigegeben werden kann. Zur Zeit haben wir sieben solche Schwadronen, während die Zahl der Armeecorps nach Annahme der Vorlage auf 23 gebracht werden soll. Es wären also noch 16 Schwadronen Meldereiter nöthig. Die Ver waltung verlangt einstweilen nur 12, und zwar in der spar samen Erwägung, daß einige Armeccorps, die bei d«r Mobil machung in der letzten Staffel der Reserve stehen, dieser Ein richtung nicht dringlich benöthigen. Die 12 Schwadronen aber sür die ins Feld rückenden Theile der Armee werden als uner läßlich bezeichnet und wir hören mit Bestimmtheit versichern, daß die Militärverwaltung entschlossen ist, eS auf die Anrufung der Wähler ankommen zu lassen, falls der Reichstag dem ablehnenden Beschluß der Budget kommission beitritt. Die Militärverwaltung würde in diesem Falle der Zustimmung des Volkes durchaus sicher sein, denn eS läßt sich nicht mehr verkennen, daß sie im Gegensatz zu Auf fassungen maßgeblicher Militär-Kommando-Stellen den ursprüng lichen Zweck der neu geforderten Regimenter sanft eliminirt und ihnen nachträglich einen Daseinszweck substitmrt hat, der bereits bei Schaffung der ersten Meldereiter-Schwadronen die allseitige Zustimmung im Reichstag gefunden hatte. Aber aus demselben Grunde glauben wir auch erwarten zu dürfen, daß daS Centrum seinen Widerspruch noch rechtzeitig fallen läßt und sich nicht daran stößt, daß diese Spezialwaffe um der besseren Verwaltung und Ausbildung willen in den Regimentsverband gebracht werden soll. Andernfalls ließe sich vielleicht vereinbaren, daß der Regimentsverband noch offene Frage bleibt, aber dl« einzelnen Schwadronen bewilligt werden. Die Budgetkommission deS Reichstags beendete gestern die erste Lesung der Militärvorlage. 8 2 der Regierungs vorlage, in dem die JriedenSpräsenzstärke bis 1904 aus 502,506 Mann festgesetzt wird, wurde gegen die Stimmen der Konser vativen, der Antrag Bassermann auf Erhöhung der Durch schnittshöhe pro Bataillon auf 590 Mann gegen Konservative, kritische Besprechungen erschüttert man da» Vertrauen zu unserer Rechtsprechung, zu unserem Richterstand, der nicht ohne Noth angegriffen werden darf. Wenn Sie so Verfahren» so kommen Sie zu einer Entgleisung des Parlamentarismus. (Beifall recht». Lärm bei den Sozialdemokraten.) Der Abg. Heine hat einige Dresdner Fälle angeführt. Ich bin natürlich nicht in der Lage, über alle ein Urtheil abzugeben, da sie mir nicht alle bekannt sein können. In dem einen Falle ist tadelnd hervorgehoben worden, daß da» Urtheil de» OberlandeS- gerichts mit dem des Reichsgerichts nicht übereinstimme. Ich will das als richtig annehmen, aber ist da» denn wirklich ein so großes Unglück? Zeugt da» davon, daß die Richter ihre Pflicht nicht erfüllt haben? Gewiß ist «S sehr unerwünscht, daß eine solche Verschiedenheit in der Auffassung deS Reichsgerichts und des höchsten Gerichts eines Einzelstaats eintritt; aber es läßt sich gar nicht vermeiden, weil jedes Gericht vollkommen unabhängig urtheilt. Ich nehme für unsere deutschen und speziell für unsere .sächsischen Richter die Anerkennung in Anspruch, daß sie voll kommen unabhängig nach ihrer Ueberzeugung urtheilen. Ich gehe dann nur ungern aus den sogenannten Löbtauer Fall ein. Ich werde dazu veranlaßt durch die Erwähnung der Darstellung diese» Fall» in der offiziösen Presse Sachsens. Diese Darstellung war nothwendig. Nicht als ob in Kreisen, die nicht von Partei- Haß verblendet sind, Zweifel an der Richtigkeit des UrtheilS be standen hätten. Aber die öffentliche Erörterung der Sache war nothwendig in Folge de» Verhaltens eines Theils der Presse und zwar namentlich der sozialdemokratischen Presse. Wenn ein Straskammerurtheil vorgelegen hätte, so hätte man ja nun ein fach daS Urtheil publiziren können. Das Urtheil in einem Schwurgerichtsprozeß enthält aber nur die Antwort der Ge schworenen auf die Schuldfragen. Wollte man also wirklich etwas erzählen, so mußte man auf den Prozeß zurückgehen. Dabei hat man die Anklageschrift zu Hilse genommen (Lärm und Zurufe bei den Soz.: Wie kamen Sie dazu?). — Ich bitte den Herrn Präsidenten, mir Ruhe zu verschaffen. Präs. Graf v. Ba liest rem: Ich fand die Unruhe noch nicht so groß, nm einzuschreiten. Geh. Rath Rüger (fortfahrend): Ich möchte wissen, wie man überhaupt auf den Gedanken hätte kommen können, eine unrichtige Darstellung deS Falles zu geben, wo doch die Richtig keit der Darstellung von dem Vertheidiger tontrollirt wurde. Und ich bitte den Abg. Heine, anzucrkenne», daß die Darstellung nur die Wahrheit enthält. (Zuruf deS Abg. Heine: Nicht die ganze Wahrheit. Weitere Zurufe der Soz.: Verschwiegen!) Die Darstellung, die daS „Dresdner Journal* gebracht hat, ist voll kommen unparteiisch und objektiv richtig. Der Bericht hat denn auch die günstige Wirkung gehabt, daß überall die Ueberzeugung durchdrang, daß daS Urtheil richtig ist. Die sozialdemokratische Presse nehme ich davon natürlich aus. Sie mit der Wahrheit zu überzeugen, dafür hat wohl auch keine Hoffnung bestanden. (Beifall rechts.) Abg. Müller- Meiningen (freis.) plaidirt für endlichen Erlaß eines Strafvollzugsgesetzes. Auf der Tagesordnung stehe diese Frage schon so lange, daß, wenn Seeschlangen singen -könnten, sie übers Jahr würden fingen können: Schier dreißig Jahre tust du alt! (Heiterkeit.) Der jetzige Zustand fei unhalt- bar. Seine Freunde würden auch nicht ruhen und rasten, sondern jedes Jahr mit derselben Anregung wiederkommen, solange bis daS Gesetz da sei. Staatssekretär Nieberding widerspricht lebhaft der Ansicht des Vorredners, daß der 8 18 der jetzt geltenden Grund sätze sür den Strafvollzug jede Rancüne gegen politische Gefangene ermögliche. Donnerstag Fortsetzung. Potttifch^Ümscha«. Freiberg, den 23. Februar. Deutschland. Bei Besprechung der Interpellation über die Ausweisungen in Nordschleswig hat Fürst Herbert Bismarck im Reichstage bekanntlich daraus hingewiesen, daß sein Vater beiAbschluß des Bündnisses zwischen Deutschland und Oesterreich-llngarn i. I. österreichischen Staatsmänner hierbei begegnet sei. _ Lieber hat hierauf in der ihm eigenen feierlichen Weise seinen Dank für diese ihm offenbar neue Enthüllung ausgesprochen. ES handelt sich hierbei aber um eine seit Langem feststehend« und deS O«fteren zur Sprache gekommene Thatsache. Fürst BiSmarck hat zu seinen Lebzeiten nie ein Hehl daraus gemacht, daß er dem Grafen Andrassy bei seinen damaligen Verhandlungen vorge schlagen habe, dem Vertrage eine Form zu geben, die gesetzlich durch die Parlamente der beiden Mächte sestzulegen wäre. Für Diejenigen, die sich genauer darüber informiren wollen, ver weisen wir auf die hochpolitischen Ausführungen des großen Staatsmannes in seinen hinterlaffenen„Gedanken und Erinnerungen* (II 250,) in denen er selbst seine Absicht in vielsagender Weise einer Nachprüfung unterwirft. Fröhlingsstürme. Roman von Nataly von Eschstruth. (24. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) Rein und klar zeichnen sich die Konturen gegen den Himmel, welcher über den Savoyer Alpen wie eine fleckenlose Krystallkugel schwebt, — drüben aber — von Lausanne herauf — steigt eine blaugraur Wolkenwand, einen schmalen tiefdunklen Schatten aus die Ferne des Sees werfend. Josef steht still und schaut voll trunkenen Entzückens auf die Pracht vor seinen Blicken, welche so weit, so gewaltig, so göttlich schön ist, daß alles Menschenthum wie ein Atom in solcher Un endlichkeit vergeht,! Kein Laut steigt zu ihm empor, welcher daran mahnt, daß Menschenwitz und Menschentücke dieses Paradies entweiht! Die Welt ist schön allüberall — wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual! — Und hier wohnt weltferne, zauberhafte schöne Einsamkeit! — Josef steht und schaut sich satt an dieser lichten Gotteswelt, und sein Herz wird groß und weit, es wachsen ihm Flügel und tragen es hoch empor in wonnesame Träume von Friede» und Glück. Welch eine Wehmuth — welch eine Sehnsucht durchbebt ihn plötzlich? — Wie Heimweh überkommt es ihn, wie Heimweh nach dem Glück! — Wie ist er so allein! — Wie arm, wie elend in dieser reichen Welt. O, daß feine Mutter hier neben ihm stünde! Daß er eine gleichgesinnte Seele fände, Worte des feligften Empfindens, der treuesten Harmonie zu tauschen! Die Schönheit wird erst dann voll genossen, wenn die Lippe ihr Lob aussprechen kann, wenn zwei Menschenseelen in einem anbetenden Entzücken verschmelzen! Seine Mutter! Wie lange wird er noch in ihre Augen schauen können! Wie bald wird er das einzig Liebe, was ihm noch geblieben, dahin geben müssen, und dann ist er ganz allein! Ein tiefer, qualvoller Seufzer ringt sich von Josefs Lippen, er streicht mit der Hand angstvoll über die Stirn, er darf und will diesem Gedanken nicht Raum geben. Es ist genug des Schweren, welches sein Herz belastet. Aber die Sehnsucht läßt sich nicht gebieten, die geheimnißvolle, wehmüthige Sehnsucht nach dem Glück, welche in jedem Menschen herzen und habe es sich noch so menschenfeindlich von der Natur abgeschlossen, wohnt. Und so setzt er sich auf dem moosigen Felsen nieder und stützt das Haupt in die Hand, ohne das Lehrbuch ouszuschlagen, welches er mitgenommen. Bor ihm liegt das paradiesisch schöne Land, über welches die ersten Schleier der Dämmerung wehen, und es hat für die felbst- quälerische Art des jungen Mannes einen besonderen Reiz, sich der tiefen Melancholie dieser Einsamkeit hinzugeben. Die Ge danken ziehen hinter seiner Stirn wie ein Schwarm aufgescheuchter, schwarzer Vögel, welche mit ihren Schwingen die Sonne ver dunkeln. Joses merkte es nicht, wir die Wolkenwand höher und höher an dem Himmel emporsteigt, wie sich die Fluth des Sees immer dunkler färbt, wie ein leichter Windhauch durch die Wipfel streicht, gleich einem Vorboten erlösend kühler Nacht. Immer sehnsuchtsvoller und todttrauriger brennt daS Herz in seiner Brust, und die Vereinsamung, das bleiche, leis schluchzende Weib, steht neben ihm und legt ihm die Hand auf das Haupt, schwer — schwer, wie Bergeslasten empfindet er sie, niederdrückend — als zwinge ihn schon jetzt unsichtbare Gewalt hinab in das kühle Kämmerlein, wo einzig der Frieden und die Vergessenheit wohnt. Da bebt er nnwillkürlich zusammen und blickt verwirrt auf. Wetterleuchtcnd zucken die Blitze durch die fernen Wolken massen und ganz m der Nähe klingt es plötzlich durch die schwüle Stille, — eine Stimme — weich, klagend, unbeschreiblich traurig und schmerzdurchbcbt. Wie kleine, goldene Hämmerlein schlagen die süßen Töne an sein Herz, so deutlich in der klaren Berglust, daß er ein jedes Wort versteht. Wie ein Schauer voll wonnigen Wehes überrieselt es ihn, athemlos lauschend, hebt er das Haupt. Aus der Heimath, hinter den Blitzen roth, Da kommen die Wolken her, Aber Vater und Mutter sind lange todt, Es kennt mich dort keiner mehr! Wie bald, wie bald kommt die stille Zeit, Da ruhe ich auch, und über mir Rauschet die schöne Waldeinsamkeit Und keiner kennt mich mehr hier!* Leise, wie in Thränen erstickt, verklingt die Stimme, und Josef nickt wchmüthig vor sich hin, tiefathmend, wie besangen von unsichtbarem Zauber. Tiefe Stille, nur leis zirpende Laute im Gras, nur ein feines Blattgeflüster im Wind. Josef macht eine unruhige Bewegung. Warum singt sie nicht weiter? Diese Stimme — diese traurigen Klänge ihnen ihm so wohl, sie lassen verwandte Saiten in seinem Herzen erzittern, — sie sprechen voll weicher Innigkeit just das aus, was er empfindet. Horch, — abermals erklingt es so weh, so namenlos betrübt, daß es ihm durch Mark und Bein geht: „Verlassen! verlassen — verlassen bi» i — Wie der Stein aus der Straßen Welch' eine Melodie! welch' eine schlichte Wahrheit, welch' ein Empfinden zittert durch sie hin! Josef lehnt das Haupt zurück und schließt die Augen. Seine Hände ruhen gefaltet im Schooß, und seine Seele trinkt in tiefen, durstigen Zügen die wundersame Tröstung, welche in solch ge meinsamem Herzeleid liegt. Da setz i mi nieder — Und wein' mi recht aus! —* Ja, weinen? — weinen! Auch ihm ist eS plötzlich, al» perle es heiß an seinen Wimpern, und doch ist ihm seit Jahren nicht so wohl gewesen, wie in diesem Augenblick. Es liegt eine göttliche, geheimnißvolle Gewalt in der Musik. Sie webt unsichtbare Fäden von einem Menschenherz zu dem andern, — sie eint in süßer Harmonie, was sich ewig fern ge standen, sie führt einander zu, was sich fremd ist, sie überbrückt den Abgrund, welcher zwischen zwei schmerzgequälten Herzen gähnt und läßt sie voll heißen Empfindens zusammenschlagen in der einen, großen, heilig leuchtenden Flamme innigen Verstehens. — „O sing! sing weiter!" möchte Josef voll leidenschaftlicher Erregung rufen: „Wen möchten Deine Lieder und Klagen tiefer ergreifen wie mich?" — Aber die süße Stimme ist verhallt, es bleibt still, nur fernher plätschert der geschwätzige Bach und durch die Laubkronen säuselt es wie ein Abendsegen. Das Haupt in beide Hände gestützt, verharrt Josef in regungslosem, sehnsüchtigem Lauschen. Noch klingt das Gehörte in seinem Herzen nach und erfüllt ihn mit unbeschreiblichen Wonnen der Wehmuth. DaS, was er sich soeben noch voll unbezwinglicher Sehnsucht gewünscht, eine gleichgestimmte Seele, welche fühlt und empfindet, wie er, die hat er wie durch holden Zauber gesunden. Ein Herz bat sich ihm erschlossen — unbewußt und ahnungs los, aber wahr und ganz — bis auf den tiefsten Grund. Da quoll eS in geheimer Klage über die Lippen, was sonst wohl keines Menschen Ohr vor ihnen vernimmt, da spiegelten die todeswehen Lieder all das Elend, welches tief versteckt in der Brust der Sängerin ruht. Einsam! einsam und verlassen! lieblos und freudlos wie er! O wie wobl es thut, zu wissen, daß es noch mehr Stiefkinder des Glückes giebt! Gemeinsam Leid ist halbes Leid Warum aber — warum ist auch sie unglücklich? Die Stimme klang so weich, so jung, — so von wärmstem Gefühl durchbebt, — wem gehörte sie an? War die Unbekannte Frau oder Mädchen? War sie schön oder häßlich? O, thörichter Träumer, der er ist! WaS ficht ihn ein solches an? — EineS weiß er ja bestimmt, das Einzige, wa» er wissen will und zu wissen braucht — „sie trägt ein schweres, trostlose« Geschick wie er!" (Fortsetzung folgte
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