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für den Statthalter bedenklich sei, den Juden in seiner Provinz zu nahe zu treten, weil er dann sicher darauf zählen dürfe, nach seiner Heimkehr von dem hauptstädtischen Pöbel ausgepfiffen zu werden. Auch zu jener Zeit war das vorwiegende Geschäft der Juden der Handel: mit dem erobernden römischen Kaufmann zog damals der jüdische Händler ebenso überall hin, wie später mit dem genuesischen und venezianischen und neben der römischen strömte das Kapital allerorts bei der jüdischen Kaufmannschaft zusammen. Auch zu jener Zeit begegneten wir der eigenthümlichen Antipathie der Occidentalen gegen diese so gründlich orientalische Race und ihre fremdartigen Meinungen und Sitten." So schrieb Professor Mommsen, der dann in demselben Geschichtswerk hervorhebt, wie Alexander der Große, Cäsar und andere große Staatsmänner das jüdische Volk durch Vorrechte geschützt hätten, und dann fährt er fort: „Die beiden großen Männer dachten natürlich nicht daran, der hellenischen oder italisch - hellenischen Nationalität die jüdifche ebenbürtig zur Seite zu stellen. Aber der Jude, der nicht wie der Occidentale die Pandoragabe politischer Organisation empfangen hat und gegen den Staat sich wesentlich gleichgiltig verhält; der ferner ebenso schwer den Kern seiner nationalen Eigenthümlichkeit aufgiebt, wie bereitwillig denselben mit jeder beliebigen Nationalität umhüllt und bis zu einem gewissen Grad die fremde Volksthümlichkeit sich aneignet — der Jude war eben darum wie geschaffen für einen Staat, welcher auf den Trümmern von hundert lebendigen Politien erbaut und mit einer gewissermaßen abstrncten und von vornherein verschlissenen Nationalität ausgestattet werden sollte. Auch in der alten Welt war das Judenthum ein wirksames Ferment des Kosmopolitis mus und der nationalen Decomposition (mit anderen Worten: der Gährungsstoff, welcher die Vernichtung des Patriotismus herbeiführte) und insofern ein vorzugsweise berechtigtts Mitglied in dem cäsarischen Staate, dessen Politik doch eigentlich nichts als Weltbürgerthum, dessen Volksthümlichkeit eigentlich nichts als Humanität war." Staatsanwalt Geschen in Köln, ein sehr begab ter Jurist und ein Sohn des Landtagsabgeordneten Geschen, hat von der türkischen Regierung die Of ferte erhalten, nach Konstantinopel zu kommen. Ge schen war bereit, dem Rufe Folge zu leisten, und hatte er sich ausgewirkt, daß er nach Quittirung der türkischen Stellung wieder in den preußischen Justiz dienst zurücktreten könne; Herr Geschen war jedoch vorsichtig genug, sich vor dem Antritt seiner Stel lung in Konstantinopel 71,000 Franken als Vor schuß von der türkischen Regierung auszubitten; er war nämlich von dem aus Coblenz nach Konstanti nopel gegangenen Regierungsrath, jetzigen türkischen Beamten im Finanzministerium, Wettendorf, zur Beobachtung dieser Vorsichtsmaßregel gemahnt wor den. Herr Wettendorf hat nämlich bis jetzt noch keinen Pfennig von dem ihm zugesagten Geld er halten, während er die nach Konstantinopel mitge nommenen Unterbeamten aus seiner eigenen Tasche bezahlt hat. Solchergestalt hat auch der Staatsan walt Geschen auf die Annehmlichkeiten des Lebens in Konstantinopel vorläufig verzichtet. Aus demsel ben Grunde haben sich auch die Verhandlungen, die mit preußischen Offizieren wegen ihres Uebertritts in die türkische Armee geführt worden, zerschlagen, indem man ihnen ein nur sehr mäßiges Gehalt zu gejagt hat, und auch die versprochenen Vorschüsse nicht eingetroffen waren. Oesterreich. Zu dem am 22. d. in Linz zusammengetretenen klerikal-conservativen Parteitag strömten die Theilnehmer massenhaft. Die Resolution, welche vorgelegt wurde, lautet: Festhaltung der Verfassung und des Wahlrechtes, Berücksichtigung der Be schwerden wegen der Schule, Autonomie unbe schadet der Neichseinheit. Der Parteitag verwahrt sich gegen Völkerverhetzung. Frankreich. Die französischen Richterstühle werden wacklig. Die Kammer nahm mit 295 gegen 169 Stimmen die Bestimmung an, wonach die Unabsetzbarkeit der Richter behufsDurchführung der Reorganisation des Richterstandes auf ein Jahr außer Kraft ge setzt wird. Belgien. Am 21. d. fand auf dem Kirchhofe Evere die Einweihung des Denkmals für die während des deutsch-französischen Krieges in Belgien verstorbenen französischen Soldaten statt. Der französische Ge sandte, Decrais, hielt hierbei eine Rede, in welcher er Belgien für dessen hochherzige Gesinnungen gegen Frankreich dankte. Gleichzeitig ertheilte er die Ver sicherung, daß die Regierung der französischen Repu blik trotz aller in der letzten Zeit aufgestellten gegen- theiligen Behauptungen, keine Absicht auf eine Annexion hätte, sondern in der belgischen Nation eine verbündete und befreundete Nation erblicke. England. Der Schauplatz der jüngsten kriegerischen Er eignisse in Irland, nahe der Farm von Capitän Boycott, ist ein Landstrich in der Grafschaft Mayo, welcher sich, was das Elend seiner Bewohner be trifft, nur mit den erbärmlichsten Districten im ver armten Indien oder mit einem ganz uncivilisirten Theile von Afrika vergleichen läßt. Und da würde noch der Kraal irgend eines afrikanischen Häuptlings sich als bei Weitem comfortabler erweisen, als die elenden, aus Lehm nothdürftig zusammengefügten Löcher der armen irischen Landbevölkerung in der Grafschaft Mayo. In einem einzigen Raume, wel cher weder Fenster noch Kamin besitzt, Hausen die menschlichen und thierischen Bewohner beisammen. Auf dem Fußboden aus Lehm liegt Stroh, wie sonst in einem Stalle, und in irgend einem Winkel des Gemaches kauert ein weibliches Geschöpf, das sich bei einem offenen Feuer mit irgend einer häus lichen Beschäftigung zu thun macht. Halbnackt, halbverthiert und abgestumpft kauern die anderen Mitglieder der „Familie" in anderen Ecken und Winkeln. Dies sind die menschlichen Wesen, welche unter der Aegide der britischen Constitution zu leben berechtigt sind, und gegen welche, weil sie in letzter Zeit nicht ganz zufrieden zu sein schienen, Tausende von Soldaten geschickt wurden. Alle Redensarten von Verfassung, Constitution, Loms-L-uIa, Land- Liga und allen anderen Parteien sind angesichts solcher Zustände und solcher Menschen geradezu lächerlich und unverständlich. Diese Wesen müssen überhaupt erst zu Menschen herangebildet werden, ehe man an menschliche Einrichtungen, die an an deren Orten als selbstverständliche, absolute Bedürf nisse seit Jahrhunderten anerkannt wurden, zu spre chen beginnt. Türkei. Derwisch Pascha soll 4000 Mann Verstärkung verlangt haben und beabsichtigen, mit mehreren Bataillonen auf Dulcigno zu marschiren. Die Pforte hofft, daß die Uebergabe binnen 8 Tagen bewerkstelligt sein wird, und Hoffnung läßt nicht zu Schanden werden. Aus dem Muldenthale. *Waldenburg, 23. November. Vom 1. Decem- ber ab wird Herr Referendar Melzer hier als Assessor bei der Königlichen Staatsanwaltschaft in Plauen angestellt. — In Zwickau soll im März nächsten Jahres von den gejammten Fleischern des erzgebirgischen und vogtländischen Bezirksvereins eine Ausstellung von Fleisch- und Wurstwaaren, sowie Erzeugnissen der Kochkunst veranstaltet werden. Interessant für Hungrige. — Am Sonnabend früh wurde in Rochlitz un terhalb der Muldenbrücke der Leichnam des 50 Jahre alten Hausbesitzers Friedrich August Hartwig aus der Mulde gezogen. Da Hartwig öfters vom Blutandrang befallen wurde und durch Kühlung der Stirn denselben schon oft beseitigt, so ist anzuneh men, daß er in einem dergleichen Falle dasselbe gethan und sich dem Muldenufer genähert hat, vom Schwindel erfaßt und hineingestürzt ist. — Als am vergangenen Sonntage der Kirch schullehrer zu Püchau bei Wurzen mit seiner Frau aus dem Vormillagsgottesdienste zurückkehrte, muß ten die beiden Eheleute die unangenehme Wahr nehmung machen, daß während ihrer Abwesenheit Diebe die Wohnung besucht und Kleider, Werth- sachen rc. mitgenommen hatten und auch mit dem Raube glücklich davongekommen waren. Aus dem Sachfenlande. — Die beendete 5. Classe der Königlich Sächsi schen 98. Landeslotterie hat wie noch nie zuvor Berlin mit Gewinnen bedacht und die dorthin ge kommenen Summen erreichen nach oberflächlicher Schätzung Hunderttausende von Mark. Sogar der bis zuletzt im Glücksrade verbliebene Hauptgewinn von 30,000 Mark ist auf Nr. 30099 am Donners tag nach Berlin gefallen. Es participiren daran nur arme Leute, so eine Wittwe, zwei Dienstmäd chen, ein Kellner, zwei Tischlergesellen. — Wegen Ueberfüllung der Gefangenenanstalt Voigtsberg sind kürzlich 26 weibliche Gefangene in Begleitung zweier Beamten über Adorf mit der Bahn nach der Strafanstalt Hoheneck übergrführt worden. Dieselben trugen ihre Anstaltskleidung. — Vom 1. December ab soll in Connewitz wie der ein Localblatt, „Der Connewitzer Beobachter", erscheinen, und zwar täglich. — Am 19. d. nachmittags wurde auf Reinsdor- fer Flur der Leichnam des Webers und Schnitt- waarenhändlers Gersdorfer aus Mülsen aufgefunden und gerichtlich aufgehoben. Gersdorfer ist unter wegs nach Hause zu gewesen und auf dem soge nannten Garnsteige zwischen Reinsdorf und Mülsen von Unbekannten angefallen, erstochen und sodann seiner Baarschaft beraubt worden. Der Mord soll, wie festgestellt ist, auf Mülsener Flur verübt wor den sein und nimmt man an, daß der oder die Mörder ihr Opfer zurück auf Reinsdorfer Grund und Boden geschleppt haben. — In Niederlungwitz hat am 22. d. ein Ver ein gegen Hausbettelei seine Thätigkeit begonnen. — Wie kürzlich auf der Diöcesanversammlung zu Borna, so gelangte auch auf der am 13. October in Zittau abgehaltenen Diöcesanversammlung ein Antrag auf Aufhebung der Civilstandsgesetzgebung zur Abstimmung. Der vom Postdirector v. Man- delsloh (dem vom Kirchenvorstand zu Plauen ge wählten Vertreter Plauens auf der Landessynode) und Oberlehrer vr. Schneider gestellte und mit 36 Stimmen angenommene Antrag geht, in wesentlicher Uebereinstimmung mit dem v. Friesenschen Anträge, dahin, daß, abgesehen von Dissidenten, Juden und solchen Personen, welche die Kirche aus christlich kirchlichen Gründen nicht trauen kann, die rechtliche Anerkennung der Eheschließung wiederum von der Trauung abhängig gemacht werde und die Beur kundung des Personenstandes gleichfalls wieder durch die Kirchenbücher erfolge, die Beurkundung der Ge burten, Eheschließungen und Todesfälle von Dissi denten und Juden, sowie der Eheschließungen von Personen, denen die Kirche die Trauung versagen muß, durch besonderes Gesetz geregelt werde. Die sieben anwesenden Kirchenvorstandsmitglieder, welche nicht für den Antrag stimmten, erklärten ausdrücklich, daß sie lediglich aus formellen Gründen sich der Abstimmung enthielten. — Die Geraer Polizei hat auf die Thierquäler ein scharfes Auge. Im vergangenen Monat wur den zwei Personen wegen Aufsetzens auf Hunde fuhrwerk während der Fahrt in Strafe genommen. — In Altenburg hat am 21. d. die Wahl eines neuen Oberbürgermeisters stattgefunden. Staats anwalt Oßwald in Altenburg wurde mit 107 und Oberbürgermeister Pabst in Weimar mit 92 Stim men dazu gewählt, Sr. Hoheit dem Herzog zur Ernennung präfentirt zu werden. Das Ehrenamt der Volkszähler. Alle städtischen und ländlichen Behörden im weiten deutschen Reiche sind gegenwärtig im Besitz der auf die Volkszählung vom 1. Decbr. bezüglichen Verordnungen und Circulare. Nach erfolgter Durchsicht und Prüfung des Inhalts haben die Magistrate und Gemeindevorstände zunächst ihre Orte in Zählbezirke eingetheilt oder besondere Zählungscommissioaen zur Leitung des Zählgeschäfts erwählt und erlassen nunmehr in amtlichen und nichtamtächen Blättern öffentliche Bekanntmachungen, welche die Bewohner auf die Bedeutung der Volkszählung Hinweisen und insbesondere darauf aufmerksam machen, daß diese wichtige Staats handlung mit Hilfe freiwilliger Zähler durchgeführt werden soll. Mit Recht wird in allen Aufforderungen betont, daß das Amt des Zählers ein Ehrenamt ist, welches der zu demselben ausersehenen Person in dem Vertrauen übertragen wird, daß sie mit Umsicht und Eifer den Zweck der Volkszählung zu fördern bereit sei. Der Zähler ist berufen, als Organ der Orlsbehörde bezw. der Zählungscommission, an seinem Theile dafür Sorge zu tragen, daß die Aufnahme der Bevölkerungsverhältniffe vorschrifts mäßig erfolge. Im Wesentlichen besteht seine Aufgabe darin, innerhalb des ihm angewiesenen, örtlich bestimmt begrenzten Zählbezirks die Austheilung und Wiedereinsammlung der ihm übergebenen Zählungsformulare zu bewirken, die gehörige Be antwortung der darin enthaltenen Fragen zu über wachen und soweit dies erforderlich sein sollte, selbst vorzunehmen. Die Erfüllung dieser Aufgabe wird dem Zähler durch eine sehr detaillirte Instruction, durch Anleitungen der Haushaltungsvorstände uns gedruckte Ausfüllungsbeispiele erleichtert, so daß er sich ohne Schwierigkeit darüber unterrichten kann, wer, was, wie und wann gezählt werden soll. Da jedem Zähler höchstens 40 Haushaltungen mit etwa 150—200 Bewohnern überwiesen werden, so wird keinem Theilnehmer an dem Zählungsgeschäft eine allzu große Mühewaltung aufgebürdet. In mehreren europäischen Staaten bedient man sich zur Ausführung der Zählung besonderer Beamten oder bezahlter Zähler. Im deutschen Reiche hat man die freiwillige Mitwirkung der Bevölkerung