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SchönlniM TliMM und Waldenburger Anzeiger Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg ^268 Dienstag, den 16. November 188V Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. —— Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteurs dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 2V Pf. Versteigerung. Künftigen Sonnabend, den SV. d. M., Nachm. 2 Uhr soll in der Schnurbusch'schen (Hastwirthschaft (Stadtgul) hier S'/e Schock ungedroschener Hafer, welcher daselbst in Aufbewahrung gegeben ist, öffentlich gegen sofortige Baarzahlung versteigert werden. Waldenburg, den 15. November 1880. Der Gerichtsvollzieher des Königlichen Amtsgerichts. Scharf. *Waldenburg, 15. November 1880. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Anläßlich einer gegen die Juden gerichteten Petition hat der Kaiser einen Bericht über die^nÄ- semitische Bewegung eingefordert. In Berlin ist eine SkandalgeschuH<e vorge kommen, die von der jüdischen Presseaußerordent- lich aufgebauscht wird. Die Lehrer, Herren vr. Förster und vr. Jungfer, erlassen in der „Nat.-Ztg." Erklärungen darüber. Die von Hrn. Jungfer ge gebene Schilderung des Ngrfagez lassen wir wörtlich folgen: In ein lebhaftes Gespräch über die Aus schreitungen des „Böksen-Couriers" gegen den Hrn. Hosprediger Stöcker vertieft, bestiegen wir zwei, mein Freund He^ Dr. Förster und ich am 8. d. nachmittags in ^er Charlottenstraße einen Pferde bahnwagen. Während der Fahrt setzten wir unser Zwiegespräch fort und Herr Or. Förster äußerte u. A., der ihm nahestehende Herr Stöcker sei ein Ehrenmann, hx,. Jeder hochachten müsse. In der BehrenstraHe wurden wir plötzlich von 2 anscheinend jüdischen Herren unterbrochen und ohne allen An laß gröbhch insultirt, worauf vr. Förster aus dem Wagen sprang, um einen Schutzmann zu zitiren und die Persönlichkeit der betreffenden Herren fest stellen za lassen. Inzwischen fuhren dieselben fort, laut schneiend heftige Schmähungen gegen mich aus- zustoßey, welche ich dadurch erwiderte, daß ich die Herren ersuchte, sich zu mäßigen, da sogleich ein Schutzmann kommen werde. Aber weit entfernt, sich zu beruhigen, setzten sie vielmehr, nachdem wir den W-gen verlaffen, nunmehr auf dem Trottoir der B-Hrenstraße ihr Schreien und Schimpfen gegen «ich mit gellender Stimme fort, so daß alle Passawen sich um uns sammelten, — während sie zugleich mit den Händen lebhaft vor meinem Ge sicht cesticulirten. Dies ungualisicirbare Betragen machte meiner lange mühsam behaupteten Ruhe denn doch ein Ende und meine Entrüstung schuf sich dem Herrn gegenüber, welcher mich am lautesten anschrie, Luft durch den Ausruf, mit dem ich die Flyth seiner Schmähworte unterbrach: „Und Sie sino nur Jude!" Hierauf versetzte der Angeredete mir einen Schlag, den zu erwidern ich von den mjr zunächst Stehenden verhindert wurde. Erst dlmn erschien ein Schutzmann, der mich vor weiteren Injurien schützte und in dessen Begleitung wir zum Polizeibureau gingen. Seldst unterwegs begannen die bezeichneten Herren wieder zu schreien und zu schimpfen, so daß der Schutzmann sie zur Ruhe verweisen mußte. Nachdem auf dem Polizei bureau die Namen festgestellt waren, bat ich meinen Freund, Hrn. vr. Förster, die Adresse desjenigen Herrn, welcher mich insultirt hatte, zu notiren, für den Fall, daß ich eine Forderung für angebracht halten sollte. Nach reiflicher Ueberlegung jedoch und durch eine Berathung mit älteren Offizieren über zeugten wir uns, daß jener Herr auf Grund seines Betragens nicht als satisfactionsfähig gelten könne und mir daher nur der Weg der Privatklage buebe, welche ich mir vorbehalte. Das Verhalten der beiden Lehrer wird fast allgemein verurtheilt, desto mehr ist man berechtigt, auch die Gegenpartei der Kritik zu unterwerfen. Der jüdische Herr Kantoro wicz hat mit dem Bewußtsein, eine unerwiderte Ohrfeige ausgetheilt zu haben, sich nicht begnügt, sondern alsbald mit einer unverkennbaren Beflissen heit seine Heldenthat in jeder möglichen Weise an die-Deffentlichkeit gebracht. Mit dem Director des Friedrichs-Gymnasiums hatte er eine Unterredung, welcher ein schriftlicher Bericht folgte. Letzterer wurde sofort im „Börfen-Courier" der ganzen Mitwelt zugänglich gemacht. Auch der zuständigen Militärbehörde machte Hr. Kantorowicz ungesäumt die Mittheilung, daß er einen Reserveoffizier geohr- feigt habe. Stadtschulrath Ov. Cauer theilte in der letzten Stadtverordnetenversammlung mit, er habe einen ausführlichen schriftlichen Bericht von Kantorowicz in Händen. Man sieht, daß die Aus nutzung des Vorfalls mit einem Eifer betrieben wird, wie man ihn bei der Ausbeutung einer günstigen Conjunctur nicht besser wünschen kann. Wenn die Person des genannten Herrn aber in solcher Weise in den Vordergrund tritt, so dürfen auch wir uns wohl die Frage vorlegen: Wer ist denn eigentlich dieser neue Maccabäer? Im Adreß buch steht Hr. Edmund Kantorowicz, Destillateur, Köpnickerstraße 109a, als Mitinhaber der Firma „Hartwig Kantorowicz, Filiale Berlin," Liqueurfa- brik; das Hauptgeschäft befindet sich in Posen. Im Frühjahr vorigen Jahres las man in vielen Blät tern ein Inserat, welches für den Charakter dieser Firma und die Ehre der Inhaber von großem Be lang ist. Die Firma A. Legrand ainö theilte Fol gendes mit: Die Handlung Hartwig Kantorowicz zu Posen veröffentlicht seit einiger Zeit, nachdem sie in dem gegen dieselbe angestrengten Prozesse wegen rechtswidriger Nachahmung der Marken des echten Benedictinerliqueurs durch die gleichlautenden Er kenntnisse des Königlichen Appellationsg-'richts zu Posen und des Reichsoberhandelsgerichts zu Leipzig verurtheilt worden, Annoncen mit allerlei Angaben, welche den wahren Sachverhalt zu verdunkeln be müht sind. Eine Generalversammlung des nationallibera len Vereins in Berlin hat sich gegen 16 Stim men für die Secessionisten ausgesprochen und damit hat der Verein als nationalliberaler eigentlich auf gehört zu existiren. In Berliner Blättern wird eine von circa 60 Mitgliedern der liberalen Parteien Berlins — darunter v. Forckenbeck, Professoren Gneist, Droysen, Virchow, Mommsen — unterzeichnete Erklärung veröffentlicht, in welcher gegen die sogenannte Judenhetze protestirt wird. Die Erklärung schließt mit folgenden Worten: „Noch ist es Zeit, der Verwirrung entgegenzuneten und nationale Schmach abzuwenden: noch kann die künstlich ange fachte Leidenschaft der Menge gebrochen werden durch den Widerstand besonnener Männer. Unser Ruf geht an die Christen aller Parteien, denen die Religion die frohe Botschaft vom Frieden ist; unser Ruf ergeht an alle Deutschen, welchen das ideale Erbe ihrer großen Fürsten, Denker und Dichter am Heizen liegt. Vertheidiget in öffentlicher Erklärung und ruhiger Belehrung den Boden unseres gemein samen Lebens: Achtung jedes Bekenntnisses, gleiches Recht, gleiche Sonne im Wettkampf, gleiche Aner kennung tüchtigen Strebens für Christen und Juden." Das preußische Abgeordnetenhaus setzte am 13. d. die Etatberathung fort. Die Fortschrittspartei will im preußischen Abge- ordnelenhause eine Interpellation einbringen, in welcher unter Bezugnahme einer gegen die Juden gerichteten Petition mehrere Fragen an die Regierung gestellt werden sollen. Or. Virchow und Dr. Hänel sind mit der Redaction dieser Interpellation beauf tragt worden. Der comandirende General des 8. Armeecorps, v. Go eben, ist am 13. d. abends in Koblenz ge storben. Mildem Tode dieses tapferen Heerführers, der kaum das 70. Lebensjahr erreichte (geb. 10. December 1816), verliert das Vaterland einen seiner treuesten Söhne. Obgleich zu Stade in Hannover geboren, war er doch 1833 in preußische Militär dienste getreten und zwar als einfacher Musketier. Er trug gewissermaßen den Marschallsstab in seinem Tornister. Thatendurstig wie er war, litt es ihn nicht lange bei dem Friedens-Gamaschendienst jener Tage, und schon 1836 begab er sich nach Spanien, um in das Heer des Prätendenten Don Carlos als Freiwilliger einzutreten. Wenn er es auch dort nach mannigfachen Wechselfällen bis zum Oberstlieute nant brachte, so kehrte er doch 1842 nach der Hei- math zurück, um als — Sekondelieutenant wieder in die preußische Armee einzutreten. Von da an galt er als einer der tüchtigsten unserer jüngeren Offiziere und 1860 sandte man ihn als Oberst lieutenant preußischerseits als Bevollmächtigten ins Laaer des Marschalls O'Donnel, um dessen Feldzug gegen Marokko mitzumachen. Für uns trat er erst 1866 als tüchtiger Stratege in den Vordergrund und seine Ruhmesthaten im Mainfeltzug sind noch in Aller Gedächtniß. Im Jahre 1870 zum Chef des 8. Armee corps ernannt, konnte er von Spich-ren an bis zur Ein nahme St. Quentin seinen Ruhm erneuern und frische Lorbeeren erkämpfen. General Goeben galt für einen der unterrichtetsten Offiziere der Armee und sein zugleich energisches und humanes Wesen machten ihn zum Liebling der Truppen, wie seines kaiser lichen Kriegsherrn. Er hat sich ums Vaterland wohl verdient gemacht. In der nächsten Sitzung der Hamburger Bürgerschaft wird vr. Gieschen folgende Inter pellation einbringen: 1) die Bürgerschaft beschließt, von dem Senat Auskunft zu verlangen, aus welchen Thatsachen der Senat die Ueberzeugung gewonnen hat, daß durch socialdemokratische, socialistische oder communistische, auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichtete Be strebungen das Hamburgische Staatsgebiet mit Ge fahr für die öffentliche Sicherheit bedroht ist; 2) die Bürgerschaft bezeichnet dieses Auskunftsersuchen als ein dringliches. Ungarn. In beiden Häusern des Reichstags wurde proto kollarisch die Theilnahme für die kroatische Schwester nation anläßlich der Katastrophe in Agram aus gesprochen. Minister Tisza theilte mit, daß er dem Bonus auch materielle Mittel zur Verfügung stellte. Frankreich» Die Krisis, welche alle Welt und am meisten die Deputirtenkammer überraschte, ist vorüber. Das Vertrauensvotum der Linken hat Herrn Julius Ferry bestimmt, seine Demission zurückzuziehen und den von ihm gründlich verfahrenen Staatskarren noch weiter zu schieben. Trotz des Vertrauensvotums scheinen aber Herr Ferry und sein Cabinet mit ge ringer Zuversicht der weiteren Entwickelung der