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MmlmiM Tagebillij Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 5V Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und dis Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Freitag, den 26. November M 276. 188«. Bekanntmachung, die E i n k o m m e n s d e e l a r a t i o n betr. Am heutigen Tage ist mit der Austragung der Declarationsaufforderun gen begonnen worden. Denjenigen, welchen eine Declarationsaufforderung nicht zugesendet wird, steht es frei, eine Declaration über ihr Einkommen bis zum 8. December dieses Jahres bei dem unterzeichneten Stadtrathe einzureichen. Zu diesem Zwecke werden Declarationsformulare in der Rathsexpedition unentgeltlich auf Verlangen verabfolgt. Gleichzeitig werden alle Vormünder, ingleichen alle Vertreter von Stiftungen, Anstalten, Personenvereinen, liegenden Erbschaften und anderen mit dem Rechte des Vermögenserwerbs ausgestatteten Vermögensmafssn auf gefordert, für die von ihnen bevormundeten Personen, beziehentlich für die von ihnen vertretenen Stiftungen, Anstalten u. s. w. Decla rationen bei dem unterzeichneten Stadtrath anch dann einzu reichen, wenn ihnen deshalb besondere Aufforderung nicht zu gehen sollte. Waldenburg, am 24. November 1880. Der Stadtrath. Cunrady. "Waldenburg, 25. November 1880. Jüdische Meinungen. Daß die Juden aller Länder ein gemeinsames Band verbindet, das der Stammesangehörigkeit, dar über ist Niemand im Zweifel, und daß daher alle die in jüdischen Händen oder unter jüoischem Ein fluß stehenden Blätter, und das ist namentlich auch bei den Wiener Blättern der Fall, über die anti- jüdische Bewegung in Deutschland weidlich in voller Galle raisonniren werden, läßt sich leicht denken. So schreibt die „Wiener Allg. Zeitung": „Zweihundert Jahre nach Spinoza, einhundert Jahre nach Lessing noch im Parlament die Frage erörtern zu müssen, ob Menschen ihrer Religion halber von StaatSweaen zurückgesetzt und benach- theiligt werden sollen — fürwahr, das. ist kein er hebendes Bild! Es gereicht dem Volke der „Dichter und Denker", der Nation, in deren Sprache der „Nathan" und der „Don Carlos" geschrieben wur den, für die Kant und Schopenhauer gedacht haben, nicht zur Ehre, daß just ihr beschieden worden, der Welt dieses klägliche Schauspiel zu bieten." Die Juden thäten besser, unsern Lessing aus dem Spiele zu lassen; Lessing trat für die Befreiung der Juden aus edlem Menschlichkeitsgefühl ein; hätten die Juden (Börsen-, Getreide-, Pferde- rc. Juden) stets nach Lessing'schen Grunffätzen gehandelt, un zweifelhaft, wir hätten keine Antisemiten-Bewegung. Das obige Blatt nennt des Weiteren die ganze Anti semiten-Bewegung „unendlich roh, unendlich verächt lich und unendlich bedauerlich"; es nennt Preußen den einzigen cimlisirten Großstaat, „in welchem eine Judenhetze mehr ist, als eine Belustigung des Pö bel", und es endet mit den Worten: „Das deutsche Volk wird sich darüber klar wer den müssen, ob es wieder den Weg einschlagen will, den es durch Jahre gewandelt ist, oder ob es unter das Niveau Serbiens und Bulgariens sinken will. Was man an physischer Freiheit verliert, kann der nächste Tag miederbringen, was man an geistiger Freiheit aufgiebt, ist verloren auf Generationen." Nicht minder bitter äußert sich die „Presse", welche zu dem Ergebniß gelangt: „Das deutsche Judenthum werde es sich zu über legen haben, ob es nicht seinen fanatischen Gegnern weichen will, wie die Hugenotten einst aus Frank reich, oder wie es die spanischen Moriscos gethan." Die „Neue Freie Presse" nennt das Getriebe „den ordinärsten Nacenkampf, welchen zu schauen einer kulturliebenden Zeit beschieden sein kann." Sie bezeichnet Herrn v. Treitschke als „akademischen Wahlverwandten des Hofpredigers Stöcker", sie spricht von seinen „läppischen Pasquillen auf die Hosen verkaufenden Semiten" und schließt mit der Bemerkung: „Ob nach der Debatte im preußischen Abgeord netenhause die judenfeindliche Agitation zum Still stände kommen wird, ist schwer vorauszusagen. Elemente wie diejenigen, welche durch Treitschke und Stöcker entfesselt worden sind, pflegen einem Appell an das Ehrgefühl nicht immer zugänglich zu sein. Aber vielleicht dient eine praktische Erwägung dazu, dem Treiben da drüben Einhalt zu thun. Man beschwert sich in Deutschland darüber, daß in Ungarn die Deutschen bedrängt werden. Nun wohl, der Deutschenhaß der Magyaren ist im Interesse der Bildung und Gesittung, im Interesse der Wechsel seitigkeit unter den Völkern schwer zu beklagen. Aber wenn das hochentwickelte Volk der Deutschen unter dem Vorwande des Racenunterschiedes die Juden verfolgt und bedroht, was will man dagegen sagen, daß dieselbe Parole in Ungarn gegen die Deutschen in Anwendung kommt? Oder ist etwa - den Juden in Deutschland billig, was den Deutschen j in Ungarn nicht recht ist?" "Waldenburg, 25. November 1880. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Kaiser hat sich von seiner leichten Erkältung vollständig wieder erholt. Am Freitag verbreiteten sich in Berlin aufregende Gerüchte von einem Schlaganfall des Fürsten Bismarck und einem neuen Attentat auf den Czaren, welche manche Leichtgläubigen in Bewegung gesetzt haben sollen, obschon sie nicht den kleinsten Anhalt und nicht die mindeste Wahrscheinlichkeit für sich hatten, so, daß ein Dementi als zu ehren voll erschien. Die „Kreuzztg." schreibt die Ent stehung dieser Gerüchte der Börse zu. Die „Börse" — bemerkt sie — „bedarf bekanntlich der „Bewegung" der Course, wenn das „Geschäft" lebhaft sein soll. Nun hat aber in der letzten Zeit dies Lebenselement für das Börsentreiben gefehlt; das Privatkapital hielt sich fortdauernd fern und so waren der Coursbewegung nach aufwärts wie nach abwärts schon von vornherein Schranken gezogen. Vermuthlich, um dieser „Stockung" abzuhelfen, hat die Speculation wieder zu dem Mittel aufregender Gerüchte gegriffen und in frivoler Weise hochstehende Personen, deren Leben und Gesundheit von Be deutung für die Weltlage ist, zum Gegenstände falscher Ausstreuungen gemacht. Das Gerücht (vom Schlaganfalle Bismarcks) ist eben nur ein Börsen manöver gewesen, gerade wie die Nachricht von einem Attentat auf den Kaiser von Rußland, welche am 18. d. abends von Paris her verbreitet wurde, obgleich nicht das Mindeste sich ereignet hat, was Anlaß zu einer solchen Erfindung hätte bieten können." (Um zu machen ä Geschäftche, wird eben zu allen Mitteln gegriffen.) Der kleine Belagerungszustand über Berlin ist vom Bundesrath auf ein weiteres Jahr verlängert worden, jedoch ohne das Verbot des Waffentragens. Bei der Trennung innerhalb der nationalliberalen Partei sind alle specifisch jüdischen Elemente ausge schieden und haben sich den Socessionisten zugesellt. Die „Kreuzztg." fragt: Sollte vielleicht die ver schiedene Stellung zu der Judenfrage nicht mit einer der bestimmenden Gründe für die Trennung in der nationalliberalen Partei aewesen sein und die Juden freundlichkeit den Secessionisten mit ihre eigenthüm- liche Färbung geben? In Elberfeld hat am 23. d. aburds auf dem Königsplatz eine Demonstration mit Volks auflauf gegen den Verfasser eines Artikels in einem kirchlichen Blatte über das Lied: „Deutschland, Deutschland über Alles!" stattgefunden. Die Polizei mußte einschreiten und hat mehrere Verhaftungen vorgenommen. In frühester Morgenstunde fanden am 19. d. in Nürnberg und Umgebung umfangreiche Haus suchungen bei socialdemokratischen Führern und ihrem Anhänge statt; so in der Redaction und Expedition der „Frk. Tagespost," der Wohnung Hrn. Grillenberger's, bei den Vorstandsmitgliedern und Setzern der Genoffenschafts-Buchdruckerei, in den Geschäftslocalitäten der Wörlein'schen Buchhand lung und in einem Gasthause, in welchem zur Zeit der Reichstagsabgeordnete Auer logirt. Auch in Glaishammer und Neumetzendorf fanden Haus suchungen statt. Der „Frk. Tagespost" zufolge wurde Verbotenes, „mit Ausnahme von im Privat besitzbefindlichen Einzelexemplaren von Flugschriften," nicht vorgefunden. Frankreich. Die Communisten und Communistinnen, die infolge der Amnestie nach Frankreich zurückgekehrt sind, treiben wieder ein tolles Wesen. Louise Michel, die vor ungefähr acht Tagen aus Neu- caledonien zurückgekommene Communardin, trat zum ersten Mal in einer Privatvsrsammlung in Mont- matre aus. Als sie im Saal Elysse-Montmatre erschien, wurde sie mit großem Jubel begrüßt. Die Deportation hat dieses Weib nicht gezähmt; sie ist noch ebenso blutdürstig als zur Zeit, da sie die armen Nationalgarden zum Kampf gegen die Versailler aufforderte und selbst mitkämpfte. Als sie auf der Tribüne erschien, rief sie aus: „Man glaubt, die Revolution sei todt, aber die Revolution ist wieder auferstanden." Die Michel ist keine schöne Erschei nung, etwa 46 Jahre alt, von excentrischem Ausse hen. Sie fordert auf, lo zu handeln wie die rus sischen Nihilisten. „Wir werden von jetzt an nicht mehr in Masse vorgehen; wir werden einen bestim men, der ermorden muß, und der muß allein gehen. Wenn alle gefallen sind, die unsere Brüder ermor det und verleumdet haben, so wird nicht den Rech ten, sondern der Gerechtigkeit Genugthuung gesche hen sein. Wir werden unsere Opfer nicht bedauern, wir werden sie verherrlichen. Wir werden niemand Gnade gewähren, wir werden unbarmherzig sein. Als ich Paris verließ, war Paris todt; heute ist Paris wieder erwacht, und bis in die Steppen Rußlands hin hat sich die Revolution erhoben!" Welche Anschauungen auch die gemäßigten Socialisten Frankreichs vom Eigenlhum haben,