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der Spitze des Merkchens stehenden zwei Haupt regeln lauten: „1. Bezeichne jeden Laut, den man bei richtiger und deutlicher Aussprache hört, durch das ihm entsprechende Zeichen. 2. Beachte auch die Abstammung der Wörter." Die für die preußischen Schulen herausgegebene Schrift enthält nur die erste Regel und es dürfte deshalb geradezu ein Vorzug der sächsischen Schrift sein, daß sie so viel als möglich die Stammform und die Ableitung von derselben zu erhalten sucht, wie es ja bei allen Regeln der Orthographie immer auf die Schreib weise des Stammes und auf die Vereinigung der beiden Grundsätze dieser zwei Regeln ankommt. Die anderen Bestandtheile der Wörter werden nach ihrer Schreibweise durch Grammatik und Gebrauch bestimmt und stehen bezüglich derselben größtentheils mit der Aussprache in Einklang. Die vom königl. sächsischen Cultusministerium herausgegebene Schrift hat die gegen das preußische Regelbuch von compe- tenter Seite erhobenen Bedenken nicht unbeachtet gelassen. Die neue Orthographie schreibt nun tm Wesentlichen folgende Abweichungen von der bis herigen Schreibweise vor: Die Endsilbe nis, also: Zeugnis, Besorgnis, Gedächtnis rc. Wegfall des pH; es wird also geschrieben: Rudolf, Adolf, West falen rc.; in den Nachsilben ier und ieren wird die Länge des Vokals i durch ein nachfolgendes e be zeichnet, also: desinficieren, citieren, frisieren, applaudieren rc. In denjenigen Stammsilben, welche durch den doppelten Vokal bereits als lang bezeichnet sind, kommt das h in Wegfall; es ist also von jetzt an zu schreiben: der Teer, das Tier, der und das Tau, der Teil, verteidigen, teuer; die Silben tum und tüm werden auch ohne h ge schrieben, also: Eigentum, Heldentum, Cristentum; irrtümlich, volkstümlich; Ungetüm. Auch im Jn- und Auslaut fällt das h weg, also: Atem, Blüte, Miete, Pate, raten, Nöte, Rute; Armut, Flut, Ge rät, Glut, Heirat, Mut, Not, Rat, Rätsel, rot, Wert, Wut rc., ebenso: Turm; Furt, Wirt; k wird gesetzt für c mildem K-Laut, also: Kanal, Klasse, okulieren, direkt, Takt, Akademie, Katechismus, Kohäsion, Kommission, Kongreß rc. Das der Schrift beigegebene Wörterverzeichniß stimmt voll ständig in der Schreibweise mit dem des preußischen Regelbuches; das sächsische Wörterverzeichniß hat aber den Vorzug, daß es umfangreicher und voll ständiger ist und auf die vorausgegangenen Regeln verweist. Trotz alledem wird aber noch gar man ches unseren Kindern, für welche doch das Schrift- chen geschrieben ist, unklar bleiben. So heißt es z. B. in 8 5: „Die Bezeichnung des auslautenden Consonanlen richtet sich darnach, wie derselbe als Inlaut gehört wird." Hier wäre wohl etwas mehr Klarheit sehr wünschenswerth gewesen. Sodann unterscheidet die Schrift in § II einen weichen und harten S-Laut, läßt aber dann im Weiteren nicht deutlich den Unterschied beider S erkennen. Nament lich wird auch die Familie „Tod" in ihren ein zelnen Gliedern denen, welche sich nach dieser Orthographie zu richten haben, mancherlei Schwierig keiten machen, denn wir schreiben nun: Der Tod, Todsünde, Todesangst, todbringend, todkrank, tödlich, hingegen tot, der Tote, Totenhaus, Totschlag, töten. Auch die feineren Unterschiede: aus aller Acht, außer acht, alt und jung, Altes und Neues, Angst haben, angst machen, das Bessere, aufs beste, zum Besten, der erste beste rc. werden wohl auch ihr Bedenkliches behalten. Die Silbenabthei- lung geschieht nach Sprechsilben, also im Allgemeinen wohl wie bisher; neu aber ist die Abtheilung des ck, tz, sp, pf rc., wie z. B. in Hak-ke, Jak-ke, krat zen, Knos-pe, klop-fen rc. Die neue sächsisch-preußisch- baierische Orthographie wird gewiß trotz der Schwie rigkeiten und Mühe, welche jeder Uebergang mit sich bringt, doch der längst ersehnten Einigung in der Schreibweise wesentlich näher bringen und hoffentlich recht bald allgemein und in allen Kreisen des deutschen Vaterlandes sich einbürgern und des halb ist das vom sächsischen Cultusministerium her ausgegebene Schriftchen sicher nur mit Freuden zu begrüßen. Vermischtes. Folgende ergötzliche Geschichte wird aus den Ta gen des Aufenthaltes der serbischen Fürstin Natalie in Franzensbad mitgetheilt: Die Fürstin hatte einen guten Theil der ersten Etage in dem großartigen, dicht am Parke gelegenen „Hotel Leipzig" inne. Eine Fürstin B. bewohnte im selben Stockwerk ebenfalls einige Zimmer und machte der Souveränin von Serbien eines Tages ihren Besuch. Diese fühlte das Bedürfniß, letzteren zu erwidern, und sagte zu shrem Kammerdiener: „Fragen Sie Madame, wann ich sie zu Hause finde." Der Kammdiener, ein Ur- wiener, verstand unter „Madame" das, was der Franzose „kamma ss-As", der Deutsche außerhalb Wiens Hebamme nennt. Er erkundigte sich beim Portier, wo eine Hebamme wohne und man ver wies ihn in eine nahegelegene Straße zur Frau des Rasirers Ulbrich. Dorthin lenkte er seine Schritte und richtete seinen Auftrag aus, der im Hause des Rasirers die ungeheuerste, natürlich freudigste Sen sation verursachte. Madame Ulbrich, welche eben gerufen worden war, um der Frau des Bade-Arztes R. ihre Dienste zu widmen, erklärte freudestrahlend, in einer Slunve erwarte sie Ihre Hoheit. Der Rasirer sperrte seinen Laden und lief von Bekann ten zu Bekannten, um einem Jeden brühwarm die interessante Nachricht mitzutheilen, daß die Fürstin von Serbien seine Frau ihres hohen Vertrauens gewürdigt habe und sie in einer delikaten Angelegen heit zu Rathe ziehen wolle. Die Fürstin Natalie hat inzwischen die Kunde vernommen, daß Madame sie in einer Stunde erwarte. Das Kammermädchen, welchem der Kammerdiener bereits mitgetheilt hatte, daß die hohe Gebieterin ihn nach einer „Mavame" ausgeschickt habe, wundert sich, als ihr die Fürstin befiehlt, ein Galakleid herbeizuholen. „Wozu eine so pompöse Toilette für den Besuch bei einer Ma dame?" denkt sie, gehorcht aber. Der Kammerdie ner hat mitterweile anspannen lassen und meldet, sobald die Stunde verflossen ist, daß der Wagen bereit stehe. „Was für ein Wagen?" fragt die Fürstin verwundert. — „Hoheit wollen doch zu Ma dame fahren" — „Madame wohnt ja auf demsel ben Corridor wie ich?" — Der Kammerdiener sieht plötzlich, was er angerichtet hat, die Hoheit verlangt Aufklärung, und als sie ihr wird, bricht sie in schallendes Gelächter aus. Das komische Mißver- ständniß macht ihr großen Spaß — den übrigen Badegästen natürlich auch. Eine Hochzeitsreise mit Hindernissen. Am 16. d. abends wollte ein junges Ehepaar mit dem von Soest nach Hagen abgehenden Zuge seine Hochzeits reise antreten. Der Neuvermählte steigt ein, um das Gepäck im Coups zu ordnen, die junge Frau aber hat noch von zahllosen Tanten u. s. w. Ab schied zu nehmen. Der Schaffner mahnt ein, zwei, drei Mal zum Einsteigen, aber ohne Erfolg. Noch eine vierte Mahnung, da ein Pfiff und der Zug fährt ab, den jungen Gemahl seiner eben Ange trauten entführend. Bitten, Händeringen aus beiden Seiten umsonst, der Zug fährt dahin. In Werl verläßt der Unglückliche mit allen Koffern, Hut schachteln u. s. w. das Coups und soll einen Wagen gefunden haben, der ihn in die Arme seiner sehn süchtig harrenden Frau zurückgeführt hat. Ehrbegriff auf der Börse. Vor dem Wiener Schwurgerichte fand eine Schlußverhandlung wegen eines Verbrechens gegen einenIBörsenbesucher Namens Adler statt. Interessant ist die Aussage eines Zeugen, der den Maßstab treffend charakterisirte, mit dem der Cours der Ehre auf der Börse gemessen wird. Dieser Zeuge ist der Börsenagent Schwarz. Präs.: Welchen Ruf genoß Herr Adler auf der Börse? — Zeuge: Einen sehr schlechten. — Präs.: Wie kommt es, daß Sie doch mit ihm Geschäfte machten? — Zeuge: Auf der Börse ist das Alles Eins; wann Einer Geld hat, so kann er früher im Strafhaus gewesen sein, sechs oder sieben Jahre Zuchthaus abgebüßt haben, wann er nachher nur viel Geld mitbringt, so ist er ein Ehrenmann. Auf der Börs is Geld Alles, Geld, nur Geld. (Schallen des Gelächter.) — Die Börsenkammer hat Herrn Schwarz wegen seiner vor Gericht gemachten Aeu- ßerung zur Verantwortung gezogen. Allerlei. Ein großer Walfisch von 45 Fuß Länge wurde dieser Tage in Lambeß bei Stransay auf den Orgney-Jnseln ans Gestade getrieben. — Aus Osnabrück berichtet die „Germania": In diesen Tagen ist wieder ein Soldat so arg miß handelt worden, daß er schwer an den empfangenen Wunden im Lazareth darniederliegt. Selbst die ofsiciösen „Anzeigen" schreiben heute: es sei zu be- dauer, wenn auch dieser Fall wieder todtgeschwiegen würve. — Vor etwa 14Tagen verlor in Parisein Engländer den Betrag von 28,000 Pfd. St. in Werth- papieren. Ein junger Soldat fand das Portefeuille und empfing hierfür die ausgeschriebene Belohnung von 1000 Pfund (20,000 Mk.) — Von New-York macht sich gegenüber der geringen Aepfelernte in Deutschland ein bedeutender Export amerikanischer Aepfel geltend, welche sich durch ihren feinen Ge schmack auszeichnen. Mit dem am 20. October in Hamburg angekommenen Dampfer „Westphalia" kamen 1600 Barrels an. — Einmal im Jahre sich gründlich satt zu essen und sich des Lebens zu er freuen, ist Hunderten von Armen in Würzburg bescheert. Am 18. October finden sie eine lange Tafel im Schlosse gedeckt, an jedem Platz einen Teller, ein Gefäß mit Wein aus dem Hofkeller und ein Stück Brod, Löffel, Messer, und Gabel müssen die Gäste mitbringen. Diesmal waren es nahezu 300 Arme; sie bekamen eine Kraftsuppe mit einem großen Stück Rindfleisch und dann Schweins braten mit Sauerkraut. Die Militärmusik spielte dazu. Wie das schmeckte! Diese jährliche Spei sung ist eine Stiftung des Königs Ludwig des I. zum Andenken an die Schlacht bei Leipzig. — In Berlin ist das Erdbeben in der Nacht zum Donners tag ebenfalls bemerkt worden. — Es wird beabsich tigt, die gesammten Costüme rc. des großartigen historischen Festzuges dem Kölner Stadttheater zum Geschenk zu machen. — Einmal hundert Tausend Centner Kohlen in 24 Stunden von einer Grube ans Tageslicht zu fördern, ist ebenso eminent als selten. Die Königliche Königin Luisengrube von Zaborze O.-S. hatte, auf Anordnung ihres Chefs, Herrn v. Velsen, welcher die Leistungsfähigkeit seiner ihm unterstellten Gruben prüfen wollte, diese Riesenarbeit am 19. d. M. ausgesührt Die ge wöhnliche Förderung in der oben angegebenen Zeit variirt zwischen 75- und 80,000 Centner, so daß an diesem Tage eine Mehrförderung von über 20,000 Centner erzielt wurde. — Ein Pistolen- Duell hat am Freitag im Grunewalde zwischen zwei Berliner Studenten stattgefunden. Der Zwei kampf nahm einen unglücklichen Ausgang, da der eine der Duellanten einen Schuß in den Unterleib, fein Gegner einen Streifschuß an die Wange er hielt. — Im Berliner Thiergarten werden die Denkmäler zur Winterszeit mit Hüllen umgeben. Da die bisherigen hölzernen Hüllen sich nicht be währt haben, sollen solche von Eisen, auf Ständern ruhend, construirl werden. Die Kosten für jede der beiden Schutzhüllen für das Denkmal Friedrich Wilhelms III.,und der Königin Luise werden 2000 M. betragen. Das Goethedenkmal nimmt mit den vorspringenden Gruppen des Fußgestells ungefähr den doppelten Raum ein und soll das Schutzdach etwa 4000 Mark kosten. Neueste Nachrichten. Wien, 27. October. Die „Polit. Corr." meldet aus Cattaro: Die Pforte lehnte das Verlangen Montenegros, Riza Pascha solle den Verhandlungen in Kunia beiwohnen, ab. Es verlautet, Admiral Seymour habe seine Enthebung vom Flotten- commando nachgesucht. Wien, 27. October. Dem Wiener „Fremden blatt" wird aus Athen gemeldet, daß demnächst vierzig Kruppsche Marinekanonen im Piräus eintreffen würden. Ein Kruppscher Ingenieur soll dieselben begleiten, um die griechischen Seesoldaten in der Handhabung der Geschütze zu unterweisen. Wien, 27. October. Die „Presse" meldet, daß der zu Belgrad erscheinende „Jstok", das Organ des entlassenen Ministerpräsidenten Ristics, einen kriege rischen Leitartikel veröffentlicht, worin alle Parteien aufgefordert werden, einig zu sein und Oesterreich die Stirn zu bieten. Paris, 27. Oclober. Der bekannte Chefredacteur der „France" Herr Emil Girardin publicirt einen energischen Artikel gegen die „Spionenriecherei" und entläßt deshalb seinen Mitarbeiter Herrn Amedse Lefaure, obwohl derselbe Deputirter ist, aus der Redaction der „France", in deren Spalten er die Spionenriecherei in Erbpacht genommen hatte. Die „Patrie" meldet, daß die Baronin Kaulla, trotzdem sie als Französin naturalisirt wurde, heute Abend ausgewiesen werden sollte, um ihr die An strengung eines Prozesses gegen ihren geschiedenen Mann resp. dessen Advokaten unmöglich zu machen. — Die Ausweisung der Kabuziner soll erst morgen erfolgen. Literarisches. „Deutsches Aamilienbkatt." Vierteljährlich M. 1.60. — In Heften zu 30 oder 50 Pf. Verlag von I. H. Schorer in Berlin, Die neuesten drei Nummern dieses wirk lichen Familienblattes glänzen — gleich der kürzlich be sprochenen, das neue Quartal einleitenden Nummer, — durch eine Fülle gediegenen Inhalts und die stets auf's neue überraschende Schönheit der künstlerischen Ausschmük- kung. Neben der in hohem Grad« spannend sich entwickeln den Novelle „Gerichtet", von Konr. Telmann, begegnen wir u. A. den zwei überaus zeitgemäßen Artikeln „Der deutsche Schulverein in Oesterreich" und „Die Franzosen in der Süd see", während F. van Köppen in einem Artikel über Rolands säulen aus altdeutscher Vergangenheit erzählt, Stinde uns in geistvoller Weise in „Die Kinderstube der Jnsektenwelt" versetzt und endlich eine Biographie mit eingefügtsm Por trait uns Robert Wilms, den kürzlich dahingeschiedenen Stern der medizinischen Wissenschaft in seiner menschlichen Größe, seinem hervorragenden Wirken näher führt. Die größeren Kunstblätter, deren wir fünf in den drei Nummern finden, sind diesmal besonders glücklich gewählt und sämmtlich Musterleistungender Xylographie in technischer Beziehung. Ganz besonderes Interesse erweckt das große doppelseitige Tableau von Trier und Umgebung, gezeichnet von W. Gause. Wir sahen selten gleich Vollendetes auf