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WMirgti Tagcklltt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und dis Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Dienstag, den 14. September 188«. ^L214. *Waldenburg, 13. September 1880. Schöne Redensarten. Unter diesem Titel schreibt der „Freiberger Anz." das Folgende: Wo so Vielerlei tagtäglich gesprochen und geschrie ben werden muß, wie dies in unserem öffentlichen Leben der Fall ist, da kann es gar nicht ausbleiben, daß neben manchem guten und gewichtigen Wort auch allerhand Phrasengeklingel mit unterläuft. Nicht nur im geselligen Verkehr, auch in der Tages- preffe kann man solchen schönen Redensarten begeg nen, welche, mit der nöthigen Sicherheit ausgespro chen, das unbefangene Gemüth zu verblüffen geeignet sind und, häufig wiederholt, schließlich unbesehen als unumstößliche Wahrheit hingenommen werden. Bei allen Wahlen begegnet man gewissen Schlag worten und es ist ost ergötzlich, wie überwältigend eine solche pomphafte Redewendung zu wirken ver mag. Ein solches Schlagwort, welches die Massen electrisirt, ist meist von größerem Erfolge, als die tiefsinnigste Rede. Von der „Monarchie auf brei tester demokratischer Grundlage," welche im Jahre 1848 eine so große Rolle spielte, bis zur „Pfeife des armen Mannes," die bei den letzten Neichstags- wahlen überall gegen die Tabakssteuer vorgeführt wurde — was ist da nicht schon alles auf dem Gebiete der Phrase geleistet worden! Einer solchen schönen Redensart, welche Eindruck zu machen bestimmt ist und in den nächsten Wochen wohl auch machen wird, begegnen wir in dem Pro gramm der neuen liberalen Partei. Es ist da die Rede von der Abweisung socher „indirecter Ab gaben und Zölle, welche die Steuerlast vorwiegend zum Nachtheil der ärmeren Klaffen verschieben." Das ist prächtig! Abschaffung von Abgaben, welche vorwiegend die ärmeren Klassen belasten, wol len auch wir. Solches Motto läßt sich hören und wird gewiß auch Eindruck auf dis Wähler machen. Nur ein Bedenken hätten wir dabei: warum soll denn diese Thätigkeit zu Gunsten der ärmeren Klas sen nur bei den indirecten Abgaben entfaltet wer den? Wir wollen hier kein Wort über das Für und Wider der indirekten Abgaben verlieren, über dieses Thema ist ja genug schon verhandelt worden. Aber so viel steht doch unzweifelhaft fest, die ärmeren Klassen klagen über die Höhe der in direkten Abgaben entweder gar nicht oder doch nur sehr wenig, denn sie fühlen sie fast gar nicht; wohl aber klagen sie über die direkten Abgaben, welche sie in Gestalt von Einkommen-, Communalsteuern, Schulbeiträgen u. s. w. zu leisten haben. Kein Geld wird von ihnen so schwer ausgegeben, als die Pfennige, die sie allmonatlich pünktlich an die Steuerstelle zahlen sollen; und bei nichts wird mehr über die Ungerechtigkeit geklagt, welche in der Welt herrscht, als bei Auslegung der directen Steuern. Es kann dies auch gar nicht Wunder nehmen, denn bis jetzt ist noch kein Steuergesetz erfunden, welches eine vollständig gerechte, den Kräften jedes einzelnen Steuerzahlers angemessene Auflegung der directen Steuerlasten ermöglicht. Hierzu fehlt schon das allererste Erforderniß, die Kenntniß des Ein kommens jedes einzelnen Steuerzahlers, und die allergewissenhafteste Einschätzungscommission wird Fehler machen, weil sie eben nicht allwissend ist. Bei diesen Fehlern aber ist immer die ärmere Be völkerung im Nachtheile, denn deren Verhältnisse lassen sich fast in jedem einzelnen Falle genau über sehen, sie wird also selten zu niedrig eingeschätzt. Die Verhältnisse des Neichen sind jedoch nicht so leicht zu übersehen, er wird also viel leichter falsch eingeschätzt. Treibt ihn dieser Jcrthum höher in der Steuerstufe, als in Wirklichkeit begründet, so wird er reclamiren und auf das richtige Maß herabgesetzt werden. Wird er aber zu niedrig ein geschätzt, so hütet er sich wohl, ein Wort darüber zu verlieren und nimmt in aller Bescheidenheit mit der niedrigeren Stufe fürlieb, der Allgemeinheit, also auch den ärmeren Mitbürgern überlassend, sein Theil mit auf ihre Schultern zu nehmen. So kommt es, daß jährlich Tausende aus den bemittel teren Ständen zu niedrig zur Steuer herangezogen werden, während die ärmeren Klassen verhältniß- mäßig weit selter zu wenig directe Steuern zahlen. Wer hat aber die Steuern für die vielen Tausende von Thalern, welche bei den Tausenden von Reichen uneingeschätzt bleiben mögen, zu tragen? Man sollte nun meinen, wenn einmal an die Entlastung der ärmeren Klassen gegangen werden soll, liege es weit näher, diesen oft vernommenen Klagen abzuhelfen, als sich um die indirecten Steuern zu sorgen, über welche die ärmeren Classen noch so wenig geklagt haben. Aber sonderbar genug, über die Lasten, welche durch die Veranlagung directer Steuern nach dem Einkommen auferlegt werden, schweigen gerade Diejenigen am hartnäckig sten, die am lautesten über die indirecten Abgaben der ärmeren Bevölkerung jammern. *Waldenburg, 13. September 1880. Politische Rundschau. Deutsches Reich. — Die in letzter Nummer mitgetheilten Ent hüllungen, welche der dem Reichskanzler so nahe stehende Abgeordnete Fr. v. Varnbüler über die Entstehung des im vorigen Jahre in Wien abge schlossenen deutsch-österreichischen Bündnisses seinen Ludwigsburger Wählern gemacht, haben nicht wenig Aufsehen hervorgerufen und dürften für Frankreich noch manche Auseinandersetzung zur Folge haben. Herr v. Varnbüler sagt, doß im vorigen Sommer Ruß land ein Offenflvbündniß gegen Deutschland in Frankreich vorgeschlagen, und Niemand anders, als der damalige Ministerpräsident Waddington diesen russischen Antrag sofort dem Reichskanzler nach Gastein gemeldet, welch letzterer sich dann nach Wien zum Abschluß eines Bündnisses mit Oesterreich nach Wien begab. Man ist in diplomatischen Krei sen nicht wenig gespannt darauf, ob und welche Erklärung Herr Waddington dieser Behanptung des Freiherrn von Varnbüler gegenüber abgeben wird. Die Festsetzung des Kölner Dombaufestes auf den 15. October ist auf die persönliche Initiative des Kaisers zurückzuführen, dessen pietätvoller Sinn des königlichen Bruders gedachte, des kunstverständi gen Förderers der Dombauarbeiten. Daß eine Feier überhaupt stattfinden sollte, stand unter allen Bedingungen fest, selbst wenn von ultramontan kirchlicher Seite jede Betheiligung der Geistlichkeiit, ja sogar die Veranstaltung eines Dankgottesdienstes versagt worden wäre. Eben dieser Entschlossenheit gegenüber zogen die Ultramontanen es vor, von den Hetzereien etwas abzusehen und „mit kühler Reserve" den Dingen ihren Lauf zu lassen. Ge wisse ultramontane Kreise, und zwar vornehmlich der ultramontane Hofadel, wollen es sich allerdings nicht nehmen lassen, ein klein wenig zu demonstriren. Sie beabsichtigen ebenso wie , ein Theil des hohen westfälischen Adels, welcher schon lange „in Fronte macht", bei dem Dombaufeste durch Abwesenheit zu glänzen. Die Herren dürften sich ganz so wie ihre Gesinnungsgenossen in Belgien verrechnen; man wird sie nicht vermissen. Auf Grund des Socailistengesetzes wurde die Druckschrift „Der Congreß der deutschen Social demokratie 1880", enthaltend eine Darstellung der Verhandlungen auf einem vom 20. bis 30. August d. I. im Schloß Wyden (Schweiz) stattgehabten Socialisten-Congreß, verboten. Oesterreich Wie die päpstriche „Aurora" meldet, berief Kar dinal Schwarzenberg den österreichischen Epis kopat nach Salzburg behufs Beralhung einer Or- ganisirung zur regelmäßigen Geldunterstützuug für den Papst. Zwischen Italien und Frankreich droht ein neues Mißverstänvniß, weil Frankreich das ausschließliche Protectorat der Christen im Orient beansprucht, während Italien das Protectorat der italienischen Christen selbst ohne Intervention der französischen Consuln ausüben will. Spanien. Die Hoffnung des spanischen Königs auf einen Thronerben ist zu Wasser geworden. Die Königin ist von einer Tochter entbunden worden. König Don Alfonso hatte vor der Geburt folgendes Decret erlassen: „Ich treffe hiermit die Anord nung, daß der Prinz oder die Infantin, die meine theure Gattin mit Hülfe des Allmächtigen zur Welt bringen wird, dekorirt werden soll, und zwar, wenn es ein Prinz ist, mit dem Collier des Goldenen Vließes, mit dem königlichen Orden Karl's III. und mit den Großkreuzen der Orden Jsabella's der Katholischen und des heiligen Johan nes von Jerusalem; wenn es aber eine Jnfamin ist, mit der Schärpe des edlen Tamensordens der Königin Marie Louise, und werde ich die Insignien verleihen, sobald das Kind das heilige Sakrament der Taufe empfangen wird. Gegeben im Palaste, 26. August 1880. Ich, der König. Der Staats minister: Eldueyen." Türkei. Aus Ragusa wird unterm 10. d. geschrieben: Nachrichten aus Albanien zufolge lagerten 3 Batail lone reguläre Truppen, welche von Skulari kamen, in der letzten Nacht bei Dulcigno. In der Stadt herrscht große Erregung, die Liga hielt in Skutari eine Versammlung ab, in welcher beschlossen wurde, Widerstand zu leisten. Die Montenegriner stehen längs der Grenze bei Dulcigno. Einer Depesche ans Pera zufolge soll es gestern in Skutari zu einem Handgemenge zwischen türkischen Truppen und einer albanischen Bande gekommen sein. Der „Pol. Corresp." wird aus London berichtet, das britische Kabinet habe die Miltheilung erhallen, deß der Fürst von Montenegro unter der Be dingung auf Dirosch und Gruda verzichte, wenn die Pforte Dulcigno friedlich und förmlich übergebe. Reguläre türkische Truppen besetzten unweit Dul cigno einige Positionen der albanesischen Frei willigen, weiche diese verlassen halten. Als die Albanesen zurückkehrten, um die Positionen wieder einzunehmen, wurden sie unter Zurücklassung einiger Verwundeter von den türkischen Truppen abgewiesen. Aus dem Sachsenlande. — In weiten Kreisen ist die Meinung verbreitet, daß in Jnjuriensachen von dem Verurlheilten auch sür den Anwalt der anderen Partei die Kosten zu tragen sind. Das ist ein Jrrthum; in solchen Prozessen hat jede Partei, ob siegend oder unter liegend, für ihr Theil selbst die Anwaltskosten zu tragen. Jnjuriensachen sind nämlich, obgleich sie nur auf Antrag verfolgt werden, keineswegs Privat klagen, sondern sind als „Antragsvergchen" An schuldigungen crimineller Natur, für welche jede