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ZchimbiuM Tllgeblait Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. 190. Dienstag, den 17. August 1880. ^Waldenburg, 16. August 1880. Zu Gambetta s Rede in Cherbonrg. An die Rede Gambetta's iu Cherbourg, die wir im wesentlichsten in Nr. 186 brachten, knüpft die Post einen Artikel, dem wir folgende Ausführungen entnehmen: Vor einiger Zeit wurde Herrn Gambetta das Wort in den Mund gelegt: Die Lösung der grie chischen Frage wird mein Schleswig sein. Seit einigen Wochen ist ganz Europa verwundert, wie wenig Frankreich von dieser Frage noch wissen will. Wie hängt dies wohl zusammen? Der nunmehr antiquirte Ausspruch Gambelta's konnte nur den Sinn haben, daß mit der griechischen Frage die orientalische Frage überhaupt wieder in das acute Stadlium versetzt werden sollte und daß bei dem Gegensatz österreichischer und russischer Interessen einerseits, bei der Verkettung Oesterreichs mit Deutsch land andererseits und bei der antiösterreichischen Raserei des frommen und freihändlerischen Gladstone dritterseitS eine Tripleallianz gegen Deutschland- Oesterreich erreichbar schien, erreichbar wenigstens der Phantasie eines Politikers, der kein Staatsmann ist. In der That ist der Traum in alle Winde verflogen und darum will Frankreich von der grie- ch'schen Frage nichts mehr wissen. Die öffentliche Meinung Frankreichs wollte in ihrem größten Theil gleich anfangs von Frankreichs Eintreten für Griechenland nichts wissen. Das war einestheils der übliche Scharfblick der Volkspolilik, der freilich nicht sehen kann, daß man, um aus den Vogesen zu kommen, unter Umständen am sichersten über Griechenland geht. Anderntheils war es die vorherrschende Friedensliebe, die man ja hoch und werlh halten mnß. Drittens war es die Klugheit derer, deren es freilich nur Wenige gab, welche die Hohlheit des Gambetta'schen Traumes dur hschauten. Man kann annehmen, daß von Petersburg und von London aus gleichzeitig klar wurde, daß Eng land und Rußland tödlliche Rivalen und nicht, wie Herr Gladstone während seines Wahlfeldzuges ge schwindelt hatte, gute Verbündete sein müssen. Nichts destoweniger wollte man von London aus Frankreich in rin Vorgehen hineinziehen, welches die französische Politik gleichmäßig gegen Oesterreich und gegen Rußland feindlich gestellt hätte. Da sah auch Herr Gambetta, daß von allen Führungen diejenige Herrn Gladstone's die unannehmbarste ist, eines Mannoes, der andererseits auch nicht das Talent besitzt, sich führen zu lassen. So beeilt sich denn die französische Politik, von der griechischen Frage zurückzutreten, indem sie noth- dürftig den politischen Anstand wahrt. Jndeß wird diese Frage deshalb doch nicht völlig versumpfen, fondern nach langem Hinziehen nothdürftig und pro visorisch, wie Alles jetzt im Orient, gelöst oder viel mehr beschwichtigt werden. Allein mit dem Rückzug von der griechischen Frage war doch für die öffent liche Meinung in Frankreich nicht Alles gelhan. Diese Meinung .oollie nicht nach dem Balkan gehen, weil sie nur an die Vogesen denkt. Der störende Balkan war ihr aus den Augen genommen, nun wollte sie aber auch die Vogesen, oder vi.lmehr, was dahinter liegt, sehen. Um ihr das zu zeigen, nahm Herr Gambetta in Cherbourg das Wort. Der Kunstgriff ist nicht neu, vielsagende Aus drucke zu suchen, wenn man nichts sagen kann. Die vielsagenden und die nichtssagenden Wendun gen grenzen näher aneinander, als man gewöhn lich bemerkt. Jndeß Herr Gambetta ist ein Künst ler der Rede, und er hat, um nichts zu sagen, einen Ausdruck gefunden, der beinahe mehr als vielsagend ist, der bei mäßiger Nachhülfe der Auslegung etwas Bestimmtes und etwas politisch Wahres sagt. Herr Gambetta sagte, wenn wir ihn frei übersetzen: wir waffnen uns bis an die Zähne, nicht um sofort zu schlagen, wenn wir gewaffnet sind, sondern um unserer Stunde zu warten. Unsere Stunde aber ist die, wo wir stark sind, der Gegner schwach oder bedrängt ist. Diese Stunde herbeizuführen ist, was uns betrifft, unsere Sache; was den Gegner betrifft, Sache der ewigen Gerechtigkeit, auf die wir eben warten. Nun das ist ganz gut. Wir Deutsche könnten dazu sagen: unsere Sache ist es, dafür zu sorgen, daß wir nie schwach, nie durch eigene Unvorsichtig keit bedrängt sind, und wenn wir cs den Franzosen gleich thun in dem unablässigen Eifer, in dem nicht uachlasienden Trieb, stark zu sein, so kommen viel leicht beide Völker eines Tages zu der Einsicht, daß sie am besten thun, die Waffen beiderseitig einzu stecken. Wir Deutsche wären dazu sofort bereit. Neuerdings lächelt den Franzosen der weise Einfall, sie könnten uns durch die Bürde der Rüstungen, die sie uns auflegen, den letzten Heller auspressen, während sie vermöge ihres Reichlhums ihre Rü stung mit Bequemlichkeit bezahlen. In dieser Rechnung steckt ein arger Fehler. Mit einer kolossalen Armee, die nicht schlägt, sondern bloß den Gegner nöthigt, auch gerüstet zu sein, ver trägt sich kein Temperament weniger, als das fran zösische. Die Armee will geehrt sein und wird ja mit Ehren überhäuft, aber das dauert nicht lange, wenn sie keine Lorbeeren erntet. Sie wird selbst nach Lorbeeren verlangen, und wenn die Politik ihr diese Gelegenheit verweigert, sich Lorbeeren zu ho len, so wird die öffentliche Meinung anfangen, die Armee für überflüssig zu halten. Die Armee aber wird sich die Zeit durch Theilnahme an der inneren Polit'k vertreiben. *Waldenburg, 16. August 1880. Politische Rundschau. Deutsches Reich. In den Kreisen, welche den Kaiser nach seiner Rückkehr zu sehen Gelegenheit halten, wird bestätigt, daß das Befinden Sr. Maj. ein durchaus befrie digendes ist. Der Kaiser hat sofort nach seiner Rückkehr die Regierungsgeschäfte in vollem Umfange wieder ausgenommen. In Kissingen ist am 14. d. der Minister May bach eingetroffen, um mit Fürst Bismarck zu con- feriren. Durch die Neu- und Nachwahlen zum Reichs tage stellen sich die Fractionsverhältnisse jetzt wie folgt dar: Deutsch-Conservative 58 (früher 58), Reichspartei 48 (früher 51), Nationalliberale 85 (früher 83), Liberale Gruppe Schauß-Völk 15 (früher 15), Fortschrittspartei 26 (früher 22), Cen trum 101 (früher 100), Polen 14 (früher 14), Socialdemokraten 10 (früher 9), keiner Fraction angehörig 37 (früher 36). Nachwahlen sind zur Zeit drei erforderlich, und zwar in dem 22. Wahl bezirk des Königreichs Sachsen für den Abgeordneten Schmiedel (Reichspartei); in Sachsen-Allenburg für den Abgeordneten Findeisen (Reichspartei) und in Marienwerder-Sluhm für den Abgeordneten Flott well (conservativ). Aus Amerika kommen Nachrichten, welche das Schicksal der in diesem Frühjahre zu Tausenden ausgewanderten posenschen Bauern im trüb sten Lichte schildern. Die poln scheu Emigranten sind drüben entweder zum bettelnden Proletariats herabgesunken oder theilweise gar untcrgegangen und Hungers gestorben. Die deutschen Consulat aber werden fortwährend von Unterstützungs-Bedürf' Ligen belagert; es fehlt auch nicht an Solchen welche inständig bitten, um jeden Preis wieder in die alte Heimath geschafft zu werden. Nur Wenigen ist es iu Nordamerika geglückt, festen Fuß zu fassen; die Meisten, welche mittellos angekommen sind, sich auch kaum irgendwie verständigen können, leben vom Bettel, während Frauen und Mädchen dem schimpflichsten Gewerbe anheimgefallen sind. Die amerikanischen Blätter können nicht genug klagen über diese Art der Einwanderung. Aus Dietrichswalde, jener westpreußischen Ort schaft, in welcher seit einigen Jahren angebliche Wundererscheinungen ein massenhaftes Zusammen strömen deutscher und polnischer Pilger herbeige führt haben, wird einem polnischen Blatte gemel det, daß auf Anordnung des Bischofs Cremonz die sogenannten „begnadeten" Frauen und Mädchen, welche sich der Visionen der Mutter Gottes rühmen, entfernt rind in ein entlegenes Kloster gebracht worden sind. Veranlassung zu dieser Anordnung soll der Umstand gegeben haben, daß die „Begnadeten" von Pilgern oft ersucht wurden, der Mutter Gottes in vertraulicher Weise Fragen in Betreff der Zukunft der Fagesteller vorzulegen. Diesem Ersuchen sind sie stets bereitwillig nachgekommen, häufig aber haben sie Antworten auf die Fragen gebracht, die der Würde der Religion durchaus nicht entsprachen. Die Commission der Berliner Tischler erläßt einen Aufruf an alle Tischler Deuschlands zur Unterstützung bet der von den ersteren unternom menen Arbeitseinstellung und um vorläufige Fern haltung dss Zuzuges nach Berlin. Aus verschiede nen Orten, u. a. auch aus Chemnitz und Leipzig, sind Unterstützungen eingesandt worden. Zur Hasselmann'schen Geschichte lheilt die Hamburger „Reform" mit, daß sich auf ihrer Re- daclion die Wirthin Hasselmann's eingestellt und bitter darüber geklagt habe, daß ihr Hasselmann mit 140 Mk. Schulden durchgegangen sei. Herr H. versicherte bekanntlich, er habe keine Pnvatschulden und reise nur zu politischen Zwecken in der Welt umher. Frankreich. Ueber die jüngsten Generalrathswahlen spricht sich Gambetta folgendermaßen aus: Die Wahlen seien in hohem Maße republikanische, die demokra tischen Gener ckräthe aber hätten die Aufgabe, sich mit den Interessen und Bedürfnissen der Bevölkerung gründlich zu beschäftigen. Die demokratische Partei wolle nicht die einfache formalistische Republik, son dern wolle organische Institutionen, die aus der Demokratie nicht länger Lüge, aus der Republik nicht länger Federspiel machten. Durch die fortgesetzte Anwendung einer solchen Methode im Inneren werde die Demokratie dazu gelangen, ihre Hilfsquellen, Schätze von Macht und Stärke, welche Frankreich berge, in Wirksamkeit zu setzen, werde Frankreich dann gestattet sein, ohne Uebereilung, ohne Aben teuer den Rang wieder einzunehmen, der ihm in der Welt gebühr^, sich der gewaltsam entrissenen Provinzen wieder bemächtigen und aus seiner wie derhergestellten Integrität ein Pfand für den euro päischen Frieden sein. Die „Berits" begleitet den Schluß des Gambetta-Briefes mit Vorbehalten und erklärt, das Revanche-Project mit bewaffneter Hand würde den Frieden Europas auf immer compromit- tiren. Spanien. Unter den Liberalen jeder Schattirung herrscht große Unzufriedenheit über die von der Madri der Regierung den Carlisten und Ultramontanen