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sichten über die Zweckmäßigkeit und Nichtzweckmäßigkeit dessen, was wir zu thun haben, sind heute noch dieselben. Warum ich sie nicht aussprechen sollte, sehe ich nicht ein. Das Wesen der constitutionellen Monarchie, unter der wir leben, ist eben das Zusammenwirken des monarchischen Willens mit den Ueberzeugungen des regierten Volkes. Die gegen seitige Verständigung ist nothwendig, um unsere Gesetze zu ändern, sonst verfallen wir dem Regiment der Burcaukratie. Allerdings kann ja, was der Geheimrath vom grünen Tisch ' aus entwirft, die Presse corrigiren, wenn sie frei ist — aber sie bleibt nicht immer frei. Es ist das ein gefährliches Experi ment, heut zu Tage im Centrum von Europa absolutistischen Belleitäten zuzustreben, mögen sie priesterlich unterstützt sein oder nicht. Die Gefahr ist immer die gleich große (Lebhafter ' Beifall) und im letzteren Falle eine noch größere, weil man s sich täuscht über die einfache Situation der Sache und glaubt Gott zu gehorchen, wenn man dem Geheimrath gehorcht. Wir haben ja die Ansicht gehört, daß ein Unteroffizier den Soldaten gegenüber an Gottes Stelle stehe, warum also auch nicht ein gebildeter Geheimrath? Ich bin nie ein Absolutist gewesen und werde es am allerwenigsten auf meine alten Tage werden. Was wir für die Zukunft erstreben müssen, ist eine Kräftigung der politischen Ueberzeugung in der öffent lichen Meinung und im Parlament. (Beifall.) Dazu ist nothwendig, wie ich mir neulich zu sagen erlaubt habe, daß namentlich im Parlament die Meinung des Volkes einheit licher werde, als sie bisher sich darstellte. Wenn verschiedene Meinungen der Regierung gegenübertreten, und sie hat die Auswahl, welche sie sich aneignen will, welcher Partei sie Versprechungen macht, so kann von keiner parlamtarischen Be- ; einflussung und Verfassung mehr die Rede sein. Wollen wir ein Parlament haben, in dem sich unser nationales Empfinden ' und unsere öffentliche Meinung zum richtigen Ausdruck bringt, ' jo müssen wir in Bezug auf die einzelnen Unterfchiede, die die Fraktionen von einander trennen, nachsichtiger sein als bis her. Jetzt strebt jede Fraction, allein zu herrschen, ohne an den nächsten Nachbarn zu denken. j Außerdem ist das Unglück, daß die Parteiführer zum großen Theil ihre persönlichen Ziele und Zwecke haben, die Fractionen fast absoluter beherrschen, als ein absoluter Monarch seine Unterthanen, und daß der Wähler außerordentlich wenig er fährt, wie sein Abgeordneter stimmt. Ich bin ein Parla- ' mentarier seit 45 Jahren, vom Provinziallandtage her ge rechnet. Ich glaube, der Wähler hat beinahe immer eine un richtige Ansicht von der Thätigkeit seines Abgeordneten, und die unrichtige Ansicht beruht in der Regel auf den Mitthei- ! lungen, die der Abgeordnete im Wahlkreise macht. Kommt er in denselben zurück, so glaubt man ihm gern, seine Freunde wollen ihn gern behalten, er hütet sich, den Wählern Klarheit über alle Dinge zu verschaffen. Das war nicht im Anfang unseres parlamentarischen Lebens. Der Wähler war mißtrauischer, er that sich zusammen und brachte ein Mißtrauensvotum ein. Um ein solches zu geben, muß man wissen, was der Abge- - ordnete thut. Das wissen jetzt die wenigsten Wähler. Ich möchte wünschen, daß das Parlament, dessen Gewicht viel leicht in der Vergangenheit manchmal zu sehr heruntergedrückt war, nicht auf demselben Niveau bleiben möge. Ich möchte, daß das Parlament zu einer constanten Majorität gelangt; ohne diese wird es nicht die Autorität haben, die es braucht. Ich komme mehr und mehr (der Fürst war inzwischen in den Kreis der Deputation eingetreten) in den Nimbus der , Akademie, in dem ich mich jetzt befinde, und habe die Ein- . bildung, als wenn ich hier auf dem Katheder sitze. (Große Heiterkeit.) Ich halte mich für verpflichtet, da ich glaube, in der größeren Politik unter unseren Landsleuten derjenige zu fein, der die meiste Erfahrung haben sollte, über die Eindrücke nicht zu schweigen, die die Maßregeln, die ich für irrthümlich halte, auf mich zu machen. Das wäre gegen mein Gewissen. Ich habe als Reichskanzler nach meinem Gewissen gehandelt, bin auch fest entschlossen, als Privatmann nach meinen! Ge wissen und meinem polit.schen Pflichtgefühl zu handeln, was anch immer die Folgen sein könnten. Diese sind mir völlig gleichgültig. In einer anderen Rede sagte der Fürst: „Wir haben keine nationale Kirche, aber könnte der natio- i nale Gedanke nicht das Heiligthum sein, um das sich alle Parteien schaaren? Jede Frage sollte darauf geprüft werden, ob sie national, wie im Centrum, ob sie kirchlich ist. Vom Feinde soll man lernen. Und das Centrum Halle ich nach wie vor für einen Feind des Reiches. Wenn die Regierung ihre leitenden Männer dem Centrum entnähme, so wäre das ein Unglück und eine Gefahr für das Reich. Wenn man mir vorwirft, ich hätte antimonarchische Tendenzen, so verweise ich auf die Verfassung, die eine Kritik der Räthe der Krone voll zugesteht. Und ich verweise an dieser Stelle auch auf Goethe und seinen Götz von Berlichingen, der ein durchaus kaisertreuer Mann ist, aber zu dem kaiserlichen Rath spricht: „Trügst Du nicht das Abbild kaiserlicher Majestät am Hals, das ich auch im gesudelten Kontersei noch verehre, Du solltest . . ." Bis marck deutete mit einer Handbewegung das Ende des Citats an und fuhr dann fort: „und zu dem abgesandten Commissar spricht er noch bezeichnendere und zu weit größerer Berühmt heit gelangte Worte. Also man kann ein treuer Anhänger Seiner Majestät sein und braucht doch nicht allen — „Com- missaren" beizupflichten. Ich thue das nicht und werde nie schweigen, wo ich Reden für meine Pflicht halte." Gegenüber solchen bedeutsamen Kuncgebungen des Für sten nimmt sich die Aeußerung der „Nordd. Allg. Zig.", nach welcher sich bei Bismarck die Gedanken verwirren sollen, überaus kläglich aus. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Kaiser ist wohlbehalten mit der Dacht „Kaiser adler" in Cowes auf der Insel Wight unter dem Donner der Geschütze eingclroffen, in dessen Hafen das Kaiserschiff vor Anker gegangen ist. Der Prinz von Wales, der Herzog von Connaught, Prinz Christian von Schleswig Holstein waren dem Monarchen entgegen gefahren. Am Montag Nachmittag statteten der Kai ser und Prinz Heinrich ihrer Großmutter, der Königin Victoria, im Osborne Schlosse einen Besuch ab und wurden auf dem Wege dorthin von der Bevölkerung lebhaft begrüßt. Die drei ältesten Söhne des Kaisers sind in Norderney ongekommen. Die deutsche M a n öv er sl o tt e unter Admiral Schröder ist am Montag aus Kiel nach der Nordsee in See gegangen, wo dieselbe bis zur Heimkehr des , Kaisers verbleibt. Auf der Fahrt von Chrtstiansund nach Kiel blieb die Flotte fortwährend in Gefechtsbe reitschaft. Mitte des Monats wird das Geschwader nach Danzig sich begeben und 14 Tage dort bleiben. 500 chinesische Kulis, die von der deutsch-ost. afrikanischen Plantagengesellschaft angeworben find, find t am 25. Juli wohlbehalten in Tanga eingetroffen und werden von dort auf die Plantagen Lewe und Dembra vertheilt. Auf dem badischen Feuerwehrtage hielt am Sonntag der Großherzog von Baden eine Rede, worin er sehr scharf betonte, in jedem Staatsleben sei unbe dingter Gehorsam erforderlich, sei die Verfassung, wie sie wolle. In den Gutachten der wirthschaftlichen und gewerb lichen Corporationen über die Veranstaltung einer Welt ausstellung in Berlin ist charakteristisch, daß die Anfangs an die Oeffentlichkeit getretenen Gutachten dem Projecte günstiger lauteten, als die später abgegebenen, welche lauer und ablehnender ausfallen. Es wird sich dies daraus erklären, daß die Freunde des Pro- jectes mit der Formultrung ihrer Antwort zuerst fer tig waren, die Gegner und Unentschiedenen aber erst langsamer nachkommen. Mit dem 1. August ist das neue deutsche Zucker steuergesetz nebst den dazu ergangenen Ausführungs- bestimmungcn, sowie auch das Gesetz, betreffend die Vergütung des Cacaozolles, in Kraft getreten. Wie die „Post" zuverlässig erfährt, ist man im Retchsamt des Innern mit der Ausarbeitung eines Ge setzentwurfes beschäftigt, welcher die Pflichten des Kauf manns für die Aufbewahrung fremder Werth- Papiere betrifft. Der Gesetzentwurf wird dem Bun- desrath bet dessen Wiederzusammentritt im Herbst zur verfassungsmäßigen Genehmigung unterbreitet werdm. Im Bochumer Schtenenproceß hat der Regte- rungsbaurath Hellwtg u. A. folgende Erklärung ab gegeben: „Ich nehme Gelegenheit, hier vor aller Welt zu erklären, daß auf sämmtlichen deutschen Eisenwerken die größte Reellttät herrscht, daß auf den deutschen Eisenwerken mit viel größerer Exaktheit gearbeitet wird, als im Auslande, und daß die Etsenbahnver- waltungen der deutschen Eisenindustrie das größte Ver- trauen entgegenbrtngen können, während gerade im Auslande, und ganz besonders tn England, ein gewisses Mißtrauen am Platze ist." Am Montag wurde die Beendigung des Zeugenverhörs erwartet. Die an diesem Tage über das Verhalten des angeklagten In genieur» Bering vernommenen Zeugen bekundeten, daß derselbe ein strenger, gewissenhafter und vielbeschäftigter Beamter sei. Zu wiederholten Malen habe derselbe aufgeladenes Material wieder abladen lassen mit der Anweisung, es nochmals den Abnahmebeamten vorzu legen. Bering habe das Bestreben gehabt, stets gute Waare zu liefern und die Abnehmer auf schlechtes, versehentlich abgenommenes Material aufmerksam zu machen. Andere Zeugen bekundeten, von falschen Zer reißproben Kennlniß gehabt zu haben. Die Blättermeldung, daß an entscheidender Stelle bereits der Plan einer Berliner Weltausstellung endgiltig aufgegeben sei, eilt den Thatsachen voraus. Noch ist ein förmlicher und unumstößlicher Beschluß nicht gefaßt worden. Doch dürfte allerdings, wenn nicht noch ganz unvorhergesehene Zwischenfälle eintreten sollten, die Entscheidung gegen die geplante Weitaus- stellung fallen. Auch die „Münch. Allg. Ztg." läßt sich aus Berlin melden: Gegenüber der Behauptung, daß die Retchsregierung, wenn sie den Plan scheitern lassen, sich selber eine Schlappe gegen Frankreich bet- bringen, darf wohl darauf verwiesen werden, daß der Reichskanzler seine grundsätzliche Stellung, die sich ledig- ltch an die wirthschaftliche Sette der Frage hält, lange genommen und öffentlich kundgegeben hatte, ehe die Franzosen überhaupt daran dachten, Dentschland zu vorzukommen. Der Reichskanzler hält es heute noch < für unpolitisch, ein so großes Werk ohne die nöthtgen ° wirthschaftlichen Voraussetzungen und zum Theil gegen ! die Meinung der Industrie selbst zu unternehmen. Wenn nicht ganz Unvorhergesehenes dazwischen kommt, f wird sich die Retchsregierung gegen den Plan erklären. - Die Gegner der Handelsverträge zwischen Deutsch- j land und Oesterreich-Ungarn und zwischen Deutschland s und Italien, zu denen auch wir gehörten, würden jetzt ! triumphtren, wenn sie weniger patriotisch, und dte Sache eine nicht gar zu traurige wäre. Sie haben leider, wir betonen dies Wort, Recht gehabt; dte Aus fuhr Deutschlands nach jenen Ländern hat sich ver mindert, die Einfuhr nach Deutschland ist gestiegen, und zwar derart, daß Deutschland einen Verlust ! von vielen Millionen Mark während des ersten I Semesters 1892 zu beklagen hat. Dte amtlichen Mittheilungen enthalten darüber folgendes: Dte Ein fuhr Im ersten Semester ist gegen dte Einfuhr tm gleichen Zeitraum des Vorjahres um rund 6,2 Millio nen Doppelcentner gestiegen, während die Ausfuhr um rund 2,8 Millionen Doppelcentner zurückgtng. Da mit sind wtr in unserer Handelsbilance um mehr als 9 Millionen Doppelcentner zurückgegangen. Um dte Bedeutung dieser Summe zu würdigen, braucht man sich nur zu vergegenwärtigen, daß unsere Gesammt- einfuhr im ersten Semester 137 Millionen, unsere Ausfuhr 9 Millionen Doppelcentner betrug. Der Werth der Ausfuhr ist hinter dem der Einfuhr um nicht weniger als 637,7 Millionen Mark zurückge blieben. Gleichzeitig hat sich die Einfuhr nach fach männischen Schätzungen dem Werthe nach um minde stens 100 Millionen gesteigert, während der Ausfall tn der Ausfuhr auf mehr als 50 Millionen Mark zu beziffern ist. Diese Zahlen sprechen unseres Er achtens eine sehr beredte Sprache, sie enthalten eine so scharfe Verurthetlung der Handelsverträge, wie sie keine theoretischen Erörterungen aufstellen konnten. Noch drastischer wird die Wirkung der genannten Zah len, wenn man dte österretchtsche Handelsbilance zu Rathe zieht. Darnach hat tn den ersten 5 Monaten dieses Jahres die Ausfuhr Deutschlands nach Oester reich um 2,7 Millionen Metercentner ab-, die Einfuhr Deutschlands von Oesterreich dagegen um 2,2 Millionen Metercentner zugenommen. Dte italienische Handels- btlance zeigt ein ganz ähnliches Bild: Wir erhalten mehr Producte aus Italien, geben aber weniger dahin ab. (Das find die Erfolge des neuen Kurses.) Krankretch. Am letzten Sonntag haben dte Generalraths- wahlen (etwa Provtnzallandtagswahlen) stattgefunden. Wie von vornherein selbstverständlich war, gehört dte übergroße Mehrheit der Gewählten der republtkantschen Partei cn. Der Präsident Carnot erfährt tn radikalen Jour« nalen heftige Angriffe, weil er die meisten der gefällten Todesurthetle bestätigt. Unter GrSvy wurden dte meisten zum Tode verurtheilten Verbrecher begnadigt. Ein betrübendes Bild von der Art und Weise, wie dte französischen Socialtsten für ihre „Ideen" Anhänger werben, liefert dte folgende Meldung: „Bet der feterlichen Pretsverthetlung an den Verseiller Gym nasien hielt der dortige Bürgermeister (ein Soctaltst) dte Festrede und sagte der Jugend u. A.: „Die gegen wärtige Gesellschaft ist schlecht eingerichtet. Ich sage darum, brechen wir mit unserer eigenen Hand diese Gesellschaft." Mehr kann man nicht wohl verlangen. Mit den letzten Anarchtstenverhaftungen tst die Pariser Polizei wieder einmal hereingefallen. Dte bet den Arrettrten vorgefundenen angeblichen Explosions stoffe haben sich bet der amtlichen Untersuchung al- harmlose Chemikalien herausgestillt. England. Dem erst noch zu bildenden Ministerium Gladstone drohen schon angenehme Aussichten. Der Abg. O'Brien, einer der hervorragendsten Führer der irischen Partei, hat ganz unverblümt erklärt, er werde sofort gegen Sladstone auftreten, wenn dieser nicht als erstes Ziel seiner Regierung ote Errichtung eines eigenen irischen Parlamentes ins Auge fasse. Unter solchen Um ständen können bald wieder Neuwahlen eintreten. Glad stone ist immer noch bettlägerig. Bulgarien. Dte russische Regierung hatte dte Aechthett der von der bulgarischen veröffentlichten Dokumente, worin nachgewtesen war, daß dir Petersburger Regierung dte bulgarischen Hochverräther und Mörder bezahlt habe, bestretten lassen. Darauf wtrd nun aus Sofia ge meldet, daß dte bulgarische Regierung die Originale mit dem russischen Amtsftempel vervielfältigen lassen werde. (Da- kann in der That nichts schaden.) Spanien. In Modeta bet Murcia kam es bet der Erhebung der Lokalsteuern auf Lebensmittel zu Auschrettungen. Dte Gebäude der Zollwache wurden tn Brand gesteckt. Dte Ordnung mußte mtt blanker Waffe wieder her gestellt werden. Afrika. Die Berichte über den neu ausgebrochenen großen Araberaufstand tm Kongostaat lauten fortwährend ernst. Es wtrd behauptet, daß eine Vereinigung der gejammten arabischen Kaufleute und Sklavenhändler stattgesunden habe, um dte Kongobeamten und Soldaten aus dem früher arabischen Gebtet zu treiben. Dte Schuld an diesen ärgerlichen Verwickelungen trägt nur dte Engherzigkeit und Knauseret der Verwaltung des Kongostaates. Dte Expedition Hodtster gegen dte Araber tst gescheitert; ein Kongodampfer fiel in ara bische Hände. 2 Europäer fielen. Aus dem Muwenthale *Waldmburg, 2. August. Se. Durchlaucht der Prinz Hugo von Schönburg-Waldenburg hat sich am Fürstlichen Hofe hier wieder verabschiedet und nach Schloß Droyßig begeben. *— In der gestern Abend tn der kleinen Raths- kellerstube abgehaltenm Sitzung des hiesigen Gewerbe- Vereins kam eine Petition an dte kgl. Amlshauptmann« schäft Glauchau um Aufhebung des Bezirksstatuts, dte Sonn- und Festtagsruhe betreffend, zur Besprechung. Man war allgemetn der Ansicht, daß eine Erwetterung