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'«.«M-LSSV-Si Dsr kleine Habermann. Skizze "on M. Tivv. (Nachdruck verboten.) Im spitzigen Schatten des Wildkogel, auf talferner Matte, deren saftiges Grün freundlich adstach gegen das einförmige Grau der bald wildzerklüfteten, bald panzer- geplatteten Schroffen, lagerten vier Touristen. Während Herr und Frau Hainbach eifrig beschäftigt waren, den Rucksäcken allerlei Labung zu entnehmen und diese appetitlich auszubreiten, genoß nach einem flüchtigen Imbisse das andere Paar den herrlichen Rundblick über die bizarren FelsenkoiUureu. .Sind Sie denn gar nicht ein bißchen müde, Fräulein Antonie?' fragte ihr Partner mit jener Fürsorge, die er dem hübschen Mädchen bezeigte, seit er oor Wochen durch zufälliges Zusammentreffen mit den Hainbachs Antonie Schlitgers Bekarmtschaft gemacht und die Novize im Berg sport unterwiesen. Sie sah freundlich den Fragenden an, den sie beträchtlich überragte. Was sie anfangs an dem neuen Genoffen amüsant und störend zugleich empfunden, übersah sie jetzt geflissentlich, nämlich, daß Habermann zwar wohlproportio niert, aber sehr klein war. „Müde! Kaum, — Herr Habermann. Aber stolz!' »Das dürfen Sie auch sein, Fräulein Antonie, es war eine große Leistung für eine Dame." »Wie werde ich die Berge vermissen!" sagte sie mit ! einem Seufzer, «wenn ich wieder in die Alltagswelt meines ! dumpfen Postbureaus zurückgekehrt bin!" .Das sollten Sie nicht! Niemals wieder", siel er ihr feurig ins Wort. .Diese Tätigkeit kann Ihrem nach Schön heit und Freiheit strebenden Sinne unmöglich zusagen.' .Sicher nicht, -Herr Habermann", stimmte sie lachend zu. .Nur Not und Verlassenheit zwangen mich auf die einsame Telegraphenstatlon. Aber mein Beruf gemährt mir die Mittel zum Leben — was sollte ich wohl dagegen ein tauschen?!' .... Ich bin vermögend und meine Stellung als Per- ! Walter der königlichen Museen trägt mir außerdem ein s nennenswertes Gehalt ein. Ich habe Sie so sehr lieb, s Fräulein Antonie . ' ." Selbstvergessen faßte er ihre Hände und sie erwiderte den Druck herzlich. Sich zuvor überzeugend, daß die andern nicht zuhörten, sagte sie im Nccktone: .Wissen Sie, daß Ihr Antrag für eine mittellose Waise, die in dem Ehepaar Hain bach ihre einzigen Gönner sieht, geradezu eine Versuchung ist? ... Ich könnte das Begehren nach Ruhe und Lebens genuß leicht mit Liebe verwechseln . . «Verwechseln Sie es immerhin", sagte er übermütig, beseligt durch den Sirahl aufzuckenden Glückes, der bei ihrer Rede aus den Augen leuchtete. Leidenschaftlich um klammerte er ihren Arm. .Antonie . . ." Habermann und Antonie ahnten nicht, daß die Szene für Zuschauer etwas Komisches hatte; der kleine Mann, der aus den Fußspitzen balanzierte, den ersten Kuß zu geben, — das große Mädchen, das sich tief neigen inußte, ibn zu enipfangen. .Wie ein Gnom, dec eine Walküre freit!" Wer sagte das!? An der Felswand über der Gruppe lehnte ein Tourist, der für das Liebesspiel des ungleichen Paares ein höhnisches Auslachen fand. Unter der Macht solchen Spottes befreite sich Antonie von Habermann und begegnete seinem Werben mit kaltfunkeluden Augen. Habermann stand einen Moment betroffen. Dann drehte er sich blitzschnell um. nahm einen Anlauf, pflanzte seine kleine sehmge Gestalt provozierend oor dem frechen Störenfried aus und maß ihn mit so drohender Miene, daß der Fremde augenblicklich verschwand. Ihm nach? Wozu .. Kühl-abwartend stand er oor Antonie, als sie chn reuevoll anrief: «Herr Habermann. — sagen Sie mir ein freundliches Wort . . .' .Das verlangen Sie nach diesem Intermezzo?' ent gegnete er aufgebracht. .Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig, Herr Haber mann . . .' .Bitte", — lehnte er entschieden ab. «Ihre Gründe haben für mich keinen Wert mehr. Mir genügt Ihr Wider willen gegen mich» als jener Mann, austauchte." .Ich kenne den Unverschämten ebenso wenig wie Sie/ »Um so schlimmer. Dann räumen Sie jedem Pajfanrei das Recht ein. die Verschiedenheit unserer Gestalt zi kritisieren, meine Freude an Ihrem Besitz, Ihr Glück ai meiner Seite zu trüben. Da es ausgeschlossen ist. daß tä noch wachse", schaltete er bitter ein. .so bleibt mir nicht! übrig, als Sie fortan zu meiden.' »Wie mögen Sie mir nur eine nächtige Regun, kindischer Eitelkeit so übelnehmen und mich einer Zufällig keit opfern", sagte sie empört. «Können Sie sich denn keil Bild machen von meiner inneren Verfassung!?" „Wie soll ich wissen, wie's in einer engherziger Mädchenseele aussieht!" fiel er schroff ein. «In meinen Herzen von der Liebe zu Ihnen ausgesüllt. war kein Plas für den Unterschied unserer Figur, nach welchem andere uni — Sie selbst die Harmonie zweier Menschen zu bemeffer scheinen. Wie einen Fluch müßte ich meine knappe Grüß« empfinden, wenn ich nicht beizeiten resignierte." „Wir hatten uns doch gefunden ." «Beinahe. Der Traum zwischen Wonne und Ent täuschung war sehr kurz und ich empfinde es als sehr depri mierend, daß mein Glück „meßbar" war und Sie sich gern zu mir bekannt hätten, wenn Ihr Haupt an meiner Brust ruhen könnte, ohne sich neigen zu müssen." «Dem Umstande zuliebe, daß ich mich innerlich frei und vorurteilslos für Sie entschied, sollten Sie mir die mangel hafte äußere Probe verzeihen..." „Ich wili's versuchen", sagte er ernst, reichte ihr di« Hand und sah ihr lange in die Augen In weiter Runde war's totenstill. Stumm und gedrückt saßen die vier Touristen beisammen, — da schreckten sie nahe Hilferufe aus ihrer Versunkenheit. Angestrengt lauschend, konstatierte Habermann, vaß vte Rufe ans der Randkluft kamen. Nach Gegenrufen gewahrte er tief unten einen menschlichen Körper Der Fremde!! Der mußte wohl in der Hast, der Strafe für fein« Schmähung zu entgehen, fehlgetreten und in die Felsen- spalte geraten sein. Antonie und die Hambuchs starrten entsetzt und ratlos s hinab. Ader Habermann behielt den Kopf klar. Das Un glück löste die Spannung m ihm. Er war wie umgewandelt, besonnen und gesammelt, und traf Veranstaltungen, den Ab gestürzten ain Seile emporzuziehen. Das erwies -sich nun leider als unmöglich, da der Fremde sich an den Armen so schwer verletzt hatte, daß er sich ihrer nicht bedienen konnte. Da stieg Habermann selbst in die Schlucht. Es war für Antonie eine Qual, zu hören, wie unter seinen Tritten die Steine abbröckelnd in die Tiefe kollerten, zu sehen, wie er mit Tasten, Suchen, Klettern und Rutschen keine Glieder riskierte. Aber der kleine Habermann zwang tapfer und erfolg reich dein Berggeist sein Opfer ab. Von dem kräftigen Hainbach unterstützt, langte er glücklich unten, unbeschadet oben an. den Ohnmächtigen am Seile nach sich ziehend. Habermann belebte ihn, flößte ihm Speise ein, legte den ersten Nowerband an und erklärte dann trotz dringender Gegenvorstellungen, den Hilflosen sofort zu Tal zu tragen. FelSgewandt, trittsicher brachte er seinen Gefährten in verhältnismäßig kurzer Zeit zu Tale, wo er den Verwundeten den Händen der Hilssstation übergab. Der Ruf seiner Tat hatte sich schnell verbreitet und ihm so viel Anerkennung erworben, daß er im Gasthause ordent lich gefeiert wurde. Tas gab ihm die fröhliche Laune zurück, die sich noch erhöhte, als er bemerkte, daß'Antonie alle ihm zukommenden Ehrungen persönlich -nitempfand. Er forderte sie auf, ihn zu dem Verwundeten zu begleiten, der den Wunsch aus gesprochen. vor seiner .Verfrachtung" seinem edlen Retter i noch einmal danken und ihm die Kränkung abbitten zu dürfen. Der Fremde erwies sich nicht als ein menschenfeindlicher j Grobian, sondern als ein vereinsamter Sonderling, der sich ! im einzigen Umgang mit sich selbst das laute Denken ange wöhnt hatte. Um ihm zu zeigen, daß seine drastischen Worte in ihrem Herzen nicht nachwirken, holte Antonie an der Tragbahre des Dankbargerührten freiwillig den gestörten Kuß nach und antwortete auf alle Lobpreisungen von Habermanns Tüchtig keit in Tat und Gesinnung mit stolzer Freude: .Za. der kleine Habermann ist ein grober Held!"