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Ou darfst nichi weinen. Skizze von E. Hagen-Müller. «Nachdruck verboten.) Nun ist «S geschehen. Kalt und starr liegt er da vor ihr, kalt und starr - ihr Heinz. In dumpfer Verzweiflung stiert das junge Weib auf die geliebten Zuge. Aus, alles aus! Nie mehr werden diese Augen sich öff-en, die e lieben, treuen Augen! Nie mehr werden die Lippen sich auftun . . . Ach! Ein Stöhnen entringt sich der gequälten Brust der jungen Frau. Schwankenden Schrittes schleicht Frau Hertling an das Lager des Toten. „Du — du — laß mich nicht allein zurück. Nimm mich mit! Was bin ich denn ohne dich?" Schluchzend bricht sie zusammen und vergräbt ihren Kopf in die wissen des Totenbettes. „Du darfst nicht weinen!" hatte er gesagt. Sie richtet sich wieder auf. „Ach, wenn du wüßtest, was du von mir forderst. Gönne mir doch die Tränen, ich bin ja nur ein arme-, schwaches Weib." .Du darfst nicht weinen." Ihre Gedanken schweifen zurück. Ein herrlicher Sommertag war es. Hans Hertling saß in seinem Krankenstuhl und zeigte trotz seines schweren Herzleidens ein heiteres Gesicht. „Offne die Fenster, Liebling," sagte er zu seiner Frau. „Latz die Sonne herein, die lachende Sonne. Und dann will ich die Nähe fröhlicher Menschen spüren. Hörst du, wie das da draußen jubelt und singt?" „Ja, sie ziehen wieder in Scharen hinaus, um Sonntag zu feiern," tönte Frau Ernas Stimme vom Fenster der. „Und du, mein armes Herzing, mußt noch immer hier drinnen hocken." „Ich bin nicht mm, Liebling. Solange ich dich und deinen Frohsinn habe, bin ich nicht arm." Eina Hertling eilt zu ihrem Mann und legt zärtlich ihren Arm um feine Schulter. Er zieht sie zu sich herab und küßte sie voll tiefer Innigkeit. Es klingelt. Erna fährt empor. „Das wird Doktor Lenner sein. Ich gehe öffnen, Schatz." Nach kurzer Zeit betritt die junge Frau mit dem Arzt bas Zimmer. „Ich frage nicht, wie es Ihnen geht, lieber Herr Hertling. Ich weiß schon, was Sie mir antworten. Immer frohen Mutes, das lob' ich mir. Wozu auch Grillen sangen!" Erna sieht den Arzt icheu von der Seite an. Heinz lächelt, und Dr. Lenner redet weiter, während er seine Untersuchung vornimmt. „Schön, schön, wird sich schon machen. Nächsten Winter gehen wir miteinander auf den Maskenball, lieber Hertling, was? Da wollen wir aber die kleine Frau dort -um besten haben." — „Ach» du lieber Gott, Doktor, freveln Sie doch nicht so. Ich will jo iroh lein, wenn ich dieie elenden Knochen erst wieder bis zu meiner Redaktion schleppen kann." „Na, na, das werden wir schon bald soweit haben. Allo ickwn folgen! Ruhe, viel Ruhe! Und den Pegasus hübsch im Stall gelassen, nicht wahr?" Frau Erna geleitet den Arzt hinaus. Ein tieier Ernst liegt jetzt auf den Zügen des Mannes. „Nun, Herr Doktor, es geht doch nicht schlechter?" kommt es gepreßt von ihren Lippen. Ein unsäglich trauriger Blick trifft das junge Weib. „Arme, tleine Frau!" „Herr Doktor, um Gottes willen, was soll denn das heißen?" „DaS soll heißen, daß Sie sich mit grober Stand* Hastigkeit wappnen müssen, um —" „Um, um . . . um die Mühen der Pflege zu er tragen, das wollen Sie doch sagen. Ach, lieber Doktor, das will ich gern tun." Der Arzt räuspert sich verlegen. „Kleine Frau, es gibt — doch — auch Fälle, wo — unsere Kunst — versagt — und —" „Doktor", schreit ft« entsetzt aus und faßt nach seinem Arm. .Nur Ruhe, Frau Hertling. VA kann mlL ja irr««. Auf jeden Fall jetzt Fassung, damit der Krank« ntLt «regt wird. Morgen komme ich wieder." Der Arzt ging und Frau Erna schleppte sich mühsam zum Wohnzimmer. Schluchzend verbarg ft« daS Gesicht in den Händen. Plötzlich schreckte sie ein Klingeln aus dem Kranken zimmer empor. Hastig trocknete sie ihre Tränen und eilte »u ihrem Gatten zurück. „Nun, Liebling, du bleibst ja so lange? Hat der all« Schwerenöter wieder mit dir schön getan?" Da warf sie sich an ihres ManneS Brust, und ein Krampf schüttelte ihren Körper. „Erna! Kindl Also so steht eS!" Heinz Hertling blickte düster vor sich hin, während der wilde Schmerz seines Weibes sich in Tränen löste. „Du darfst nicht weinen", hauchte der Mann, „da- ertrag' ich nicht. Du, mein Sonnenschein all die Jahr«. In frohen und in trüben Tagen. Kind, Kind, erhalt« mir dies Bild, damit eS mir nicht zu schwer wird, wenn — meine — Stunde — kommt." Erna preßte daS Tuch an die Lippen und würgt« di« Tränen hinunter. „Daß ich mich so vergessen konnte!" stürmte eS tu ihr. Scheuen Blickes streifte sie den Kranken. Heinz war in sich zusammengesunken und stützte bas Haupt schwer in die Hand. Allmächtiger Gott, das war ihr Heinz, ihr glücklicher Heinz! Mit einem Satz war sie bei ihm. „Herzensichatzi, ich will ja nicht weinen. Ich will dein tapferer Kamerad sein." Da traf sie ein leuchtender Blick. „Mein tapferer Kamerad. Ja, Kind, daS ist das rechte Wort. Du warst es ia immer. To wirst du mich noch auch jetzt nicht verlassen. Uno wenn ich nicht mehr bin.^dann gedenke der vielen schönen Stunden, die uns bejchreden waren. Denke dec herrlichen Zeiten, die wir in gemeinsamer Arbeit verbrachten. Wie wenigen ist solch ein hohes Gluck be chieden. Und wenn du den einen großen Schmerz verwunden hast, dann nimm dich meiner Arbeiten an. Wieviel lasse ich dort in dem Schreibtisch unvollendet zurück. Sua,e alles hervor unü mache es fertig. Wie oft hast du das getan, wenn dein Heinz ungeduldig die Feber hinwarf und etwas Neues anfing. Vollende meine Arbeiten, Kind, ich bitle dich. Das wäre der schönste Denkstern, den du mir errichten könntest." In tiefer Wehmut schaute Erna den Geliebten an. Vor drei Wochen bat Erna vertling ihren lieben j Toten in die kühle Erde gebettet. Bleich und elend sist sie nun am Schreibtisch des teuren Heimgegangenen. Eine Fülle von Arbeit wartet ihrer, aber sie kann nicht schaffen. Ob sie wohl je die Manujtrrple von ihm voll enden wird? „Nein, nein", schreit eS in ihr, „es geht nicht." Ach, er fehlt ihr ja überall. Ein leises Klopsen an der Tür. Das Nküdchen tritt herein und übergibt Frau Erna einen Brief. Mit zitternder Hand erbricht sie das Schreiben. Ihre i ugen stiegen über die Zeilen hin. Hochverehrte, gnädige Frau! Vielleicht ist es Ihnen in Ihrem Schmerz ein kleiner Lichiblick, wenn wir Ihnen heute die Mitteilung machen, daß wir den Roman, den Ihr verstorbener Gatte unS vor zwei Monaten zur Prüfung etniandte, zum Erst» abdruü zu erwerben gedenken. Mit den gestellten Be dingungen sind wir einverstanden. Auch für die Zu» fendung weiterer Arbeiten aus seinem Nachlaß wären wir Ihnen dauibar. Ihrer Rückäußerung entgegensehend In größter Hochachtung Schriilleitung der LP.-Zestung. Das Blatt entsinkt Frau Ernas Händen. Seid steigt es in ihr auf, und tangiam perlt Trän« um Träne über ihr« Wangen. „Jetzt darf ich weinen, Geliebter» nicht wahr? baucht sie, und ein glückliches Lächeln verklärt ihr« verhärmten Lüg«.