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KnlM M Hchrißkiii Enßthiilrr Mngkr Tageblatt. 37. Jahrgang. Sonntag, den 6. Februar 1910. Nr. 30. Schicksal GN»e au» dem Leben von E. Marholm. (Nachdruck verboten.) ES war in den letzten Vormittagsstunden. Bor dem Redaklionsbureau de» General-An- ^igerS standen zahlreiche Arbeitsuchende, die mit zitternder Spannung die Morgenausgabe de» Blatte- «warteten Gierig blickten die tiefliegenden Augen nach der Tür. als erwarteten sie dort ihr Schicksal, and ängstlich sucht die Rechte in allen Taschen nach einem Nickel, um sich nur ein Blatt mit den Stellen» gesuchen erwerben zu können. Arbeit! Wie lechzt die Menge darnach, wenn die feinfühlige Wage der Weltkonjunktur ihr Züng lein nach unten neigt Wie hängt sie daS Auge an den rußigen qualmenden Schloten,"wenn sie kalt und srierend in die Lust starren! Wie lauscht da» Ohr nach dem taktsicheren Rädergestampfe keuchender Maschinen, nach dem dumpfen, dröhnenden Schlag sausender Hämmer! — Arbeit — Brot — Und dort hinter der Tür war eine Möglichkeit, «in Hinweis gegeben, wo sie beides finden konnten, wenn — ja nun, wenn er der erste war, der sich anbot. Ein bleicher Mann stand etwas abseits, als traue er sich nicht in das allgemeine Gewühl Eine qäulende Angst war in seinem Gesicht zu lesen, eine hastende Unruhe. Vergeblich hatte er schon alle Taschen nach einer Münze durchsucht, noch immer — Ein gewaltiger Ruck, der durch die Menge ging, riß ihn au« seinem Suchen Die erste Ausgabe wurde »erteilt. Wie eine hungrige Meute stürzte sich die Masse ans den Voten. Rücksichtslos wurde der Schwächere niedergetreten, zurückgedrängt, und wer sich ein Blatt erhascht hatte, schwang eS wie «ine erbeutete Fahne und suchte sich dann ein stilles Fleckchen, um da- für ihn passende auS dem ArbeitSmarkt heraus zusuchen. — Mit zehrendem Neid sah der bleiche Mann auf diese Glücklichen. Zaghaft drängte er sich etwas »or, er strengte seine Augen an, vielleicht konnte er au- der Ferne etwa- sehen. Ein laute-, warnende- „Töff, Töff! drängte die Menge zurück Langsam kam da- elegante Fahr- »eug näher gefahren. Vor der Redaktion stoppt« der Lhauffeur, dicht neben dem bleichen Manne, dessen Augen fast vor zitternder Angst aus ihren Höhlen quollen. .Holen Sie mir auch eine Nummer de- Blatte»", , hörte er den Besitzer sagen, der sich gemächlich in ! die braunen Lederpolster zurücklehnte und sinnend dem Dampf seiner Havannah nachsah. Wie ein elektrischer Funke durchzuckte et Plötz lich den bleichen Mann. Seinen abgegriffenen Hut etwa» lüftend, trat er rasch mit demütig-bittend«r Gebärde an da- Auto heran. „Einen Groschen, bitte; — ja", sagte er mit heiserer, fast klangloser Stimme. Mehr noch als diese sprach seine bittende Gebärde und die au-ge streckte zitternde Hand, die er fast dicht vor dem ruhig Dasitzenden hielt Dieser erschrak wie auS Träumen und starrte wortlos in da» Gesicht de» Bittenden. „Einen Groschen,''bitte." Wieder diese klang- und farblose Stimme, die so wenig und schlecht zu bitten verstand. — Und kaum fühlte er die Münze in der Hand, so stürmte er auch schon mit einem hastig gemurmelten „Danke" davon. Neue Lebens kraft strömte durch seine Adern, und während da» Auto in mäßigem Tempo sortsuhr, suchte er mit fiebernden Augen die Spalten des Arbeitsnachweises durch In dem großen Kontor de- Eisenwerkes klapperten die Schreibmaschinen, schwirrten die Federn. Laut lose Stille herrschte in dem großen Raume, denn der Chef der Firma, der soeben von einer größeren Reise zurückgekehrt war, stand bei dem ersten ^Buch halter an dem breiten Bogenfenster, von dem man den ganzen Hof überschauen konnte Auch da» Portier-Häutchen, da» von einer Menge Arbeit suchender fast gestürmt wurde. „Suchen wir Leute?" srug der Chef, der inter essiert hinsah. „Ja, auf dem Magazin wird ein Mann gesucht, der dem Verwalter zur SeiteUteht" Noch immer drängten neue herzu — Arbeit — Schärfer sah der Chef hin. Ah dort! Den bleichen Mann kannte er — hatte er gesehen Er rief einen jüngeren Angestellten und ließ d«n Mann, der mutlos, fast wie ein verzweifelter einen Augenblick an dem Portier Häuschen lehnte, zu sich kommen. Der Mann interessierte ihn. Er sah noch den bittenden Blick, hörte dar klanglose „Danke." So etwas vergißt stch^nicht leicht, um solchem Elend zu helfen — — Haben Sie auch Zeugnisse?' Der bleiche Mann zuckte zusammen. Da» noch — da» noch — -Zeugnisse — Zeugnisse" stammelte er. „Nein, nei» ich «ar — ich bin — o Gott, ich will alle» tun, wa» Sie wollen,"versuchen Sie'» nur. Einen Lag nur — oder eine Woche." Ein« furchtbare Angst sprach aus seinen Blicken und machte dem Examen ein schnelles Ende „Angenommen! Gesichert!" Wie ein Jubelruf drang es über seine Lippen. Ueber daS Gesicht des Chefs ging eS wie «in Zug der Rührung. Dann ließ er sich die neuesten Berichte vorlegen. Eben wurde noch «ine Depesche gebracht Ruhig öffnete er die, aber kaum sah er die knappe Mitteilung, da ging es wie ein Schlag durch seine Gestalt Stöhnend fiel er auf seinen Sessel. — Eine der größten Firmen, bei der er mit Millionen engagiert war, zeigte ihre Insolvenz an und vor ihm stieg das Elend auf, riesengroß und unübersehbar. — Wie lange er im dumpfen Hinbrüten vor sich hmgesehen, wußte er nicht. Erst die langsam nieder- finkende Dämmerung deS kurzen WintertagcS ließ ihn ausstehen. Mechanisch nahm er seinen kost- baren Pelzmantel — dann ging er hinaus. Wohin, war ja gleich. ES war ja doch alle» au». Ob die Räder auch stampften und schnurrten, die Maschinen sausten — für ihn war doch Vas Elend da, das grau«, unbekannte, das ihm nun mit hämischem Grinsen entgegensah. Plötzlich sah er den bleichen Mann vom Morgen wieder vor sich. Dem hatte er einen Nickel ge geben und eS hatte gereicht, diesem eine Stellung zu verschaffen, dort de« Elend zu steuern — durch ihn Fast lachte er spöttisch auf. Wem sollte er die Hand entgegenstrecken? — Bor ihm ging ein Mann, ihm zur Seite zwei Kinder, Buben von vielleicht zehn, zwölf Jahren. Und ängstlich hörte er die Kinderstimm« fragen: „Wo schlafen wir diese Nacht, Vater? Doch nicht wieder an der Brücke? Dort ist «S so kalt, so . . . ." „Still, still!" Der in dem'Pclz Gehüllte horcht« aus. Diese klanglose Stimme kannte er. „NurzdieseWacht noch,^Kinder. Morgen habe ich Arbeit, dann mieten wir «nS eine Wohnung, dann haben wir Brot . . Dem Lauschenden durchzuckte «S wie ein elek- irischer Schlag. Solch Elend könnt« auch ihn treffen, solch Hastig überdeckte er seine Augen, um 'nicht- mehr sehen zu müssen. Und noch unterm Eindruck j der Worte zog er seine Bösse und schnell drückt« er sie dem Manne in die Hand. Für diesen war noch überreichlich drin, sür ihn — „Nimm, nimm — und kauf den Kindern Brot und eine Wohnung." Er stürmte fort. Bor sich hörte er dumpfe- Gurgeln uud Rauschen. Er war am Flusse Einen Augenblick lauschte er bang, da kamen Schritte — er hörte Kinderstimmen — Und über den Damm schritt schnell lachende« Glück und eine hoffnung-belebte Stimme spornte an: „Kommt, dort hinten, wo die Laterne ist, dort essen und wohnen wir." Bom Gemeinderat zu Gersdorf. Sitzung vom S1. Januar 1S1O. DaS Kollegium war beschlußfähig. Die 2. diesjährige Sitzung wurde vom Herrn Vorsitzenden r/,8 Uhr nachmittags eröffnet und hieraus beraten und beschlossen wie folgt : 1. Vorschläge für di« Besetzung der ausge schriebenen drei ständiqen Lehrerstrllen. Hierzu war Herr Schuldirektor Pfeifer mit erschienen. Emae- gangen waren beim Gemeinderat insgesamt 251 BewrrbungSgesuche und davon waren e» SO um die mit de» Kirch,ndieust versehene Stelle. Dcm Schulvorstande wurden für jede Stell« drei Herren Bewerber zur.engeren Wahl vorgeschlaaen. 2. Dortrag der Einträge in die Negistrande. Di» in dt«s«lb« bewtrkten Einträge werden dem Gemeinderat durch Verlesen bekannt gegeben und hiervon Kenntnis g«nomm«n. 3. HauShaliplanbcratung. Hierzu wird der Beschluß de« Kaffen- und Verfaffung-auSschnfft» dem Kollegium »org«trag«n und der HauShalipiaa in d«r For«, wie er jedem Mitglied zugegangrn ist, mit etu«r kleinen Abänderung einstimmig ge nehmigt. Der durch Anlagen aufzubringrnd» Fehl, betrag stellt sich bei der Gemetndekaffr auf »2 7bS M. - Pfz. . . «chulkaffe - «Vdd7 - 86 - . - Kirchkaffe . 11634 - 83 - . - Armenkasse . 6 400 - — - . - Feueriöjchkaff« - 200 - — - . - Hrbammenkaff« « 1K0 - — - Summa 1tt6u8 R. 1» W. 4 » » Allerlei Kurzweil. » » «ufl»sun-«n in nächst» Rümmer.) Denkst du nur immer an dich, an di« nicht, di« dich umgeben, Fragen die, di« um dich find, bald wohl nicht m«hr nach dir. " VlAftKsAAge« Nummer 8 De, Rätsels: Geistreich. Der Scharade: Kreuzzug. D«S Wechsel-Aäts.»: veil, K«il, Heil, Seil, Zeil. De» Worträtsel»: Geizhals, DeS Tauschrätsels: Braut, Brau», Brau«, Braun. DeS Bilder-Rätsel-: Kommandantur. Deuksprüche. Der schönste Nam' im Erdenrund, DaS schönste Wort im Menschenmund Ist: Rutter! Ja, keines ist so tief und »eich, So ungelehrt, gedankenreich AlS: Rutter l «Slsol. ES gibt der Orte drei Mit gleichem Namen; Am Ersten sährt der Zug vorbei — Wenn wir von Görlitz kamen — Nach Hohenstein-Ernstthal. Hier stiegen wir auS und ritten Auf Schuster» Rappen hin zum Zweiten Und »teder zurück,Hum zum Dritten Wieder mit dem Zug zu fahren Nach Bayern zu Zwei Stunden drauf Kamen wir im Dritten an. Wir stiegen au». Ein Stündchen Lauf Bringt unS zu riner Brücke dann, Don St«in,^di«'.'man heut« «och hält Für eine der größten Brücken der Welt. Nun sage mir die Orte an Und^die Brück«.mit^d«HEisenbahn. Zwoifilbig« Scharade. Die Erste ist ein stolze» Tier, Lie Z»«ite^dr» Gestchte» Zier. Da» Ganze kündet jedermann, Ob einem Mann^man trauen kann. Htorvgltzpho«. (Bon jedem Bild gilt der Anfangsbuchstabe. Di« Vokale^find zu'ergänz««.) Nötsel au» -er HeimatSknude. ü-ifilditz. Li« Erst« ist «in männlicher Nam«, Auch macht st« kein heitre» Gesicht; Lie Zweite liegt z»ischen Bergen, In der Eben« findst du sie nicht. Da» Ganz« ist di« Hälft« vom Oct», Zu dim e» j«tzo gehört. Die Erste, al» Graf, fügte dem Worte Die Z»eit« hinzu, doch stört Dir» bei« Brief den bequem«« Mann: Er hängt von d«r Ersten Zwei Zeichen nur an. «torfilbig Reine ersten Zwei kennt jeder Kart»nspiel«r, Mancher Gast ruft e» im Gasthau» jetzt, M«nn er^»iff«n »ill, »ie yj«l ,x Hat zu zahlen nun zu guterletzt. Ohne m«ine Dritte — hält' di« noch rin Zeichen — Kann kling Rensch auf Erd«n leben. Loch gibt ,» mitunter bei d»n Reichen Solch«, den»« mein« Vi«rt« nicht gegeben. In dem Ganzen leben viele L«s«r Dieser Zeitung. Strenget eure Vierte an: E» ist rin Ort, er liegt nicht an der Weser, Nein, an «inem.Bachr liegt er dran. Dreistlbig. Nicht bei un» gibt iS di» ersten Aw»i. Nicht nur Wiff«n»drang, auch Not Lretbt d«n Menschen in da» Einerlei, Wo erwartet ihn oft nur der Lod. R«tn, L»tzt, ist tzj, «Wiig« Stadt, »i« in Sachs«« k«in« Kirche hat. La» Ganz« ist ein Dorf, nicht weit; N«n ratrt einmal ganz »«scheit. Liniin-Ztitllng. Alle Rechte für den gesamten Inhalt vorbehalten. Nr. 6. ! Redaktion, Druck und Verlag von Horn L Lehmann, Hohenstein-Ernstthal. I 1910. Das Lämmchen. Ein indische» Volksmärchen von MrS. F. A. Steel. Autorisierte Uebersetzung von Anna Wilke. (Rachdruck v«doto«. > Es war einmal »in junge», niedliche» Lämmchen, daS auf seinen kleinen Beinchen lustig »mherhüpst» und sich seiner Leben» freut«. Eine» Lage» machte r» sich auf den Weg zu seine« Großmütterchen, und während e» fröhlich vorwärtssprang, weil e» sehr glücklich war i« dem Gedanken an all die schönen Sachen, die e» ^von der lieben Großmutter erhalten »ürd», begegnete e» einem Wolf. DaS gefräßige Lirr blickt« begrhrlich auf den jungen zarten BiffrnIund rief: „Lämmchens! Lämmchen! Du stehst mir sehr verlockend auS. Ich werde dich auf- freffen!" Da» Lämmchen machte aber einen kleinen Sprung und Erwiderte: «Ich g«h' jetzt zu meinem Großmütterletn, Um dort viel schöne Sachen zu essen. Auf dem Rückweg werd' ich viel fetter sein. Willst du nicht lieber «ich dann auff«ff«n?" Der Wolf fand diese« Borschlag sehr gut und ließ da» lustige Lämmchen weiter laufen. Nach einer Weile kam ein Geier angeflogen. Auch der Raubvogel blickte begehrlich auf den j«ngen zarten Biffen «nd sprach: .Lämmchen! Lämmchen! Du stehst mir srhr verlockend au». Ich werde "dich auf fressen !" Aber da» Lämmchen hüpfte ruhig »eiter und erwiderte: „Ich geh' jrtztLtu'mtinem Großmütt»rl»in, Um dort^vtel schöne Sachen zu essen. Auf dem Rückweg »erd' ich viel fetter sein. Willst du nicht lieber mich dann auffreffen f" Ler Geier fand diese« Vorschlag ebrnfall» sehr gut und ließ da» Lämmchen »eiter lauf»«. Und nach und nach begegnete dem Lämm chen auf seinem Weg« zur Großmutter noch «in Lig«r, rin Schakal und «in Adlrr. Und jrde» dieser Tiere rief sofort, »enn eS den zarten Biffen «blickte, begehrlich. „LL»mch«n! Lämmchen! Du sichst mir srhr verlockend au«. Ich werde dich auf- freffen!" Aber jedem gab da» Lämmchen die gleiche Antwort. Und da alle Ltere seinen Vorschlag gut fanden, ließen fie daS Lämmchen ruhig weiter laufen, so daß ,» heil und unversehrt bet seiner lieben Großmutter anlangt«. Kaum hatte der kleine Schlaukopf die Schwelle deS Hause» be- treten, al» er auch schon eifrig au»ri»s: „Liebe- Großmütlerchen, ich hab» versprochen sehr fett zu werden. Und da man seine Ver sprechen doch immer halte» soll, so bringe mich doch bttt« gleich in die Maiskammer." Großmütlerchen lobte ihr Enkelkind sür seinen Gehorsam u«d erfüllte gern seinen Munsch. In der* herrlichen ) MatSkammer blieb das gefräßig« kl«tne Lämmchen nun ganze sieben Lage, und fraß nach Herzenslust die prächtig«« Maiskörner. Da war e» so dick geworden, daß «S nur noch watscheln konnte, i „Jetzt bist du aber wirklich fett genug," meinte Großmütlerchen, .und du kannst nun »t«der zur Mutter gehen!' Aber da» schlaue kleine Lämmchen machte sch««! ein betrübte» Gesicht und antworttte: „Ich sürcht«, ich werde nie mehr bis dahin kommen. Denn da ich so zart und überdie« noch so fleischig bin, würde mich doch sicher irgend ein» von den bösen Raubtieren, drren e» ja leider so viele gibt, auf j dim Heimwege auffrrssen.'ßAber," fügte e» rasch hinzu, „mein li«b«» Großmütlerchen, du kannst mir leicht helfen, daß.tch trotzdem gesund und heil.wieder zu Haus« anlange. Du brauchst mir nur au» dem Fell meine» Brüderch»«», da» kürzlich starb, ein« Trommel zu machen. In dies« kann ich mich dann Hineinsetzen und mich ganz gr-