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ÄüW mm DahMnli-WiWliin Mmgri Tageblatt. 37. Jahrgang. Sonnabend, den 22. Januar 1910. Nr. 17. Deutscher Reichstag. 21. Sitzung vom 20. Januar. Auf der Tagesordnung der Sitzung, zu deren Beginn Vizepiästdent Späh» die Ermächtigung erbittet und erhält, dem Kaiser zum Geburtslage die Glückwünsche deS Reichstag- auSzusprechen, steht zunächst die dritte Lesung deS Handelsvertrag- mit Boltvia. Die drfiniltve Annahme erfolgt drbatteloS. Sodann beginnt die 2 Lesung de- EtatS mit dem Spezialetat deS ReichSjustizamtS. Abg. Belzer (Ztr.) widmet dem früheren lang, jährigen Staatssekretär Nieberding Worte der An erkennung. Die Reform deS Strafrechts, so fährt er fort, muß möglichst bald, «aiüclich ohne Über stürzung, erfolgen Wünschenswert ist eine Vorlage über di« Rechtsfähigkeit der BerufSvereine. Da« Wichtigste ist, daß zu allen Gerichtssitzungen, von denen auS Sittlichkeit-- und ähnlichen Gründen die Ö ffentlichkeit ausgeschlossen ist, auch Bericht erstatter nicht mehr zugelafsea werden dürfen. Im Falle von Freisprechungen bei SittlrchkritS- Verbrechen muffen die SlaatSanwälte angewtrsen werden, jedeSmul von den vorhandenen weiteren Rechtsmitteln Gebrauch zu machen. Dem konser vativen Antrag auf Neuregelung der Gerichts-, Zeugen- und Gachverständtgen-Gebühren stimmen wir zu. Notwendig ist ein einheulicheS Bergrecht. Abg. Gtese (konf): Die Neuregelung der Gerichts- rc. Gebühren ist wirklich notwendig. Auch kleinen Unternehmern muß ihre Versäumnis be- zahlt werden. E.ne Entlastung deS ReichSzerichtS ist erforderlich. Den Ausführungen deS Vor redners über die Sltllicht«ttSproz<ffe stimmen wir zu. Gegen die Sckund- und Schmutzliteratur muß Abhilfe geschaffen werden. Abg. J»,ck (natl): Unter dec Entlastung deS Reichsgerichts darf die Einheitlichkeit der Recht- sprechung nicht leiden. Bet dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb haben wir in voriger Session die Ensührung der Generalklausel be- schloffen, die sich trotz der erhobenen Emwände hoffentlich bewähren wird. Die Richter werden dabei freilich aus der Praxis schöpfen müssen. Die junge Blüte der Tarifverträge möchte ich rem Staatssekretär warm anS Herz legen. Unser bürgerliches Gesetzbuch hat sich bisher gut bewährt. Man sollte dann auch nicht zu früh flicken, sondern die einheitliche Form zu wahren beflissen sein. Eintreten muß ich für die Rechte der Justiz, auch im Fall Hellfeld. Als da« Amtsgericht Berlin infolge deS im November rechtSk« ästig gewordenen Urteil- die Beschlagnahme russischer GtaatSgelder verfügte, da erklärte der preußische Minister deS Auswärtigen diese gerichtliche Entscheidung für nichtig und nur „anscheinend formell zutreffend". Dieses Urteil der hohen politischen Behörde über die Entscheidung eine- deutschen Gerichtshofes ist sehr zu bedauern. Gegenüber dem Ausland« sollten wir alle zusammrnstehen. Die Zitate, die Herr v. Schön zugunsten seiner Auffassung geltend machte, sprechen alle gegen ihn. Für solche Kon- fickte mit dem Ausland muß eine internationale Regelung herbeigeführt werden. DaS ReichSjastiz- amt muß dabel zur Mitwirkung herangezogen werden. Staatssekretär Lt-eo: Ein Entwurf zur Ent lastung deS ReichSzerichtS liegt dem BundeSrat schon vor und wird dem Reichstag vorau-sichltch lm Februar zugehen. Dle Regelung der Tarif- vertrüge werde ich im Auge behalten. Ueber daS internationale Wechselrecht findet im Juli eine Kon ferenz im Haag statt. Die Entscheidung über den Ausschluß der O.ffentlichkeit ist in jedem Etnzelfalle Sache des Gerichts. Die alte Ge bührenordnung für Zeugen und Sachverständige reicht nicht mehr aus. Im preußischen Finanz ministerium ist auch schon eine Vorlage ausgear- beitet, die die Sätze erheblich erhöht. Der Reichs kanzler aber nimmt bei der jetzigen Finanzlage d.S Reiche« Anstand, eine solche Vorlage, die viele Millionen Kosten verursachen würde, einzubringen. Meine Stellung zum Fall Hellield ist durch die Lage gegeben, in der sich da« Verfahren b.findet. N.ch dem Inhalt ücS Schriftstücks, in dem der Kompetenz-Konflikt erhoben wird, handelt eS sich darum, daß gegen dir Zwangsvollstreckung die Entscheidung des Richter» angerufen wird. Da« Reichsjustizamt ist zur Mitwirkung nicht berufen. Auf tue Sache «tnzugrhen, verbietet mir der Um- stand, daß ste jetzt dem Kompelenz-GerichtShos unterliegt. Im allgemeine» allerdings kann ich sagen, daß unter Umständen auch noch in dem Stadium der ZwaugSoollstrrckung der Kompetenz- flreit erhoben werden kann. Die Selbständigkeit der Justiz, mrine Herren, werde ich mit allen Kräften zu wahren bemüht sein. Abg. Dove (sreis. Vgg): DaS ReichSsust.zamt sollte weitergehrnde AusfichtSrechte haben. (Leb- Hafter Beifall link») Auch da- Kaligeseh, daS in die Grundsätze deS RechtSlebrn« schwer eingretfe, hätten Sie nicht durchgehen lassen sollen. Redner verlangt Reform der KonkurSorbnung. Gegen die Schmutzliteratur sei mit Gesehen wenig zu er- reichen. Am besten wirke man da durch Verbrei tung einer auten Volksliteratur. Möge «S, schließt Redner, dem Staatssekretär gelingen, der Justiz daS Ansehen zu verschossen, daS ihr gebührt. Abg Heine (Soz) dankt dem Staatssekretär für die Versicherung, stets und überall für daS Recht eintreten zu wollen. Er werde dazu mehr Anlaß bekommen, al« ihm vielleicht lieb sei. Wa di« Entlastung deS Reichsgerichts anlange, so dürfe einem Prozeß mit klttnen Wertobjeklen die An rufung drS Reichsgericht- unter keinen Umständen erschwert werden. Redner äußert sich über porno graphische Literatur ähnlich wie Dove, kritisiert den vorigen Entwurf zur Reform des Strafgesetz- >uchs, in dem stch dir reaktionärsten Bestimmungen änden, verlangt ein einheitliche- StrasvollzugSge- etz und beschwert stch über widerspruchsvolle Ju dikatur über den Boykott. Köaigl. Sächfifcher stellvertretender BundeSbt- vollmächugter Geh. Justlzrai Dr. Mayer stellt in Abrede, daß, wre der Abg. Junck behauptet habe, gewisse Vorschriften deS sächsischen Stempelsteuec- grsitze« mit dem ReichSrechi unvereinbar seien. Sine dienstliche Abhängigkeit der Justizbehörden von den Finanzbehöcden in Stempelfteuersachen be stehe auch in Sachsen nicht. Abg. v. Lztembvw-kt-Pomian (Pole) ver langt, daß der Vertrag deS ReichSjustizamtes nicht dulde, daß die Justiz einer bestimmten polizeilichen Richtung dienstbar gemacht werde. Abg. Dr. Bare»horst (R«ich«p.) begrüßt den Antrag auf eine Erhöhung der Zeugen- und Sach- verständigen-S.dühren und verlangt rin« einheit liche Reg«lung der Haftpflichten für Eisenbahnen und Kleinbahnen aller Art. Ganz veraltet seien die Bestimmungen über die Sitzungspol,z«tbefugn>ffe dr- Vorsitzenden Richters gegenüber Recht-anwälten. Abg. «Serner (Reformp.) tadelt dle EinmiAung de« SlaalSseki« ärS de- Au-wärtigen in die Recht- sprechung in dem Falle der Beschlagnahme der russischen Fond-, ferner den Zeugniszwang gegen Redakteure und die undeutsche Gprachweise, wie sie stch vielfach in Erkenntnissen findet. Endlich möge der neue Staatssekretär an dem bisherigen Grund- sah- festhalten, daß Juden nicht RUchSgenchtSräte werden können. (Lachen links) Abg. Vecker-Köln (Zentr.) beklagt sich u. a. über zu hohe Gebühren bei Rechtsgeschäften mit kleinen Parzellen (Zusammenlegung, Besihwechsel). Abg. «blaß (sreis. Vgg) tadelt, daß sich die Richter zu sehr alS Beamt« fühlen und daß in Richterkcrtsen ein; groß? Animosität gegen den Anwaltsstand bestehe. Habe doch in Dresden OberlandeSgerichlSrat Dr. Otto sogar behauptet, die Zunahme der Zivilprozessr sei hauptsächlich auf die Ueberfüllung im Anwaltsstande zulückzu- sühren. Wie möge über eine so absurde Anschau ung eines deulschen Richter- wohl Staatssekretär LiSca denken? Redner verlangt E.stleckang auf Beseitigung deS ZeugniSzwangeS für die Pnffe auch auf alle Fälle deS di«z>plinaren Verfahren«. Der Etat des R-tchSjustizamtS wird genehmigt. Freitag 12 Uhr: Etat de- ReichSeisenbahnamleS: Kolonialamt. Sächsischer Landtag. Dresden, 20. Jan. Heute fand nur in der Erste» Kammer eine öffentliche Sitzung statt. Man genehmigte zunächst vom Etat das Kapit«l 46, „Beurkundung deS Personenstände- und der Ehe schließung," mit einer Ausgabe von 10 000 Mk., erledigte mehrere Kapitel deS Rechenschaft-derlchlS und beschloß, eine von einem Dresdner Einwohner etngelaufene Petition um E laß einer Verordnung, daß den am Friedhöfe vorbeiziehenden Militär- abteilungen daS Singen verboten wird, auf sich beruhen zu lassen, da eine derartige Verordnung bereits besteht. " Nächste Sitzung Mittwoch 12 Uhr. TagrS- ocdnuug: Antrag, betrrffend Verlegung d«S Epiphaniensestes, Teile de« Rechenschafi-bertchte-, Eisendahnpersonalien und anderes wtaen der Streck- Grünstädtel-Elterlein-S.yer.