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1 r k« »s s« n 1 d e o d i > t « ! WM HoWm-EriMM AiffiUl Tageblatt. Nr. 144. Mittwoch, den 24. Juni 1908. " 35. Jahrgang. Der Briefträger kommt in diesen Lagen zu unseren Post-Abonnenten, um den Abonnementsbetrag für da» 2. Quartal 1908 gegen Quittung zu erheben. ES empfiehlt sich, von dieser bequemen Einrichtung Gebrauch zu machen, weil sie Kosten nicht verursacht, dagegen dar pünktliche Eintreffen unserer Blatte- beim Quartalswechsel gewährleistet. Flaue Konjunktur und geringe Besonnenheit. Die KonkurS-Stattstik für das erste Viertel- fahr 1908 »eist wenig erfreuliche Zahlen auf. Im deutschen Reiche betrug die Zahl der geschäft lichen Zusammenbrüche «ährend dieser drei Monate rund 4200, das find über tausend mehr als im gleichen Zeitraum der JahreS 1907. Zu diesen gerichtlichen Konkursen kommt noch eine ganze Reihe von außergerichtlichen Dergleichen, in welchen die Gläubiger so viel oder so wenig nahmen, wie fie bekommen konnten, «eil ihnen die Eröffnung der Bankrotts keine Chancen bot. Ma« wird nicht behaupten können, daß dies Resultat zu der Anschauung führt, daß etwa dem deutschen Nähr- fiand in der zu erwartenden neuen Steuer-Vorlage oder in anderweitigen Reform-Gesetzen noch weitere direkte oder indirekte Lasten aufgelade« werden könnten, er hat genug davon und kann in Zeiten wie den heutigen nicht die Steigerung der ve- triebS-Unkosten auf seine Abnehmer abwälzen. US besteht kein Zwettl, daß die ungünstiger gewordene geschäftliche Konjunktur die Hauptschuld an-der erheblichen Steigerung der Zahlmig^Sm- stelluwzen trägt und vor allem haben diejenigen Geschäftsleute, die den Umschwung nicht auS- Halle» konnten, Hie Zeche bezahl«» müsse«. Aber auch alte Firmen haben der wirtschaftlichen Un gunst dieses JahreS nicht widerstehen können und ihre Tätigkeit etnstellen müssen. ES ist hart, wenn so die Früchte langer und zäher Tätigkeit im Nu verloren gehen, denn wir dürfen es getrost be haupten, unser deutsche- Geschäftsleben ist siel zu reell, als daß mit der Zahl der Konkurse ein starker Hinweis auf Unsolidität verbunden werden könnte. Die unliebsamen Vankerott-Geschichten, die schließlich überall einmal vorkommen, können doch nicht als Regel angesehen werden. Dürfen wir nicht non einer besonders hervor« tretenden Unsolidität reden, so dürfen wir unser« Augen doch nicht vor einem Mangel an Besonnen, heil verschließen, die schon bei der Eröffnung eine» Geschäfts sich häufiger zeigt und ebenfallt eine der ersten Ursachen für den gewerblichen Zusammen, bruch ist. Die Hoffnungen auf Glück und aut- giebigen geschäftlichen Kredit sind in den Jahren der guten Konjunktur doch größer gewesen, alt sich mit den wirklichen Tatsachen und namentlich mit dem eigenen BetriebS-Kapital vereinbaren ließ, und so ist denn die Karre in den Sumpf gerollt. Auch hier können wir et beklagen, wenn ein ernst. Hafter Existenzdrang schnell vernichtet wird, aber ein Kaufmann — und heute soll und muß bis zu gewissem Grade ein jeder Gewerbtreibender Kauf, mann sein — darf sich nur nach seiner Bilanz richten, nach den greifbaren Unterlage« für sein Unternehmen, nicht nach Zufälligkeiten, die aut- bleiben oder kommen können. Eine selbständige Tätigkeit nur zu dem Zweck zu betreiben, um den Konkurrenten die Kunden zu verärgern und dann, wenn eS gar nicht mehr gehen will, die Tür zu- zumachen und den Konkurt anzumelden, ist nicht honnett. Mr wollen nicht sagen, daß derartige Fälle so häufig find, daß fie Bedenken erregen müssen, aber wir müssen betonen, daß der, welcher fich auf eine schiefe Ebene begibt, leicht in» Gleiten kommt. Damit ergibt sich von selbst die Notwendigkeit von rechter Besonnenheit in dieser Zeit minder guter Konjunktur, denn schließlich hängt davon doch gewerblicher Rus und Ehre ab. Ein Kauf mann, ein Mann deS Nährstandes, soll etwa» wagen, seinen Unternehmungsgeist betätigen, aber er muß auch etwas haben, waS er riskieren kann Wir streben nach einem zahlreichen Nährstand mit starkem Rückgrat; ist da» nicht immer zu erzielen dann ist ein Sich-Bescheiden ratsamer; wir haben gerade genug Zeitgenossen, die ihren Beruf verfehlten und möchten fie nicht in großer Zahl unter den Männern de» praktischen Leben» schauen. Geschworener. (Nachdruck verboten.) Der Prozeß gegen den Fürsten Philipp von Eulenburg steht nahe bevor. Da die Anklage aus Meineid lautet — ein schwere» Delikt — wird die Anklage vor dem Schwurgericht verhandelt werden; nicht Juristen, sondern Volksrichter werden also da» entscheidende Wort über Schuldig oder Nichtschuldig sprechen. Der au» BerufSrtchtern bestehende Gerichtshof, besten Vorsitzender die ver- Handlungen leitet, hat, wenn da» Urteil auf Schuldig — mit oder ohne mildernde Umstände — lautet, lediglich die Dauer der Strafe zu bestimmen, bei einem Nichtschuldig nur diese» Erkenntnis mit zuteilen. Niemandem steht irgend welcher Einfluß auf da» Urteil der Geschworenen zu, sie haben nur mit ihrer eigenen Ueberzeugung, mit ihrem Gewissen fich abzufinden, nach denen sich zu richten fie geschworen haben. Die Schwurgerichte find in der jüngsten Zeit mancherlei Kritik unterworfen worden; wir er. tnnern nur an den Prozeß Hau in Karlsruhe, in dem die Geschworenen auf vorsätzlichen Mord erkannte», sodaß der Gerichtshof di« Todesstrafe autsprechen mußte, die nachher vom Großherzog von Baden im Gnadenwege in Zuchthaus um. gewandelt wurde. Man fand die» Urteil »er. schiedentlich zu hart; aber auch den veruförichtern wird nicht eben selten ein zu strenges Strafabmeffen »orguvorfen, und vor all«», w«S bliebe von de« Wert deS ganzen BolkSgerichtS-Wesens, wenn die Geschworenen erst zum Fenster ihre« Beratungs- zimmer» hinauslauschen sollten, wie dort über den Fall gedacht wird? Da» ist unmöglich. Ent weder die Geschworenen müssen sein, wie fie sind, sie sollen nach eigener Ehre, Ueberzeugung und Gewissen «echt sprechen, oder fie sollen e» über. Haupt nicht. Dann treten besser die Juristen an ihre Stelle, bei denen von vornherein mit dem strengen RechtSbegriff gerechnet wird. ES ist unbedingt verboten, daß der Beratung der Geschworenen ein Nicht-Geschworener beiwohnt; auch die Verhandlung der Volksrichter über die Gchuldfrage wird von einem der ihrigen als Ob mann geleitet, der später die Verlesung deS Wahr- spruche» mit einem ausdrücklichen Hinweis auf Eid und Gewisse« beginnt. Wir sind in Deutsch land noch nicht von dem SensationS-Taumel an gesteckt, der in südlichen Ländern so häufig pasfiert, und wollen ihn auch von der GertchtSstätte un- bedingt fernhalten. Nach dem Inhalt der Dinge, um die es fich bei der Anklage handelt, ist anzunehmen, daß die Oeffentlichkrit für den Prozeß-Verlauf ausgeschlossen wird, die Geschworenen werden also erst recht auf ihre Wahrnehmungen während der Verhandlung angewiesen sein. E» kann sie nicht bekümmern, «a» zum Wohl und Wehe de» Angeklagten „draußen" gesprochen oder geschrieben wird, ledig- lich ihr Eid bindet fie. ES ist über die Eulenburg-Angelegenheit so unendlich vieles bald im Hellen, bald im dunklen Licht herumerzählt worden, daß nur die klare, bindende Darstellung vor dem Gericht Gewißheit schaffe» kann. Al« der Fürst verhaftet wurde, sahen ihn die einen schon zur härtesten Strafe verurteilt, andere hätten e» lieber gesehen, wenn »ie Sache endlich zur Ruhe gekommen wäre. Wo da» Richtige in diese« Widerstreit liegt? Sanz einfach in dem Satze: Vor de« Gesetz find wir alle gleich! Und darnach soll nunmehr verhandelt und gerichtet «erden.