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genannt. Wahrscheinlicher klingt eine andere Meldung, welche in dem Landcsdirector von Hammerstein den künftigen Oberpräfidenten erblickt. Die unabhängigen Socialdemokraten in Ber lin veranstalteten am Sonntag eine große Versamm lung, tn welcher sie die Verurtheilung der Straßen krawalle durch die offizielle Socialdemokratie entschieden mißbilligen. Es war eine größere Polizeimacht zur Ansrechlerhaltung der Ruhe aufgebotcn, doch blieb alles still. Die „Petersburger Ztg." giebt eine Anzahl deutscher Preßstimmen über die Kaiserrede wieder und knüpft daran einige Bemerkungen über den Fürsten Bis mark, auf deren Wiedergabe wir nicht verzichten zu dürfen glauben. Die „Petersb. Ztg." schreibt: „Die letzte Rede Kaiser Wilhelms ist in Deutschland von den liberalen Blättern mit einem Mißvergnügen auf- genommen worden, welches sich in weil unumwundenerer Weise Luft gemacht hat, als die kritischen Bemerkungen der „Hamb. Nachr." über den „neuen Curs" gelautet haben. Die ultraconstitutionellen Aeußerungen der Presse über die Kaiserrede fordern zu einem Vergleich mit den Auslassungen heraus, welche von liberaler Seite seinerzeit gegen die Preßthäligkeit des Fürsten Bismarck geschleudert worden sind und in welchen der Fürst von mehreren freisinnigen und liberalen Blättern mit Vorwürfen überhäuft und sogar des Hochverraths beschuldigt wurde, weil er sich unterfangen habe, mit seiner Meinung über die neue Entwicklung der Dinge in Deutschland nicht zurückzuhalten. Vergleicht man die Preßstimmen über die Kaiserrede mit dem, was in Deutschland gegen die Thätigkeit des Fürsten Bismarck geschrieben worden ist, so erkennt man unschwer, wie sich alle diejenigen Blätter deasvouirt und selbst wi derlegt haben, welche jetzt für Recht und patriotische Pflicht der freien Meinungsäußerung jedes Staats bürgers eintreten, noch vor kurzem aber nicht genug Galle verschreiben konnten, um die Warnerstimme in den „Hamb. Nachr." als den Ausdruck schwärzesten Undanks und unpatriotischster Denkart hinzustellen. Die Ausführungen über das Recht und die Pflicht des constitutionellen Bürgers, mit seinem Rath und seiner Einsicht nicht zurückzuhallen, einem trügerischen Opti mismus zu steuern und nach Kräften zum Besten des Staates beizutragen, können auf Niemanden besser, als auf den Fürsten Bismarck angewandt werden, welcher es seiner Größe schuldig war, sich nicht grollend in Schweigen zu hüllen, sondern nach wie vor die Er fahrungen seines erfolgreichen Lebens und seine außer gewöhnlichen Charakter Eigenschaften und Verstandes, kräfte im Dienste seines Volkes zu verwerthen. So sehen wir denn in der jetzigen Lage der Dinge in Deutschland die Feinde des Fürsten Bismarck ihm widerwillig Lob spenden. Seine Gestalt taucht vor den Augen seines Volkes wieder in greifbarer Form, in deutlicheren Umriffen auf und die Zeit ist vielleicht nicht mehr fern, wo Deutschland erkennen wird, daß es die Schuld zu büßen hat, auf Rath und That seines größten Sohnes verzichtet zu haben." j Wege» Majestätsbeleidigung, begangen durch ' , Kritik der letzten Rede des Kaisers, ist bisher Anklage - > erhoben gegen die Kölnische, Frankfurter Zeitung, die ' Berliner Neusten Nachrichten und die bekannte Wochen- > ' schrift „Die Gegenwart". Das Reichstagspräsidium ist, wie man hört, noch immer entschlossen, die Session vor Ostern, wenn irgend möglich, zu Ende zu bringen, hauptsächlich M' ' gen der Aussichtslosigkeit, die Arbeiten bet der dauern den Bcschlußunfähigkeit nach jener Z-it noch mit El" folg fortsetzen zu können. Auch der Seniorenconvent hat sich in seiner letzten Sitzung überwiegend in diesem Sinne ausgesprochen, und auch die Regierung soll da- ! mit einverstanden und auf einige ihrer Vorlagen zu nächst zu verzichten bereit sein. Dahin würden ins besondere das Trunksuchts- und das Unsittltchkeitsgesctz, sowie die Vorlage über den militärischen Berrath ge- . hören. Wie die „Frkf. Ztg." vernimmt, wird vom 1. October d. I. an weiteres deutsches Militär der französischen Grenze näher gerückt werden. So die jetzt in Colmar garnisonirenden Jägerbataillone 4, 16, 19, die nach Münster, St. Amarin, Altkirch verlegt werden. Münster ist etwa 14 Kilometer von der Schlucht oder der französischen Grenze. St. ! Amarin ist etwa 2 Stunden vom Tunnel von Beissang entfernt, während Altkirch halbwegs zwischen Mühl- Hausen und Belfort liegt. Im preußischen Abgeordnetenhaus stand am Sonnabend auf der Tagesordnung die dritte Berathung des Gesetzentwurfs betr. die Kosten Königlicher Polizei verwaltungen in Stadtgemeinden. Abg. Meyer (freis.) bekämpfte die Vorlage, welche den Stadtgemeinden nene große Lasten auflege, während über alle organisatorische - Fragen stillschweigend fortgegangen werde. Minister , Herrfurth legte den Standpunkt der Regierung und die Gründe dar, welche zu diesem Gesetz geführt haben , und wies die Vorwürfe des Abg. Meyer zurück. Abg. Barth (freicons.) schloß sich dem an. Abg. v. Eynern (natl.) trat entschieden für die Vorlage ein, die hierauf mit einer geringen Aenderung angenommen wurde. Es folgte die zweite Berathung des Gesetzentwurfs betr. die Aufsicht bet den Berliner Gerichten. Die Vorlage wurde nach kurzer Debatte unverändert geneh migt. Debaltelos wurden angenommen die Vorlage r wegen Heranziehung von Militärpcrsonen zu Gemeinde- i abgabe und betr. den Anschluß der Helgoländer Kirche an die Provinz Schleswig-Holstein. Damit ist die s Tagesordnung erschöpft. Am Montag beginnt die ? dritte Berathung des Cultusetats. Griechenland. j In Griechenland dauert die durch die Entlassung f des Ministeriums Delyannls herbeigeführte Aufregung i noch fort. Es fehlt auch, nach zuverlässigen Privat meldungen, nicht an Ruhestörungen, welche vom Re gierungstelegraphen sorgfältig verschwiegen werden. Eine Anzahl von Deputirten hat dem Könige ein neues Ministerium vorgeschlagrn. Von den bevorstehenden Kamwerneuwahlen werden lebhafte Unruhen befürchtet. Arts dem Muldenthare. Waldenburg, 7. März. Bekanntlich hat die 2. Kammer der sächsischen Ständeversammlung tn Bezug auf das Eisenbahnproject Limbach-Waldenburg-Alten- bürg diesmal nach dem Anträge der Deputation L beschlossen, die hierauf bezüglichen Petitionen auf sich beruhen zu lassen. Die Gründe, welche die Deputation L zu diesem Anträge veranlaßt haben, umfassen genau 4 Zeilen. Die Deputation vermochte einen Bau der erbetenen Eisenbahnlinie nicht für dringlich zu er kennen, da der pettrende LandeStheil, beziehentlich dessen Ortschaften, wenn auch nicht allenthalben tn nächster Nähe, doch in nicht zu großer Entfernung Schtenen- verbindung zur Verfügung habe. In den früheren Sessionen vermochte die Kammer, die auch heute noch zum größten Theil aus denselben Mitgliedern besteht, die volkswirthschaftltche Bedeutung der erbetenen Linie nicht abzusprechen, sie empfahl dieselbe deshalb bereits dreimal der hohen Staatsregierung zur Kenntnißnahme. Seitdem ist die Bevölkerungszahl, die Herstellung und der Verbrauch von Gütern tn den von der fraglichen Linie berührten Landesthetlen größer geworden, die volkswirthschaftltche Bedeutung derselben hat infolge dessen zugenommen und trotzdem ist die Kammer zu dem Beschluß gekommen, die betreffenden Petitionen auf sich beruhen zu lasten. Die Deputation macht, wie bereits erwähnt, dagegen geltend, daß der pettrende Landestheil tn nicht zu großer Entfernung Schienen- Verbindung zur Verfügung habe. Man darf wohl fragen, warum bet anderen erbetenen Eisenbahnlinien nicht der gleiche Grund geltend gemacht wird? So besteht z. B. zwischen Limbach und Burgstädt bereits über Wittgensdorf eine fast direkte Eisenbahnverbin dung, trotzdem wurde die erbetene Linie Limbach-Burg» städt-Mittweida, ein Projekt allerjüngsten Datums, der Regierung zur Kenntnißnahme überwiesen. Wenn der angeführte Grund bei irgend einer gewünschten Linie richtig ist, so ist er es zw-ifellos bet dieser. Die hiesige Bevölkerung hofft, daß seitens der 1. Kammer das Projekt Limbach-Waldenburg-Altenburg zum Minde sten wieder auf seinen alten Standpunkt gebracht wird. Wegen des Concurrenz-Projectes Altenburg-Penig ist diesmal nicht petirt worden. — Die Stadtverordneten in Zwickau haben den Rath ersucht, thunlichst das letzterem eingereichte Pro jekt zur Errichtung einer elektrischen Straßenbahn von dort nach Wilkau zu fördern und deshalb bis 1. November d. I. eine Centralanlage für Elektricität zn errichten. — Die Stadtvertretung zu Zwickau beabsichtigt, die Steuer für Luxushunde, sowie für Hunde von 45 em. Schulterhöhe von 15 auf 30 M.'. zu erhöhen. — Ein 18 Jahre alter Kaufmannslehrling in Zwickau entwendete am Dienstag seinem Vater 3000 Mk. und flüchtete. Früher hatte er immer von einer Reise nach Afrika geschwärmt; möglich ist es, daß er sie angetreten hat. Verschiedene Hafenplätze sind tele graphisch benachrichtigt worden. Feuilleton. ' Giue dunkle That. Eine elsässische Geschichte aus dem Jahre 1870. Bon Karl Wohlfahrt. Nachdruck »rrdat!«. (Fortsetzung.) „Denk an nichts dergleichen!" bat sie. „Und red nicht so viel. Gieb mir Deine Hand! Und daß Du mir jetzt ganz ruhig bist, hörst Du?" „Ich hab noch eine Bitt' an Dich, Madelon!" „Was tsts?" „Siehst, ich fühle mich wieder viel besser. Steck die Petroleumlampe an und lies mir etwas aus der Bibel vor." „Von Herzen gern." Und nun sah er ihr zu, den Kopf auf den rechten Arm gestützt, wie sie die Lampe anzündete und den grünen Schirm darüber gab, der das Licht dämpfte und wie sie die Bibel von dem Brett am Ofen holte und ihren Stuhl an das Bett rückte, und die Lampe vorsorglich so stellte, daß das Licht ihn nicht blendeie. „Was soll ich Dir vorlesen, Matthias?" — fragte sie dann. „Gleichviel. Etwas aus dem Evangelium, aus dem neuen Testament. Was Dir gerade vor die Augen kommt." War es wirklich nur der Zufall, welcher sie auf das Kapitel von der schönen Sünderin führte, welche das Volk steinigen wollte? Ihre klare, sanfte Stimme zitterte, als sie die Worte las: „Wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie." Der Kranke, welcher sie Anfangs fest im Auge be halten hatte, wandte den Kopf und sah vor sich hin. Dann, als das Kapitel zu Ende war, sagte er: „Es ist gut, Madelon. Stell die Lampe weg. Es ist besser, ich lieg im Dunkeln." Vielleicht, damit sie die Thräne nicht sehen könne, welche auf seinen Bart hinabgerollt war? Und dann, als sie Lampe und Bibel in das Wohn zimmer gebracht hatte und sich wieder an sein Bett setzte, streckte er die Hand nach ihr aus, und da sie sie faßte, fühlte sie etwas wie einen leisen Druck. Und sie beugte sich nieder über diese Hand und küßte sie und ein Strom von Thränen quoll aus ihren Augen. „In jenem Augenblicke war der Engel des Friedens wieder tn das Haus des Pächters eingekehrt. Die Nacht brachte wieder einen tiefen und festen Schlaf, und als der Arzt am anderen Morgen erschien, fand er den Kranken bereits so wett gekräftigt, daß er sich tm Bett aufrtchten konnte. „Eine Herkulesnatur habt Ihr, Humann!" — stieß der Doktor tn seiner barschen, kurz abgebrochenen Art hervor. „Eine Herkulesnatur! Wenn das so fortgeht, könnt Ihr tn acht Tagen am Stock spazteren." „Wär so übel nicht, Herr Doktor. Möcht gern einmal sehen, wies auf dem Felde draußen steht. Und dann, man erfährt ja hier gar nichts von dem, was tn der Welt vorgeht. Was giebts Neues, Herr Doktor?" „Nichts Gutes!" brummte der Doktor. „Der Teufel hat seine Hand im Spiele. Die Preußen über schwemmen das ganze Land. Und bei Saarbrücken haben die Unseren auch den Kürzeren gezogen, so hört man." „Hm!" — sagte der Pächter. „Ja, die verstehens, haben ihr Zeug gut beieinander." „Fürcht nur, wenn sie einmal tm Lande sind, gehen sie nimmer heraus." „Kann schon sein." „Wär verflucht, wenn wir deutsch werden müßten." „Meinen's, Herr Doktor? Uns Bauern wtrds nicht vas Herz abfreffen, wenn wir deutsch werden müssen. Sind's halt immer gewesen." „Na, so weit sind wir Gott sei Dank noch nicht. Vor Straßburg und Metz werden sie sich noch die Köpfe an den Festungsmaueru einrennen. Wären auch nicht so wett gekommen, wenn man ihnen nicht Vor schub geleistet hätte." „Weiß nicht, was Sie damit meinen, Herr Doktor." „'s gab Spione genug, die ihnen den Weg gezeigt haben, kni- sxsmxle dieser Oberdank." „Glaubens, Herr Doktor?" „'s ist erwiesen. Man hat Briefschaften bei ihm gesunden, aus dmen's klar hervorgeht. Na, er wird sein Deputat schon kriegen." „Ja, wie meinen Sie das, Herr Doktor?" „Na, bei dem Proceß natürlich." „Bet dem Proceß?" Der Kranke richtete sich hoch auf in seinem Bette, den Oberkörper auf den linken Arm stützend, das Auge auf den Arzt gerichtet, der, Hut und Stock tn der Hand, am Fenster stand und tn den Hofraum htnaussah. „Ja, wo tst denn der Herr Oberdank?" „Wo wird er sein?" — brummte der Arzt, Indem er sich umwandte und zum Gehen anschickte. „Im Gefängniß." In dm Augen des Pächters- malte sich der Aus druck höchster Ueberraschung. „Im Gefängniß?" — stammelte er. „Ja, was wundert Euch denn dabei? Ihr scheint vergessen zu haben, was vor drei Wochen hier Alles passtrt Ist. Morgen sollte der Proceß sein, aber man hat's verschoben wegen der Kriegsunruhen." „Wo tst der Maire?" rief der Pächter aufs Höchste erregt aus. „Wo ist der Maire?" „Unser Maire? Der von Guntershof?" „Ja, Herr Biche! Wo ist Herr Biche?" „Der hat sich aus dem Staube gemacht." „Wann, Herr Doktor, wann?" (Fortsetzung folgt.)