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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 27.07.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-07-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189907272
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18990727
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18990727
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-07
- Tag 1899-07-27
-
Monat
1899-07
-
Jahr
1899
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 27.07.1899
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18S» Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Seite S. — 27. Juli. ^172 anderen Namens als die sozialdemokratische dem sächsischen Straf gericht ebenso anheimfallen würden, wenn sie, wie jene, staatS- gesährliche Ziele anstrebten und thatsächlich die Ordnung störten. So scheint das Erkenntniß deS Berliner Landgerichts einerseits auf einer irrigen Auffassung von der sozialdemokratischen Partei als einer Vertreterin der allgemeinen Arbeitersache, andererseits aus einer Verkennung der eigentlichen Motive der sächsischen UrtheilS- sprüche zu beruhen. — Zwischen dem Königl. Sächsischen Kriegsministerium und dem Kaiser!. Königl. österreichisch-ungarischen Reichs-KriegS- ministerium ist eine Vereinbarung getroffen, nach welcher sich österreichisch-ungarische Wehrpflichtige, die sich zum frei- willigen Eintritt in daS Kaiser!. Königl. Heer und die Kaiser!. Königl. Kriegsmarine melden wollen, auch in Sachsen auf ihre Tauglichkeit und Tüchtigkeit zum Dienst untersuchen lassen können. Diese Untersuchungen finden in Dresden und Leipzig durch die dortigen Garnisonärzte statt. — Der Wohtthätigkett-vereiu Bruderbund veran staltet Sonntag und Montag, 30. und 31. Juli, im Bairischen Garte» ein Sommerfest. Mit dem Feste, das sich stets eines zahlreichen Besuches zu erfreuen hat, ist auch Heuer eine Lotterie verbunden. Die zahlreichen, zum Theil recht werhvollen Gewinne sind während des Festes im kleinen Saale des Bairischen Gartens ausgestellt; die Ziehung erfolgt Dienstag, 1. August, von Nach mittags 2 Uhr an im großen Saale öffentlich und unter Kontrole der städtischen Behörde. Ein Theil der größeren Gewinne ist in dieser Woche in den Schaufenstern einiger Mitglieder des Bruder bundes zur Ansicht ausgestellt. So befindet sich der 1. Gewinn im Schaufenster des ehemals Gietzelt'schen HauseS, Bahnhofstr. 26, der 2. Gewinn bei Herrn Kaufmann Patzig, Erbischestratze, der 3. Gewinn und verschiedene kleinere Gewinne im Schaufenster des Herrn Kaufmann Mehner, Rittergasse, außerdem sind kleinere Gewinngegenstände ausgestellt in den Schaufenstern der Herren Kaufmann Zimmer (Burgstraße) und Hutfabrikant Scheunpflug (Erbischestraße). Die Loose haben einen so lebhaften Absatz ge funden, daß in Kurzem ausverkauft sein wird. — Für Unter haltung der Kinder der Konzertbesucher wird auch diesmal durch Veranstaltung von Jugendspielen Sorge getragen sein. — Bierflaschen nnv Bierfässer bleiben unter allen Um ständen Eigenthum des Besitzers, auch wenn dieselben sich vorüber gehend, wie es der Geschäftsbetrieb mit sich bringt, in anderen Händen befinden. Nur der Inhalt dieser Gefäße ist Berkaufs- gegenstand. Die Gefäße selbst sind unpfändbar; sie können also nicht zur Deckung einer Forderung dienen, die einem Dritten an eine Person zusteht, in deren vorübergehendem Besitz sich die einem Anderen gehörigen Bierflaschen und Fässer befinden. Nimmt Jemand diese Gegenstände in Benutzung, d. h. füllt er sie mit anderem Bier, oder verwendet er sie als herrenloses Gut, macht er sich einer strafbaren Handlung schuldig, die je nach Lage der Sache als Diebstahl oder Unterschlagung geahndet werden kann. Da eine mißbräuchliche Benntzung namentlich von Bier flaschen in der Sommerszeit häufig vorkommt, so haben ver schiedene Polizeibehörden, so auch die hiesige, eine Revision vorgenommen. Auch in Freiberg wurde behördlicherseits fest gestellt, daß eine bedeutende Zahl Bierflaschen in unrechtmäßiger Weise benutzt worden. — Die von Ausländern unter Beobachtung der gesetzlichen Formvorschrift in Sachsen geschloffenen konfessionellen Er ziehungsverträge haben nach einer in neuerer Zeit erschienenen Verordnung des königl. Ministeriums des Kultus und öffentlichen Unterrichts Rechtswirksamkeit und behalten solche, sofern die Vertragschließenden später die sächsische Staatsangehörigkeit er werben. — Die Zahl der öffentlichen Badeanstalten stieg im Königreich Sachsen von 284 im Jahre 1882 auf 612 im Jahre 1895. Dies ist ein höchst erfreuliches Zeichen unserer Zeit. Die Zeiten, wo das Baden, namentlich im Winter, von vielen Kreisen der Bevölkerung als ein überflüssiger LuxuS bezeichnet wurde, liegen noch nicht allzuweit hinter uns. Inzwischen ist ziemlich allgemein die Ueberzeugung von der hohen sanitären Bedeutung regelmäßiger Bäder zur Geltung gelangt. gericht bei den inkriminirten Handlungen nicht den sozialdemo kratischen Ursprung an sich, sondern die angestrebten Umsturzziele und thatsächlich bewirkten Ordnungsstörungen als Gründe der Verurtheilung angeführt hat. Diese Ziele und Störungen liegen allerdings im Wesen der sozialdemokratischen Partei; daher die Nennung der letzteren zur Bezeichnung urtheilten Handlungen. DaS Berliner Lo chwedischen Konservativen, daS Norwegen mit weit mehr Recht als Rußland Ansvrüche an die Bäreninsel erheben könne. Im Auftrag des deutschen Kaisers hat der deutsche Botschafter Fürst Radolin am Sarge des Großfürsten- Thronfolgers von Rußland, Georg, einen prachtvollen Kranz niedergelegt, der auf weißer Atlasschleife die Initialen des Kaisers trägt. Serbien. Die Meldung von einer Einmischung remder Mächte indaS Gerichtsverfahren wegen des gegen Milan verübten Attentates wird serbischerseitS offiziell für unbe gründet erklärt. Desgleichen sei die Nachricht unrichtig, daß der serbische Gesandte in Konstantinopel, Novakovitsch, von seinem Amte zurückgetreten sei. Derselbe kehre nach der Beendigung einer Badekur auf seinen Posten zurück. — Der mit der Unter- uchung der Attentatsangelegenheit beauftragte Unter- uchungsrichter setzte mehrere Personen in Freiheit, von denen ich herausgestellt hatte, daß sie mit der Angelegenheit nicht in Zusammenhang ständen, darunter den Radikalen Sima Djakovitsch und den Schwager Tauschanovitsch's, vr. Vlada Gjeorgjewitsch. Der Belgrader Korrespondent der „Köln. Ztg." meldet über die Behandlung, welche die verhafteten Führer der Radikalen erfuhren, daß ihnen über 50 Stunden Speise und Trank vorenthalten wurden. Die drei früheren Minister mußten vier Nächte auf ungedieltem Fußboden zubringen; be sonders wurde Oberst Nikolitsch gequält, dessen Frau, als sie von der unerhörten Behandlung ihres ManneS erfuhr, schwer krank wurde und vorzeitig Zwillinge gebar und gegenwärtig in Lebens gefahr schwebt. In Folg« der auswärtigen Mahnung werden die Verhafteten nunmehr menschlicher behandelt. Die Ankunst Gruitschs brachte Milan in Verlegenheit. Einstweilen wurde der gegen ihn erlassene Haftbefehl nicht auSgeführt. Bereinigte Staaten, lieber den Fall von Lynch- ustiz in dem kleinen Orte Talulah (Louisiana), der noch zu chweren Komplikationen führen kann, liegen jetzt genaue« Berichte wr. Es wird gemeldet: Ein vr. Hodges, der bekannteste Arzt der Gegend, hatte seit längerer Zeit vergeblich seine JahreS- rechnung von einem dortigen Italiener einzutreiben versucht und war nun zu demselben ins HauS gekommen und hatte gedroht, ihn pfänden zu lassen, falls er nicht mindestens eine Anzahlung auf die geschuldete Summe leiste, vr. Hodges hatte um so mehr Grund zur Klage, als er den Italiener nicht nur von einem chweren Beinbruch kurirt, sondern auch dessen Frau glücklich aus einem schweren Wochenbett gerettet und im Uebrigen 3 Jahre lang der Hausarzt der gesammten Familie gewesen war, ohne auch nur je einen Pfennig für seine Bemühungen, Medizin, Bandagen rc. erhalten , zu haben. Als der Arzt mit Pfändung drohte, gerieth der Italiener in solche Wuth, daß er plötzlich die Flinte von dem Haken riß und dieselbe auf den Doktor abfeuerte, welcher tödtlich verwundet zusammenbrach. Der Vorgang erregte um so größere Entrüstung unter der gesammten Bevölkerung, als es bekannt war, daß vr. Hodges den Mann selbst davor bewahrt hatte, ein Krüppel zu werden und seine Frau thatsächlich vom Tode errettet hatte. Bald bildete sich ein Auslauf vor dem Hause und als die erregte Menge noch von dem Italiener mit der Flinte bedroht wurde, drang sie in dessen Haus, knebelte ihn und schleppte ihn so hinaus vor den Ort. Inzwischen waren eine Anzahl Italiener, von dem Vorgang benachrichtigt, ihrem Landsmann zu Hilse geeilt und eS kam zwischen beiden Parteien zu einem blutigen Zusammenstoß, der mit einer voll ständigen Niederlage der Italiener endete. Aber 4 derselben blieben in den Händen des erbitterten Volkshaufens, der nun auch diese band und mit vor die Stadt schleppte, wo alle fünf an Bäume gebunden und erschossen wurden. Ostasien. Prinz Heinrich hat jetzt seinen Aufenthalt in den japanischen Gewästern beendet, nachdem er Ende Juni zum ersten Mal während seiner Anwesenheit auf der ostasiatischen Station das Jnselreich angesteuert hatte. Ehe die „Deutschland" mit dem Geschwaderches an Bord nach Tsintau zurückkehrt, werden vorerst noch für einige Wochen koreanische Küstenplätze besucht. Die „Deutschland" hatte zu Anfang Juni bereits während der Dauer von 2 Wochen in Chemulpo geankert. Transvaal. Der Hauptgrund der Meinungsver schiedenheiten zwischen dem Präsidenten Krüger und dem Volksraad liegt einer Depesche auS Pretoria zufolge darin, daß General Joubert und die Mehrheit des Volks raads für die Aufhebung des Dynamit-Monopols sind, während Präsident Krüger die Minderheit unterstützt, welche die Dynamit- Gesellschaft auszukaufen wünscht. — Uebrigens wird in Kapstadt die Demission des Präsidenten Krüger nicht als eine endgiltige betrachtet, namentlich im Hinblick auf die vom Volksraad abgegebene Erklärung, daß Präsident Krüger fortdauernd sein volles Ver trauen besitze. Oertliches und Sächsisches. Freiberg, den 26. Juli. — König Albert, der soeben ein Jubiläum als Ritter des OrdenS pour Io mörits beging, besitzt auch seit 14. April 1871 das Großkreuz des bayerischen Max Josephs-Ordens und ist zur Zeit der einzig noch lebende Inhaber dieser höchsten militärischen Auszeichnung. Der Monarch trägt die Ordensdekoration Nr. 1, die vor ihm der Stifter des Ordens, König Maximilian Joseph I., getragen hatte. — Die Königin Carola wird sich Ende Juli nach dem Jagdhanse Rehefeld begeben, um dortselbst ihren Geburtstag in aller Stille zu begehen. Dann wird sich das Königspaar auf einige Zeit nach dem Jagdschlösse Moritzburg begeben. — Durch die Ernennung zum Chef des Ulanenregiments Nr. 18 tritt Prinz Albrecht von Preußen nunmehr auch in engere Beziehungen zur königlich sächsischen Armee. Der Prinz ist bereits königlich preußischer Generalfeldmarschall, Generalinspekteur der 1. Armeeinspektion, Chef des 1. branden burgischen Dragvnerregiments Nr. 2, des Füsilierregiments Prinz Albrecht von Preußen Nr. 73, des Dragonerregiments Prinz Albrecht von Preußen Nr. 1, er ist zweiter Ches des 3. Garde- Landwehrregiments und steht ä. Irr snits des 1. Garde-Dragoner- regiments Königin von Großbritannien und Irland. Er ist daun noch Inhaber des königlich bayerischen 6. Chevauxlegers- regiments, Chef des russischen 42. Mittauischen Dragonerregiments, > die beide seinen Namen tragen, und Oberstinhaber des k. und k. Dragonerregiments Nr. 6. — In der Zeit vom 14. bis 25. August findet bei Großenhain bez. Zeithain eine große Kavallerieübung statt, an der sämmtliche sächsische Kavallerie-Regimenter theilnehmen. — Unter der Ueberschrift „Berliner Richter und das Oberlandcsgericht Dresden" schreibt die „Post": Eine solche schonungslose Kritik eines Gerichtshofes durch einen anderen war bisher in Deutschland ohne Vorgang und ist auch thatsächlich bis zum Vorliegen der schriftlichen Ausfertigung nicht für denkbar gehalten. Wir haben es wahrlich herrlich weit gebracht in der vielgerühmten „Objektivität", die sich darin äußert, die Sozial wrisen wollte, gründlich Fiasko gemacht. Allerdings konnte das Abenteuer,, das der frühere Präsident der Civilkammer des Kasjationshoses unlängst mit Karl, dem Spaßvogel des Quartier lattn, .erlebte, der ihm angebliche Dokumente zur „Entlarvung" deS Kapitäns Dreyfus aus Basel überbringen wollte, nicht gerade verlockend erscheinen. Die Aktenmappe Beaurepaires mag meh re« Dokumente von der gleichen Beweiskraft enthalten. So erfuhr dieser ebenso bösartige, wie leichtgläubige Gönner aller Fälsch»! in der Dreyfusangelegenheit in Rennes eine schmähliche Niederlage. Tragikomisch ist der Bericht, den Beaurepaire selbst in seinem Organe veröffentlicht. Das bezügliche Telegramm lautet: Paris, 25. Juli. Im „Echo de Paris" berichtet Beaure paire-über das Ergebniß seiner Reise nach Rennes. Der Vor sitzende des Kriegsgerichts, der ihn am Sonnabend empfing, wies jedes Verlangen, seine Untersuchungsakten zu prüfen, entschieden mit dem Bemerken zurück, das Urtheil des Kassationshofes habe die Grenzen des Prozesses enger gezogen. Er könne nur zum Gegenstand der Anklage auSsagen, Wenn er hierzu einen Beweis habe, möge er ihn liefern. Die Bitten Beaurepaires waren ver geblich. Er stellte dem Präsidenten insbesondere vor, daß eine AuSsage auf Verrath hindeute, der bereits verjährt sei. Oberst Jonaust empfahl Beaurepaire, sich an den Kriegs Minister zu wenden. Beaurepaire erklärt, «r werde nunmehr seine Unter- suchunge» veröffentlichen. -General Pellieux wurde zum Kommandanten der 44. Brigade in Quimper ernannt. General Dalsuein, Kommandeur einer der dem Militärgouvernement von Paris zugetheilten Genie- brigaden ist an Stelle des General- Pellieux zum Platzkomman dante» von Paris ernannt worden. Esterhazy, der als Zeuge nach RenneS geladen ist, wird für dre ganze Dauer des Prozesses sicheres Geleit erhalten. Am 7. August werden, wie nunmehr amtlich auS Paris gemeldet worden ist, die Verhandlungen deS Kriegs gerichts in RenneS beginnen. Schon jetzt ist, so schreibt ein Pariser Berichterstatter, der sich zu dem Prozeß nach RenneS begeben wird, deutlich zu erkennen, daß die Sache so ungünstig wie möglich veranstaltet wurde. Die Verhandlungen werden glücklich auf der vollen Höhe der heißen Jahreszeit stattfinden und ihr Schauplatz wird ein Saal sein, wo ein Mann vom Militärmaß mit den Fingerspitzen der hoch erhobenen Hände die Decke berühren kann. In diesem niedrigen Raum werden 450 Personen Platz finden, darunter 190 Zeitungsvertreter. Fenster giebt eS nur sehr wenige und auch diese sind klein. Man sieht «in, daß die Zuschauer in diesem Pferch werden ersticken müssen, und hat einige Oeffnungen in die Decke geschlagen und darüber Windfänge gesetzt. Aber diese künstliche Lüftung wird schwerlich genügen und diejenigen, die ihr Beruf zwingt, während der ganzen Dauer der Verhandlungen in dieser Schmorpfanne zu bleiben, machen sich auf qualvolle Tage oder Wochen gefaßt. Denn Niemand glaubt, daß die Verhandlungen weniger als 14 Tage erfordern werden, und in der Umgebung der Vertheidiger nimmt man an, sie würden drei Wochen in Anspruch nehmen, selbst wem» di« Zahl der vorgeladenen Zeugen nicht 155 betragen sollte, wi« in den Blättern behauptet wird. Di« guten Leute von R«im«L machen sich den unerwarteten Glanz der aus ihre Stadt fällt, mit amerikanischer Schneidigkeit zu nutze. Sie erwarten «p«n gewaltigen Fremdenandrang und täuschen sich hierin wahr scheinlich nicht. Alles in dieser Welt ist relativ, und wenn in einer Stadt wie RenneS YOO Ortsfremde gleichzeitig menschen würdige Unterkunft suchen, so ist die Wirkung dieselbe, wie t»«m Paris plötzlich von 100000 Fremden überfluthet werden würde. In den Gasthöfen, die sich selbst als solche ersten RangeS bezeichnen, ist kein Dachkämmerchen, ja keine Billard tafel mehr frei. Alle verfügbaren Räume sind für die Ver- Landlungszeit durch feste Bestellung belegt. Der gewöhnliche Pensionspreis in diesen Häusern beträgt 7 bis 9 Fr. täglich. Die Besteller von Stuben haben bis vor 14 Tagen 30 bis 35, »ergangene Woche sür die Reste, die noch zu haben waren, 40 biS SO Fr. täglich anlegen müssen. In den Häusern zweiten Ranges, die freilich von denen ersten Ranges mit unbewaffnetem Auge nicht zu unterscheiden sind, kann man noch ankommen. Lange Wird daS indeß auch nicht dauern. Gegenwärtig fordern die Wirthe 20 Fr. täglich, in welchen Preis jedoch das erste Frühstück und daS Tischgetränk nicht einbegriffen sind. Auf die Vermiethung von Stuben ohne Pension lassen sie sich nicht ein. Man muß 20 Fr. bezahlen, dann steht es dem Miether frei, ob er im Hause di« Mahlzeiten einnehmen will oder nicht. Die Fuhrwerks- vermiether, deren die Stadt zwei oder drei zählt, haben sich aus Paris eine Anzahl Droschken leihweise verschrieben, da die zehn eigenen Rumpelkasten während der großen Zeit der Nachfrage voraussichtlich nicht entfernt genügen werden. Das Postministerium schickt 30 Telegraphisten, ausgewählte, erfahrene Beamte, nach RenneS, um die erwarteten Hunderttausende von Worten täglicher Preßdrahtungen zu bewältigen. Dennoch denken wir nicht ohne Bangen an die Schwierigkeiten, mit denen wir in der kleinen Provinzstadt zu kämpfen haben werden, da wir die Erfahrung haben, daß der Dienst des Staatstelegraphen selbst in Paris bei starkem Andrang in der Regel völlig versagt. Die Pariser Presse verläßt sich auf den Telegraphen nicht und gedenkt ihre ganze Berichterstattung dem Fernsprecher anzuvertrauen. Aber auch dieser Wird wohl den Ansprüchen von mindestens dreißig Bericht erstatter», die ihn alle ungefähr gleichzeitig werden benützen wollen und ihn mindestens je eine Stunde lang nöthig haben werden, auch nicht leicht genügen können. Es ist in jeder Hin sicht bedauerlich, daß ein Ereigniß, das von beiden Welten mit Spannung erwartet wird, in einem Krähwinkel ohne eigene Hilfs mittel vor sich gehen muß. Schwede« ««d Norwegen. Einer Drahtung aus Christiania zufolge hat die Regierung jetzt beschlossen, das Gesetz betreffend Einführung der reinen norwegischen Flagge für die Konsulate zu veröffentlichen und dies durch den schwedisch norwegischen Minister des Aeußeren den sremden Mächten noti- fiziren zu lassen. Die Bäreninsel ist auf einmal sehr umworben. Die „Nowoje Wremja" behauptet, Rtttzland habe die meisten An rechte an Spitzbergen und die Bäreninsel, der russische Kaiser führe den Titel „Herr aller nördlichen Länder" und die Bären insel werde auf alten Karten als ein Theil des spitzbergischcn Archipels aufgesührt. Jetzt werde seine Neutralität sowohl durch das Auftreten der Norweger, die dort ein Hotel errichtet und einen Postvcrkehr mit Spitzbergen eingeführt hätten, wie durch die Deutschen bedroht. Diejenige Macht, die Vorrechte an einer neutralen Zone habe, könnte verlangen, daß alle Gebäude und Anlagen dort entfernt würden. Bemerkenswerther als diese Nordlandstheorie der „Nowoje Wremja" ist, daß das russische Kriegsschiff „Smetlana" nach der Bäreninsel gefahren ist, um dort nachzuspüren. Aber kaum erhebt sich Rußland, um ein bisher herrenloses Land als sein Eigenthum zu erklären, so trhebt sich auch schon Schweden, um dasselbe zu thun. So betont jetzt „Nya dagligt Allehanda", das leitende Organ der g der Tendenz d«r ver- Berliner Landgericht übersieht aber, daß zur Begründung seines UrtheilS noch ein Zweites elfforderlich gewesen wäre, nämlich der Beweis, daß nicht auch Parteien demokraten recht behutsam mit Glacehandschuhen anzufafsen. Zu diesem hohen Zwecke scheut ein preußischer Gerichtshof sich nicht, den Richtern deS höchsten sächsischen Gerichts klipp und klar vor- zuwerfen, sie hätten nicht vermocht, bei ihren Rechtssprüchen auS dem Banne politischer Vorurtheile sich zu erheben, unbewußt hätten sie auf Kosten höchster richterlicher Objektivität und Un befangenheit sich in ihren Rechtssprüchen von ihrer politischen Ueberzeugung beeinflussen lassen. Ein so schwerwiegender Bor wurf würde nur durch die zwingendste Veranlassung sich recht fettigen lassen, aber nicht bei einer so streitigen Sachlage. Daß die Handlungen der Sozialdemokratie, die sich selbst auf einen Standpunkt stellt, der außerhalb der bürgerlichen Gemeinschaft liegt, anders zu beuttheilen sind, wie die der bürgerlichen Parteien, ist schon eine einfache Konsequenz deS alten RechtSsatzeS: 81 äno kaeiunt iävm, nou ost iäom. Daß die Berliner Richter mehr den Sozialdemokraten in ihrem Urtheile gerecht zu werden suche», als ihren Kollegen, zeigt nicht nur die äußerst milde Auslegung der groben Invektive des „Vorwärts" gegen den sächsischen Gerichtshof, sondern auch die völlige Freisprechung trotz d«S Zu gebens, daß der Artikel die sächsischen Richter „in der öffentlichen Meinung bis zu einem gewissen Grade herab zuwürdigen" geeignet sei. Jedenfalls steht so viel fest: »ichtS beweist schlagender die dringende Nothwendigkeit eine- neuen Aus nahmegesetzes gegen die staatzerstörende Sozialdemokratie als dieser bedauerliche und für das Ansehen der Rechtspflege beklagenSwetthe Vorfall. — In derselben Angelegenheit schreibt die „Schles. Ztg.": WaS bei diesem Urtheil (des Berliner Landgerichts) zunächst auffällt, ist der Umstand, daß das Berliner Landgericht sich die Jdentifizirung von „Arbeiterpattei" und „sozialdemokratischer Pattei", welche der „Vorwärts" auS bekannten agitatorischen Zwecken vornimmt, ohne Weiteres aneignet. GS ist dies ein Jrtthum im Thatbestand, welcher von Umsturzgenossen geflissent lich verbreitet wird, gerade deshalb aber keine Bekräftigung durch ein richterliches Erkenntniß hätte finden sollen. DaS Berliner Landgericht schafft, indem es die Arbeitersache mit der RevolutionS- pattei alS solidarisch annimmt, einen Präzedenzfall, der zur schlimmsten Begriffsverwirrung führen kann und eine bedenkliche Tragwette hat. Die Gedankenrichtung, welche sich in diesem staatsgefährlichen tzuixroquo zeigt, führt dann zu einer Kritik der sächsischen Urtheile, welche wiederum auf einer Verschiebung der Begriffe beruht: daS Berliner Landgericht übersieht, daß das Dresdner Oberlandes
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