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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 01.07.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-07-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189907011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18990701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18990701
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-07
- Tag 1899-07-01
-
Monat
1899-07
-
Jahr
1899
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 01.07.1899
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HS 15» Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Sette 2. — 1 Jun. drri Individuen überfallen, verwundet und verschiedener WerthgegenstLnde beraubt worden. Der Vorfall wurde seinerzeit dem deutschrn Botschafter in Madrid gemeldet und von diesem bei der spanischen Regierung zur Sprache gebracht, die die Zu sicherung ertheilte, daß die verbrecherische That ihre Sühne finden »erde. Dies ist nunmehr geschehen, indem die schuldig befun- denen Räuber zu je zwölf Jahren und einem Tage zeitlicher Kettenstrafe verurtheilt worden sind. Der Prozeß wurde mit Umsicht und Energie geführt, und daS Urtheil hat hier allseitige Befriedigung hervorgerufen. Die Größe der 31 JnvaliditätS- und AlterSver- ficherungSanstalte«, die, sobald der neue Jnvaliden- versicheruugSentwurf Gesetz geworden sein wird, an manche Umgestaltung werden Herangehen müssen, ist sehr verschieden. Die Zahl der von ihnen umfaßten versicherungspflichtigeu Per sonen schwankt zwischen rund 1 Million und rund 60 000. Die größte Anstalt ist die der Provinz Schlesien, sie umfaßt 1041258 verficherungspflichtige Personen; ihr folgen die Rheinprovinz mit rund 1 Million, Königreich Sachsen mit rund 950000, Brandenburg mit 640000, Sachsen-Anhalt mit 630000, Hannover mit 500000, Westfalen mit 470000, Berlin mit 450000, Ost preußen mit 410000. Di« kleinste Anstalt ist die von Oldenburg mit 58808 Versicherungspflichtigen Personen; nach ihr kommen mit 107000 Braunschweig, dann sämmtliche bayerische Anstalten mit je einer Versicherungszahl zwischen 100000 und 200000 ; Mecklenburg umfaßt 179000, die Hansastädte 244000, Schleswig- Holstein 292000, Westpreußen mit 300000, die übrigen An- statte« je zwischen 300000 und 400000 Versicherungspflichtige Personen. Die jährlichen Einnahmen auS den Beiträgen sind Demgemäß gleichfalls außerordentlich verschieden, jedoch entsprechend Her Einteilung in die verschiedenen Lohnklassen in ihrer Höhe nicht mit der Abstufung der Bersichertenzahlen in Ueberein stimmung. Hier steht die Rheinprovinz mit 11,9 Mill. Mark obunau, eS folgen Königreich Sachsen mit 11,3 Millionen, Schlesien mit 9,1 Millionen, Sachsen-Anhalt mit 6, Berlin mit 5,9, Brandenburg mit 5,8, Westfalen mit 5,5, Hannover mit 5, Buden und Hansastädte mit je 3,8, Württemberg mit 3,7, Hessen-Nassau mit 3,6, Elsaß-Lothringen mit 3,2, Ostpreußen, Schleswig-Holstein, Pommern und Thüringen mit je 2,8, Posen und Oberbayern mit je 2,5, Westpreußen und Großherzogthum Hessen mit je 2,1, Mittelfranken mit 1,7, Mecklenburg mit 1,5, Schwaben und Neuburg, sowie Braunschweig mit je 1,1, Ober franken und Niederbayern mit je 833000, Oberpfalz und Regens burg mit 575000 und Oldenburg mit rund 500000 Mark. Die höHte jährliche Einnahme übersteigt demgemäß die niedrigste um etwa daS 24fache. Folgende bange Frage richtet der „Vorwärts" an die Nationalliberalen: „Wie wird sich die Fraktion stellen, «wenn sie voll versammelt ist? Werden die Bassermann und Heyl, trotz der mannigfaltigen Angriffe aus den eigenen Reihen fest bleiben? Wird es ihnen gelingen, auf die Dauer eine ZraktionSmehrheit für ihre Anschauungen zu erhalten?" In Folge Genusses verdorbener Wurst sind beim 1. Bataillon deS 78. Regiments in Osnabrück gegen neunzig Mann erkrankt. Veßtarreich. Der Sonnwendfeier, die am Mittwoch Abend 6000 Person«», also ein volles Fünftel der Bewohner Innsbrucks, 'auf dem AuSstellungSplatz vereinigte und sich zum großen Aerger der Klerikalen Tirols zu einer imposanten Kundgebung der deutschen freiheitlich gesinnten Bevölkerung gestaltete, folgten Sonntag Abend die Sonnwendfeuer. Die klerikale Gesellschaft hatte alles Mögliche gethan, die Veranstaltung der Feuer, dieser Symbole deS sich kräftig regende« deutschen Geistes zu vereiteln, und auch Hatsächlich erreicht, daß vier gerade zu den bekanntesten Sommer frischen der Umgebung zählende Gemeinden, nämlich Patsch, JglS, Laus und SistranS, daS Anzünden der Sonnwendfeuer auf ihre« Gebieten verboten. Doch daS that der Feier keinen Eintrag. Mit Einbruch der Dämmerung wurde von der 2600 Meter hohen, die Stadt beherrschenden Brandjochspitze (in der Solsteinkette), wohin Mitglieder deS akademischen Alpenklnbs schon Tage hin durch unter großen Anstrengungen bedeutende Mengen von Brennmaterial getragen hatten, das Feuerzeichen gegeben: Eine Rakete stieg aus und mächtige Flammen schlugen zum Himmel empor. Und nun begann es auf den höchsten Spitzen in der Runde und auf den obersten Gehängen überall aufzuflammen. Man konnte weit über hundert solcher Höhenseuer sehen. Die Rordkette von der MartinSwand bis hinab zur Bettelwursspitze bei Hall glich dem sternenbesäeten Nachthimmel. Es war ein herrlicher Anblick. Ein reizendes Bild boten die dunklen, vom Himmel sich rein abhebenden Kammsilhouetten, auf deren Spitzen und Zacken wie auf Riesenopferaltären große weiße und rothe Feuer loderten. Auch auf den niederen Hügeln bei Hötting, bei Ambras, auf dem Berg Isel, dem Lanser Kopf, dem PlumeSköpfel ». s. w. waren Feuer angezündet. Bei der hochgelegenen Villa deS K. u. K. Feldzeugmeisters i.P. Reicher wurde ein Feuerwerk abgebrannt; viele Villen in Jgls und anderen Dörfern des Mittelgebirgs hatten illuminirt — das war die treffende Antwort auf die Hetzereien und Agitationen der Klerikalen. Es hieß, daß von dieser Seite die Bauern gegen die Feurer mobilisirt werden sollten; sie scheinen sich aber für ein solches Ansinnen doch be dankt 'zu haben. Bisher hat man weder von Zusammenstößen noch auch von Unglückssällen, die sich beim Aufstieg durch manche Felsenwildenei aus die theilweise äußerst schwierigen Spitzen oder beim Abstieg hätten leicht ereignen können, etwas gehört. Aller dings ist es ein sehr geschultes Hochalpinistencorps, das die schwierigsten Punkte übernommen hatte. DaS galizische Panamino hat jüngst im Lemberger Gemeinde- rath zu recht erbaulichen Szenen geführt. Gelegentlich der Wahlprüfungen stellte plötzlich der Reichsrathsabgeordnete Hof rath vr. Pientak den Antrag, man möge vom Landesgerichte Aufschluß verlangen, das die Untersuchung gegen den ebenfalls zum Gemeinderathe von Lemberg gewählten vr. v. Marchwiecki geführt habe, der, obgleich er Mitglied des österreichischen Herren hauses ist, dennoch an der Affaire der galizischen Kreditbank und an dem Selbstmord deS Direktors dieser Bank, vr. Krzizanowski, mitschuldig sei. Ehe das Ergebniß dieser Untersuchung nicht klar zu Tage liege, könne die Wahl des vr. Marchwiecki nicht als giltig anerkannt werden. Der Letztere erwiderte hierauf, Alles was Hofrath Pientak vorgebracht habe, sei Verleumdung. Seine Hände (die Marchwieckis) seien rein von fremdem Gelbe, was man von Hofrath Pientaks Händen nicht behaupten könne, vr. Pientak sei ein „niederträchtiger Schuft." Nach dieser nied lichen Szene entfernte sich Marchwiecki. — Wessen Hände sind nu» rein? Jene Pientaks oder jene Marchwieckis? Oder hat .keiner von Beiden reine Hände? Bei KrapnlinSki unv Wasch lappski kann man das nie genau wissen. Um hierüber Klarheit zu schaffen, hat nun Hofrath Pientak die gegen Marchwiecki er hobenen Einwände einem neungliedrigen Ehrenrathe des Professorenkollegiums in Lemberg unterbreitet. Dieser Prosessorcn- ehrenrath hat nun Pientaks Vorgehen vollkommen gebilligt. Ter famose galizische „Pair" vr. v. Marchwiecki hat nun Hofrath Pientak und den Redakteur deS Lemberger Statthalterblattes vr. Vogel fordern lassen. Ein Zweikampf hat indessen noch nicht stattgefunden. Belgien. Die ausständigen Bergarbeiter in Monceau-leS- Mines haben beschlossen, die Arbeit wieder aufzunehmen. Der Streik hat 25 Tage gedauert. ' Niederlande. Nach den Mittheilungen der Londoner „Daily NewS", welche als einziges Blatt darüber ausführlich zu berichten scheint, hat auf der Friedenskonferenz im Haag, und zwar in der Kommission für den russischen Entwaffnungs vorschlag, der deutsche Delegirte Oberst Schwarzhoff eine Rede gegen den Vorschlag gehalten. Die Rede habe eine halbe Stunde gedauert und einen starken Eindruck gemacht. Er habe mit überwältigender Offenheit gesprochen, seine Rede werde für bewundernswerth gehalten. Der Oberst führte aus, daß eine Herabsetzung deS Friedensbestandes gar nicht mit einer ent sprechenden Herabsetzung der Wehrkraft eins sei; der Friedens stand könne bleiben und die Wehrkraft eines Landes könne doch wachsen. Die Länge der militärischen Dienstzeit, der Dienst durch einen Ersatzmann, die Eisenbahnen, die Schnelligkeit der Mobil machung und die ökonomischen Bedingungen — daS Alles seien Faktoren, welche die militärische Stärke eine- Landes ausmachen. Wenn man nur einen Theil deS Problems herausgreife und be haupte, daß durch Herabsetzung deS Friedensbestandes allein die Wehrkraft jedes Landes allgemein und in gleicher Weise ver mindert werde, so könne das einem Laien wohl plausibel erscheinen, dem militärischen Sachverständigen aber erscheine das als eine so offenbare Absurdität, daß er sich wundern müsse, wie man einen solchen Vorschlag überhaupt im Ernste habe Vorbringen können. Die Russen bezeichnete» Sibirien als eine Kolonie, aber im Falle eines europäischen Krieges werde Rußland jedes sibirische Regiment mit der Eisenbahn nach Europa bringen. Schwarzhoffs Aus spruch, Deutschland sei nicht ruinirt, im Gegentheil, sein Reich thum, seine Zufriedenheit und seine Lebenshaltung wüchsen täglich, hätten einen gewaltigen Eindruck gemacht. Diese Rede sei die größte Sensation der bisherigen Konferenz gewesen. „Was werden nun die armen Russen sagen?" habe sich Jeder gedacht, nachdem Schwarzhoff gesprochen hatte. Die Antwort deS russischen Obersten GilinSki auf Schwarzhoffs Rede sei sehr matt gewesen. — Man muß abwarten, ob die „Daily News" die Rede richtig wiedergegeben hat und ob auch der Auszug ohne gehässige Neben absicht angefertigt ist. Wie es heißt, wurden am Schluß die Anträge den beiden Unterkommissionen überwiesen; diese ernannten zwei Prüfungsausschüsse. Auch die „Köln.Ztg." bringt die kurze Mittheilung, daß die Rede des Obersten v. Groß gen. v. Schwarz hoff einen überwältigenden Eindruck gemacht habe; lautlose Stille habe geherrscht, als er geendet, und die Versammlung wäre auch zu sofortiger Abstimmung bereit gewesen, wenn nicht Staal durch ein geschicktes Manöver Beernaert zur Ernennung einer Kom mission veranlaßt hätte. Die Abrüstungsfrage dürfe als begraben betrachtet werden. Frankreich. Nach der Kriminalkammer und den vereinigten drei Kammern des Höchsten Gerichts kommt nun das Kriegs gericht in Rennes an die Reihe, von der Gcneralstabspartci der Voreingenommenheit für Hauptmann Dreyfus verdächtigt zu werden. Zunächst richtet sich der Angriff gegen den zum Vor sitzenden deS Kriegsgerichts ernannten Genieoberst Jonaust, den, das Organ des biederen QueSnay de Beaurepaire, der „Eclair", vorwirft, sich über mehrere von dem Kassationshofe vernommene militärische Belastungszeugen abfällig ausgesprochen zu haben; auS den Aeußerungen des Obersten gehe hervor, daß er in der Dreyfus-Angelegenheit eine vorgefaßte Meinung habe. Vielleicht bekommt daS Publikum deS „Eclair" in den nächsten Tagen zu lesen, Jouaust und die übrigen Kriegs richter seien von dem sagenhaften Dreyfussyndikat für einige Millionen — billiger thun es die nationalistischen An geber erfahrungsgemäß nicht — gekauft worden, vielleicht auch, daß sie Juden seien; ist doch auch General Gallisct neulich von einem Nationalistenblatt im Handumdrehen zu einem „Judenstämmling" gemacht worden. Inzwischen dürfte Haupt mann Dreyfus wohl schon den französischen Vaterlandsboden wieder betreten haben. Wohl haben die über die ganze französische Küste vertheilten Späher der Pariser Presse seine Landung noch nicht gemeldet, allein die vorgestern erfolgte Ankunft der Frau Dreyfus in Rennes läßt vermuthen, daß der Gefangene sich in diesem Augenblick bereits in Frankreich befindet und wohl noch heute inS Renner Untersuchungsgefängniß cingeliefert werde» wird. Noch bevor der zweite Prozeß Dreyfus beginnt, dürste die Angelegenheit Picquart endgiltig erledigt werden. Dem „Journ." zufolge wird der Staatsrath dem Einsprüche, den Picquart gegen die Entscheidung des Disziplinargerichts erhoben hat, demnächst Folge geben. Der Kriegsminister Gallifet warte nur die Entscheidung des Staatsrathes ab, um Picquart wieder in den aktiven Militärdienst einzustellen. Wie erinnerlich, ist General Gallifet wiederholt in öffentlichen Kundgebungen für Picquart eingetreten, den er als daS Muster eines loyalen, charaktervollen Soldaten gekennzeichnet hat.tzß Ein Mitarbeiter des „Matin", der auf einer kleinen Barke in der Nähe von Saint Servan die Ankunft des „Sfax" ab wartet, stieg mit dem Inhaber des Schiffes an Bord des ameri kanischen Dampfers „Gonfalonia", der vor 28 Tagen mit einer Ladung von Fellen und wilden Thieren Rio de Janeiro ver lassen hatte und an der afrikanischen Küste noch sechs lebende Löwen an Bord nahm. Der amerikanische Dampfer begegnete dem „Sfax" Sonntag, den 19. dss., 20 Meilen vor dem Kap Bert, und die Offiziere des ersteren gönnten sich das Vergnügen, das französische Kriegsschiff genau zu beobachten, was dem Kommandanten Coffinieres recht unangenehm zu sein schien. Der Kreuzer fuhr überaus langsam, höchstens 3 bis 4 Knoten per Stunde. Ein französischer Offizier rief dem amerikanischen Kapitän sogar zu, sich schleunigst zu drücken. — Dreyfus war auf dem Vordertheile und ging in einer braunen Joppe, ohne Aufschläge und ohne Knöpfe, ecke Barettmütze auf dem Kopfe, aus und ab. Er sah sehr leidend aus. Zwei Matrosen überwachten ihn. Der arme Teufel, erzählt Master Harry Brebion, schien schwer krank. Er hielt sich mit beiden Händen an dem Tauwerk, gebrochen, gebeugt, ganz ergraut. Ich habe ihn mit meinem Fernrohr genau gesehen. Er sieht wie ein Mann von 60 Jahren aus, Ihr Dreyfus. Es that einem weh, ihn zu sehen. Der arme Teufel, ist der gebrochen! — Die wilden Bestien begannen zu brüllen, und der bretonische Schiffspatron, ein wüthender Antlrevisionist, meinte, man sollte ihnen Dreyfus in den Rachen schleudern, worauf der amerikanische Seemann ruhig erwiderte: „Meine Löwen und Tiger sind nicht immer so wild, wie die Menschen." Das neue französische Ministeriums findet in der russischen > Presse eine wenig freundliche Aufnahme. Die „Now. Wremja" äußert sich besonders unzufrieden und meint, der Boden für eine ersprießliche Thätigkeit des Kabinetts sei wenig vorbereitet. Das > Blatt prognosticirt der neuen Regierung in Frankreich nur eine kurzfristige Existenz, ein paar Monate bis nach Erledigung der DreyfuS-Affaire, wo der Zusammenschluß der Parteien aufhören und das frühere Regime der Zwietracht und der Beleidigungen wieder seinen alten Gang gehen werde. Aehnlich urtheilcn andere bedeutende Blätter. Man ist eben in Rußland zur Ueberzeugung gekommen, daß Frankreich als Staat keinen festen Boden mehr unter sich hat, und ist von der Alliance-Schwärmerei längst zurückgekommen. Das Kabinett beabsichtigt, einen Gesetzentwurf zum Schutze des Präsidenten der Republik gegen Preßaugriffe einzubringen. In der That herrscht in einem Theil der Pariser Presse dem obersten Beamten der Republik gegenüber ein Ton, der den Niedergang der Nation besser illustrirt, als die Aus schreitungen, deren Schauplatz die Deputirtenkammer ist. Die Gründe des Urtheils, durch welches in Nizza über den italienischen General Giletta fünf Jahre Gc- fängniß und 5000 Franken Geldstrafe verhängt wurden, lauteten: In Hinsicht daranf, daß aus den Verhandlungen hervorgeht, daß General Giletta in einem kleinen Hotel der Rue St. Michel ab stieg und seine Korrespondenz an ein anderes Hotel, Scofficr, richten ließ und sich in beiden einen falschen Namen beilegte; daß er ferner im Jahre 1896 dreimal unter dem Namen Desanges im Hotel du Sud logirte und zahlreiche Ausflüge in das Departement unternahm; daß er am 7. Juni d. I. nach Cians aufbrach, von dort nach Touet-de-Beuil ging, verschiedene strategische Punkte besuchte und sich dann nach Lacroix begab; mit Berücksichtigung der Aussagen der Kutscher, denen zufolge er zahlreiche Notizen aufnahm, von denen der General behauptet, er habe sie nur für einen Ausflug gebraucht, was aber durch sein Notizbuch widerlegt wird, in dem sich Mittheilungen über die Art der Wege und Bemerkungen finden wie: leicht zu zerstören, daß ferner Generalstabsoffiziere in diesem Notizbuche wichtige Erwähnungen in miiitärischer Hinsicht gefunden haben, daß kein wesentlicher Punkt für die Vertheidigung ausgelassen ist; daß an verschiedenen Punkten, besonders in Giandola, diese Machen schaften weniger als zehn Kilometer von einem befestigten Punkte entfernt verübt wurden: auS diesen Gründen wendet das Gericht die Artikel 5 und 6 deS Gesetzes von 1886 auf den vorliegenden Fall an und verurtheilt den General Giletta mit Berücksichtigung einer hohen Stellung in der italienischen Armee, des Miß- 'rauches, den er mit den Gelegenheiten getrieben, die sich ihm in einer Eigenschaft als Grundbesitzer in dem Departement boten, and seiner eigenen Erklärung, daß er im Jahre 1889 im Auf trage seiner Regierung gehandelt hatte und aus Mangel an Be weisen wieder auf freien Fuße gesetzt worden war, zu 5 Jahren Gefängniß und 5000 Fr. Buße. Die Kaiserin Alexandra von Ruhland hat, wie gemeldet worden ist, ihren Gemahl wiederum mit einer Tochter, der dritten, beschenkt, die nach der Gemahlin Alexanders III. den Tauf namen Maria erhalten hat. In ganz Rußland und am meisten im' Zarenhause selbst, die seit vier Jahren aus die Geburt eines männlichen Thronerben, des Zarewitsch, in ungeduldiger Spannung warten, wird die dritte Tochter des Kaisers mit nicht zu ver hehlender Enttäuschung begrüßt; bildete doch seit vielen Monaten auf den Straßen von Petersburg, in der Gesellschaft der oberen Zehntausend wie in der ärmsten Hütte das bereits für den Mm erwartete Ereigniß der Entbindung der Kaiserin den am häufigsten lerührten Gegenstand der Erörterungen. Die Kaiserin hat ohne hin als Deutsche und wegen der großen von ihr beobachteten Zurückhaltung keine Popularität erlangt, ebensowenig wie ihre Vorgängerinnen aus dem Throne, die dänische Prinzessin und die beiden auS Hessen-Darmstadt und Preußen stammenden Kaiserinnen. Um so mehr ist zu bedauern, daß sie dem Reich den Thronerben noch nicht geschenkt hat; hätte sie ihn geboren, ihre Stellung im Lande wäre gesicherter, angesehener, ihr Ein fluß aus den sich auch immer mehr von der Oeffcntlichlcit fcrn- Menden Gemahl größer und dementsprechend der Einfluß der aiserlichen Schwiegermutter geringer als er thatjächlich ist. Töchterreiche Kaiser hat Rußland mehr als einen gehabt, der Kaiser Paul und Nikolaus 1. haben neben ihnen so viel Söhne gehabt, daß die Vererbung des Thrones auf einen männlichen Sprossen immer gesichert war. Im abergläubischen russischen Volk ist die Prophezeiung einer Wahrsagerin in der Krim weit verbreitet, die der Kaiserin Maria Feodorowna vor Jahren gc- weissagt haben soll, ihre drei Söhne würden den Kaifcrthron vc- stcigcn. Bekanntlich ist der gegenwärtige Thronfolger, der Groß fürst Georg, schwindsüchtig in so hohem Grade, daß selbst die früher unternommenen Reisen an die Riviera ansgegcben werden mußten, der Kaiser selbst aber von schwächlicher Konstitution. Der jüngste Bruder des Kaisers, Großfürst Michael, ist 20 Jahre alt. Sozialdemokratische Jugend -Schriften. Auf dem Parteitage der deutschen Sozialdemokratie zu Erfurt im Jahre 1891 wurde der Beschluß gefaßt, „den besähiglcnjMn- glicdern der Partei es zur Pflicht zu machen, ihr Augenmerk mehr als bisher daraus zu richten, daß eine Jugend-Literatur zu Stande kommt, welche in unterhaltender Weise, dem Wese» der Kindheit entsprechend, den Geist und das Fühlen der Jugend zu Gunsten des Sozialismus weckt und bildet." Es sind nun daruushin zahlreiche sozialdemokratische Bilder-Bücher und Jugend- Schriften erschienen. Der bekannte pädagogische Schriftsteller Wilh. Meyer-Markau in Duisburg hat sie neulich in einem Vor trag gewürdigt. An seiner Hand wollen wir einzelne Proben der sozialdemokratischen Erziehungs-Literatur kurz beleuchten. Schon äußerlich kennzeichnet sich das „Märchenbuch für die Kinder des Proletariats" durch den rotheu Deckel, aus dem eine zerbrochene Krone dargestcllt ist, als sozialdemokratisches Machwerk. Fast jedes der „Märchen" ist auf die sozialdemokratische Lehre zugespitzt. DaS Ganze speit Gist und Geiser gegen die heutige Gesellschafts-Ordnung. Die Bienen-Königin belehrt z. B. das beflügelte Arbeilervolk: „Beim Menschenvolke hält man Den in Ehren, Der gar nichts thut, doch reich und vornehm ist, Er, der da müßig schwelgt im Ueberfluß, Jndeß die Armen sich erbärmlich p lagen; Ihm geht das Jahr dahin in lauter Feiertagen, Jndeß der Mann der Arbeit darben muß." Denselben Geist athmet das „Buch der Jugend". An dem selben haben zwei Weber, ein Schneider, ein Glasschleiser und eine Spinnerin mit gearbeitet. Der Glasschleifer Grundmann treibt die Tendenz-Schreiberei ans die äußerst erreichbare Spitze. Er schildert zwei Brüder in einer Doppel-Erzählung, deren erste „InS Ange" betitelt ist. Beim Wilhelm Tell-Spiel schießt der e^ne Bruder dem andern ein Auge aus. Der Tellschüße wird Soldat, kümmert sich um Eltern und Bruder nicht mehr, wird der bestgehaßte Unteroffizier und geht als Gendarm ab. Der halbgel-leudctc Bruder ist Fabrik-Arbeiter geworden. Da bricht ein Streik aus, und der Gendarm erschießt seinen Bruder, wie er später erfährt. Daron wird nun die Nutzanwendung geknüpft:
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