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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 19.07.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-07-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189907191
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18990719
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18990719
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-07
- Tag 1899-07-19
-
Monat
1899-07
-
Jahr
1899
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 19.07.1899
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189» Yreiberger Anzeiger und Lageblatt. Gelte S. — 1-. Juli KokeSlieferung von den Syndikaten unabhängig zu machen, je Nach der Art ihres Betriebes Kohlenbergwerke oder KokeSwerke erworben und sich dadurch freie Hand in ihrer Produktion ge sichert. Der Umstand, daß die Werke in der jetzigen glänzenden Zeit mehrfach ihren Betrieb einschränken mußten, weil ihnen das Heizmaterial fehlte, erklärt das Streben, sich in dieser Hinsicht .auf eigene Füße zu stellen, zur Genüge. Wenn in früherer Zeit schlechter Geschäftsgang manchmal dazu geführt hat, zur Ver ringerung der Generalunkosten verschiedene Betriebszweige in einer Hand zu vereinigen, so ist diesmal der gute Geschäftsgang die Ursache für die weitere Ausdehnung der großen Betriebe ge worden. Ob diese Verschmelzung verschiedener Betriebe zu ein heitlich geleiteten Riesenwerken weitere Fortschritte macht, wird man avwarten müssen. Jedenfalls stehen wir hier einer be- achtenswerthen wtrthschaftSpolitischen Erscheinung gegenüber. politisch« Umschau. Freiberg, den 18. Juli. von der NordlandSfahrt des deutschen Kaisers wird ge meldet: Der Kaiser unternahm mit dem gejammten Gefolge am Sonnabend einen AuSflug nach dem RomSdal und kehrte spät abends nach Mold« zurück. Dort fand Sonntag an Bord der „Hohenzollern" Gottesdienst statt. Der Kaiser bleibt auch Mon- dig noch in Molde. ES werden Spaziergänge am Ufer unter nommen, und der Kaiser nimmt Vorträge der Vertreter deS aus wärtigen Amt,» und der Kabinette entgegen. Das Wetter ist andauernd schön. An Bard Alles wohl. Di« Thatsache, daß die Beziehungen Deutschlands zu Ostasien in kommerzieller Hinsicht sich immer mehr erweitern, kommt auch bei dem Schutze von Waarenzeichen zum Ausdruck. Unter den auf Grund deS Gesetzes vom 12. Mai 1894 geschützten Zeichen findet man nämlich in neuerer Zeit mehrfach schon Zeichen chinesischer und japanischer Art. Die Zahlen werden in die Zrichenrolle gewöhnlich für Hunderte und tausende von Grbrauchsgegenständen eingetragen, deren Vertrieb sich in Ost- afien verlohnt. Namentlich Hamburger Firmen betheiligen sich an diesem Vorgehen. Die neueste Nummer deS „GlobuS" ist ganz von einem Artikel über die Karolinen von H. Singer ausgefüllt. Am Schluffe der hochinteressanten geographischen und ethnographischen Arbeit heißt es: „Wir glauben, die Deutschen sind hier einmal aus- nahm»weis« nicht zu spät gekommen ... ES liegt ein wichtiges weltpolitisches Moment in der Thatsache, daß die deutsche Flagge fortan in einem außereuropäischen Meer von ungeheurer Ausdehnung die allein herrschende sein wird. Das Deutsche Prestige in der Südsee wäre überdies gesunken, wenn die Karolinen eine andere Macht an sich gebracht hätte, und ein Rückschlag nicht nur auf Deutschlands Macht stellung in Oceanien, sondern auch in Ostasien wäre wohl die Folge gewesen. Wurden die Karolinen zum Kauf ausgeboten, so durste sie nur Deutschland kaufen; es fit oft politisch klug, etwas zu erwerben, nur damit es ein anderer nicht bekommt. Ist is uns außerdem noch möglich, die Produktions- fähigkeit der Inseln zu heben, dann um so bester. Es giebt auf einigen von ihnen viel werthvolleS Bauholz, und eS steht wohl auch außer Frage, daß die Kopragewinnung auf den Karolinen und den Palau-Inseln einer ganz erheblichen Steigerung fähig ist. Es wird aber Sache des Reichs sein, die private Initiative zu ermuntern, ihr die Wege zu ebnen, die ihr trotz ganz ansehnlicher Leistungen unter der spanischen Mißwirtschaft doch recht unbequem und hindernißreich gewesen sind. Die Arbeiterfrage wird sich lösen lassen, wie da» trotz aller schlimmen Prophezeiungen auch schließlich in Ostasten gelungen ist, und unter dieser Voraussetzung wird die Absicht der Jaluit- Gesellschaft, Hinfort auch Plantagenbau auf den größeren Inseln zu versuchen, vielleicht zum Erfolg führen. Sie glaubt, daß die ziemlich zahlreiche Bevölkerung der niedrigen Inseln sich zur Arbeit sehr wohl verwenden ließe." Reuß S. L. ist zwar nicht mit dem deutschen Reich in Allem einverstanden, wacht aber peinlich über den Geist der von dem Reich geschlossenen Verträge. Und so ist denn nun auch die Gründung einer Zweiggruppe des Alldeutschen Bundes von der dortigen Regierung verboten worden, weil der von den Alldeutschen geführte Kampf für das Deutschthum in Oesterreich einer Ver letzung der Integrität und Selbstständigkeit deS verbündeten öster reichischen StaateS gleich zu erachten sei. Der in den lippeschen Thronstreitigkeiten viel genannte Archivrath Berkemeier in Detmold ist jetzt definitiv von dem Amt als Vorstand des fürstlichen HauS- und LandeSarchivS ent bunden worden. Das gegen Berkemeier eingeleitete Strafver fahren wegen Beiseiteschaffung amtlicher, auf den Thronfolgestreit bezüglicher Aktenstücke hat bekanntlich mit seiner Freisprechung geendet. Der „Darmstädter Zeitung" zufolge ist LandgerichtS- direktor Küchler auf sein Ansuchen pensionirt worden mit dem Bemerken, daß die Pensionirung ohne Einfluß auf das an hängige Verfahren sei. Die zweite hessische Kammer hat kürzlich beschlossen, eine Junggrsellensteuer einzuführen. Der Ausschuß der ersten Kammer ist aber diesem Beschluß nicht beigetreten. Oesterreich-Ungarn. Die Kundgebungen in Hernals auS Anlaß des Gründungsfestes des SokolistenvereineS „Fügner" vom Sonnabend Abend wiederholten sich in der Nacht zum Montag. In einem Gasthaus hatten sich etwa 800 Studenten zu einer Kneiperei versammelt. Als sie nach einiger Zeit die „Wacht am Rhein" anstimmten, wurden sie von einem Polizeikommissar zur Ruhe ausgefordert; die Studenten verließen darauf daS Lokal und demonstrirten auf der Straße durch Rufe. Die SicherheitS- wache zerstreute die Ansammlung, ohne daß «S zu Zusammen stößen kam; Verhaftungen wurden nicht vorgenommen. — Die Meldung einiger Blätter von schweren Verwundungen mehrerer Sokolisten am Sonnabend ist unzutreffend; es wurden fünf Sokolisten leicht verletzt, was dieselben nicht hinderte, an der Gründungsfeier weiterhin theilzunehmen. Die „Wiener Allgem. Ztg." bestätigt, daß Oberleutnant Mattacich-Keglevich beim obersten Militär-Gerichtshof um die Revision seines Prozesses, in dem er vom Agramer Kriegs gericht wegen Wechselfälschung zu sechs Jahren Kerker verurtheilt wurde, nachgesucht habe. Die „Allg. Ztg." erklärt eS aber für unrichtig, daß Mattacich sich dabei auf die Verhängung d^ KuratelS über die Prinzessin Louise von Loburg wegen Schwach sinns berufen habe. Er führt vielmrhr andere Thatsache» an, um seine Unschuld zu beweisen. Man glaubt aber, Mattacich habe keine Aussicht auf Annahme der Revision, da erwiesen sei, daß er Wechsel auf den Namen der Kronprinzessin gefälscht und die Valuta hierfür theilweise zur Tilgung seiner Schulden ver wendet habe. In der Artillerie-Kaserne in Triest sind 36 Soldaten unter BergiftungSerscheinun gen erkrankt. Durch einen unglücklichen Zufall war Arsenik unter da» Kochsalz gerathen. Frankreich. Während neulich in anscheinend amtlicher Form gemeldet wurde, da» Kriegsgericht in Renne» werde am 18. August zusammentreten, wird jetzt, ebenfalls in an scheinend amtlicher Form versichert, der Zusammentritt de» Kriegs gerichts werde zwischen dem 1. und 6. August erfolgen. Auch über die vermuthliche Dauer der Verhandlungen gehen die An gaben weit auseinander. Die eine Voraussage nimmt eine drei wöchige Dauer des Prozesse- in Aussicht, die andere eine Dauer von wenigen Tagen. Für diese Berechnung spricht die Mit- theilung des Kriegsministers General Gallifrt an den Minister- rath, er habe Kenntniß erlangt, daß der Vorsitzende deS Renner Kriegsgerichts entschieden habe, QueSnay de Beaurepaire aus schließlich über die dem Kriegsgericht vom Höchsten Gerichtshof zur Entscheidung zugewiesene Frage al» Zeugen zu vernehmen. In dieser Bestimmung deS Kriegsgerichtsvorsitzenden scheint eine Gewähr dafür zu liegen, daß daS Kriegsgericht sich überhaupt streng an die ihm vom Kassationshof vorgezeichnete Marschroute halten und allen Lockungen und Anstachelungeu der Nationalisten zum Trotz sich auf die Beantwortung der Frage beschränken werde, ob Hauptmann Alfred DreyfuS die im Bordereau aufge zählten Schriftstücke verrätherisch auSgeliefert habe, wiewohl diese» Bordereau nicht von ihm herrührt. Hält sich da» Kriegsgericht hieran, dann ist nicht abzusehen, wie der Prozeß sich durch drei Wochen hinziehen sollte. Von guter Vorbedeutung für die Ver handlungen in RenneS ist die Gelassenheit, mit der die ungeheure Mehrheit der Franzosen ihnen rntgegensieht. Seit dem Augen blicke, da Hauptmann DreyfuS wieder den französischen Boden betreten hat, ist eine sinnfällige Verminderung der früheren Er- regung eingetreten, die trotz der unablässigen Versuche der Nationalisten, neuen Gärstoff in die Massen zu werfen, täglich fortschreitet. Wohl lärmt und deklamirt Herr Däroulöde mit erfreulicher Ausdauer auf dem Markt« der Oeffentlichkeit, aber ihm fehlt gegenwärtig jeder Resonanzboden. Die Hand voll Leute, die ihn umjubeln, sind ein kläglicher Ueberrest seine- früheren MaffenanhangS. Allerdings wäre eS verfrüht, zu meinen, Döroulede habe nun seine Rolle, wenigstens m der „Affaire", auSgespielt; nirgend so schnell wie in Frankreich dreht sich daS Rad und wechselt der Wind der VolkSgunst, von heute auf morgen kann der „Barde de Revanche", die „Trompete, di« man nicht zerbrechen soll," wie General Roget gesagt hat, wieder obenauf sein. Der Trumpf, auf den er in den letzten Tagen seine Hoffnung gesetzt hatte, hat versagt: Major Marchand hat sich die Huldigungen der Nationalisten behaglich gefallen lassen, auch hin und wieder flüchtige Boulangerposen eingenommen, aber Die Sonne. Roman don Anton d. Persall-Schliersee. (VS. Fortsetzung und Schluß.) Nachdruck verboten.) Da aber brauste Veroni auf, sie vergaß ganz den gewohnten Respekt vor der Herrschaft. Ob es denn überhaupt keine Manns- 'bilder mehr gebe auf der Welt I Wenn er die Johannalvielleicht gern hätte, könnt' doch alle Berühmtheit und alle Mädel der Welt nichts mehr daran ändern. Als sie einige Tage darauf Johanna wieder einmal in Ge danken verloren in der Geisblattlaube neben dem Küchengarten Sitzen sah, ging sie, dir Schürze voll duftenden Gewürzzeuges, an ihr vorüber und flüsterte ihr zu: „Kümmer'ns Jhna nicht, lieb's Fräul'n, er kommt schon!" Johanna fuhr erschreckt auf. „Wer denn, Veroni?" „Der Herr Maler! ich hab' ihm em Briefe! geschrieben!" Sie lächelte dabei so gutmüthig, Pfiffig, und verschwand rasch, ehe Johanna rrwivern konnte, im Gebäude. Das Mädchen sah ihr traurig nach. O Du gute, liebe Veroni, Dein Brieferl ist vergeblich geschrieben, eS wird ihn nur schmerz lich erinnern an das, was er auf immer verloren glaubt. Sie freute sich aber im Stillen über diesen Schmerz, den ihm die Veroni bereitete. MariuS' Briefe über daS Befinden Ringclmanns waren stets nur an Frau Regina gerichtet. Der Inhalt war ein verhältniß- mäßig befriedigender! der Amtmann ertrug sein Schicksal mit Er gebung, wenn auch tief gebeugt. Seine gesunde Natur wider stand auch dies«m schweren Angriff, und sein einziger Gedanke war, nach Hause zu seinen Lieben, an den einzigen Ankergrund, der seinem wracken Lebensschiff noch geblieben. Doch Johanna's geschah i» diesen Briefen nie mit einer Silbe Erwähnung, ob wohl Regina eS nie versäumte, in ihrer Erwiderung den Namen irgendwie einzuflechten. Das härmte sie arg. Wo hatte nur dieser Mann mit dem Goldherzen seine Liebe hingebracht? Sie hatte nur mehr eine schwache Hoffnung auf die Rückkehr des Vater». Vielleicht brachte sie Beiden Heilung, der Mutter und Schwester. W war in den ersten Tagen deS Juni, ein weicher Sommer abend. Frau Ottilie hatte seit einer Woche zu Bett gelegen. Der Arzt machte ein bedenkliches Gesicht; wenn sich die Ernährung nicht bald hob, war das Schlimmste zu fürchten. Man brachte die Leidende auf seine Anordnung Nachmittags in das Freie, in das windgeschützte Gärtchen hinter dem Adler. Sie weigerte sich entschieden, vor Sonnenuntergang auf das Zimmer gebracht zu werden. Der Malzduft, behauptete sie, stärke sie wunderbar, welcher von der Brauerei herüberwehte. Der Abend war mild, und so gab man nach. Johanna und Regina'.leisteten ihr Gesell schaft. In weiche Kissen gebettet, blickte sie hinaus in die weite Landschaft; der Garten befand sich auf dem ehemaligen Befestig ungswall Langfelden's und bot herrliche Aussicht. Das Leid hatte dem schönen Antlitz längst alle Härte genommen, ihm eine neue, schwermüthige Jugend verliehen. Die Sonne sank hinter den waldigen Hügeln, Pnrpurgluth hinausschleudernd über Wald und Flur. Frau Ottiliens Blick hastete auf ihr. Jetzt war nur mehr eine rothe Sichel zu sehen, die Buchenkronen erzitterten in ihrer Gluth — dann nur mehr «in rother, strahlenloscr Punkt. Auch der erlosch. — Sie winkte mit der schmalen, durchsichtigen Hand einen Abschiedsgruß — Johanna und Regina ahnten, was sie damit sagen wollte, und drückten sich, von der Wehmuth naher Scheidung erfaßt, innig an sie. Sie legte den Arm um ihre Hüfte und sah sie lange an. „Wenn der Papa kommt, so sagt ihm, es wäre ein schlechtes Gleichniß gewesen, das von der Sonne, auf daS ich mir soviel eingebildet, und ich hätte es ihr feierlich abgebeten, eben jetzt." „Du wirst eS dem Papa selbst noch erzählen, und er wird herzlich lachen dazu," meinte Johanna. Doch Frau Ottilie schüttelte das Haupt. „Schwerlich, mein Kind, ich hab'S auch wirklich nicht verdient." Da rollte ein Wagen durch den Thorweg de» Adlers in den Hof. Frau Ottilie horchte auf. Eine lebhafte Unruhe ergriff sie. Da kam der Adlerwirth hastig die Treppe hinauf. Ein großer Schreck oder eine große Freude verrieth sich in seinem Antlitz. „Bleibt!" rief er. „Es ist besser hier in oer freien Luft! — Mama soffen Sie sich, eine große Freude erwartet Sie!" Schon war er wieder verschwunden. Frau Ottilie starrte, die Arme um den Nacken ihrer Kinder, welche sie stützten, auf die schmale Treppe, welche heraufführte. Da hob sich ein schneeweißer Scheitel — sie stieß einen durch dringenden Schrei aus und wollte rückwärts eilen, die Schwestern hielten sie zurück. Da sank sie in die Knie und streckte die Arme auS. — Der Gatte stand vor ihr — Ringelmann! Sie umfaßte seine Knie, er hob sie auf mit der Kraft eines Jünglings und drückte sie an seine Brust. Es gab keine Worte für Beide. Hinter den Buchen verglomm die letzte Gluth, sanfte, blaue Schatten kamen gezogen. Johanna trat vor gegen die Treppe — mit pochendem Herzen — Niemand! Er kam allein — wie Frost packte es sie. Da löste sich eine Gestalt aus den dunklen Schatten der Taxus hecke, kam auf sie zu — Marius! Es war ein elementarer Aufschrei, jede Schranke der Sitte verhöhnend. Zwei Arme fingen sie auf, ein Kuß brannte auf ihren Lippen. „Johanna!" Das war zu viel des Glückes für Frau Ottilie. Sie sah nur noch das Paar auf sich zukommen, dicht umschlungen. Dann schwanden ihr die Sinne. Zur Ruhe gebracht, erwachte sie wie auS einem süßen Traum. Sie erzählte ihn dem Arzt, der vor ihr saß, und meinte, das sei eine gute Vorbedeutung. Dieser hütete sich wohl, > sie aufzuklären. Er wußte nur zu gut, welche Vorbedeutung der Traum für Frau Ottilie hatte, eine neue Aufregung müßte seine Verwirklichung nur beschleunigen. Marius fragte vor Allem nach Veroni. Erröthend führte ihn Johanna zu ihr in die Küche. „Na, da ist er ja!" rief sie strahlend vor Freude, „wenn ich ein mal schreib', dann fleckt's halt." „Ja, es hat auch gefleckt, Veroni, wie jede Wahrheit. Da lies einmal, Johanna, wie sie mich herunterkanzelt." Marius reichte ihr den Brief, mit den großen, ungefügen Schriftzügen. „Mein verehrter Herr Maler. Wissen Sie was? Sie sind ein rechter Dickkops! Alles in Ehren, unsereins hat ja auch seinen Stolz, aber ein Mädel, das man doch einmal gern hat — das läßt man nicht so mir nichts Dir nichts langsam ver hungern! Jawohl, verhungern! Denn das thut mein armes Fräulein Johanna aus lauter Lieb' zu Ihnen. Wenn das unsereins auch nicht so begreifen kann, das mit den Malern nie gern g'habt hat, weils alle mit einander nicht viel Nutz sein svll'n — sagt man! Nein — das thut man nicht, und wenn's weiß Gott was verbrochen hätt'. Sie hat aber nix verbrochen, die Johanna, im Gegentheil, Sie sind an Allem schuld, mit Ihrer ewigen Herumdruckerei, die kein rasches Mädel nicht in d' Läng' vertragen kann. Also kommen's, und zwar schnell, wenn Ihnen anch an der Achtung von so ein Knchelmensch, wie der Veroni, wenig g'legen sein wird. Es handelt sich um's Essen bei mein' lieben, guten Fräulein, und weil man ohne Essen nicht leben kann, um's Leben! Nix für ungut, aber ich thu' für mein Fräu lein noch, ganz was Anderes, als ein Briefe! schreiben. Ihr' alte Verehrerin Veroni Käsbach, Köchin im Adler." Johanna las den Brief, unter Thränen lächelnd, dann fiel sie Veroni um den Hals und küßte sie unzählige Male. „Und wenn Veroni den Brief nicht geschrieben?" fragte Johanna den Geliebten. Hätte sie noch vierzehn Tage au-gehalten? fragte Mariu» lachend Veroni. „Hören Sie ihn?" erwiderte diese. „Ja, die glauben so waS nicht. Einer wie der Andere! Und darum sage ich allweil, nur sich den Appetit nicht verderben lassen. —" Gegen Mitternacht wurde der Zustand Frau Ottilien» bedenk lich. Die barmherzige Schwester schickte nach dem BezirkSarzt. Ein heftiger Fieberanfall drohte rasch die letzten Kräfte zu ver zehren, die Herzschwäche vermehrte die Gefahr. Er konnte eS nicht verantworten, seinen Plan, jede Erregung von der Kranken fern zu halten, durchzuführen, und ließ die Familie rufen. Frau Ottilie blickte mit einem weltentrückten, seligen Staunen auf die ihr Nahenden, da» junge Paar, den Greis mit dem schneeweißen Haar, Regina und ihren Gatten. Die Augen weit geöffnet, zählte sie mit einer leisen Fingerbewegung ihre Lieben. Keines fehlte. Es war der Augenblick für sie gekommen, wo der Traum so klar wie die Wirklichkeit und diese so wesenlos wie der Traum wird. Johanna hatte nur einmal dem Tod in'» Antlitz gesehen, sie erkannte ihn auf den ersten Blick wieder, in seiner ganzen Majestät. Sie kniete mit dem Geliebten vor der Sterbenden, deren Augen das Paar nicht verließen, da- ihr vielleicht in lichtvoller Verklärung entgegentrat, Boten der Er lösung. Ihre Hand senkte sich auf den Scheitel ihres Kinde», ihn kaum berührend. „Johanna!" Der Ton kam dieser so bekannt vor, als habe sie Jemand schon einmal so gerufen, und sie erblickte das sonderbare weiße Licht wieder, das wie ein Schleier heraufzog über da» theure Antlitz. Ein sonderbarer Gedanke kam ihr. Sterben denn alle Menschen so, die Schuldigen und die Unschuldigen? Oder löscht der Tod jede Inschrift mit sanfter Hand — das Weiße Licht! Mutter! Mit einem Aufschrei warf sie sich über die Ster bende, deren letzter Blick nun über sie hinweg zum Gatten schweifte, zu Regina, um aufwärts gerichtet zu verlöschen. Stille im Gemach! Alles schläft, selbst die Nonne auf dem Stuhl vor dem Todtenbette, im goldenen Licht der beiden Kerzen. Nur Ringelmann nicht. Er steht am Fenster und blickt hinaus auf diesStadt. Ueber den schwarzen Giebeln ringt sich der Tag empor. Geflammte Wölkchen ziehen herauf in zartem Orange, immer dichter werden sie, immer gluthvoller, das Feuermeer brandet empor. Zuerst bewegt, wellenlos, dann wallt es plötzlich auf, schleudert feurigen Gischt weit umher — der erste Strahl wird geboren, ein ganzes Heer folgt nach, alle Kuppeln, alle Kreuze leuchten auf. Sonnenaufgang! Er drückte ihn zu Boden, der erhabene Anblick. Da legte sich eine Hand auf seine Schulter. Er wandte sich. Der Bezirksarzt stand hinter ihm. „Muth, mein Freund! Es ist unsere alte, gute Sonne! Du bist nur irre geworden und hast in Deinem Jrrthum doch nur ihr gedient, der Allschöpferin! Da drüben — er deutete auf die Thür — da schlummern so zwei Keime, die wollte sie zur höchsten Entwicklung bringen, von der Du einst gesprochen. Dazu brauchte sie aber Dich und Deinen Jrrthum. Am Ende sind wir immer die Genarrten, daS Mitte! zum Zweck, weiter nichts." Der Doktor öffnete den Fensterflügel. „Sieh, wie das herein strömt!" Eine Fluth von Licht ergoß sich in den Raum. Er nahm den Freund am Arm und führte ihn vor die Tobte, deren wächsernes Antlitz der junge Morgen verklärte. „Ist das so schrecklich," sagte er, „diese Windstille nach dem Stürm! Tod! Nenn' es Auferstehung, und alle Schauer weichen." Ringelmann sank an die Brust des Freundes. Im Lehnstuhl erwachte die schlaftrunkene Nonne. „Ach^ie liebe Sonne!" flüsterte sie sehnsüchtig, und ein kindliches LäMu umspielte das vom Nachtwachen und Krankenluft gebleichte Antlitz.
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