Volltext Seite (XML)
(über 300) angemeldet, weiter auch über hundert Todesfälle. Die amtlichen Berichte verschweigen zu viel. Freitag Morgen wurden mit einem Male etwa hundert Choleraleichen beerdigt. Lei anhaltend nor malem Wetter ist aber wohl bald eine Abnahme zu erwarten. Am Donnerstag starben 140 Personen. Fälle choleraverdächtiger Natur werden noch aus ver schiedenen Orten berichtet, doch scheint es sich immer um Brechdurchfall zu handeln. Zahlreiche Cholerafälle zeigen sich an Bord der von Hamburg auslaufenden Schiffe: Der „Tason", nach Köln bestimmt, hatte zwei Tobte und vier Kranke, der Dampfer „Gemma", nach Hull bestimmt, drei Kranke. Gutem Vernehmen nach depeschtrte Professor Koch am Donnerstag an das Reichsgesundheitsamt, daß die Cholera tn Hamburg fortschrette und die Kran- kenziffer über achthundert betrage. Die Todten werden verschieden auf 160—300 angegeben. Sämmtliche Elbbadeanstalten find geschloffen. Versammlungen, Märkte und Tanzlustbarkeiten auf den benachbarten preußischen Gebieten find theilweise verboten. In Altona herrscht Wassermangel tn Folge unvernünftiger Ver geudung. Der telephonische Börsenverkehr zwischen Hamburg und Berlin ist nunmehr ganz eingestellt, sonst ist die Stimmung der Bevölkerung durchaus ruhig und gefaßt, der Börsenverkehr und das Straßen leben ist wie bisher. Nachdem die Cholera von Petersburg her sich mit raschen Schritten Deutschland nähert, ist die ganze ostpreußische Grenze gegen Rußland, mit Ausnahme der Uebergänge bei Eydtkuhnen und Prostken, wo scharfe Eontrolle herrscht, für den Verkehr gesperrt wor- den. Wäre rechtzeitig eine Hafensperre erfolgt, so hätten wir jetzt nicht die Sorge mit Hamburg. Nachdem feststcht, daß im Wahlkreise Sagan Sprot- tau eine Stichwahl zwischen dem Conservativen von Klitzing und dem Freisinnigen Or. Müller stattzufin- den hat, empfiehlt die nationalliberale „Nat.-Zcitung" ihren Parteigenossen auf das Dringendste Unter stützung der freisinnigen Candtdatur. Die Zeitung „Ephemeris" in Athen veröffentlicht einen Brief ihres Directors über eine Unterredung, die der Herr gelegentlich seiner Durchreise durch Wien mit einem dort zufällig anwesenden hohen russischen Würdenträger gehabt hat. Der Inhalt dieses Briefes ist hauptsächlich wegen gewisser Angaben über die Ent lassung des Fürsten Bismarck von allgemeinerem Interesse. Der russische Würdenträger drückte in hohem Grade sein Erstaunen darüber aus, daß Fürst Bismarck nicht gechnt habe, schon so bald von seinem jungen Herrscher entlassen zu werden. Offenbar habe der Kürst sich zu sehr auf die Rede, die der Kaiser noch als Prinz im Reichskanzler-Palais gehalten hatte, gestützt, worin des Fahnenträgers gedacht wurde, dem „wir alle nachfolgen". Kaiser Alexander III. aber habe ganz genau gewußt, daß mit der Thronbesteigung Kaiser Wilhelms II. auch Bismarcks Stellung erschüttert gewesen sei, und so sei es geschehen, daß als Fürst Bismarck dem Czaren die Versicherung gegeben habe, «die Festigkeit der deutsch.russischen Beziehungen werde unerschüttert bleiben," Kaiser Alexander III. geantwor tet habe, „er setze in die Aufrichtigkeit der Btsmarckschen Politik keinen Zweifel, aber er könne nicht sicher sein, daß Fürst Bismarck noch lange Kanzler bleibe." Er staunt über diese Aeußerung habe Bismarck bekanntlich die Festigkeit tn seinem Amte betont und hervorge hoben, daß er sicher sei, bis zu seinem Tode die Po litik Deutschlands zu letten. Der definitive Entschluß aber über die Entlassung Btsmarck's sei gefaßt wor den, als die Orientretse des Kaiserpaares 1889 ge plant wurde. Damals habe Fürst Bismarck keinen Widerspruch gegen die Reise nach Athen erhoben, weil diese der Hochzeit der kaiserlichen Schwester gegolten. Aber entschiedenen Einspruch habe Bismarck gegen d*e Reise des Katserpaares nach Konstantinopel gethan; erstens weil ein solcher Besuch wegen des Characters des Sultans und wegen der tn Konstantinopel geübten Jntriguen und Einflüsse unmöglich erwidert werden könnte, zweitens aber, weil der Besuch der Kaiserin hei einem Monarchen, der die Polygamie als Kultus übt, nicht nur auffallend sein, sondern auch Rußland, wo ein solcher Besuch noch nicht erfolgt war, verletzen würde. Kaiser Wilhelm habe sich bekanntlich von sei nem Retseplane nicht abbringen lassen und seinen Ver druß über die Bismarck'sche Bevormundung nicht ver hehlt, auch zu seiner intimsten Umgebung zu jener Zeit die Aeußerung gethan: „daß er den alten Herrn noch 6 Monate wtrthschaften lassen, dann aber die Zügel selbst tn die Hand nehmen weroe." Dies sei auch geschehen und als Kaiser Wilhelm in Athen weilte, sei die Entlassung des Fürsten Bismarck bereits eine beschlossene Thatsache gewesen. Krautreich. Aus Lisvin, wo es zu erbitterten Schlägereien zwi schen französischen und belgischen Arbettern gekommen war, hoben neue Tumulte stattgefunden. Ein Trupp von Bergarbeitern durchzog unter dem Ruf „Nieder mit den Belgiern" die Stadt und warf alle Fenster der Häuser ein, in welchen Belgier wohnen. Militär ist zur Verhinderung künftiger Krawalle am Thatorte eingetroffen. Auch in Carmaux dauert der Streik der Bergleute fort. Die Erbitterung in Belgien über die thätlichen Angriffe auf belgische Arbeiter in Frankreich ist eine große, zumal die Angegriffenen nichts weiter I gethan haben, als daß sie Arbeit im Nachbarland? I suchten. In verschiedenen belgischen Grenzorten find , die Franzosen von den Arbeitern durchgcprügelt. Vom 66. französischen Linienregiment, daß in voller Miltagshitze marschirte, fielen an 150 Mann um. Zwölf find gestorben. Die von den französischen Behörden so hartnäckig vertuschte oder abgeleugnete Cholera macht trotz Allem sehr starke Fortschritte. In Havre find schon mehrere hundert Personen gestorben, ebenso in Rouen und Umgebung. In Paris find ebenfalls neue Erkrankun gen und Todesfälle vorgekommen. Im Gefängniß von Bonne-Nouvelle bei Rouen brach eine Meuterei aus, die von Truppen unter drückt werden mußte. Gleichzeitig entstand im Innern des Gefängnisses ein von den Jnhaftirten angelegter Brand, der aber schnell unterdrückt wurde. Verletzt ist Niemand. Belgien. Die Cholera, welche in Antwerpen aufgetaucht ist, breitet sich dort und tn der Umgebung weiter aus. Der Charakter der Krankheit ist schwer. England. Aus Centralafrika find in London neue Nachrichten vom Kapitän Lugard, ter sich durch seine Heldenthaten tn Uganda einen so traurigen Namen errungen hat, etngetroffen. Im ganzen Lande herrscht momentan Ruhe, —die des Grabes, kann man nach den bekannten Metzeleien sagen. Der Minister des Auswärtigen Lord Roseberry hatte eine lange Unterredung mit dem russischen Ver- treter tn London wegen des Vordringens der Russen tn Centralasien. Rußland. Die Cholera rückt von Petersburg her ununter brochen gegen Westen vor. Trotz eingetretenen kühlen Wetter« ist keine namhafte Abnahme der Erkrankungen zu constatiren. Auch in der Richtung auf Warschau schreitet die Seuche schnellen Schrittes vor. Die täg liche Durchschnittsztffer der Choleraerkrankungen tn Rußland beträgt etwa 7000, die der Todesfälle 3500. Am metsten Opfer fordert die Seuche tm Gebiet der donischen Kosacken. Der russische Generalstabschef Obrutschew hat eine Urlaubsreife nach Frankreich angetreten. Aus dem Muldenthale " Waldenburg, 27. August. Da es feststeht, daß der Choleraketm durch den VerdauuugSkanal in den menschlichen Organismus gelangt, daß er aber im gesunden Magen, d. h. einem solchen, der die nöthige Säure produzirt, zu Grunde geht, so wird man alles vermeiden müssen, was die regelmäßige Berdauungs- arbeit irgendwie beeinträchtigen könnte. Namentlich wird man Speisen vermeiden müssen, von denen man weiß, daß sie leicht Diarrhö Hervorrufen. Peinliche, nach der Uhr geregelte Lebensweise, langsames Essen, gehöriges Kauen, Vermeidung sehr kalter und sehr heißer Speisen, sowie überreichlicher Mahlzeiten dürf ten die allgemeinen Gesichtspunkte sein, nach welchen die Diät in Cholerazeiten zu normiren ist. Im Besonderen sind zu vermeiden alle leicht tn Gäh- rung übergehenden Speisen (Erbsen, Linsen, zu viel Kartoffeln, Schwarzbrod, frisches Gebäck rc.), alle zu fetten Speisen, besonders fette Saucen, Salate und Mayonnaisen, Kuchen und Eis, rohes Obst, Käse. Ferner verboten ist: ungekochtes Wasser und rohe Milch, Buttermilch. Erlaubt find gekochte Suppen, gebratenes resp. geschmortes Fletsch, Geflügel, Weisbrod, Biscutts, Reis, Maccaront, Blumenkohl, Spinat, gekochtes Obst, Eier und Eierspeisen, von Getränken abgekochtes Wasser, Soda- oder Selterwasser, Rothwein, gutes (nicht junges) Bier in geringen Mengen, Kaffee, Thee, Cacao. Gewarnt sei vor den stark alkoholhaltigen Getränken wie Cognac, der mit starkem Zusatz von Wasser genoffen werden sollte. Ganz besonders gewarnt aber sei vor heftigen Gemüthserregungen, welche nur zu leicht dem Feind einen günstigen Boden bereiten. Namentlich ist es die „Cholerafurcht", die ganz zweifellos dadurch, daß sie den Organismus schwächt, ihn dem Eindringen des Choleragiftes zugänglicher macht. Werin fortwähren der Angst vor der Cholera schwebt, der wird, selbst wenn er alle Vorsichtsmaßregeln auf das Peinlichste erfüllt, viel leichter erkranken als der Nachbar, der im Bewußtsein erfüllter Pflicht seinen Gleichmuth zu be wahren sucht, auch wenn sein Gemüth durch unglück liche Ereignisse erschüttert ist. In Cholerazeiten ist es am gerathensten, daß man fremde Klosets überhaupt nicht benutzt. Professor Koch empfiehlt, da der Cholera bazillus sich gern auf feuchtem Boden ansiedelt, die von den Ausleerungen beschmutzten Dielen, Bettstellen rc. nicht naß, sondern trocken zu desinfiziren und hierzu empfiehlt Prof. v.Ziemßen die Sublimat-Holzwolle. Auch räth letzterer Forscher dazu, daß große, mit 5procen- tiger Karbollösung gefüllte Gefäß- in den Kranken zimmern aufgestellt werden, theils zum Einlegen von Wäschestücken, theils zum Abspülen von Möbeln und Geräthen, ein sehr bcherzigenswerther Vorschlag. * — Zur Begegnung irriger Anfichten sei darauf aufmerksam gemacht, daß es bet Inanspruchnahme der Familtenunterstützung für zu Frtedensübungen einbe rufene Mannschaften des Beurlaubtenstandes keineswegs auf die Bedürftigkeit der betreffenden Gesuchsteller an- kommt und daß diese Unterstützung auch durchaus nicht den Character einer Armenunterstützung hat. — Gestern Freitag tn früher Morgenstunde brannte das vor dem oberen Thor links vor der Altenburger Straße hinter den 7 Linden auf freiem Felde befind liche Gartenhäuschen nieder. Wie eS heißt, sollen tn demselben zwei Handwerksburschen die Nacht vorher genächtigt haben und ist das Feuer von diesen entweder böswillig angelegt oder verwahrlost worden. * — Das diesjährige Missionsfest des BezirkS- missions-Vereins Waldenburg und Umgegend findet nicht, wie wir tn letzter Nummer berichteten, am 11., sondern am 4. September, dem 12. Sonntage nach TrinitatiS, in der Kirche zu Franken statt. — Vom Landgericht zu Zwickau wurden am Mitt woch der Gürtler Carl Wilhelm Faust aus Glauchau, dessen Ehefrau, Anna Marte geb. Andrä, und der Re staurateur Johann Ludwig Härtel aus Dennheritz, welche der Hinterziehung der Zwangsvollstreckung und bez. der Beihilfe hierzu beschuldigt worden waren, frei- gesprochen. Faust ist Mitglied der voriges Jahr in EoncurS verfallenen Spar- und Creditbank zu Glau chau und hat als solches für die Schulden dieser Bank mit aufzukommen. Dieser Umstand hat ihn auch in Verdacht gebracht. — In Penig starb am 26. d. früh 1 Uhr der Rechtsanwalt und kgl. sächsische Notar vr. Meischner. Aus dem Sachsenlande. — Seit Freitag ist der gesammte Personenwagen- Durchgang nach und von Oesterreich aufgehoben wor den. Die Wagen verkehren also nur noch nach und von Bodenbach. Oesterreich sucht sich gegen die Ein schleppung der Cholera von deutscher Sette her thun- lichst zu schützen, was ihm nicht zu verdenken ist. Deutschland seinerseits hätte nur auch etwas schneidiger Vorgehen sollen. — Das Polizeiamt in Leipzig erläßt heule eine Bekanntmachung, wonach anläßlich der drohenden Cho leragefahr Revisionen der Gasthöfe behufs strenger Controlle des Fremdenverkehrs in Aussicht gestellt und die Anmeldevorschriften in Erinnerung gebracht werden. — Zu Ausgang des letzten Winters fanden in Leipzig mehrfach Kundgebungen der Arbeitslosen statt, die dahin führten, daß der Rath zu Unterstützungen 6000 Mark bewilligte und daß freiwillige Samm« lungen veranstaltet wurden, die zu gleichem Zwecke eine Summe von über 28,770 Mark ergaben. Die Be antwortung der Frage, wie es mit der Unterstützung Unverheiratheter gehalten werden sollte, war nicht leicht. Prinzipielle Abweisung Solcher war nicht angängig, man mußt: aber, da gerade von dieser Seite nicht ge ringe Ansprüche gestellt wurden, eine strenge Sichtung empfehlen. Es hatte sich herausgestellt, daß viele junge Leute sich zur Unterstützung gemeldet, welche um Ar beit nie ernstlich bemüht waren. Ebenso hatten sich Solche gemeldet, d'e erst vor Kurzem in Leipzig an- gekommen und vielleicht erst durch die öffentlichen Ver sammlungen veranlaßt waren, Leipzig aufzusuchcn. An Solche war bet den Sammlungen natürlich nicht ge dacht worden. Die Gesammtzahl der Unterstützten kann auf rund 4000 angegeben werden. Hierzu ist jede Person nur einmal gerechnet worden, viele find jedoch wiederholt unterstützt worden. In gedachter Zahl befanden sich, soweit dies festzustellen gewesen ist, gegen 2000 Verheiratete mit etwa 4000 Kindern. — Eine in Leipzig gestern Freitag von den So- cialisten etnberufene Versammlung junger Kaufleute wurde polizeilich aufgelöst. — Ein Act von großer Hochherzigkeit hat die am 17. August verstorbene Leipziger Bürgerin Agnes Berndt insofern vollzogen, indem sie von ihrem Ver mögen einen über eine Million Mark betragenden Theil zu Gunsten wohlthättger Stiftungen der Stadt Leipzig vermachte. Gleichzeitig Hal die edle Spenderin das einen bedeutenden Werth repräsenttrende Grundstück „Löhrs Hof" der Stadt Leipzig letztwilltg hinterlassen. — Von dem behördlich concesftonirten Schiffsbille teur Herrn Emil B'ank in Chemnitz ist die Handels- I und Gewerbekammer in Kennlniß gesetzt worden, daß ! derselbe allen Personen, welche sich durch Bescheinigung des deutschen Reichscommissars für die Ausstellung in Chicago als Aussteller oder deren Angestellte für diese Ausstellung ausweisen, während der Zeit vom 1. No vember d. I. bis 31. März 1893 für die Beförde rung mit den Schnell- und Postdampfern des Nord deutschen Lloyd von Bremen nach New Jork und Bal«