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Aeib ergerAnzeige und Taaeblaü und TagMatt Amtsblatt sür die königlichen und städttschen Behörden zu Freiberg mm Brand, verantwortlich« Leitung: »<««, V»«kV*«vt. 50. Jahr,«««. —— !l Jns«'r-t- werden bi» Bormittaa Ü Uhr II a»O .W4d. Freitag, Sen 25. Februar. , einmüthig: „DaS Bordereau weist die Schrift Esterhazys auf." Da aber kein Mensch, selbst ein Esterhazy nicht, auf Grund des Gutachtens von Schreib-Sachverständigen allein verurtheilt werden darf und da solche Gutachten immer nur VerdachtSgründe bilden dürfen, zu deren Unterstützung mindestens moralische Thatsachen nöthig sind, so sorgte die Verteidigung für die Erbringung moralischer Argumente zur Unterstützung der Anklage gegen Esterhazy. Der Oberst Picquart trat auf und erzählte, waS seine Untersuchungen gegen Esterhazy ergeben hatten. Die Thatsachen, die Picquart mitgetheilt und von denen keine einzige hat ernstlich bestritten werden können, genügen, um zu zeigen, daß Esterhazy ein Mensch ist, dem man Alles zutrauen kann. Man erfuhr unter Anderm, daß cr Unterschlagungen begangen hatte, daß er schon in Afrika hätte vor ein Kriegsgericht kommen sollen und daß ihm dies nur durch die Nachsicht seiner Kameraden erspart worden war, daß er in seine Dienstpapiere eine Fälschung eingetragen hatte rc. Die Briefe, die Esterhazy an Madame de Boulancy geschrieben hatte, ergaben weitere Anhaltspunkte, um die moralische Verfassung dieses Offiziers zu ermessen, der von sich selbst gesagt hatte: er fühle sich zu einem Verbrechen fähig. Endlich war dann noch der telegraphische Kartenbrief (pstit bleu), den Picquart als Leiter des Informationsdienstes entdeckt hatte, der aus deniselben Orte stammte, wie das Bordereau (man weiß auS welchem Orte), den der Absender (man kann sich denken, wer) an Esterhazy adressirt hatte, der aber nicht abgesandt, sondern zerrissen und in den Papierkorb geworfen morden war, aus dem er dann (man kann sich vorstellen, auf welchem Wege) in das Kriegsministerium gelangte. Diese logisch zwingende Darlegung, wo sich Glied an Glied zur Kette schlang, schien unwiderstehlich. Die Generäle gaben es auf, über die Schrift des Bordereau zu diskutiren, und suchten ihren Standpurkt durch den Inhalt des Bordereau zu recht fertigen. Der General Pellieux, der geschickte und überaus redegewandte Anwalt des Generalstabs, unternahm die Darlegung, das Bordereau könne der Natur der Dokumente nach, deren Lieferung er versprach, nur von einem Generalstabs-Osfizier, also von Dreyfus herrühren und nicht von einem Truppen- Offizier aus Rouen, will sagen: Esterhazy. Die Vertheidigung acceptirte sofort auch die Diskussion auf diesem Terrain. Wieder kam Oberst Picquart und legte dar, daß das Bordereau gar nicht die Lieferung von Dokumente» ver spreche, sondern nur die Lieferung von Noten über Dokumente. Solche Noten kann aber ein Truppen-Offizier in Rouen eben sogut erlassen, wie ein Generalstabs-Offizier in Paris. Nichts beweist ja überdies, daß der Inhalt der Noten der Wahrheit entsprach. Das einzige wirkliche Dokument, welches das Dokument erwähnt, ist ein gewisses Schieß-Handbuch der Feld- Artillerie. Dieses Schieß-Handbuch war an mehrere Artillerie- Offiziere vertheilt worden, und Esterhazy konnte es sich sehr gut vou einem derselben zur Abschrift ausgeluhen haben. Das Bordereau spricht sogar geradezu davon, ob nicht eine Abschrift gewünscht werde. Außerdem ist nachgewiesen, daß Esterhazy, der Infanterie-Offizier, mehrere Male zu den Artillerie-Schieß übungen gegangen ist, bei denen er nichts zu thun hatte. End lich gab es noch einen letzten, ganz verblüffenden Verdachts grund: das Bordereau schließt mit den Worten: „Ich gehe zu den Manövern." Im Generalstab glaubte man stets, das Bordereau sei vom April 1894, und nun erfuhr Oberst Picquart durch Erkundigungen beim Regiment Esterhazy's in Rouen, daß Esterhazy im Mai 1894 zu den Manövern gegangen war, ob wohl er nicht an der Reihe gewesen! Die Generäle, durch diese Beweisführung auch in ihren Argumenten über den Inhalt des Bordereau geschlagen, suchten eine letzte Rettung, indem sie das Datum des Bordereau zur Debatte stellten. „Das Bordereau ist vom August," sagte der General Gonse. „Warum?" fragte Labori. „DaS Bordereau erwähnt eine Note über Madagaskar, utch das kann nur die vertrauliche Note über Madagaskar sei«, die wir im Gencralstab während deS MonatS August ausgearbeitet hab.«" „Schön!" sagt Labori, zieht di« Anklageschrift an- dem Dreyfus-Prozeß hervor und verliest di« Stelle üb«r di« Note betreffend Madagaskar, die nach der Anklageschrift im Februar abgefaßt wurde. Allgemeine Verblüffung. General Gonse sagt: „Im Februar hat e- auch eine Note über Madagaskar gegeben; aber das Bordereau kann sich nur auf die Note vom August beziehen." „Warum?" fragt Labori. „Weil das Bordereau vom Monat August ist," sagt treu herzig der General. Mit einem Worte: Daraus, daß eS sich um die Madagaskar- Note aus dem August handelt, folgt, daß das Bordereau vom August ist; und daraus, daß das Bordereau vom August ist, folgt, daß es sich um die Madagaskar-Note auS dem August handelt. Nach diesen Aussagen war es zu Ende mit dem Bordereau als Beweisstück für die Schuld des DreyfuS, während es auf der andern Seite mehr als wahrscheinlich geworden war, daß Ester hazy das Bordereau verfaßt Halle. Zugleich war durch die Zeugenaussage deS Maitre Demange, sowie durch das Schweigen des Generals Mercier und des Maitre Salle dargethan, daß dem Dreyfus-Kriegsgericht ohne Wissen der Vertheidigung ein geheimes Dokument mitgetheilt worden war. Der Prozeß Dreyfus lag in Trümmern; Esterhazy war schwer gefährdet. So standen die Dinge am Donnerstag Nachmittag; Mld da es mit der Diskussion nicht mehr weiterging, da alle Argumente versagt hatten, griffen die Generäle zur Gewalt. Den ersten Streich führte der General Pellieux. Er enthüllte das neue geheime Dokument, durch das der Generalstab im Jahre 1896 den Beweis für die Schuld des Dreyfus erlangt hatte. Man bemerke, daß General Pellieux hier ein Verfahren anwandte, das ganz ähnlich demjenigen war, mit dem mau vom Kriegs gericht die Verurtheilung des Dreyfus' erlangt hatte. Im Dreyfus-Prozeß wie im Zola-Prozeß hatte daS Bordereau einer ernsten Diskussion nicht standhalten können; und nm die Ber- urtheilung des Angeklagten herbeizuführen, griff man nun zum Hilfsmittel des geheimen Dokuments. Im Zola-Prozeß wurde das geheime Dokument zwar nicht hinter dem Rücken der Ver- theidigung dem Gerichte mitgetheilt, wie im Dreyfus-Prozeß, sondern es wurde in offener Gerichtssitzung davon gesprochen; da aber dieses Dokument nicht im Original vorgelegt wurde, da General Pellieux sich darauf beschränkte, seine Existenz und seine Echtheit zu versichern, und da die Vertheidigung nicht in den Stand gesetzt wurde, dieses Beweisstück kontradiktorisch zu dis- kutiren, so ist cs im Dreyfus- wie im Zola-Prozeß im Wesent lichen derselbe Coup. Aber auch dieses Gewaltmittel schien nicht recht verfangen zu wollen. General Pellieux hatte von dem Inhalt und der Art des Dokuments doch genug gesagt, um die ganze Seltsamkeit dieses Beweisstücks hervortreten zu lasten. Sofort entstand der Verdacht, daß die Generäle, im besten Glauben von der Welt, die Opfer einer Fälschung geworden sein konnten. Der Verdacht wurde noch unterstützt durch den Umstand, daß daS Dokument gerade in dem Augenblick im Kriegsministerium eingetroffen war, wo Esterhazy, der sich von Picquart durchschaut wußte, daS größte Interesse baran hatte, daß der Verrath deS DreyfuS durch ein neues Dokument bewiesen werde. Nicht minder verdächtig Ivar eS, daß das Dokument gerade einen oder zwei Tage nachdem Picquart das Kriegsministerium hatte verlasten müssen, dort cingebracht worden war. Kurzum, der bewährte „oony Ln äooument ssorot" schien diesmal doch nickt so ganz glatt abliufcn zu wollen. Das war am Donnerstag Abend; und so erschien Zwangsversteigerung. Da» im Grundbuch« auf den Namen deS Kaufmanns Otto «Lusel, frühtr in Lichten- bera, M'» Dresden, eingetragene 1/, Hufengut nebst Oelfabrikgrunvstück unter Nr. 1L5 deS BrandkatasterS und Folmm 157 des Grundbuchs für Lichtenberg, bestehend auS den Parzellen unter den Nrn. 822, 825, 326, 696 und 997 des Flurbuchs mit einem Areale von 6 tuy 27,6 a belegt mit 423,80 Steuereinheiten und geschätzt auf 43 696 Mk. — Pfg,, soll im hiesigen Königlichen Amtsgerichte zwangsweise versteigert werden und eS ist > ver 1. April 1898, Vormittags 11 Uhr, als Anmeldetermin, ferner der 15. April 1898, Bormittags 19 Uhr, als Versteigerungstermin, sowie der 22. April 1898, Vormittag» 11 Uhr, al» Termin zu Verkündung de» »ertheilung»plan» anberaumt worden. Die Realberechtigten werden aufgefordert, die auf dem Grundstücke lastenden Rückstände an wiederkehrenden Leistungen, sowie Kostenfordernngen, spätestens im Anmeldetermine anzu- melden. Eine Uebersicht der auf dem Grundstücke lastenden Ansprüche und ihre- Rangverhältnisses kann nach dem Anmeldetermine in der Gerichtsschreiberei des unterzeichneten Amtsgerichts eingesehen werden. Zum Bieten wird nur zugelaffen, wer seine Bereitschaft zur Zahlung oder Sicherstellung den bestehenden Bestimmungen gemäß nachweist. Freiberg, am 21. Februar 1898. Königliches Amtsgericht, Adth. I. üa. 19./97. No. 21. Itzr. Li>«ar. Nicolai. Stadtverordnete»^««» de« 25. Februar 1898, Abend» 8 Uhr. Bericht der Hau»haltplanberichterstattungs-Deputation über 1. Ueberschüffe, Rechnungen 2—13. 2. 8 Zuschüsse, Rechnungen 1—6, 11—20. Hierauf geheime Sitzung. , Freiberg, am 24. Februar 1898. Vneockirer. — Bekanntmachung. Nachdem die Liste der im Jahre 1898 stimmberechtigten BergwerkSbrsitzer und der eine« Jeden derselben zukommenden Stimmenzahl in Gemäßheit der Bestimmungen m 8§ 101 und 102 der zum Allgemeinen Berggesetz erlassenen Ausführungs-Verordnung vom 2. Dezember 1868 von dem unterzeichneten Revierausschuß aufgestellt worden ist und zur Einsichtnahme der Berg- Werksbesitzer ans hiesiger Expedition bereit liegt, wird dies hierdurch mit der Aufforderung be kannt gemacht, etwaige Reclamationen binnen 14 Tagen schriftlich bei uns anzubringt», «dem nach Ablauf dieser Frist eingehende Reclamationen unbeachtet bleiben müssen. Freiberg, den 21. Februar 1898. . - Der RevterauSschutz der Bergrevier Freiberg» Bekanntmachung. Mit Genehmigung der Königl. Amtshauptmannschaft Meißen wird die im Zuge -«mHohes- tanne nach Klein- bez. GroßvoigtSberg zusührends neugebaut eMuldenbrücke hierdurch dem oisc»» Uchen Fährverkehr übergeben, mit der Bedingung, daß Fuhrwerke, welche einschl. der Wagenlast mehr als 8000 üx --- 160 Ctr. besitzen, dieselbe nicht passiren dürfen. Uebertretungen werd«« bis zu 30 Mark Geld- event. Haftstrase geahndet. Im Uebrigen wird auf die an der Brücke angebrachten Warnungstafeln verwiesen. Hohentanne, den 24. Februar 1898. G«m.-Vorst. Zolas Vernrlheiluus. Auch die hinreißende Beredtsamkeit Labori» hat den Eindruck nicht zu verwischen vermocht, den daS Säbelgeraffel und die Demissions-Drohungen de» Generalstabes im Verein mit der scheußlichen Terrorisirungspolitik der antisemitischen Presse auf bie Geschworenen gemacht. Zu dem an Dreyfus verübten Justiz mord ist ein neues Justizverbrechen gekommen: Zola, dermuthige Vorkämpfer für Recht und Wahrheit, ist zu der höchsten zulässigen Strafe verurtheilt. Die Geschworenen beantworteten alle gestellten Schuldfragen mit „Ja" und der Gerichtshof verurtheilte Zola zu einem Jahre Gefängniß und dreitausend Francs Geldstrafe. Das Urtheil gegen Clemenceau, den Herausgeber der „Aurore", lautete auf vier Monate Gefängniß und dreitausend Franc» Geldstrafe. Wir werden auf dieses Ereigniß von eminenter kulturhistorischer Bedeutung noch zurückzukommen haben. Für heute geben wir im Nachstehenden eine Pariser Korrespondenz der „Franks. Ztg.", auS welcher auch Diejenigen, die den Zolaprozeß nickt im Einzelnen verfolgt haben, sich ein ungefähres Bild machen können, wie sich d«r Gang der Verhandlungen bis zu den Plaidoyers gestaltete: . Nach zweiwochenlangem gewaltigen Ringen scheint im Prozesse Zola die Vertheidigung nun endlich der Gewalt zu unter liegen. Bis Freitag Nachmittag drang jene langsam siegreich vor. Die Generäle wurden Schritt um Schritt zurückgedrängt. Al» sie sahen, daß sie unterliegen würden, griffen sie, nach echter Soldatenart, zum Säbel und schlugen drein. DaS brachte die Entscheidung. Die Gewalt ist fast stets stärker gewesen als das Recht. Das vergewaltigte Recht nimmt zwar auch fast stets seine Revanche, aber das fordert Zeit; und der augenblickliche Erfolg gehört zumeist Demjenigen, der zuschlägt. Der gegenwärtige Augenblick aber ist in Frankreich dem Zuschlägen besonders günstig. DaS Volk ist verblendet und sieht nicht, was vorgeht; und seine Empfindungen drückte der Mann aus dem Publikum auS, der vorgestern dem Generalstabschef Boisdeffre, der den Geschworenen das Kommando zur Verurtheilung Zolas über brachte, ein schallendes „Lravo, xensrall" zurief. So sieht zur Stunde Frankreich den Vorgängen im Pariser Justizpnlast zu, klatscht in die Hände und ruft: „Lravo, xänsraU" Wie gesagt, bis Freitag gewann die Vertheidigung täglich Terrain. Trotz aller Gerichtsbeschlüsse wurden die Prozesse DreyfuS und Esterhazy gleichzeitig verhandelt. Die Ber- theidigung bot zuerst alle Anstrengungen auf, um die Anklage im Prozeß Dreyfus mederzuwerfen. Die Anklage hatte zur Grundlage das Bordereau und die Gutachten der Schreibsach verständigen, die dasselbe als von Dreyfus verfaßt erklärt hatten. So richtete denn die Vertheidigung ihren Hauptangriff gegen das Bordereau. Die Schreibexperten aus dem Dreyfus-Prozeß wurden vernichtet. ES wurde dargethan, daß Berti llon ein halber Wahnsinniger, Teyssonnieres ein Lügner und Ver leumder war. Dem dritten Schreibsachverständigen au» dem DreysuS-Prozeß, Charavay, wurde die Aussage abgenöthigt, daß die Handschriften-Gutachten im Allgemeinen nichts werth sind. Damit war die Grundlage der Anklage gegen Dreyfus, die in dem Gutachten dieser Experten bestand, schwer erschüttert. Auf Grund der Aussagen der Herren Bertillon, Teyssonnieres und Charavay allein konnte man nicht mehr glauben, daß das Bordereau von DreyfuS sei; andere Beweise als diese Aussagen haben aber niemals vorgelegen. Nachdem diese negative Arbeit geleistet war, ging die Ver theidigung zur positiven Darlegung über. Die nächsten Prozeß- Tage hatten zum Thema: „Da» Bordereau, daS. wie wir gesehen, nicht von Dreyfus ist, ist von Esterhazy." Alle Berühmtheiten der Pariser Urkunden- und Handschrift-Wisscusihnst dcfilirten. Die Looks äes Obartss, mit ihrem Direktor an occ Spitze, erklärte