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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 26.05.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189905268
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18990526
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18990526
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-05
- Tag 1899-05-26
-
Monat
1899-05
-
Jahr
1899
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 26.05.1899
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11S Freiberger Anzeiger n«d Lageblatt, «eite S. — SS Mat. dritten Armee — der Oberkommandant war der Kronprinz, sein Generalstabschef Blumenthal — alles Erforderliche gethan? Hierüber schreibt General von Blume: Was in dieser Hinsicht (seitens der unteren Dienststellen im Operations- und Etappenbereich) auch geschehen oder versäumt sein mag, so konnte das Oberkommando der dritten Armee nicht lange in Unkenntniß darüber bleiben, daß die Herbeischaffung von Pferden und Fahrzeugen aus dem feindlichen Lande that- sächlich einen sehr unbefriedigenden Verlauf nahm. Der mit der technischen Leitung des artilleristischen Angriffs und der Vor bereitungen dazu beauftragte, dem Oberkommando zugetheilte Offizier, Oberst v. Riess, war verpflichtet, darüber fortlaufend zu melden, und hat dies gethan, wie aus dem Schluß seines Berichts vom 29. November hervorgeht. Das Oberkommando mußte daraus erkennen, daß die Lösung der Aufgabe mit den Hilfsmitteln des feindlichen Landes allein nicht gelingen würde, und da es mit Recht Bedenken trug, Aushilfe au Transport mitteln von den Feldtruppen in größerem Umfange zu gewähren, so lag, sollte man meinen, der Gedanke nahe, daß die Heran ziehung geeigneter Transportmittel aus der Heimath unvermeidlich sei, und dann mußte diese Aushilfe beantragt werden. Man wird hiernach nicht behaupten können, daß das Oberkommando AlleS gethan habe, was in seinen Kräften stand, um die Vor bereitungen für den Angriff zu beschleunigen. Psychologisch wird dies dadurch erklärlich, daß beim Kronprinzen und in dessen Stabe das Vertrauen zu ausreichend schnellem Erfolge der Ein schließung, sowie die Ueberzeugnng von der Erfolglosigkeit und daher Schädlichkeit des von Anderen so laut geforderten Stadt bombardements besonders stark ausgeprägt waren. Das genügt 'nicht zur Rechtfertigung von Versäumnissen bei Ausführung des .erhaltenen Angriffsauftrages, wohl aber, um solche ohne die An nahme bösen Willens, ohne Verdacht von Nachgiebigkeit gegen fremdartige Einflüsse zu erklären Die Schwierigkeiten entzogen sich großentheilS der Voraussicht und traten erst bei der praktischen Lösung der Aufgabe hervor. Am Wenigsten war >zu vermuthen, daß man in dem reichen Lande auf so großen Mangel an geeigneten Fahrzeugen und Pferden stoßen würde. Deshalb ist auch dem Oberkommando daraus kein Vorwurf zu machen, 'daß es eine gewisse Zeit mit vergeblichen Versuchen der Selbst hilfe verlor; nur hätte es früher, als geschehen, zu der Erkennt- niß, daß Aushilse aus der Heimath unentbehrlich war, kommen und danach handeln müssen. Erst in dem Bericht, den der General v. Moltke in Folge des Befehls des Königs vom 28. November über die Gründe der Verzögerung der Be lagerungsvorarbeiten einforderte, beantragte das Oberkommando der dritten Armee jene Aushilfe unter der Mittheilung, daß bereits ein Unternehmer in der Heimath sich erboten habe, in kürzester Frist 900 bis 1000 bespannte Fahrzeuge zum Preise von je 6 Thalern für den Tag zu liefern. Der General v. Moltke befürwortete die Annahme dieses Anerbietens, und der Kriegsminister ordnete nunmehr, am 3. Dezember, nicht ohne Bedenken wegen der Kosten — die Mobilisirung von 24 mili tärisch organisirten Munitions-Fuhrparkkolonnen, jede zu 40 vier spännigen Fahrzeugen, in der Heimath an. Sie wurden der dritten Armee für die Belagerung zur Verfügung gestellt und trafen mit der Eisenbahn im letzten Drittel des Dezember und im Anfang drS Januar vor Paris ein. General von Blume hebt hervor, daß die Bersäumniß, deren auch er das Oberkommando der dritte» Armee bezichtigt, keines wegs die Vermuthung unberechtigter Einflüsse begründe; aber eine ausreichende Erklärung bringt auch er nicht bei, und so bleibt eben die Lücke in unserer Kenntniß der damaligen Vor gänge. Auf die naheliegende Frage, warum weder Roon, noch Moltke eingegriffen, erwidert der Verfasser, der Kriegsminister sei damals schwer leidend, Moltke aber durch die unerwartete Ent wickelung der Kriegsverhältnisse in den französischen Provinzen in Anspruch genommen, außerdem auch jedem Eingriff in die An ordnungen der einzelnen Armee-Oberkommandos abgeneigt gewesen. „Geben wir", so schreibt General von Blume, „ruhig zu, daß es im vorliegenden Falle nützlich gewesen wäre, von dem Grundsatz abzuweichen, — nur wurde ihm dies durch die lauten Verdächtigungen des guten Willens des Oberkommandos der dritten Armee wahrlich nicht erleichtert. Er hatte guten ^Grund, selbst den Schein vermeiden zu wollen, als wenn er .jene Verdächtigungen für begründet hielte, auch auf die Gefahr zhin, dadurch selbst in Verdacht zu kommen." Wir glauben, daß dieser Erklärungsversuch kaum geeignet ist, Eindruck zu machen. Wie dem aber auch sein mag: die Blumesche Schrift, so lesenswerth sie ist, ändert nichts an dem Fragezeichen, mit welchem man bisher jede Erörterung der Frage schließen mußte. DaS Verlangen, die Wahrheit darüber zu ergründen, beruht zunächst in jenem auf die Wahrheit gerichteten Zuge des menschlichen Geistes, welcher aller Geschichtsforschung zu Grunde liegt; jenes Verlangen hat aber auch eine politische Seite: man möchte klar darüber sehen, ob es selbst in einer Monarchie wie die preußische unter Wilhelm I. möglich war, daß in Lebens fragen der Nation unberechtigte persönliche Einflüsse sich mit ^Erfolg geltend machen konnten. Auch General von Blumes Schrift giebt keine abschließende Antwort. Politische Umschau. Freiberg, den 25. Mai. Ueber die Zahl der im Auslande lebenden deutschen Reichsangehörigen herrschen weit auseinandergebende und -zum Theil sehr irrige Ansichten. Nach zuverlässigen Aufzeich nungen dürfte, wie die „Münch. Allg. Z t g." ausführt, die Zahl derselben über 3^/. Millionen betragen, von denen in den Vereinigten Staaten von Amerika allein 2800000 und in Britisch-Nordamerika etwa 30 000 sich befinden. In Südamerika sind etwa 46 000 deutsche Reichsangehörige, in Brasilien und Australien deren 50 000. Gerade diese letzteren Ziffern erscheinen deswegen besonders ins Gewicht fallend, weil die betreffenden Gebiete nur eine verhältnißmäßig geringe Be völkerungsdichtigkeit haben. Die Zahl der Stam mes- deutschen dagegen, d. h. derjenigen Deutschen und Abkömm linge von deutschen Reichsangehörigen, die nicht mehr Reichs angehörige, aber derNationalität nach Deutsche sind, beläuft sich im Ausland auf gegen 13 Millionen, von denen sich etwa 8^/, Millionen außerhalb Europas befinden. Auch von diesen entsällt der größte Theil, und zwar über 7 Millionen auf die Vereinigten Staaten von Amerika; dort sind sie besonders in Ohio, Wisconsin, Illinois, Pennsylvanien, Indiana und Iowa vertreten. Auf Britisch- Nordamerika entfallen ungefähr 250 000 deutsche Stammes angehörige und ebensoviel in Südamerika aus Brasilien und die La Plata-Staaten. Die günstige Entwickelung der Reichssinanzeu hat auch im Beginn des neuen Etatsjahres ungehalten. Die Jsteinnahme aus den Zöllen und Verbrauchssteuern hat für den April d. I. 64 7 Millionen oder 5 Millionen mehr wie im April des Vor ¬ jahres betragen. Die Zölle sind an dem Mehr mit 3,3 Millionen' die Zuckersteuer mit 1,5 Millionen, die Salzsteuer mit 0,2 Millionen betheiligt. Die einzige Verbrauchsabgabe, die gegen den April des Vorjahres ein Weniger und zwar in Höhe von 0,3 Millionen aufzuweisen hat, ist die Brauntweinverbrauchsabgabe. Sie hat bekanntlich schon für daS letztverflossene Finanzjahr gegen den Etat ungünstig abgeschlossen. Alle anderen Verbrauchsab gaben zeigen in ihren Erträgen weitere Steigerungen. Was die übrigen Einnahmezweige des Reiches betrifft, so weisen die Reichs- Stempelabgaben wieder einmal ein kleines Weniger und zwar in Höhe von rund 0,3 Millionen auf. Es liegt dies daran, daß der eine Theil der Börsensteuer, die Steuer für Werthpapiere, nahezu eine Million weniger alS im April deS Vorjahres er bracht hat. Die Einnahmen auS den beiden großen Betriebsver waltungen des Reiches sind gestiegen. Die Post- und Telegraphen verwaltung hat für den April 2,1 Millionen, die Reichseisenbahn- Verwaltung nahezu 0,4 Million«« mehr abgeworfen. Wegen der Scharlach-Epidemie im Kadettenhause zu Plön wird der prinzliche Hof bis zum 8. August nach Wilhelms höhe verlegt. Die Studiengenoffen der Prinzen werden mit gehen. Prinzessin Heinrich von Preußen ist am Mittwoch 3*/, Uhr an Bord des „Prinz Heinrich" i« Genua eingetroffen. An der gestrigen Eröffnung des Tuberkulose- Kongresses im ReichNagsgebäude uahm auch die Kaiserin theil. Graf Posadowsky eröffnete den Kongreß mit einer An sprache, in welcher er auf die kuturellen Fortschritte hinwies und auf die neuen Gefahren, die damit entstehen. Auch die Tuberkulose sei in der gegenwärtigen Ausdehnung eine Begleit erscheinung des modernen Kulturlebens; sie stelle eine wachsende Gefahr für das Volk dar. Diese Gefahr zeitigte den Wunsch, das drohende Uebel systematisch zu bekämpfen und die Opser- freudigkeit der Gesammtheit für den Kongreß in Anspruch zu nehmen. Von der hohen Auffassung, für die Nothleidenden und Schwachen zu sorgen, geleitet, übernahm die Kaiserin das Protektorat über den Kongreß. Wenn in der Versammlung Abgesandte fast aller Kulturvölker anwesend sind, so sei dies ein sichtbarer Beweis dafür, daß in dem Bestreben, das Wohl der Kranken, Schwachen und Unglücklichen zu fördern, alle gesitteten Völker sich solidarisch betrachten. Redner wies noch auf den gleichzeitig tagende« Kongreß im Haag hin; beide Ereignisse würden in Zukunft denkwürdige Blätter der Kulturgeschichte bilden für die Brurtheilung unseres Zeitgeistes. Redner schloß mit dem Wunsche für einen guten Erfolg der Arbeiten des Kon gresses. Nachdem Graf Posadowsky nach dem Erscheinen der Kaiserin als Protektorin die zahlreichen Theilnehmer des In- und Aus landes mit dieser Aussprache begrüßt hatte, dankte der Vorsitzende des Orgauisations-ComiteS, Herzog von Ratibor, den Majestäten für die Förderung des Kongresses; er dankte sodann der Groß herzogin von Baden für ihr lebhaftes Interesse, sowie den Re gierungen und sonstigen Behörden für ihr Entgegenkommen. Namens der Stadt Berlin brachte Bürgermeister Kirschner dem Kongresse einen Willkommensgruß. Hierauf sprachen die ver schiedenen Delegirten Boyd-Amerika, Brouardel-Paris, Grainger Steward-England, Maragliano-Jtalien, Ministerialrath Dabrar- Wien, Koranyi-Ungarn, Ehrenleibarzt des Kaisers von Rußland Bertensen-Petersburg ihren Dank an den Kongreß und die besten Wünsche ihrer Regierungen für die Arbeiten des Kongresses aus. Der zweite Vorsitzende, Prof. Leyden, gab sodann in längerer Ausführung ein Bild der Heimstättenentwickelung unter dem fördernden Schutz der Majestäten und der Generalsekretär des Kongresses, Stabsarzt Pannwitz, statistische Notizen über den Kongreß, der 2000 Mitglieder z^lte, sowie 200 Delegirte der deutschen und fremdländischen Regierungen. Der Vorsitzende brachte ein jubelnd aufgenommenes Hoch auf die Majestäten aus. An die Königin von England wurde anläßlich ihres Geburts tages ein Glückwunschtelegramm gesandt. Abends sind die Kon greßmitglieder Gäste der Stadt Berlin. Heute Nachmittag folgen sie der Einladung des Reichskanzlers und heute Abend findet eine Festvorstellung im Opernhause statt. Die Freunde einer Vertagung des Reichstags bis zum Herbst sind unermüdlich in der Verbreitung von Nachrichten, welche diese Vertagung als unzweifelhaft hinstellen sollen. Heute wird versichert, die Vertagung im zweiten Drittel des Juni sei „so gut wie sicher in Aussicht genommen." Zunächst bleibt ab zuwarten, ob der Reichstag nach seinem Wiederznsammentritt Anfang Juni arbeitsfähig sein und die dringlichsten Aufgaben erledigen wird. Leistet er dies nicht, so wird man wohl schwerlich zu der Leistungsunsähigkeit auch noch die Mißbräuche und Uebel stände einer halbjährigen Vertagung in den Kauf nehmen. Der deutsche „Reichsanzeiger" schreibt: Ihre Majestät die Königin von Großbritannien und Irland vollendet heute das 80. Lebensjahr. Se. Majestät der Kaiser vereinigt sich mit dem deutschen Volke in herzlichen Segenswünschen für die ehrwürdige Fürstin, in welcher die englische Nation schon länger als zwei Menschenalter eine glanzvolle Trägerin ihres König- thums verehrt. Mögen der erlauchten Monarchin noch viele Jahre ihrer an Glück und Ehre reichen Herrscherlausbahn be- schieden sein. Gegenüber der durch ein englisches Blatt verbreiteten Meldung aus Tientsin, daß drei deutsche Offiziere von Chinesen getödtet worden seien, wird mitgetheilt, daß an amtlicher Stelle in Berlin von diesen Gewaltthaten nichts bekannt ist. In dem Remscheider Vorfall, in dem es sich nm Be freiung junger Leute aus angesehenen Familien vom Militärdienst handelt, sind neuerdings Verhaftungen vor genommen, darunter auch die eines Kölner Arztes, der im Auf trage der Versicherungsgesellschaft ärztliche Gutachten für junge Leute ausgestellt haben soll, deren eins von einer dritten Person mißbraucht wurde. Der Kampf zwischen den Aerzten und den Naturheilkundigen nimmt immer schärfere Formen an. Auf die Anregung des preußischen Kultusministers vr. Bosse hin haben die Aerzte sich verpflichtet, um das Kurpfuscherverbot durchzusetzen, Material gegen die Naturärzte und Natnrheilkundigen zu sammeln. Die Vertreter der Naturheilkunde fürchten nun, daß damit der Anfang gemacht werden soll, um das Verbot der Kurirfreiheit auf landesgesetzlichem Wege durchzusetzen. Um diesen Angriffen auf die „freie Heilkunde" zu begegnen, ist beschlossen worden, eine Centralstelle zu beauftragen, Material gegen die Mediziner zu sammeln. Es sollen, wie ein jüngst vertheilter Ausruf besagt, „alle Kurpfuschereien und Bestrafungen approbirter Medizinärzte" zur Kenntniß der betreffenden Kommission gebracht werden, welche das gejammte Material den Behörden und den gesetzgebenden Körperschaften übermitteln soll. Oesterreich. Seit dem Pfingstsonntag weiß Freund wie Feind, was die Deutschen in Oesterreich wollen und was sie nicht wollen. Die von ihren Führern in langwierigen, überaus gewissenhaft durchgeführten Berathungen vereinbarte Zusammen stellung ihrer national-Politischen Forderungen ist eine StaatS- schrift, die für die weitere Entwickelung des österreichischen Staates eine ähnliche Bedeutung gewinnen kann, wie sie der pragmatischen Sanktion für die Gesammtmonarchie zukommt. Die Deutschen haben in dieser Staatsschrift mit aller Schärfe die Bedingungen ausgesprochen, unter denen sie mit den übrigen Nationalitäten an dem Ausbau des Staates zusammenzuwirken bereit sind — wird diesen Bedingungen nicht entsprochen, dann werden sie Sorge und Verantwortung für den Staat den ihnen feindlichen Völker schaften überlassen und sich ausschließlich auf die Wahrung und Geltendmachung ihrer nationalen Interessen beschränken. Ihren Forderungen, die wir schon mitgetheilt haben, kann weder Klarheit noch Maß und Billigkeit abgesprochen werden. Den anderen Nationalitäten wird der weiteste Raum zur Entwicklung undBe- thätigung ihrer Kräfte gewährt, ihren Sprachen ein breiteres Feld eingeräumt, als ihnen selbst die Sprachenverordnungen Prazaks, Badenis und Gautschs abgesteckt haben, für die deutsche Sprache wird nicht mehr die Anerkennung als Staatssprache, sondern nur die weit bescheidenere als Vermittelungssprache verlangt. Sagen Regierung und Parlamentsmehrheit diesem vielleicht übertrieben bescheidenen Ansprüche gegenüber Nein, dann bekunden sie offen, daß sie den Unterdrückungskampf gegen das Deutschthum und die Auflösung des Einheitsstaates wollen. Für die Deutschen giebt es dann nur noch eine Pflicht, die des rücksichtslosesten Selbst erhaltungskampfes mit allen Mitteln, die Verfassung und Gesetz ihnen gewähren, mag darüber in Trümmer gehen, was immer. „Durch den Druck der Verhältnisse gezwungen, bestellen wir unser eigenes Haus", heißt es in der Kundgebung der Deutschen. Das ist ein Wort voll tiefer Melancholie mit einem Unterton der Hoffnungslosigkeit — aber diese Melancholie und diese Hoffnungs- losigkeit gilt nicht der Sache des deutschen Volksthums, denn dieses Volksthum strotzt von Lebenskraft und ist von muthiger Zukunsts icherheit erfüllt, es wird seinen Platz und wird sich selbst be- jaupten, mag ringsum auch Mancherlei auseinander» und zu- ammenbrechen. Ein Einjährig-Freiwilliger in Krems (Niederösterreich), der jüngst zum Protestantismus übertrat, hat dafür 20 Tage Arrest erhalten! Niederlanve. Die Theeabende der eitlen Frau von Suttner, die natürlich nichts Eiligeres zu thun hatte, als nach dem Haag zu reisen, ebenso die Aufdringlichkeiten des Menschenbeglückers von Bloch werden mit Recht im „Franks. Gen.-Anz." verspottet: In völliger Verkennung der Sachlage befinden sich immer noch nur die unverbesserlichen Schwärmer. Baronin Suttner hat im Haag ein« Hotel-Etage gemiethet und veranstaltet in ihrem Salon ästhetische Thees, zu denen die Dele girten ergebenst eingeladen werden, um dort unter dem Schirm der Weiblichkeit sich persönlich näher zu treten und bei kalter kküche friedlich zu werden. Wir bezweifeln, daß der Salon über- üllt sein wird. Baron Staal, Graf Münster und die anderen Würdenträger haben Wichtigeres zu thun, als sich von einer exaltirten Dame zwischen Lachsbrötchen und Sektglas Vorträge über Völkerrecht halten zu lassen. Auch die in alle Welt hinaus- telegraphirte Ankunft des Herrn von Bloch im Haag wird die Delegirten kaum aus ihrer Gemüthsruhe bringen. Dieser Bankier aus dem fernen Osten hat bekanntlich in russischer Sprache ein von fehlerhaften Notizen vielfach wimmelndes sechsbändiges Wer! über den Krieg aus bereits vorhandenen Büchern zusammengestellt. Seitdem ist er von dem Größenwahn befallen, daß er der Macher des Friedens sei. Mit riesigen Bücherlisten ist er in s'Gravens- hage eingerückt. Er hat allen Delegirten sein Werk mit einer Denkschrift überreicht, worin er ausführt, daß die Friedens- bestrebuugen jetzt nicht mehr als Utopie zu betrachten seien, daß vielmehr im Gegentheil angesichts der Fortschritte der Bewaffnung und des ungeheuren Aufgebots von Truppen der Krieg als eine Utopie betrachtet werden müsse. Bloch fordert deshalb die Dele girten auf, unter Zuziehung militärischer Fachleute mit ihm in Verbindung zu treten, um seine Ideen und die ihnen zu Grunde liegenden Thatsachen zu erörtern, und er stellt sich zu diesem Zweck den Mitgliedern der Konferenz zur Verfügung. Das ist riesig liebenswürdig von Herrn Bloch. Aber die Konferenz wird sich schwerlich dazu hergeben, für den Emporkömmling die ge wünschte Reklame zu machen. Er wird bald einsehen, daß im Haag für ihn nichts zu holen ist. Auch alle Anderen, die nicht von der Zunft sind, rüsten sich schon jetzt zur Abreise. Darunter die Schaar der umsonst hingepilgerten Journalisten. Fortan sollen nur offizielle Berichte an die Presse gelangen, die von dem Sekretär der russischen Delegation verfaßt sind. Also mit Vorsicht zu genießen! Die Abgesandten zur Friedenskonferenz sind bereits mehrfach in unliebsamer Weise von den Kosten überrascht, die ihnen ein längerer Aufenthalt im Haag verursachen wird. Be kanntlich zeichnet sich das Leben in Holland auch in gewöhnlichen Zeiten nicht gerade durch Billigkeit aus. Wenn aber eine be sondere Gelegenheit eintritt, so zeigen sich die Holländer gleich als ausgezeichnete Geschäftsleute und die Haager Gasthofsbesitzer sagten sich, daß es sich für Mitglieder einer Friedenskonferenz nicht schicken würde, mit ihnen wegen der gesalzenen Hotelpreisc einen Streit anzufangen. Die niederländische Residenzstadt, die sonst keinen großen Fremdenbesuch aufzuweisen hat, besitzt nur wenige Hotels, die nicht einmal durch ihre Größe» glänzen. Die Ankunft von einigen hundert Personen ruft gleich eine Ueber- süllung hervor und damit natürlich die Verdreifachung der Preise. Die hier versammelten Diplomaten sind daher gleich am ersten Tage zur Wahrnehmung gelangt, daß der ihnen zur Verfügung gestellte Kredit für ihre Bedürfnisse lange nicht ausreichen wird. Das meiste Geld hat Herr v. Staal mitgebracht, nämlich 150 000 Rubel, die ihm seine Regierung bewilligte. Er wird bis zum Schlüsse der Konferenz mindestens das Doppelte ausgeben müssen. Die übrigen Abgesandten beziehen 300—500 Franken täglich und dabei ist bei dem theuren iLeben noch Sparsamkeit nothwendig! Recht knauserig hat sich das niederländische Parlament benommen, indem es für die gejammten Kosten nur die Summe von 75 000 Gulden bewilligte, während die Stadtvertretung von Haag über haupt jeden Kredit ablehnte. Die Niederländer sind nämlich einigermaßen erbittert über die Nichteinladung der beiden stamm verwandten südafrikanischen Republiken und haben ihrem Miß- muth dadurch Ausdruck geliehen, daß sie nur eine bescheidene Empfangssumme bewilligten. Montenegro. Wie der „Pol. Korr." aus Cetinje ge schrieben wird, sind vor einigen Tagen die Vertreter des Fürsten Nikolaus für die Abfassung des Ehevertrags zwischen dem Erb prinzen Danilo und der Prinzessin Jutta von Mecklenburg- Strclitz, Oberst Popowitsch und Conte Vojnowitsch nach Neu strelitz abgereist. Die Vermählung des Erbprinzen Danilo findet am 18. Juli (a. St.) in Cetinje statt. Das junge Ehepaar wird den Sommer hindurch in der fürstlichen Villa in Antivari Aufenthalt nehmen. Das Gerücht vom Uebertritt der Braut zur griechisch-orientalischen Kirche bestätigt sich nicht, zumindest ist bisher in dieser Angelegenheit ein Beschluß noch nicht gefaßt worden.
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