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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 01.03.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189903011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18990301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18990301
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Vorlagebedingter Textverlust.
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-03
- Tag 1899-03-01
-
Monat
1899-03
-
Jahr
1899
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 01.03.1899
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50 Freiberger Anzeiger und Lageblatt. Seite 2. — 1 März. dar Wort ergriffen und die verschiedenartigsten Beschwerden un^ Wünsch« vorbrachten. Einen großen Raum nahmen darin natür lich die Forderungen um Besoldungsverbesserungen ein, nament lich für die Betriebssekretäre, Telegraphisten und Lokomotivführer. Gegen diese verhielt sich der Minister allerdings im Allgemeinen ablehnend, da es nicht angängig sei, einzelne Beamtenkategorien herauszugreifen und allein auszubeffern, während er sich in Bezug auf manche anderen Wünsche recht entgegenkommend aussprach, namentlich die Verkehrsverhältnisse Straßburgs betreffend. Die Errichtung einer elektrischen Centrale in Mülhausen i. Elsaß wurde unter Billigung des Abg. Bueb, des Vertreters für Mül hausen, abgelehnt, da vollständig neue Bahnhofsanlagen dort nöthig seien, was der Minister zugab. Es ging wie eine Er leichterung durch das Haus, als der Präsident in vorgerückter Stunde endlich konstatirt, daß der Etat der Reichseisenbahnen in zweiter Lesung erledigt sei. Es ist wohl auf das Konto der allgemeinen Ermüdung zu schreiben, daß die weitere Berathung schneller vor sich ging. Der Etat des Rechnungshoss für das deutsche Reich wurde ganz ohne Debatte genehmigt, und beim Etat des Reichsschatzamts brachte nur vr. Pachnicke (ft. Bgg.) eine zolltechnische Beschwerde vor, die der Staatssekretär entgegenkommend beantwortete. Frhr. von Thielmann kam ungleich günstiger fort als seine Kollegen, er brauchte auf die Bewilligung seines Gehaltes, nachdem es zur Diskussion gestellt war, kaum eine Viertelstunde zu warten. Endlich wurde auch noch der Etat der Zölle und Verbrauchs steuern in Angriff genommen, aber die Berathung wurde bald -durcheinen VertagungSbeschlußunterbrochen. NurGras Schwerins!.) konnte die Schädigung der kleinen Mühlen zur Sprache bringen, die aus der heute üblichen Ermittelung der Ausfuhrvergütung für Mühlenfabrikate sich ergebe. Der Staatssekretär erkannte das -Verfahren für besserungsfähig an und erklärte, in dieser Richtung wirken zu wollen, wenn auch seiner Ansicht nach von einer Be vorzugung deS Großmühlenbetriebes keine Rede sein könne. Morgen wird dies« Frage wohl noch weiter erörtert werden. -a-noi. C. T. Während die freisinnige Presse zu Unrecht den Kon servativen vorwirft, den Grafen von Caprivi mit ihrem Hasse über das Grab hinaus zu verfolgen, weil der Präsident des preußischen Abgeordnetenhauses für den verstorbenen zweiten 'Reichskanzler auS durchaus berechtigten formalen Gründen die Widmung eines Nachrufs unterlassen mußte, hat das „Berl. Tagebl." «inen Schritt unternommen, der wie kein anderer ge eignet ist, dem Andenken Caprivis in recht weiten Volkskreisen 'unverbesserlichen Schaden zuzufügen. Das genannte freisinnige Organ hat nämlich wohl theils ans Wichtigthuerei, theils aus Rerlamebedürsniß eine Reihe von Briefen veröffentlicht, die Gras 'Caprivi als Antwort auf wahrscheinlich mehr oder minder zu dringliche Schreiben auS der Redaktion des „Tageblattes" hat ergehen lassen. Daß es sich bei diesen Kanzlerbricsen um absolut vertrauliche Kundgebungen handelt, dürste Jedem klar sein, der die Peinlichkeit in Betracht zieht, mit der der zweite Reichskanzler sich bemühte, nach seinem Rücktritte der Oesfentlichkeit absolut fern zu bleiben. Allein auck aus den, vom „Berl. Tagebl." in nicht sehr taktvoller Weise veröffentlichten privaten Briesen geht der Wunsch Caprivis, selbst nach dem Tode von dem Hineinzerren 'einer Perion in politische Kontroversen verschont zu werden, klar hervor. Wie aber Graf Caprivi schon bei Lebzeiten über die „un heimliche" Freundschaft aufdringlicher Freisinniger zu klagen hatte, so muß er diesen auch im Tode noch zur politischen und geschäftlichen Reklame dienen und das wird Jeden, der dem ehr lichen und vornehmen Charaker Caprivis Achtung zollt, wenn er auch als Politiker fein Gegner war, mit Schmerz erfüllen. „Was liegt daran", so heißt es in einem der vom „Berl. Tagebl." veröffentlichten Schreiben vom März v. I., „ob ich verkleinert, ja beschimpt werde, ob mein Bild verdunkelt auf die Nachwelt übergeht, wenn man mir nur den Ruf eines anständigen Mannes, !eines selbstlosen Patrioten nicht nehmen kann?" Diesen Ans spruch hätte das „Berl. Tagebl." denn doch beherzigen und mit den vertrauensvoll an seine Redaktion gerichteten Herzensergüssen des Verstorbenen taktvoller verfahren sollen. Da aber die Veröffentlichung geschehen ist und die Briese Caprivis nunmehr die Rnnde durch die Presse machen, können auch wir nicht umhin, aus denjenigen Punkt, der am meisten für des zweiten Reichskanzlers Wirken charakteristisch ist, hinznweisen. Dieser Punkt »st in dem ersten an das freisinnige Blatt ge eichtsten Schreiben vom Februar 1895 betont; die betreffende Stelle lautet: „Ein nicht unerheblicher Theil meiner Motive hatte Bezug auf den Fürsten Bismarck, und ich darf soviel wohl Ihnen gegenüber aussprechen, daß ich bei aller Anerkennung deS Glanzes seiner Person und unserer Heldenzeit, schon ehe ich Kanzler wurde, erkannt zu haben glaubte, wie schwere Schäden die Kehrseite jener glänzenden Medaille zeigte. Der Nation behilflich zu sein, daß sie ohne an den neugewonnenen nationalen Gütern Schaden zu leiden, in ein Alltagsdasein zurückkehlte, m dem sie ihre alten Tugenden wiederfände, schien mir das nächste, voraussichtlich nur im Laufe der Jahre zu erreichende Ziel. Fürst Bismarck hatte, wie ja schon oft ausgesprochen ist, die innere Politik mit den Mitteln der äußeren gesührt, und die Nation war in Gefahr, ihren sittlichen Standard sinken zu sehen." Diese durch und durch falsche und bedauerliche Anschauung giebt den Schlöffel für so manchen Mißgriff, den Gras Craprivi als Nachfolger des großen Kanzlers machte. Es war der be wußte Gegensatz, in welchen der zweite Reichskanzler zu der Politik seines großen Vorgängers trat. Wir sehen davon ab, die bedeut samen Briejstellen weiter zu kommentiren; aus r er bloßen Lektüre wird vieles klar, was bisher in der „Aera Caprivi" unverständ lich bleiben mußte. Jedenfalls ist darin anch die beste Recht fertigung der starken Gegnerschaft der Konservativen gegen die ontibiSmarckische Politik des Grafen Caprivi zu finden; denn daß thatsächlich in Folge der reich gesegneten Politik des Fürsten Bis marck, welche auch die Politik des großen Kaisers war, „der sittliche Standard" der deutschen Nation im Sinken begriffen gewesen sei, wird doch im Ernste kein objektiv urtheilender Mann im In- und Auslande zu behaupten wagen. Gras Caprivi muß sich bei dem Niederschreiben dieses Satzes selbst in einem unbegreiflichen Jrrthum befunden haben; denn in seiner Einführungsrede an das preußische Abgeordnetenhaus am 15. April 1890 äußerte er sich folgendermaßen: „Ich bin über zeugt, daß das Gebäude, was unter der hervorragenden Mit wirkung des Fürsten Bismarck entstanden ist, seiner genialen Kraft, seines eisernen Willens, seiner tiefen Vaterlandsliebe — Saß dies Gebäude fest genug gefügt und gegründet ist, um auch, nachdem seine stützende Hand ihm fehlt, Wind uud Wetter wider stehen zu können." Das sieht doch nicht so aus, als habe Caprivi damals ein Sinken des „sittlichen Standards" vor Augen gehabt. Insofern, als das feste Gefüge des Bismarck'schen Baues den kurz darauf erfolgten Anstürmen Widerstand zu leisten vermochte, hat der zweite Reichskanzler sich allerdings nicht getäuscht. Dem Andenken des Heimgegangenen konnte kein schlechterer Dienst erwiesen werden, als durch die Veröffentlichung seiner vertraulichen Briefe. Politische Umschau. Freiberg, den 28. Februar. Deutschland. Die kaiserliche Dacht „Hohenzollern", welche am 1. April vollständig montirt sein und dann dem Kaiser zur Verfügung stehen wird, trägt den Monarchen auch in diesem Jahre wieder für einige Zeit in die nordischen Gewässer. Rach den bis jetzt vor liegenden Dispositionen nimmt der Kaiser am 16. Juni an Bord der „Hohenzollern" an den Elbregatten bei Helgoland Theil. Kurz vor Beendigung der Kieler Woche schifft sich die Kapelle der 3. Matrosendivision auf der „Hohenzollern" ein, woraus dann die Nordlandsreise angetreten wird. Daß der Kaiser die geplante Frühjahrsreise nach Rom zum Besuche des italienischen Königs paares definitiv aufgegeben hat, haben wir bereits früher gemeldet. Ueber die letzte Unterschrift Kaiser Wilhelms! erzählt Professor Horst Kohl in seinem neuen BiSmarckbuche Folgendes, wie er es aus dem Munde des Fürsten vernommen hat: „Als Bismarck dem Kaiser die Ordre zur Unterschrift gab, durch welche der Reichstag geschloffen werden sollte, äußerte der Kranke: „Ach, lassen Sie mich, ich bin so müde." Aus die Bitte des Kanzlers, die Ordre nur mit einem VV. zu unterzeichnen, überwand er durch die ihm eigene Pflichttreue die Schwäche so weit, daß er den vollen Namen unter das Schriftstück setzte." Hierzu bemerkt der „Reichsbote": „Da diese Aeußerung des sterbenden Kaisers an die andere erinnert: „Ich habe keine Zeit müde zu sein", so theilen wir, um Mißverständnisse zu verhüten, mit, daß er diese letzte Aeußerung that, als seine Tochter, die Großherzogin von Baden, ihn bat, sich doch zu schonen und sich nicht zu ermüden, als er noch mit der Anstrengung der letzten Kräfte mit seinem Enkel, unserem jetzigen Kaiser redete. Es war nach der kurzen, aus Gottes Wort tröstenden Ansprache, welche v. Kögel über den bewußtlos daliegenden Kaiser hielt. Da fing er an, sich zu erheben, gab Zeichen der Zustimmung, indem er ausrief: „Sehr richtig!" „Wie schön!" Dann setzte er sich auf, verlangte Erfrischungen und hielt noch eine eine Viertelstunde dauernde Ansprache an die Umstehenden, insbesondere aber an den Prinzen Wilhelm, anknüpfend an militärische Besprechungen, die er am Tage vorher mit demselben gehabt, und gab ihm noch politische Aufklärungen und Winke, und als seine besorgte Tochter sagte: „Ach, liebster Vater, Du regst Dich zu viel auf, Du bist müde und mußt Dich jetzt wieder zur Ruhe legen!" antwortete der sterbende Heldenkaiser: „Ich habe keine Zeit, müde zu sein." Nach dem amtlichen Protokoll über die Sitzung der Budget kommission hat Kriegsminister v. Goßler bezüglich der zwei jährigen Dienstzeit in einer Rede gesagt, er sei überzeugt, daß grundsätzlich an der zweijährigen Dienstzeit festgehalten werden würde. In einer zweiten Rede hob er nochmals hervor, daß die verbündeten Regierungen entschlossen sind, für die nächsten jüns Jahre an der zweijährigen Dienstzeit nicht zu rütteln; auch stehe im Prinzip fest, zur dreijährigen Dienstzeit nicht zurück zukehren. Detculfragen müßten Vorbehalten bleiben. Mit voller Loyalität wolle man die zweijährige Dienstzeit durchzuführen suchen. Ueber die Besprechung richterlicher Urtheile in parlamentarischen Körperschaften hat sich der als Par lamentarier und Jurist gleich hochangesehene nationalliberale Abg. vr. Schill in der ll. sächsischen Ständekammer vor einiger Zeit folgendermaßen ausgesprochen: „Ich habe schon früher wiederholt mein Bedauern darüber ausgesprochen, daß richterliche Urtheile und Entscheidungen zum Gegenstand einer parlamentarischen Kritik gemacht würden. Nach meiner Meinung hat jede Partei dringenden Anlaß, dasür zu sorgen, daß die Unabhängigkeit der Gerichte nicht nur auf dem Papier steht, wie dies im Gerichtsverfassungsgesetz zum Ausdruck gelangt ist, sondern daß auch in der Praxis diese Unabhängigkeit von allen Seiten hochgeschätzt wird (sehr richtig!) und aus diesem Grunde — ich glaube meine Parteifreunde sind darin mit mir einer Meinung — werden wir uns hier nun und nimmer darauf einlassen, auf Spezialitäten, die hier vorgebracht werden, einzugehcn. Wir lehnen das ab und wollen, daß die Unabhängigkeit der Gerichte gewahrt werde; ich möchte doch den Richter sehen, der es mit seinem Gewissen verantworten könnte, das zu thun, was der Abg. Goldstein gesagt hat. Der Herr Justizminister kann nichts thun, das wissen wir, denn der Richter soll nicht nach dem Willen des Justizmimsters urtheilen. Aber auch nicht darum muß hier über Urtheile gesprochen werden, damit der Richler weiß, was wir hier wünschen; ein Richter, der bei seiner Entscheidung nach diesen Wünschen fragt, der verletzt seine heilige Pflicht." Die Schriften des katholischen Professors Schell in Würzburg sind, wie schon kurz gemeldet, durch eine offizielle Bekanntmachung im „Osservatore Romano" auf den Index gesetzt worden. Bekanntlich hatte Prof. Schell den Nachweis unternommen, daß ein unabhängiges wissenschaftliches Suchen nach der Wahrheit vereinbar mit der römisch-katholischen Recht gläubigkeit sei. Wer sich des Ausgangs ähnlicher früherer Be wegungen in katholischen Fakultäten erinnerte, der konnte nicht bezweifeln, daß auch die neueste mit einem vatikanischen Ver- dammungsnrthcil gegen Schell enden würde — obgleich anläßlich seines Vorgehens mehrfach in seinem Sinne aus dem klerikalen Lager Klagen über geistige Rückständigkeit der Katholiken laut wurden, ein Mann wie Professor von Hertling sich ähnlich wie Schell aussprach und verlautete, daß gegenüber bischöflichen De nunziationen Schells in Nom dort von anderer bischöflicher Seite für ihn eingetreten worden sei. Dies hat Alles nichts geholfen, wie die Verweisung seiner Schriften auf den Index ergiebt. Es konnte nicht anders kommen; wird doch soeben auch ein Schreiben des Papstes an den Kardinal Gibbons, den Erzbischof von Baltimore, veröffentlicht, worin der sog. Amerikanismus, die von dem Erzbischof Ireland vertretene, etwas freiere Richtung inner halb der amerikanischen katholischen Kirche, verurtheilt wird. Drei Deputirte der amerikanischen Regierung sind in Hamburg eingetroffen, mit dem Auftrage Deutschland zu bereisen, um sich über die Ausführung der jetzt bestehenden Fleisch schau-Verordnung zu insormiren, statistische Erhebungen anzustellen und Untersuchungen über die einzelnen Fälle, in denen amerikanische Fleischwaaren beanstandet werden, zu erheben. Nach der Statistik der Germanischen Lloyd waren im Jahre 1898 auf deutschen Privatwerften nicht weniger als 528 Schiffe im Bau, die einen Bruttoraumgehalt von 546461 Registertonnen haben. Unter den fertiggestellten Schiffen befanden sich 309 Handelsschiffe. Am Ende des Jahres standen auf deutschen Privatwerften noch 195 Schiffe von annähernd 337626 Bruttoregistertonnen Rauminhalt auf dem Helgen, die fast sämmt- lich im laufenden Jahre abgeliefert werden dürften. Das Ver trauen, das das Ausland in die Tüchtigkeit und Leistungsfähig keit der deutschen Werften setzt, ergiebt sich daraus, daß im Jahre 1898 84 Schiffe mit 85811 Bruttoregistertonnen Rauminhalt von ausländischen Bestellern bei deutschen Werften in Auftrag gegeben und im Bau begriffen waren. * Die bayerische Kammer der Abgeordneten nahm gestern mit 110 gegen 3 Stimmen den Artikel des neuen Gewerbesteuer- Gesetzes an, durch welchen für Waarenhäuser, Großbazare und dergleichen eine Umsatzsteuer von */, bis 3 Prozent vom Umsatz festgesetzt wird. Gegen die Errichtung einer Bismarcksäule richtet sich eine Resolution, die eine vom katholischen Volks vereine in Viersen abgehaltene, zahlreich besuchte Volksversamm lung annahm. Der Beschluß hat folgenden Wortlaut: „Die versammelten katholischen Bürger Viersens sind der Meinung, daß die Errichtung einer Bismarcksäule in Viersen die Gefühle unzähliger Bürger verletze und geeignet sei, den Frieden der Gemeinde zu stören. Die Versammlung ersucht deshalb das Comitö, von einem Denkmal, das eine spezielle Ehrung Bismarcks bedeutet, Abstand zu nehmen." — Für Diejenigen, die Viersen nicht kennen, sei bemerkt, daß eS im Regierungsbezirk Düsseldorf, Kreis Gladbach, liegt. Zur Zeit der alten „Reichsschlamperei" gehörte es zum Herzogthum Geldern und war Jahrhunderte hindurch ein klägliches Nest. Als es 1816 an Preußen kam, zählte es 6827 Einwohner. Jetzt hat es etwa 23 000 Einwohner und eine blühende Industrie, die es zumeist dem ReichSgründer BiSmarck verdankt. Das Gefühl der Dankbarkeit scheint aber den friedliebenden Viersenern, soweit sie obigen Beschluß gefaßt haben, offenbar unbekannt zu sein. Ein „psychologisches Räthsel" für den „Vorwärts" ist Herr Graf von Kanitz — weil er „alles zu glauben scheint, was er sagt". Aus dieser Bemerkung ersieht man die ganze Unehrlichkeit der Sozialdemokratie, die es sür unmöglich hält, daß andere ehrlichere Politiker auch wirklich nur das reden, waS sie denken. Die Herren Sozialdemokraten scheinen demnach die Verbergung ihrer Gedanken zum Prinzip erhoben zu haben. Daß sie sich in jeder Weise bemühen, ihre Pläne und Ziele zu ver schleiern und wesentlich nur die Ziele und Pläne anderer kritisireu und bekämpfen, ist ja nicht unbekannt; allein, daß sie es kür ein psychologisches Räthsel halten, wenn jemand überhaupt glaubt, was er sagt — daS ist ein sehr werthvolleS Geständniß, welches auf die sozialdemokratischen Redner ein Helles Licht wirst. Die Posener Strafkammer verurtheilte die Verlegerin des Blattes „Goniec Wielkopolski", Frau vr. Rzepeska, wegen Auf reizung der Polen zu Gewaltthätigkeiten gegen die Deutschen durch Veröffentlichung eines Gedichtes in dem diesjährigen Goniec-Kalender zu 500 Mark Geldstrafe. Den Hauptinhalt des Gedichtes bildete eine an die polnische Jugend gerichtete Auf forderung, für die Wiedererlangung der Freiheit und der Selbst ständigkeit Polens zu kämpfen. Oesterreich. Ueber die Frage der Beschickung des böhmischen Landtages ist man sich heute aus deutscher Seite völlig im Klaren und alle Parteien, selbst die Christlichsozialen, welche im Landtage durch zwei Abgeordnete vertreten sind, verschließen sich der An schauung nicht mehr, daß eine Beschickung dieser Körperschaft unter den heutigen Umständen ganz unmöglich ist. Wie nunmehr ziem lich feststeht, wird der böhmische Landtag am 13. Märzzusammen- treten. Derselbe soll sich, da die Deutschen nicht erscheinen, hauptsächlich mit wirthschastlichen Fragen beschäftigen. Frankreich. Die Untersuchung gegen Därouledt nimmt ihren Fortgang, aber es scheint, als wäre das Interesse daran in Paris schon merklich abgeschwächt. Die ganze Demonstration dieses „großen Patrioten" hat in der That einen so bedeutenden Mangel an politischer Reife bewiesen, daß sie viel eher wie ein Dummer-Jungen-Streich, als wie ein politische» Attentat anssieht. Däroulede selbst, der wohl einsieht, daß er nahe daran ist, der Lächerlichkeit zu verfallen, (natürlich in Frankreich, denn außerhalb hat ihn dies Schicksal bereits seit Langem erreicht), thut ja alles Mögliche, um die von ihm inscenirte Farce als eine politische That aufzu- bauschen, aber seine Bemühungen werden wohl vergeblich sein, denn unterdessen scheinen Umtriebe ernsterer Natur aufgedeckt worden zu sein, die die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Die Pariser Blätter glauben, die Untersuchung in der Angelegenheit Döroulöde werde noch einige Tage dauern. Der „Matin" sagt, die Haussuchungen bei der Patriotenliga bewiesen, daß das Vor gehen Dsrouledes ein vereinzeltes und spontanes war und keine Verabredung bestand. Spanien. Die Abstimmung des Senats über die den spanisch-amerikanischen Friedensvertrag betreffenden Regierungs vorlagen wird wahrscheinlich Dienstag stattfinden. Man glaubt, daß Ministerpräsident Sagasta für die Vorlagen die Stimmen mehrheit erlangen, daß aber im Falle seines Sturzes wieder ein liberales Kabinett ans Ruder kommen wird. Einer der „Voss. Ztg." aus London zugehenden Drahtmeldung zu Folge erfährt die „Daily Mail" aus Kopenhagen, Kaiser Nikolaus von RutzlanV sei an einem Leiden erkrankt, das jede geistige Anstrengung aus schließe. Die Symptome zeigten sich kurz nach Veröffentlichung des Abrüstungsvorschlages. Der Zar sei außer Stande, den Regierungsgeschäften vbzuliegen, Großfürst Michael erledige sie. Aus Kopenhagen selbst wird dem Blatte hierzu unterm 26. Jcbr. geschrieben: „Der Umstand, daß Kaiser Nikolaus das Maniscsi, woran die neuen Bestimmungen für Finland angekündigt wurden, eigenhändig unterzeichnet hat, mährend die Bekanntmachung, worin die Bestimmungen selbst enthalten sind, vom Großfürsten Michael unterzeichnet worden ist, giebt der Zeitung „Politiken" Anlaß, die schon seit Monaten über die Gesundheitsverhältnisje deS Kaisers gehenden Gerüchte zu erwähnen. Die Namensunter- schristen, die der Kaiser unter die Erlasse setzt, bildeten, wie „Politiken" sagt, die einzige Regierungshandlung, die der Kaiser vornimmt. Alle Beschlüsse wurden ohne Mitwirkung und Wissen des Kaisers gefaßt; Großfürst Michael, sein Onkel, habe die ganze ausübende Macht in seiner Hand. Dem Kaiser Nikolaus ver biete seine Krankheit jede geistige Beschäftigung. Ueber die Krank heit, die nach dem Erlaß der Friedensbotschaft entstanden sei, wären zwei Lesarten in Umlauf. Theils werde behauptet, der Kaiser sei langsam von einer Krankheit überwältigt worden, die ihn seit langem bedrohe, theils werde aus Petersburg berichtet, daß das langsame Fortschreiten dieser Krankheit und andere begleitende Umstände den Gedanken auf eine Ursache geleitet hätten, die ihren Ursprung außerhalb der Person des Kaisers habe und nicht zufällig, sondern im Gegentheil planmäßiger Natur wäre. Jedenfalls bedeutet es keine Abschwächung dieser Gerüchte, daß Kaiser Nikolaus die finische Deputation, die in Sachen des Manifestes nach Petersburg gereist war, nicht empfangen hat." —
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