Suche löschen...
Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 22.02.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189902229
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18990222
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18990222
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-02
- Tag 1899-02-22
-
Monat
1899-02
-
Jahr
1899
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 22.02.1899
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
44 Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Seite 2. — 22. Februar. legenheit. Für den Augenblick ist also die schlimmste Gefahr an der Republik vorübergegangen, aber verschwunden ist sie durchaus nicht. Noch für geraume Zeit hinaus werden Präsident Loubet und alle Republikaner die angespannteste Wachsamkeit entwickeln und entschlossenste Thatkraft bereit halten müssen, um dem üblen Trachten der militaristisch-klerikalen Reaktionäre zu wehren. So lange die Dreyfusrevision nicht erledigt ist, kann ;ede Stunde die schlimmsten Ueberraschungen gebären. Weiter meldet man der „Voss. Ztg.": Paris, 20. Februar. Da die Nationalisten bemerken, daß sie Loubet nicht einschüchtern konnten, suchen sie eine Brücke zu ihm. Der Bund des fran zösischen Vaterlandes, dessen von Lemaitre unterzeichnete groteske Kriegserklärung an Loubet vom Kongreß die bekannte Antwort erhielt, erläßt heute folgende Verordnung: „Der Ausschuß, er regt durch die Ränke eines Theils der Parlamentarier, die aus der Präsidentenwahl eine neue Waffe ihrer landesseindlichen Um triebe machen wollten, wünscht, daß das neue Staatsoberhaupt sich von allen bloßstellenden Verbindungen losmache, seiner Pflichten gegen Vaterland und Heer sich klar bewußt werde und fest entschlossen sei, alle Gewalt, die ihm die Verfassung läßt, zur Beendigung des unheilvollen Treibens zu benutzen, worunter das Land leidet." „Gaulois" faßt das nationalistische Ultimatum in bestimmte Punkte: „Morgen," sagt er, „wird den Kammern die Präsideutenbotschaft zugehen. Aus ihr kann der Friede her vorgehen. Es genügt zu diesem Zwecke, daß Loubet, durch die Volkskundgebungen belehrt und von Dupuy berathen, der öffentlichen Meinung die berechtigten Genugthuungen gebe, die sie fordert. Loubet muß dafür sorgen, daß das Lebret- Gesetz vom Senat mit sehr großer Mehrheit angenommen werde, hierauf muß er Manau wegjagen lassen oder ihm mindestens befehlen, bis zum Schluffe des Verfahrens unpäßlich zu sein. Er muß dafür sorgen, daß Picquart unverzüglich vors Kriegsgericht gestellt und das Urtheil in der Dreyfussache gefällt werde." „Libre Parole" bleibt unversöhnlich: „es giebt nur eine Lösung", schreit sie, „die Abdankung des Erwählten der Teuselsinsel und das Ende des Dreyfus-Verfahrens durch Festhaltung des nieder trächtigen Verräthers im Bagno. Das ist das Mindestmaß von Genugthuung fürs Volk". Die Zermalmung Molines zieht als nothwendige Folge die Auflösung seiner Kammergruppe, der so genannten Foctschrittsrepublikaner, nach sich. Barthou legt den Vorsitz in einem Schreiben nieder, worin er den Mangel an Einheit und Mannszucht in der Partei feststellt und seine Frei heit wiederfordert. Die Frage des Scnatsvorsitzes beginnt die Senatoren lebhaft zu beschäftigen. Rane, der sonst die besten Aussichten hätte, dürfte durch seine ausgesprochene Haltung in der Dreyfussache augenblicklich unmöglich sein. Constans hat viele Parteigänger. In der Deputirtenkammer brachte Ministerpräsident Dupuy für das Begräbniß des Präsidenten Faure auf Staatskosten eine Kreditvorlagc von 160000 Franken ein, von denen 80000 Franken für die Trauerfcicrlichkeiten im Auslande dienen sollen. Die Dringlichkeit und sofortige Berathung wurde von der Kammer angenommen. Dejeante (Soz.) verlangte, daß beim Begräbniß die Geistlichkeit völlig ausgeschlossen werde, und vertheidigte seinen Unterantrag unter lebhastem Einspruch der Rechten und des Centrums, welche sogar drohten, daß sie den Saal verlassen werden. Präsident Deschanel unterbrach den Redner mehrmals und ersuchte ihn, auf die trauernde Familie Rücksicht zu nehmen. Der Untcrantrag Dejeante wurde mit 444 gegen 68 Stimmen abgelehnt und die Kreditvorlage mit 463 gegen 42 Stimmen an genommen. Der Finanzminister Peytral verlangte ein provi sorisches Budgetzwölstel für den Monat März. Der Gesetzent wurf wurde angenommen. Die Kammer beschloß darauf ein stimmig, sich am Donnerstag ins Elysöe zu begeben, um bei der Ueberführung der Leiche auf den Leichenwagen zugegen zu sein, obgleich der offizielle Zug sich erst in der Notre-Dame-Kirche bildet. Der frühere Maire von Algier Max Rögis und der verant wortliche Redakteur des „Antijnif" Philippi wurden gestern vom Schwurgericht des Jsere-Departements abgcurtheilt wegen Preß vergehens und Verherrlichung des Mordes und der Plünderung in Reden, welche sie in Versammlungen in Paris und Algier gehalten haben. Beide Angeklagte erschienen nicht vor Gericht. Der Gerichtshof verurtheilte sie daher in contumaciam, und zwar sei. Dieser Bewegung scheint nun von einer Seite ein Stein in den Weg gelegt werden zu wollen, von der man dies am wenigsten erwartet hätte. Der kaiserl. königl. evangelische Oberkirchenrath augSb. und helvet. Bekenntnisses in Wien hat nämlich an die > ihm unterstellten Pfarrämter unter Bezugnahme auf die mit dem Losungswort: „Los von Rom!" von Seiten der deutschnationalen . Partei ins Werk gesetzte Bewegung deS Uebertritts der Katholiken . zur protestantischen Kirche den nachfolgenden Erlaß gerichtet: „Reueile Millheilungen der Tagesblätter lassen e« zweifellos er- .scheinen, daß die auf einen MassenauStriit aus der katholischen Kirche .abzielenden Bestlebungen nicht aus religiöser Ueberzeugung beruhen. Da aber die bezügliche Bewegung vielfach auch mit eventuellen Ein- tritten in die evangelische Kirche in Verbindung gebracht wurde, hält sich der Oberkirchenrath verpflichtet, seiner Erwartung Ausdruck zu geben, daß die AmtSträger der evangelischen Kirche deS augSburglschen und de» helvetischen Bekenntnisse» den Grundsätzen unserer Kirche sowie den kirchlichen Boischristen entbrechend und dessen eingedenk, wa» die eigene Achtung vor unserer Kirche und deren eigenstes Interesse gebietet, wie bisher, jede Uebertrittsanmeldung gewissenhast priisen und dort, wo der Uebertritt nicht aus religiöser Ueberzeugung beruhen sollte, sich ablehnend verhalten werden. DaS von denGeneral- synoden einstimmig beschlossene Kirchengesetz, betreffend die Bestimmungen für die kirchliche Ausnahme von Personen, die zur evangelischen K rche augSburgischen bezw. helvetischen Bekenntnisses übertreten, nach welchem der zuständige evangelische Seelsorger sich zu überzeugen hat, ob der lieber tretende die Glaubenslehren der evangelischen Kirche, in die er ausgenommen werden will, genügend kennt, und von ihm die Abgabe der Erklärung zu verlangen hat, daß er diese Glaubenslehren aus religiöser Ueberzeugung annimmt, ist unter allen Umständen genau zu beobachten." Man wird nicht umhin können, diese oberkirchenräthliche Kund- 'gebung etwas sonderbar zu finden. Man sollte doch denken, daß eine protestantische Behörde sich nicht veranlaßt sehen sollte, dem Zuge „Los von Rom", der zur Zeit durch die deutsche Be völkerung Oesterreichs geht, sich entgegenzustemmen, und zwar um so weniger, als dadurch die evangelisch: Kirche in Böhmen zum Theil nur in solchen Gegenden wieder einen Zuwachs erhält, die ehedem protestantisch waren und nur durch die berüchtigte Gegenreformation mit allen Mitteln wieder dem Katholizismus »»geführt wurden. Gerade in diesen Gegenden aber soll die Abfallsbewegung bereits ganz bedeutende Erfolge errungen haben. Wenn also der jetzige scharf nationale Zug in Oesterreich die Folge hat, daß die Deutschen in der römischen Kirche keine Be friedigung mehr finden können, so hat man doch auf protestan tischer Seite keinen Grund, sich davon beschwert zu fühlen, und denjenigen, welche sich der evangelischen Kirchengemeinschast an schließen wollen, den Uebertritt mehr als bisher zu erschweren. WieeS scheint, ist aber dem Oberkirchenrath bei seinem Erlaß vor Allem daran gelegen gewesen, sich bei der Regierung lieb Kind zu machen, und sich nach oben von dem Verdachte re in z u w a schen, daß man dieser Bewegung seine Unterstützung leihe. Als Zeichen eines besonderen protestantischen Glaubens- muthes wird man den Erlaß des Oberkirchenrathes deshalb wohl kaum ansehen können. Ungarn. Der Kaiser designirte Coloman Szell zum Ministerpräsidenten und betraute denselben mit der Kabinetts bildung. Szell nahm die Mission an und wird sich heute früh nach Pest begeben, um die vorerst Wirten Kompromißver handlungen mit der Opposition wieder auszunehmen. Frankreich. Der Appell an die Straße, womit die Nationalisten die Wahl Loubets zum Präsidenten der französischen Republik zu beantworten drohten, ist unschädlich verpufft, auch die Lebelgewehre sind entgegen Rocheforts blutrünstiger Prophezeiung nicht losgegangen, von einigen belanglosen Straßenkrawallen ab gesehen ist Paris ruhig geblieben. Das mag zum Theil dem Regenwctter zu danken sein, das am Sonnabend Abend eintrat und den Kohorten Derouledes ein langes Verweilen im Freien verleidete, in der Hauptsache ist es aber doch der Rathlosigkeit zu zuschreiben, die alle Häupter der zu Hand- und Staatsstreichen geneigten Gruppen beherrscht. Zu unvermuthet ist das Präsi- dentenamt erledigt, zu prompt ist es wieder besetzt worden, und nun sehen sich die Katilinarier aller Schattirungen vor einer .neuen Sachlage, zu der Stellung zu nehmen sie einige Tage brauchen. Die Mahnung Derouledes an seine Gesolgsleute, mit ihren Kundgebungen bis zum Tage der Beisetzung Faures zu warte«, verrieth deutlich seine und seiner Gleichstrebenden Ver- Max RögiS zu 3 Jahren Gefängniß und 1000 Frank Geldstrafe und Philippi zu 8 Monaten Gefängniß und 100 Frank Geld strafe. Die Persönlichkeit Loubets wird in interessanter Weise charakterisirt durch Aeußerungen und Mittheilungen ver schiedener Art, welche in folgendem Telegramm übermittelt werden: Paris, 20. Februar. „Das sah ja wie eine Herausforderung aus! Gut, ich werde zeigen, daß ich Rückgrat habe. Man nannte mich bisher den liebenswürdigen Loubet. Ich habe die neue Würde nicht gesucht, nun aber wird meine Widerstandskraft viel leicht manchen in Erstaunen setzen." Diese Worte sprach Loubet gestern im Freundeskreise. Ueber seine Stellung zur Dreyfus sache sagte Loubet: „Ich bin mit der Majorität der Nation für die Wahrheit und Gerechtigkeit. Als Dreyfusard oder Anti- dreyfusard lasse ich mich nicht elnschachteln." Die Besucher Loubets erfuhren überdies die Neuigkeit, daß der Leichenzug sich nicht vomElysöe zur Notredame bewegen werde. Man wird sich vielmehr direkt in Notredame versammeln. Diese Maßnahme findet den Beifall des besonnenen Publikums, welchem die Mani festationen der extremen Anhänger beider Parteien recht wider wärtig sind. Daß Loubet seine vorhin erwähnten Worte wahr zumachen gedenkt und sich nicht hinausekeln lassen will, beweist, daß er bereits seinem in Montslimar wohnhaften Vetter, einem Thierarzte, sowie seinem Schwager, dem daselbst etablirten Metallwaarenhändler Picard, den Auftrag gab, in Montslimar ein größeres Haus zu suchen, wo der Präsident die Sommer ferien zubringen will. Diese beiden Verwandten erhielten bereits eine Unzahl von Protektiousgesuchen, auch die greise Mutter Loubets im Dorfe Marsanne bei Montslimar, die mit einer Nichte dort lebende Wittwe des ehemaligen Maires von Marsanne,, wird viel umworben. Loubets Realitätenbesitz ist unbedeutend. Eine von Geistlichen geleitete Schokoladenfabrik, an welcher er bisher finanziell betheiligt war, wirft ein bürgerliches Erträgniß ab. In waghalsige Spekulationen hat Loubet sich niemals ein gelaffen. Seil» Verwandten erzählen, daß Loubet im Freundes kreise gerne klassische Gedichte recitirt, aber Fremde dürfen nicht zu hören. Er motivirte dies einmal damit, daß er sich seines südländischen Accents wohl bewußt sei, der jene nicht stört, die daran gewöhnt sind. Seine Mutter erhielt die erste Nachricht durch die Depesche ihres Enkels Paul: „Papa mit 483 Stimmen gewählt. Wir umarmen Dich." Die Meierei der Wittwe Loubet heißt „la Terrasse". Niedliche Schweinchen und Geflügel spielen vorm Thore mit dem einfachen Zinkvordach, in der großen Stube herrscht wohlige Wärme, an den Wänden hängt Kupfergeschirr, eine Kukuksuhr und alte Lithographieen in verblichenen Gold rahmen. Die Wittwe Loubet bewohnt das Obergclaß. Sie sitzt auf einem alten Fauteuil, der echte Typus einer Südländerin, deren Antlitz vom Mistralwind gebräunt ist. Die Aehnlichkeit zwischen Mutter und Sohn ist frappant. Ihren Besucher» sagte sie mit Thränen in den Augen: „Mein armer Emil, ich habe ihn schon bisher selten genug hier gesehen, nun haben sie mir ihn vollends weggenommen. Dazu erzieht man keine Kinder. Da sehen Sie das Bild seines Vaters; mein guter Mann, mein braver August, nicht wahr, sie haben von ihm gehört? Er war doch 37 Jahre Maire von Marsanne." Frankreichs sechs Präsidenten sind verheirathet ge wesen, und so verschieden, wie die Oberhäupter der Republik selbst, waren auch ihre Gemahlinnen. Frau Thiers, die erste Präsidentin, verstand es, mit Takt ihrem Hause vorzustehen. In ihren Salons verkehrten fast ein halbes Jahrhundert lang die höchsten Spitzen der Diplomatie, der Politik, der Armee und die Führer der Wissenschaft. Von den Anhängern Louis Philipps bis zu den enragirtesten Republikanern waren alle Gruppen in den Salons der Tochter M. Dosnes, des Generalsteuereinnehmers deS Norddepartements, vertreten, alle weilten gern dort. Dieser Ausgleich war die einzige Politik, die Frau Thiers bethätigte; sonst kümmerte sie sich nicht viel um die Rcgierungssorgen ihres Mannes, auf den ihre Schwester, eine äußerst intelligente und gebildete Danie, einen großen politischen Einfluß hatte, ganz wie bei Faure dessen Tochter Lucie. Die Präsidentschaft Mac Mahons war natürlich eine rein militärische, und auch die Herzogin von Magenta bevorzugte, was durch ihre ganze Stellung und ihre hohe Geburt wohl bedingt war, das „zweifarbige Tuch". Sie war aber sehr hochherzig und ihre Mildthätigkett ist in Paris Frühlingsstürme. Roman von Nataly von Eschstruth. (22. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) Ja, Klauö war eine besonders glücklich beanlagte Natur! Was er anfing, schlug ihm zu Glück und Freude aus. Selbst über die härtesten Schicksalsschläge setzte er sich ohne Kamps und Seelenpein, voll Freudigkeit und Frische hinweg, und wo er hinkam, flogen ihn, die Herzen zu, gleichviel ob er als Sohn des Nabob oder als blutarmer Kunstschülcr an die Thüren klopfte. KlauS springt lachend über die Dornen hinweg und pflückt die Rosen vom Strauch — Joses aber muß sich mühselig seinen Pfad durch die dornige Wildniß bahnen, muß ringen und bluten, muß sich die Hände wund und die Füße matt kämpfen, und wenn er glaubt am Ziel zu sein und die Blüthen pflücken will, so ent blättern sie zwischen seinen Fingern und machen ihn ärmer noch denn zuvor. Dennoch neidete er dem Stiefbruder nicht den sonnigen Weg. Im Gegentheil, er empfand diesen Ausgleich wie eine Genug thuung. Er liebte Klaus von Herzen und gönnte ihm das Glück, welches ihm selber versagt schien. Das heitere Naturell und die schäumend frohe Lebenslust des Freundes war noch das letzte, schmale Band, welches ihn an die Welt fesselte und ihn unbewußt zu derselben zurückzog, wenn gleich er voll schwermüthiger Selbstkasteiung eigensinnig in einen Weg einlenkte, welcher weit ab von ihr und der rollenden Kugel deS Glückes führte. Klaus kannte das Zaubersädlein, an welchem er das Herz deS Bruders hielt, und bewachte es in fester, treuer Hand. — Währenddessen hatte sich auch die neue Lebenswende Toris- dorfsS in ihren ersten Anfängen bewahrheitet. Sein Brief hatte den Dekan Duncaczy nach längeren Irr fahrten aufgesundcn, und seine Antwort traf umgehend und sehr eingehend nnd herzlich ein. Es berührte den treuen Lehrer und Seelsorger des ehemaligen Knaben ganz besonders sympathisch und herzerquickend, daß der Zug frommen Glaubens und religiöser Schwärmerei, welchen er so sorgsam gepflegt nnd gehütet, nicht in dem breiten und wüsten Strom des Lebens nntergegangen sei, sondern den jungen Mann voll heiliger, elementarer Gewalt doch noch dem Beruf entgegen treibe, auf welchen ihn sein ganzes Sein und Wesen seit Kindes beinen an hingewiesen. Dekan Duncaczy erachtete den Wirkungskreis eines Klerikers als den einzigen, welcher der bedrängten und bedrohten Meuschen- secle wahren Frieden und wahre Befriedigung geben könne. Er selbst hatte alle Bitternisse und Tücken, alle Enttäuschungen und Härten des Lebens durchkostet, ehe er schon als alternder Mann, noch den rechten Weg zum Schooß der heiligen Kirche ge funden. Ihm hatte sie Ruhe und Frieden gegeben. Nun lebte er in gesegneter, ihm besonders zusagender Thätigkeit, er wachte über junge Menschenscelen und leitete sie bei Zeit»«, ehe der Sturmwind deS Lebens sie fassen und die Ab gründe der Welt sie verschlingen konnten, auf den Weg des HeckS. Er war dem Ruf eines ihm wohlwollenden Bischofs gefolgt, und hatte eine Stellung als Lehrer an einem geistlichen Seminar an genommen, in welchem junge Männer für den Priestcrstaud aus gebildet wurden. Besagtes Seminar befand sich in K—bürg, der einstigen Residenzstadt der Siebenbürger Fürsten, deren burgartiges Schloß von Kaiser Karl VI. erbaut ward. Duncaczy bekleidete das Amt eines Präfekten und theolo gischen Prosessors in dem Institut, welches neben dem Rektor, als obersten Patronatsherrn dem Bischof unterstellt war. Von dem Leben und Treiben der Anstalt, welche den Rang einer Universität einnahm, schrieb der ehemalige Dekan nicht viel, nur die einzelnen großen Züge desselben schilderte er, daß die Zucht und Ordnung eme sehr strenge und wohlgeregelte, aber das Leben ein überaus harmonisches, Herz und Seele erquickendes sei. Er stellte es Joses anheim, daß, falls er in Deutschland verbleiben wolle, er nach abgelegter Matura auf eigene Kosten die Universität weiter beziehen müsse. Falls er aber geneigt sei, nach Oesterreich überzusiedeln, so mache er ihm den Vorschlag, das Seminar von K—bürg zu beziehen, um seine theologischen Studien dort zu beginnen. Daß dies als eine große, unbeschreibliche Freude von ihm, seinem alten, Lehrer und Freund begrüßt werden würde, sei selbstverständlich, und darum schließe er diese Zeilen in der beglückenden Hoffnung, den theuren Schüler bald wieder als einen solchen in die Arme schließen zu können! Heiße Gluth freudiger Uebcrraschung brannte auf Josess Stirn, als er den Brief gelesen. Welch eine erste Gunstbezeugung des Schicksals, ihm derart den Weg zu ebnen. Konnte es Besseres und Verlockenderes für ihn geben, als seine Wege mit denen des theuren Freundes aufs Neue zu vereinen? Konnte sich seine Zukunft jemals sicherer nnd gesegneter ge stalten, wie unter dieser Führung? Und welch ein günstiger Um stand, daß Duncaczy ihn nach Oesterreich ries, nach diesem Land, .welches ihm lieb und sympathisch war, welches er eine zweite Heimath für jeden Deutschen nannte. Dort ist er unbekannt und I weltentrückt, dort wird er vergessen und bald von denen, welche er flieht, vergessen sein. Hier gab es kein Ueberlegen mehr, Josess Schicksalswürfel war gefallen. 8. Kapitel. Zwei Jahre waren vergangen. Josef befand sich in K—bürg und fühlte sich, seinen Briefer, nach zu urtheilen, glücklich und zufrieden. Allerdings starrte Ines oft gedankenversunken auf die Zeilen, aus welchen sie viel mehr las, als der Schreiber wohl ahnte. Durch all die eifrigen, beinah allzu dringlichen Versicherungen, daß er hier die gesuchte Ruhe und eine ihn hoch befriedigende Thätigkeit gefunden, klopste dennoch ein junges Menschenherz, an welchem ein heimlicher Gram nagte, in welchem ein ungestilltes Verlangen brannte. Alle Einsamkeit, alles Studiren, alles Beten konnte die Er innerung nicht löschen, und irgend ein geheimnißvolles Etwas in dieser Erinnerung quälte den jungen Kleriker noch ebenso, wie ehemals den Studenten. Was aber war es — ? Was! ? Ines war krank, kränker wie je, und die rapide sinkenden Körperkräfte hatten auch den Geist ermatten lassen. Sie hatte den Scharfblick verloren, eine müde Indolenz be mächtigte sich der Dahinsiechenden. Ihr Leben lag hinter ihr wie ein Traum, sie wischte die unangenehmen Jahre aus demselben fort, wie man eine störende Zeichnung löscht, und klammerte sich mit all ihren Gedanken an eine Zeit, welche die Verkörperung alles Glückes für sie bedeutete. Und in dem milden Dämmerlicht ferner Vergangenheit ging die Gegenwart unter; selbst das Schicksal ihres Sohnes war nicht mehr die brennende Frage, welche sie ehemals Tag und Nacht beschäftigte. Sie hatte sich überzeugt, daß alles Menschenwerk nur unvollkommenes Stückwerk ist, daß unser Bemühen und unsere Pläne Dunstgebilde im Hauch des Ewigen sind. Sie hatte sieben Jahre an dem vermeintlichen Glück ihres Kindes gearbeitet, da kam Gottes Hand und stürzte über Nacht, was sie während dieser langen Zeit voll Fleiß und Opsermuth aufgebaut. „Meine Wege sind nicht Eure Wege!" spricht Gott der Herr- Nun hat sie den Lebensiveg ihres Kindes Ihm anheim gestellt. Was ihr ein Unglück dünkt, wandelt sich unter der Führung des Herrrn wohl zum Glück. Mag Josef darum ein Priester werden oder nicht, seine Mutter wird seine Pläne nicht mehr be einflussen und nicht mehr zu kreuzen suchen. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)