Suche löschen...
Sächsischer Landes-Anzeiger : 20.05.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512384622-188805200
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512384622-18880520
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-512384622-18880520
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsischer Landes-Anzeiger
-
Jahr
1888
-
Monat
1888-05
- Tag 1888-05-20
-
Monat
1888-05
-
Jahr
1888
- Titel
- Sächsischer Landes-Anzeiger : 20.05.1888
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Nr. H6. — 8. Jahrgang. »er jeden Wochentag Abend (mit Datum de» folgenden Tage-) zur Versendung gelangende „Sächsische LandeS-Anzeiger" mit täglich einem besonderen Unter- baltunasblatte und mit dem Lxlrabeiblatt Luftige» Bilderbuch kostet bei den Ausgabe- Hellen monatliches) M., bei denPost-Anst. . (1888er ZtgS.-Preisliste Nr. Ms.) ftr Abonnenten erscheint je einmal im Jahr: iommer-Eisenbahnfahrtilanhest für Sachsen. Sinter-Lisenbahnfahriilanbeft für Sachsen. Zlluftr. Kalender de» Sächsischen Sandboten. Zllnftrirtes Jahresbuch deSLandes-Anzeiger». SAchsischer L«»i>es-Anjei«er Sonntag, 2V. Mai 1888. mit „Chemnitzer Stadt-Anzeige^ Unparteiische tägliche Zeitung für Sachsen nnd Thüringen. Wag: Alklliiilitr Meie. Bnchdriiltrrci. Chemnitz, lheaterstratze 6 (Fernsprechstclle Nr. IS» Telegr -Adr.: LandeS-Anzeiger, Chemnis Mit täglich einem besonderen Unterhaltnngsblatt: i. Kleine Botschaft — 2. Sächsischer Erzähler — 3. Sächsische Gerichts-Zeitung 4. Sächsisches Allerlei — b. Illnstrirtes Unterhaltnngsblatt — 6. Sonntagsblatt — Ertra-Beiblatt: Lustiges Bilderbuch. Amtliche Bekanntmachungen. Das Konkursverfahren über das Vermögen des Fleischermeisters Friedrich Hermann Vogelfang in Chemnitz wird nach erfolgter Abhaltung des Schluß termins hierdurch aufgehoben. Chemnitz, den 16. Mai 1888. König!. Amtsgericht. Im Handelsregister für den Stadtbezirk des Unterzeichneten Amtsgerichts wurde heute aus Folium 3125 die Firma Feilcnsabrik und Fcilenhauerci Rudolf Fomm in Chemnitz tLimbachcrstraße 5) und als deren Inhaber der Fabrikant Herr Rudolf Fomm daselbst eingetragen. Chemnitz, am 17. Mai 1888. Königliches Amtsgericht. Telegraphische Nachrichten. Vom 18. Mai. Wien. Zu den bereits gemeldeten Aeußerungen in der Bud getcommission des Herrenhauses mit Bezug auf die Schönercr-Skan- dale wird nunmehr weiter mitgctheilt: Ein Mitglied der Verfassungs partei stellte au den Unterrichtsminister die Anfrage, ob er Schritte gegen die theilnehmendeir Studenten eingcleitet habe und dieselben mit Strenge bestrafen wolle. Or. Gautsch erklärte, die akademischen Be hörden bereits angewiesen zu haben, eine Untersuchung einzuleiten und die Schuldigen strenge zu bestrafen. Die Commission war davon befriedigt. Sofia. Das Verbleiben Stambulows in Tirnvva, während der Fürst heute in Sofia eintraf, soll auf Differenzen mit dem Minister Natschevitsch beruhen. Die Cassation Popvw's findet am Sonnabend statt. Berlin, IS. Mai, 11 Uhr IS Min. Der Kaiser hatte heute keine so gute Nacht, wie in der letzten Zeit. Die Ruhe wurde häufig durch Husten gestört. Trotzdem fühlte sich der hohe Kranke heute früh etwas kräftiger. Er ver lieft das Bett um SV? Uhr und begad sich 10 /2 Uhr in de» Park. Politische Rundschau. Chemnitz, den 19. Mai. Deutsches Reich. (Aus Schloß Charlottenburg.) Der Kai ser hat die Nacht zum Freitag ohne jede Spur von Fieber verbracht. Das ist das erste Mal, daß auch in der Nacht die Temperatur nor mal blieb. Verschiedene Störungen traten freilich wieder ein, ver mochten aber den Schlaf und das Allgemeinbefinden nicht zu beein flussen, nur etwas später stand der Kaiser auf. Er empfing die Acrzte im Bett. Diese konstatirten übereinstimmend das befriedigende Befinden des Monarchen und ertheilten sofort die Erlaubniß, den Schloßpark zu besuchen. Um 10 Uhr ließ sich der Kaiser hinab tragen, verweilte im Erholungszelte, sowie außerhalb desselben nnd fuhr im kleinen Ponnywagen spazieren. Auch gestern trug der Kaiser Civilkleidung und einen Panamahut. Der kleine Wagen wurde von einem neuen Ponny gezogen, da das erstangespanute sich als etwas wild und ungeberdig erwiesen hat. Das Pferd wurde von zwei La kaien geführt, rechts ging am Wagen der Generaladjutant v. Winter fell», der während der Fahrt dem Kaiser Vortrag hielt, links ei» Lcibjäger, der mit einem Palmenfächer die lästigen Mücken abwehrte. Weiter zurück schritt Mackenzie. An der rechten Seite hinter dem Wagen gingen die Kaiserin und die Prinzessinnen. Nach elf Uhr machte der Kaiser, von der Kaiserin begleitet, am Stocke einen Gang durch die unteren, nach dem Garten zu gelegenen Zimmer des Schlosses. Die Kaiserin unterstützte ihren Gemahl und führte ihn auch wieder zum Zelte zurück. Vom gestrigen Abend wird ferner ge meldet, daß alles gut stünde. Der Kaiser fühlte sich wohl müde, aber nicht mehr matt, wie in den früheren Tagen, fieberfrei und ruhig. Das Aussehen hat in den letzten drei Tagen bedeutend an Frische gewonnen, der Appetit ist von selbst gestiegen, die Elastizität der Bewegungen nimmt täglich zu. Die Handschrift zeigt wieder die bekannten festen Züge. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Kaiser dem Pfingstgottesdienste in der Schloßkapelle beiwohnen wird. Er wähnt mag noch sein, daß der Kaiser bei der Spazierfahrt am Frei tag, wo der Ponny wild wurde, äußerst ruhig blieb und über die Kapriolen des Thiercs lachte. Vorsichtshalber wird der Ponny aber nicht mehr benutzt. Die Damen der kaiserlichen Familie erscheinen jetzt in Halbtraucr. — Für die Vorbereitungen zur Hochzeit seines Sohnes, des Prinzen Heinrich, interessirt sich der Kaiser in lebhaftester Weise. In der Schloßkapelle wird ein besonderer Raum in Stand gesetzt, in welchem er und die Kaiserin Augusta der Trauung beizuwohnen ge denken. Jin Schlosse werden der Großherzog von Hessen und die hohe Braut, die Mittwoch Abend dort eintrcffen, wohnen. Der Prinz von Wales, die Schwester der Braut, Prinzessin Ludwig von Batten berg wohnen im kaiserlichen Palais in Berlin, Großfürst Sergius von Rußland in der russischen Botschaft, König Albert von Sachsen im Schlosse. — Die Königin Victoria von England hat der Prinzessin Irene von Hessen, ihrer Enkelin, zur bevorstehenden Hochzeit eine ganz prächtige Ausstattung nebst kostbaren Juwelen geschenkt. — Der „Reichs anzeiger" publicirt das vom Kaiser selbst Unterzeichnete preußische Secundärbahngesetz. — Die dem preußischen Finanzministerium nahestehenden „Berl. Pol. Nachr." schreiben: „Die „Nordd. Allg. Ztg." reproducirt eine Meldung aus dem Osten, aus welcher hervorgeht, daß während der letzten Tage wiederum 348 Waggons Getreide aus Rußland in Deutschland angekommcn sind. Dies, in Verbindung mit der Hausse in russischer Valuta, die an der Berliner Börse in Scene gesetzt wurde, zeigt zur Genüge, daß die bisher zum Schutze unserer Land- wirthschaft getroffenen Maßnahmen keineswegs den nothwcndige» Erfolg gehabt haben. Wir dürfen aber der Hoffnung Raum geben, daß inan gegenüber diesem bedenklichen Ucbelstandc in Bälde Remcdur cintreten lassen wird durch neue und energische Maßnahmen, welche die weitere Ueberschwemmung unseres Marktes mit russischem Getreide verhindern wird." — Am Freitag waren 40 Jahre vergangen, daß das „erste deutsche Parlament" in Frankfurt a. M. zusammentrat. 1885 lebten von den Mitgliedern einige 30 noch, seitdem ist keine Zählung mehr veranstaltet. Der Präsident des Frankfurter Parlaments ist der jetzige Reichsgerichtspräsident vr. Simson, dem Kaiser Friedrich vor Kurzem den Schwarzen Adlerorden verlieh. Nach einer Ausstellung der „Voss. Ztg." leben noch folgende, eheinals preußische Mitglieder des Frankfurter Parlamentes: Präsident a. D. von Wegnern, Rath Bcscler, Geh. Rath Georg Simson, Landrath z. D. von Schirr, meister, sämmtlich in Berlin, Präsident Eduard von Simson zu Leip zig, Präsident a. D. Rothe zu Halle, Oberpräsident z. D. Frhr. von Ende zu Hessen, Präsident Sturm zn Magdeburg, Gutsbesitzer vr. Köhler zu Neuteich, Gcrichtsrath Reichcnspergcr-Köln, Justizrath Pinkert-Erfurt, Geh. Rath Graf Keller-Gotha. — In Leipzig soll am 3. Juni ein nationalliberalsr Parteitag des Königreiches Sachsen stattfinden. — Das preußische Abgeordnetenhaus tritt am Freitag nach Pfingsten bereits wieder in Berlin zusammen und wird sich dan» sofort mtt dem vom Herrenhaus abgeänderten Gesetzentwurf betr. die Erleichterung der Volksschullasten befassen. Es wird einen sehr ernsten Redekampf geben, aber das Resultat wird doch die Ablehnung der Herrenhausbeschlüsse und die Wiederherstellung des § 7 sein, welcher ausspricht, daß das Gesetz eine Abänderung der Verfassung bedeutet. Dieser vom Herrenhause gestrichene Paragraph ist im Abgeordneten hause mit 215 gegen 108 Stimmen angenommen, und es ist nicht zu glauben, daß von diesen 215 plötzlich die Hälfte ihre Ansicht wechselt. Damit wäre denn das Gesetz für diese Session gescheitert. Nach den Ankündigungen des Finanzministers von Scholz wird die Regierung die Vorlag: in der nächsten Session von Neuem einbringen. Dazwischen liegen die Neuwahlen zuin Abgeordnetenhause und die Suzon's Ende. Von Emil Peschkau. Fortsetzung. Nachdruck verboten. Und in diesem entsetzlichen Zustande kam bald der Glaube an mein Selbst und ich verfluchte die Ketten, die mich fesselten, und dann wieder hob ich Euch weinend an meine Brust und bat Euch um Verzeihung, daß ich Euch ein so schändlicher Vater war, der Euch kein Brod geben konnte und der davon träumte, wie cs ge kommen — wenn Ihr nicht wäret! O — man sollte es kaum glauben, — wieviel ein Mensch ertragen kann — wie groß das Maaß der Leiden sein muß, um ihn zu tödten! Aber es mußte bald erreicht sein, das fühlte ich von Tag zu Tag lebhafter, und immer heißer wurde die Sehnsucht nach der Er lösung, nach dem Tod. Wie oft nahin ich Euch auf meinen Schooß und wenn Ihr Eure kindischen Fragen an mich richtetet, mich mit Euren klaren Kinderaugen ansaht, meine Wangen streicheltet, mit meinem Bart spieltet, daun schossen mir die Thränen empor, ich schluchzte und schluchzte und Ihr Armen fragtet mitleidig: „Hast Du Weh, Vater?" — Weh — Weh — mein Gott, dieses winzige Wort für solch eine Skorpionenwelt in der Brust! Und schlimmer wurde es und schlimmer, bis das Elend Heloise auf das Krankenlager warf und dann Claire. Die Armen — was ihnen fehlte — ich konnte es ihnen nicht geben — ich konnte sie nicht mehr retten. Ich hätte sie auch nicht mehr retten können, wenn ich plötzlich reich geworden wäre, denn ihre Körper waren längst entkräftet. Claire starb dahin in einer Nacht, die mich heute noch schaudern macht, denn in dieser Nacht verlor mein armes Weib zum ersten Male ihre Engelsgeduld, in dieser Nacht floß es furchtbar von ihren Lippen, furchtbar — und wie ein Dürstender nach dem Quell, so lechzte sie danach, eine Ver brecherin sein zu können, den Gott in ihrer Brust tödten und den Menschen in's Gesicht schlagen zu können. Und Du, Mathicu, Du schliefest daneben — wie Kinder schlafen! Diese Nacht hat Alles ausgclöscht in mir — Alles, was noch an einen, frommen Glauben, an Liebe zu den Menschen drinnen lebte, und dann, als auch Heloise starb, als sie dem blonden Mädchen folgte, da konnte ich ihr ehrlich in die Hand schwören: Ich werde Dir nicht Nachkommen, ich werde Dein Kind nicht tödten, es soll leben und ich werde kämpfen für den Knaben, anders als bisher. „Du hast cs jetzt leichter," sagte sie sterbend. „Leichter, ja, ja. Gott wollte Dir freundlich sein, darum werden jedenfalls soviel klarstellen, daß die Erledigung der neuen Vorlage in der nächsten Session rasch von Statten geht. — Aus dem niederrheinischen Weberbezirke kommen schon seit längerer Zeit Klagen über die Lage der Industrie. Das ist neuer dings nicht besser, sondern schlimmer geworden, wie aus folgender Mittheilung der „Köln. Ztg." hervorgeht. Die Lage der Sammet weber ist und bleibt eine traurige. Die Besserung, die man für den Frühling im Sammetgewerbe erhofft, ist ausgeblieben und auch für den Sommer kaum noch zu erwarten. Der nächste Winter wird vor aussichtlich noch größere Noth unter die Handweber bringen, wie sie im verflossenen Winter schon bestand. — Von der französischen Grenze. Vor einigen Tagen wurde die Nachricht viel besprochen, daß einem deutschen Schriftsetzer Littauer aus Breslau, der seine kranke Schwester in Reims besuchen wollte, der Eintritt in Frankreich trotz ordnungsmäßigen Passes verweigert wurde. Nach einer Pariser Mittheilung soll Littauer angegeben haben, er wolle den Markt von Chalons sur Marne besuchen. Der Eintritt in französisches Gebiet sei ihm von dem Polizeicommissar in Jgney- Avricourt deshalb nicht gestattet, weil er einen Erlaubnißschein, wie ihn fremde umherziehende Händler in Frankreich haben müssen, nicht beibringen konnte. Der hiervon sofort in Kenntniß gesetzte Prüftet des Departements Meurthe et Moselle gab jedoch schließlich dem Littauer die erforderliche Genehmigung zum Ueberschreiten der Grenze. — Aus San Rcmo meldet der Pariser „Figaro", es sei dort von Charlottenburg aus angefragt, ob Villa Zirio im nächsten Winter für Kaiser Friedrich wieder disponibel sei. — In Barcelona begrüßte am Donnerstag das deutsche Panzer schiff „Kaiser" den sich an's Land begebenden französischen Admiral mit den üblichen Schüssen und Hissung der französischen Flagge. Der Admiral ließ seine „Gig" während der Dauer des Grußes halten und stand im Boote entblößten Hauptes aufrecht. Frankreich. Bonapartisten und Orleanisten in der Depu- tirtenkammer haben sich jetzt geeinigt, Boulanger bei allen seinen Schritten, welche auf die Auflösung der Kammer gerichtet sind, energisch im Parlament, wie außerhalb desselben zu unterstützen. Der General hat sich für 10000 Franken Jahresmiethe ein kleines Haus in der Rue Dumont d'Urville als Privatwohnung gemiethet. Seine „pro visorische Regierung" hat er in der Rue de Saze eingerichtet. ES sind da alle verschiedenen ministeriellen Departements: Inneres, Justiz, auswärtige Angelegenheiten, Finanzen, Krieg, Ackerbau, Handel re. Diese „Portefeuilles" stehen unter der Leitung je eines der intimen Freunde des Generals. — Die Minister Floquet und Lockroy werden sich am 27. Mai nach Laon begeben. Sie haben den Stadtrath, welcher sie eingeladen, bereits offiziell von ihrer bevorstehenden Reise benachrichtigt. — Der Ministerrath hieß den neuen Beschluß des Pariser Stadtrathcs, 10000 Franken einfach den Pautiner Noth- leidendcn ohne Erwähnung ihrer Eigenschaft als streikende Glasarbeiter zuzuwendcn, gut. — In Tahiti, das eben von den Franzosen anncctirt ist, haben feindliche Eingeborene eine französische Patrouille überfallen, einen Marineoffizier und zwei Matrosen erschlagen. Die Thäter sind erschossen. England. Einzelne Mitglieder des englischen Parlamentes können sich noch immer nicht über die Samoa-Augelcgeuheit zufrieden geben. Die Regierung läßt sich indessen auf keine Auseinander setzungen mehr ein und erklärt, die Geschichte sei für sie erledigt. — Aus den Aeußerungen der Regierungsblätter und auch einzelner Minister geht hervor, daß England große Neigung hat, in ein festes Verhältniß zu dem Friedens-Dreibund zu treten. Es scheinen auch bereits bezügliche Verhandlungen angeknüpst zu sein. Rußland. Aus Petersburg wiid berichtet, daß bereits Ver handlungen mit einem früheren Finanzminister wegen Wieder übernahme des Ministeriums eingcleitet sind. — Die Ruhestörungen an der russisch-afghanischen Grenze nehmen sich nach Darstellung der englisch-indischen Regierung doch wesentlich anders aus, als sie dieser Tage in einem amtlichen Petersburger Telegramme geschildert wurden. hat er uns von Dir genommen. Siehst Du — das Glück — das Glück, es kommt doch." So entsetzliche Worte brennen sich tief in die Seele — es waren die letzten Worte einer Sterbenden! Ha — ich konnte ihr ehrlich schwören, denn ein wilder Trotz war über mich gekommen — Alles war vernichtet, was in mir gut war, ich wollte leben, Rache nehmen, das Glück ertrotzen, schlecht sein wie die Anderen, meine Ideale mit Füßen treten — Mensch sein — Mensch! — Ich war reif für das Verbrechen, Machieu!" Er hielt erschöpft inne und faßte die Hand des Sohnes. Die sinkende Sonne warf einen schmalen Streifen Lichts herein, in dem die Staubtheilchen munter auf und nieder tanzten. „Schließe den Vorhang ganz," sagte Gcrard, „das Licht schmerzt mich. Ich hasse die Sonne nicht, aber sie thut mir weh, ich meide sie. Ich hasse auch die Menschen nicht, wie Ihr glaubt, ich scheue sie nur; ihr Anblick schmerzt mich. Damals haßte ich sie und wollte Rache nehmen an ihnen und gönnte ihnen nichts Gutes. Damals stand ich vor dein Verbrechen — aber Alles kam anders." Er hielt wieder inne und erst nach einer Weile fuhr er ruhiger fort: „Ein paar Monate nach dem Tode Heloisens fiel ihr eine Erb schaft zu eine — Erbschaft von einem Menschen, an den wir nie gedacht, den wir nie gesehen hatten. Der Hohn dieses Schicksals-Ein falls traf mich tief — furchtbar tief und ließ keine Freude in mir aufkommen. Jndeß wendete das unser Leben nun vom Elend ab. Das Geld gehörte Dir — ich legte es sofort sicher an und die Zinsen überhoben mich des Kampfes für unser Fortkommen. Aber sie übcrhoben mich nicht drr Sorge, die meine Begleiterin blieb und in unser Leben ihren finstern Schatten warf. Die Sorge! Wie viele Tausende möge» durch die Welt schreiten, scheinbar glücklich, ohne Sorgen, beneidet wie ich beneidet wurde, und doch schreitet neben ihnen das häßliche graue Weib und schüttet beständig Wcrmuth in ihren Becher. Es läßt sich nicht bannen, dieses Gespenst, wer ihm einmal tief in die entsetzlichen Augen geschaut, der sicht es immer vor sich, auch wenn er aus den Höhen des Lebens schreitet. Und wie furchtbar deutlich mußte ich cs immer sehen — ich — mit dieser unheimlichen Macht im Hirn — dieser selben Macht, die Dich Deine Sorgen sehen läßt! Andere Wunden möge» heilen, aber die man aus solchen Kämpfen davonträgi, sie heilen nie, sie heilen vielleicht scheinbar, aber sie brechen immer wieder auf. Nie verließ mich die Angst, daß uns dieser kleine Besitz verloren gehen könnte, und immer fieberischcr wühlte es in mir, ihn zu vermehren. Sollte ich mich wieder der Kunst zuwenden? Einen Augenblick lockte eS mich — und dann noch öfters — denn der Trieb in meinem Herzen war noch nicht todt — all das Eilebte war nicht iin Stande ge wesen, ihn zu tödten. Aber der Ekel vor den Menschen ward zum Ekel vor dem Erfolge. Ich konnte mit Geld spekuliren, aber nicht mit der Kunst. Und dann war die Furcht vor der Zukunft, die Angst, wieder fortgerissen zu werden und der gierigen Bestie im Taumel, im Rausche auch das in den Rachen zu werfen, was ein günstiger Zufall mir zugcwendct hatte. Die Sorge war es, die Sorge, die endlich alle lichten Träume vertrieb und mich mit Haß gegen diesen Gott in der Brust erfüllte. Ich ließ das Klavier aus dem Hause bringen, das ich mir schon angcschafft hatte, und schwor mir, nie eines zu berühren. Dagegen wandte ich meine ganze Aufmerk samkeit der Vergrößerung unseres Besitzes zu. Dein Vermögen konnte ich nicht mehr antasten, aber von den Zinsen erübrigte ich so viel, daß ich damit kleine Spekulationen unternehmen konnte. Ich hatte meistens Glück, ich sammelte bald ein kleines Vermögen, aber je mehr es wuchs, desto langsamer schien es mir zu gehen. Meine Phantasie flog viel, viel schneller, und damit es auch mit dem Reichwerden schneller gehe, schränkte ich unsere Ausgaben auf das Nöthigste ein. Die Leute nannten mich Geizhals — auch Du nanntest mich so — vielleicht hattet ihr nicht ganz Unrecht. Du siehst, ich bin nicht ver blendet, ich war es nie. Es hat immer Zeiten gegeben, wo ich klar sah oder klar zu sehen glaubte, wo ich mich plötzlich fragte: Bist du aus dem richtigen Wege? Aber ich war nicht im Stande, den Dä mon in der Brust zu bekämpfe», er war kräftiger als Alles, und oft riß er mich sogar zu wilden Ausbrüchen der Leidenschaft fort, die ich doch unterjocht zu haben glaubte. Mein ganzes Leben galt nur Dir, Mathieu, und cs gab keine Stunde, wo Du nicht meine Ge danken beschäftigtest. Ich mußte Dich so erziehen, daß alle jene Klippen, die ich auf meinem Wege gefunden hatte, Dir nicht schaden konnten. Dein kleiner Besitz, was war er, wenn er nicht strenge ge hütet wurde, und was hätte Dir selbstein größerer genützt, wenn ich nicht Alles in Deiner Seele erstickte, was zum Unglück führe» kann! So suchte ich Dich denn zu Kälte und Glcichmuth, zu Ernst und Strenge, zurLeiden- schastslvsigkeit und zur Klugheit des Alltagsmeuschen, zur Abge- waudtheit von allen Idealen zu erziehen. Und ich sah gar bald, daß in Dir noch ein weit wilderes Lebe» flainmte als in mir, und
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite