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Sächsischer L a n d eö - N r, z e i g er. Nr. 63. Freitag, 16. März 1888. — Staatssekretär de? Auswärtigen, Graf Herbert Bismarck, hat an den ualieuischen Ministerpräsidenten Crispi folgendes Tele gramm gerichtet: Sic haben mir die Beschlüsse der italienischen Kam mer nach dem Eintreffen der Nachricht vom Tode Sr. Majestät des Kaisers Wilhelm mitgetheilt. Diese imposante Sympathiekundgebung der Vertreter einer uns durch Gefühle und historische Traditionen verbündeten großen, edlen Nation wird allen deutschen Herzen einge prägt bleiben. Ich werde mich gern der Pflicht unterziehen, diese Thatsache zur Kenntniß Seiner Majestät des Kaisers zu bringen. Blllerhöchstderselbe wird in der Kundgebung ein sicheres Pfand der Dauer und Stärke der auf Gemeinsamkeit der Ideen und Interessen begründeten freundschaftliche» Beziehungen unserer beiden Nationen finden, deren Freundschaft auch fortan einen wohlthuenden Einfluß auf die Erhaltung des Weltfriedens und die Geschicke beider Länder fühlbar machen wird. Crispi dankte in entsprechend herzlicher Weise. — Dem Reichstage wird in seiner nächsten, wahrscheinlich am Montag stattfindendcn Sitzung eine kaiserliche Botschaft zugehen, in Welcher der Uebergang der Kaiserwürde auf Friedrich III. ausge sprochen wird. Außerdem wird der Reichstag in dieser Sitzung ei» Dankesvotnm an die fremden Volksvertretungen beschließen, welche ihrer Thestnahme anläßlich des Todes Kaiser Wilhelms Ausdruck gaben. Auch im preußischen Landtage wird am Montag eine Bot- i schaft des Kaisers und Königs Friedrich verlesen werden, worin er > fein Bedauern darüber aussprechen wird, daß sein Gesundheitszustand ihm zur Zeit die persönliche Eidesleistung nicht gestattet, diese sich für später vorbehält und zunächst vermittelst der Botschaft die Zusicher ung, die Verfassung gewissenhaft zu beobachten, ertheilt. Das Land- tagspräsidium hat zwei prachtvolle Kränze am Sarge Kaiser Wilhelms s «iede.gelegt. Mittwoch Abend von 10^ bis 11^, Uhr wird die Volksvertretung im Dome erscheinen. — General von Stosch, der frühere Chef der Admiralität, ist in Berlin, wie schon mitgetheilt, angckommen. Vielfach wird ver- «uthet, daß General von Stosch demnächst wieder in Aktivität treten Wird. Bekanntlich hat der Kaiser schon als Kronprinz auf den Gene ral von Stosch große Stücke gehalten. — Aus München wjrd mitgetheilt, daß Ministerpräsident Frei Herr von Lutz zu den Beisetzungsfeierlichkeiten nach Berlin abgercist ist. Der Prinz-Regent Luitpold kommt nicht, sondern wird durch den Prinzen Ludwig vertreten. Der Erzbischof von München hat ange ordnet, daß am Tuge der Beisetzung des Kaisers in ganz Bayern ^Mwuergottesdienst und ein Gebet für den entschlafenen Herrn abge- werden soll. Die amtlichen Bureaus bleiben geschloffen. — Durch Kabinetsorde Kaiser Wilhelms vom 33. Februar ist , die Errichtung eines Unterstützungsfonds für deutsche Militärmnsiker angeordnet worden. — Aus Sydney in Australien kommt die folgende bedeutsame Warnung: Man wird in Deutschland gut daran ihn», die Ver H Hetzungen, welche seit einiger Zeit von schntzzöllnerischer Seite gegen .die hier etablirten deutschen Häuser in Szene gesetzt werden, nicht allzuleicht zu nehmen. Man geht in dieser Beziehung neuerdings ganz systematisch vor, verwahrt sich selbstverständlich gegen jede Ab sicht, eine feindselige Stimmung gegen die Deutschen hervorznrufe», unterläßt aber nichts, eine solche Stimmung herbeiznführen. Leider leistet die Uneinigkeit unter den Deutschen in Australien solchen Be strebungen vielfach Vorschub. Oesterreich-Ungarn. Das hochvfficiöse „Wiener Fremdenblatt" kommt auf den Depeschenwechsel zwischen dem Reichskanzler Fürsten Bismarck und dem Grafen Kalnoky, sowie auf die Proklamation Kaiser Friedrichs zurück und sagt: Wie Graf Kalnoky dem Reichs kanzler erklärt habe, erblicke ganz Oesterreich in Kaiser Friedrich den erlauchten und würdigen Nachfolger des hohen Verblichenen, den nicht minder warmen Freund des Kaisers Franz Joseph und der Böller des österreich-ungarischen Reiches. Oesterreich-Ungarn sehe Deutschland nach wie vor an seiner Seite zum Schutze der gemein famen, von dem Friedcnsbunde fcstgehaltenen Ziele, zur Wahrung de» Friedens dieses Wclttheilcs. Der Depeschenwechsel zwischen dem Fürsten Bismarck und dem Grase» Kalnoky sei ein großer, bleiben- ^ der Triumph der modernen Staatsknnst, die ihre Ziele und ihre Mittel den wahren und deshalb unverrückbaren Bedürfnissen der Völker anzupaffen gewußt habe. — In der Wiener Hofburg fanden unter dem Präsidium des Kaisers neue militärische Konferenzen statt. Anwesend waren Erzherzog Albrecht, der Kriegsminister und andere höhere Officiere. — Im ungarischen Reichstage wurde am Mittwoch ein warmes Dankschreiben des deutschen Reichskanzlers für die Kund gebung aus Anlaß des Hinscheidens Kaiser Wilhelms verlesen. Alle Blätter fahren fort, die Proklamation des duschen Kaisers im zustimmenden Sinne zu besprechen Italien. Der -Kronprinz Victor Emanuel übcrbringt zwei Handschreiben seiner Eltern dem deutschen Kaiserpaare. — Die Streitig keiten zwischen Franzosen und Italienern führen mehr und mehr zu blutigen Exeessen. In Arles hatten am letzten Sonntag Italiener zwei französische Zuaven im Zank erstochen und waren verhaftet. Am Dienstag wollte die Menge das Arrestlokal stürmen, um die Von Geschlecht zu Geschlecht. Erzählung von W. Widdern. Fortsetzung. Nachdruck verboten. Lotte Gröning unterbrach sich plötzlich, — sic blickte betroffen in das Gesicht des Grafen, das sich mit dunkler Röthe bedeckt hatte, als sie den Namen „Stegmüller" nannte. Dann aber zuckte er mit der Achsel und erwiderte mit sehr bcmcrklicher Unsicherheit: „Sie haben leider wohl Recht! Das frühere Berhältniß Ihrer Mutter deutete mir der Sterbende jedoch nur an; es lag ihm ja nicht daran, mir einen Roman zu erzählen." „Einen Roman!" wiederholte Lotte und drückte die Hand au das Herz. Graf Otto sah sie forschend an mit einem Blick, der ihr viel zu denken gab, dann setzte er hastig hinzu: „Aber lassen Sie mich fort fahren mein Fräulein! Mich selbst interessirte das Schicksal der unglücklichen Julia und ihres Kindes, — und so machte ich mich denn bald nach der Beerdigung meines theuren Vaters auf, um nach Mutter und Kind zu forschen. Es kostete mich nicht viele Mühe. Das Irrenhaus zu N. ist eine städtische, gut geregelte Anstalt und führt seine Bücher auf das Genaueste. Vermittelst dieser Bücher ließ sich auch »ach dem Verbleiben des Kindes forschen, und schon in wenigen Tagen wußte ich, daß Professor Gröning in L. Sie adoptirt hat, worüber ich mich aufrichtig freute, denn der berühmte Gelehrte war ein Studiengenosse meines verstorbenen Vaters, dessen mir derselbe oft in der liebevollsten Weise Erwähnung gethan. Nun aber —I" Der Graf zögerte. „Nun aber?" wiederholte Lotte, während ihre Augen so fest an dem Gesicht ihres Gegenüber hingen, daß cs dem jungen Aristo kraten fast unmöglich war, diesen Blick auszuhalten. „Nun aber bin ich gekommen," sagte er dann schnell, „im Namen des Verstorbenen zu bitten, mich für Ihre Zukunft Sorge tragen zu lasse». Ich biete Ihnen eine lebenslängliche Pension von jährlich sechshundert Thalern und, wenn Sie wollen, auch ein Heim in meinem Stadthause in L. Ich weiß bereits," setzte er lächelnd hinzu, „daß ich die Ehre habe, einen weiblichen Gelehrten vor mir zu sehen, Fräulein Gröning! Da könnten Sie sich auf meinem Klosterhof auch nützlich machen! Ich bin im Besitze einer vorzüg lichen Bibliothek die noch von den Mönchen, welche früher in dem . alt«, Stadthause unsere» Geschlechts hausten, begründet wurde. Nun Gefangenen zu lynche». Das französische Militär leistete indessen kräftigen Widerstand und trieb die Angreifer zurück. Zwei Soldaten sind verwundet. Frankreich. In der protestantischen Kirche zu Paris findet am Freitag Traucrgottesdienst für Kaiser Wilhelm unter Theilnahme aller amtlichen Kreise statt. Die Deutschen in Paris senden einen herrlichen Kranz ab, der 3 va im Durchmesser faßt und aus Blumen von Porzellan gebildet ist. Die Blätter sind silbern und liegen auf einem Grund von Kornblumen. Die Inschrift ist aus kleinen weißen Rosen hergestellt und lautet: „Ihrem Kaiser Wilhelm die Deutschen in Paris." Der Proklamation Kaiser Friedrichs wird von der Pariser Presse die rückhaltloseste Anerkennung gezollt. —- In Paris erscheint, wie schon erwähnt, ein neues boulangistischeS Blatt unter dem Namen „Cocarde." Zur Einleitung wird u. A. folgende Ge schichte erzählt: „In Metz haben die französischen Soldaten bei der Capitulation ihre Fahnen zerrissen und ihre Adler zertrümmert, auf dem Herzen aber trug ein Jeder einen kleinen dreifarbigen Streifen in die Gefangenschaft. Im Jahre 1873 wurde auf dem Dome zu Straßburg eines schönen Morgens die französische Fahne entdeckt, 6 oder 8 Grenadiere, die hinaufgeschickt wurden, stürzten herunter und brachen sich die Rippen. Endlich gelang eS einem Akrobaten, der in einem bayrischen Regimente diente, die Fahne loszureißen. Der Wind aber entriß sie seinen Händen und führte sie in eine Gruppe von Straßburger Bürgern, die auf dem Platze standen. Als die Polizei auf den Platz kam, um sie zu confisciren, war sie verschwunden. Die Elsässer halten sie in Stücke gerissen und Jeder von ihnen trug ein Stück auf seiner Brust verborgen mit nach Hause." Von diesem Fetzen Tuch, von dieser dreifarbigen Cocarde trägt das Blatt den Namen. Es vertheidigt also die bekannten Ideen der Patriotenliga. England. Im britischen Parlament hatte der Abg. Slagg einen Tadelsantrag gegen die indische Politik der Regierung einge bracht, welche dem Lande finanziell schädlich sei. Auf die Antwort der Regierung, daß zur Erhöhung der Vertheidigungsfähigkeit In diens erhöhte Anstrengungen gemacht werden müßten, wurde der Antrag mit 133 gegen 73 Stimmen abgelehnt. — Der „Standard" erblickt in dem Dcpeschenwechsel zwischen Fürst Bismarck und Graf Kalnoky die förmliche Erneuerung des deutsch-österreichischen Bünd nisses. Das Blatt meint, dieser Meinungsaustausch werde genügen, allen Combinationen über den Stand der Politischen Beziehungen zwischen Berlin und Wien für immer ein Ende zu machen. Das glauben wir auch! Rutzland. In der lutherischen Kirche zu Petersburg wird am Freitag ein feierlicher Trauergottesdienst für Kaiser Wilhelm statt finden, an welchem auf Befehl des Zaren alle amtlichen und Hof kreise theilnehmen sollen. Der Kaiser hat die größte Lust gehabt, selbst nach Berlin zu reisen, und nur schwer sich entschließe» können, den Großfürsten-Thronfvlger mit der Stellvertretung zu beauftragen. Sehr zahlreiche Deputationen der Deutschen Rußlands reisen nach Berlin. Die Presse begrüßt die Proklamation Kaiser Friedrich's als lebhaftes Friedenszeichc». Sächsisches. — Da die Ehrenwache am Sarge Kaiser Wilhelms von den Kommandeuren der Leib-Regimenter bez. der Regimenter gehalten wird, deren Chef der hochselige Kriegsherr gewesen, so begab sich der Kommandeur des kgl. sächs. 3. Grenadier-Regiments Kaiser Wilhelm, mig von Preußen Nr. 101, Herr Oberst von Egidy, zu diesem Zwecke nach Berlin. Desgleichen wurden außer einer starken Depu tation aller Chargen dieses Regiments von der Generalität der Stadt- Kommandant Freiherr ü Byrn, Generalleutnant v. Rudorfs und Generalmajor v. Schweingel nach Berlin zu den Leichenfeierlichkeitcn entsendet. Die erwähnte Deputation besteht aus den Herren: Oberst leutnant Hohlfeld, Major Graf Vitzthum von Eckstädt, Hauptmann Freibcrr von Uslar-Gleichen, Premierleutnant Graf v. d. Schulen- bnrg-Hehlen, Sccondelentnant Hoch. — Da die Begräbnißfeierlichkeiten in Berlin am Freitag statt- findeu, so beginnen die Sitzungen in beiden Kammern der Ständeversammlung übermorgen, Sonnabend. In der zweiten Kämmer harren unter einer Anzahl Petitionen noch folgende wichtige Bcrathungsgegenstäude der Erledigung: Das Gcrichtskostcngesetz, ein Theil des Etats des Ministeriums des Innern (Gendarmerie, Dresd ner Polizei, Medizinalwesen rc.), Botanischer Garten, Dresdner Aints- Gcrichtsbau, Gescsetz betr. die Jnwartegeldversetzung der Geistlichen rc. Die drei letztgenannten Berathungsgegenstände dürften lebhafte De batten mit sich bringen; die Ansichten sind sehr getheilt, was schon daraus hervvrgeht, daß im Schooßc der vorberathenden Deputationen Majorität und Minorität vorhanden sind. Man macht sich daher in Abgcordnetenkreisen daraus gefaßt, daß es nicht möglich sein wird, bis zum 34. März Alles zu erledigen, und daß man wohl gleich »ach den Osterfeiertagen sich noch auf mehrere Sitzungen im Land tagshause wird zusammenfinden müssen. ist der Bibliothekar vor kurzem gestorben, — wollen Sie seine Stellung übernehmen?" Im Impuls des Augenblicks wollte Lotte dieses Anerbieten stolz von der Hand weisen. Sie mochte keine Wohlthaten von dem Sohne des Mannes, um dessentwillcu aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Mutter den Verstand verlöre». Dann aber kamen ihr auch wieder andere Jvecn. Sie gedachte des seltsamen Blickes aus den Augen ihres Gegenüber, als sie vorhin Leo Stegmüllers erwähnte. Eine Ahnung durchzuckte sie, daß das Dunkel trotz der Erklärungen des jungen Grasen doch wohl nicht vollends gelichtet sei, welches für sie über ihrer Herkunft gelegen, — wie cs wohl noch immer Geheimnisse gab, die sie erforschen mußte, wollte, ihrer eigenen Ehre wegen und dem Andenken der Mutter zu Liebe. Aber wo konnte sie das besser als in der Heimath der Görgensteins, in den Räumen, in welchen Graf Golo wenigstens einen Theil seines Lebens zugebracht und die mit der Bibliothek gewiß auch eine Art Familienarchiv verbanden? Minutenlang war es still wie im Grabe in dem kleinen Stübchen des einsamen Mädchens, dann hob ein tiefer Athemzug Lottes Brust, und sie sagte laut mit ihrer klare», sonoren Stimme: „Ich nehme Ihr Anerbieten au, Graf Görgeustein! Ich nehme cs an als mein gutes Recht, — besaß doch Ihr verstorbener Vater die Verpflichtung, für mich zu sorgen. Aber ehe ich mit Ihnen gehe, will ich Ihnen sagen, daß ich trotz alledem, was ich heute erfahren, doch nicht vergessen will und werde die letzten Worte meiner unglück lichen Mutter: „Ich bin die rechtmäßige Gemahlin des Grafen Golo v. Görgeustein!" Wie von einer Viper gestochen, so fuhr der junge Aristokrat in die Höhe. In wildem, leidenschaftlichem Zorn blitzten seine Augen zu der winzigen Person hinüber, die so energisch zu sprechen verstand. „Das heißt," sagte er dann, „Sie denken wirklich, daß ein Graf Görgenstein sich so weit herablaffen konnte, der wälschen Arbeiterin die Hand zum Ehebunde zu reichen? Sie wollen mir mit Ihren Worten sagen, daß Sie nach Beweisen suchen werden für diese Ehe, um mich um eine» Theil meines stolzen Erbes zu bringen und sich mit der Grafenkrone eines der ältesten Geschlechter Europas zu chmücken? Suchen Sie nur, mein Fräulein, suchen Sie nur! Nir- ;ends auf der Welt werde» Sie ein Kirchenbuch finden, das Ihne» chwarz auf weiß zu zeige» vermöchte: „Graf Golo von Görgenstein I>at sich mit Julia Onida vermählt." — Bezüglich einer besonderen kirchlichen Trauerfeier zum Ehrengedächtniß des Kaisers Wilhelm bestimmt das evangelisch- lutherische Landesconsistorium, daß dieselbe am Tage der Beisetzung der kaiserlichen Leiche oder — falls die örtlichen Verhältnisse dies nicht zulaffen — je nachdem eS räthlich erscheint, am nächsten Sonn tage Judica, sei es in Verbindung mit dem regelmäßigen Sonntags- gotteSdienste, sei eS in besonderem Nachmittags- oder Abendgottes dienste, zu veranstalten sei. In den meisten Gemeinden Sachsen» findet dieser Trauergottesdienst Freitag statt. — Diejenigen Krieger- und Militärvereine des König reichs Sachsen, welche dem deutschen Kriegerbunde angehören, werden bei den Beisctzungsfeierlichkeiten in Berlin durch Fahnendepu tationen vertreten sein. Der Bundesvorstand legt im Namen sämmt-' sicher Vereine des Bundes einen Kranz am Sarge mit der Widmung „Seinem Kaiser der Deutsche Kricgerbund" nieder. — Laut Kgl. Dekrets über die Besetzung des Staats^erichtS- Hofes hat König Albert auf die Zeit vom Schluffe des gegenwär tigen bis zum Schluß des nächsten ordentlichen Landtags den Senats präsidenten des Oberlandesgerichts, Appellationsgerichtspräsideut Klemm, zum Vorsitzenden, ferner den Senatspräsidenten des Oberlandesgericht» Werner, die Räthe des Oberlandesgerichts Preil, Leonhardi und Loß- nitzer, den Landgerichtspräsidenten Wehinger zu Dresden und den Landgerichtspräsidenten Schurig in Leipzig zu Mitgliedern des Staats gerichtshofs ernannt. — Dresden, 15. März. König Albert und Prinz Georg begaben sich heute Vormittag 10 Uhr 33 Minuten zu den Beisetzungs-Feierlichkeiten des hochseligen Kaisers Wilhelm nach Berlin. Die Abreise des Prinzen Friedrich August erfolgt Freitag früh 3 Uhr 30 Minuten. Kronprinz Rudolf von Oesterreich traf heute früh 3 Uhr 50 Minuten hier ein und setzte nach kurzem Aufenthalt die Reise nach Berlin fort, um an den Beisetzuiigsfeierlichkeiten theilzu- nehmen. — Seit Mittwoch früh sinkt die Hochfluth der Elbe wieder. Sie hatte mit 430 Cmtr. gegen 6 Uhr den höchsten Stand erreicht. Demnach ist auf hohen Wasserstau!» noch auf längere Zeit hinaus zu rechnen, da sich das Sinken nur sehr spärlich vollzieht, zumal im Hochgebirge noch bedeutende Schneemassen liegen, die nur langsam abschmelzen. Die tiefer gelegenen Gassen und Gäßchen in der Neu stadt, in der Wilsdruffer- und Pirnaische» Vorstadt, wie in der Friedrichstadt, die vorgestern schon überschwemmt waren, zeigten sich gestern noch ebenso, nur ganz wenig war die Situation verändert. Zum Glück ist bis jetzt nichts bekannt geworden von irgend welchem Unglück infolge der Hochfluth. — Ueber die Entdeckung des Coupon- Diebstahles, deren schon gestern Erwähnung geschah, hört man, daß dieselbe dadurch herbcigeführt worden ist, daß zwei junge Männer, angeblich Schuhmachergehilfen, wovon einer aus dein Tschechenlande gebürtig, in einem hiesigen Geschäft eine goldene Uhr einkaufen wollten und als Bezahlung mehrere Coupons anboten. Der Geschäftsinhaber wollte sich über die Giltigkeit der Coupons näher unterrichten und befragte einen benachbarten Kaufmann, welcher eine der vielen Listen in den Händen hatte, welche die königl. Polizeidirektion an viele hiesige Geschäftsleute verthcilt hatte und welche die sämmtlichen Nummern der gestohlenen Coupons enthielten. Sofort wurde Anzeige bei der Behörde gemacht, welche die beiden Jndustrieritter in feste Hände nahm und nach einen» strengen Verhör so viel ermittelte, was wir bereits gestern berichteten. Die Diebe sollen eiugestanden haben, das Gestohlene eigenhändig aus dem erbrochenen Schranke herausge holt zu haben. r — In Cunewalde gebar dieser Tage die erst 25 jährige Frau eines Tagearbeiters, die bereits 7 Kinder hat, Drillinge. Alle Drei waren Knaben; einer kam todt zur Welt. — Ain 13. März forderte die Trichinosis wiederum ein Opfer, es starb die 26 Jahre alte Webersehefrau Auguste Lehmann. Im übrigen ist die Gesammtzahl der Kranken auf etwa 100 zurückgegangen, worunter sich noch zehn Schwerkranke befinden. — In Weißenberg starb die 92 Jahre alte „Mutter Just" an demselben Tage, an welchem Kaiser Wilhelm aus dem Leben schied. Sie hegte in ihren letzten Lebensjahren den innigen Wunsch, ihren Alters-Genossen, den Kaiser Wilhelm, noch einmal sehe» zu können. Um so merkwürdiger ist dies gleichzeitige Ableben. — Leipzig» 14. März. Eine hiesige Fabrik entsendet zwanzig Mann — 1870er Combattanten — nach Berlin, um ihnen Gelegen heit zu geben, ein letztes Mal Front zu machen vor ihrem verewigten Kaiser. — Am Tage der Beisetzung des Kaisers Wilhelm werden nicht nur die sämmtlichen städtischen Expeditionen, sondern auch die Räume der Handelskammer rc. geschlossen bleiben. In der Uni- vcrsitätskirche findet eine von der Universität veranstaltete besondere Trauerfeier und in den Parochialkirchcn allgemeiner Trauergottes dienst statt. Die Gcwerbekammer wendet sich an die Ge »verbtrei be ndcn Leipzigs mit dem Ersuchen, während der kirchlichen Feier die Geschäftsthätigkeit einstellen zu wollen. — Dem Vernehmen nach wird, nachdem eine eingehende Untersuchung der Lutherkirche stattge funden hat, die Wiederherstellung derselben nach dem Urtheile bau licher Sachverständiger einen Zeitraum von ungefähr vier Monaten „Um so bester für Sie!" erwiderte Lotte kalt. Der junge Graf behielt Recht; alle Nachforschungen des Fräu leins waren vergebens. Freilich lebte in der Residenz des kleinen Fürstenthums, wohin sie alsbald Otto von Görgenstein gefolgt war, »och ein alter Bediensteter des Verstorbene», ober »vas der von Julia Onida erzählte, hatte er doch auch nur vom Hörensagen. Und wenn Lotte auch immer wieder ihr ganzes Jahreseinkommen dazu verwandte, um tüchtige Notare und Detcctivs zu besolden, damit sie Licht in die fragliche Angelegenheit brächten, — es war alles umsonst, da, wie schon berichtet, Julia Onida zwar erklärt hatte, sie sei in England die Gemahlin Golo vochcGörgcnsteins geworden, aber nicht hinzuzu« fügen vermochte, an welchem Orte sie dem Grafen angetraut worden war. Dieser aber hatte, wie aller Welt bekannt, in seiner Jugend ganz Europa bereist und führte auch während seines langen Aufent halts in Großbritannien ein Noinadenleben. Endlich aber ermüdete auch Lottes kraftvoller Geist, und sie er gab sich in ihr Schicksal. Dazu kam noch, daß sie der Gemahlin, der Wittwe Graf Ottos — welcher gegenüber sie auf Veranlassung des letzteren nie ein Wort über ihre wahren Beziehungen zu den Görgensteins gesagt — aufrichtig zugethan wurde. An Gitta und Angelica hing ihre ganze Seele und sie wußte ja, was für alle drei auf dem Spiele stand, wenn nachgewiesen wurde, daß Graf Golo die von Stegmüller Entführte zu seinem Weibe gemacht habe. Fräulein Lotte Gröning hätte freilich gern Verzicht geleistet auf das bedeutende Vatererbe, es verlangte sie nicht nach dem Reichthum; nur die alt« Schmach wollte sie von ihrem Leben genommen haben. Aber würde die Baronin ein solches Geschenk acceptirt haben? Nein, und tausend mal nein! Lieber hätte sich die stolze Frau den größten Entbehrungen unterzogen, ehe sie etwas angenommen hätte, was ihr wie ein Almosen erscheinen mußte. — Je länger Lotte mit Mathilde und ihren Kindern lebte, best» mehr ging sie in den Wünschen der Familie auf und würde vielleicht ganz vergessen gelernt haben, was ihr eigenes Dasein beschwerte, wenn Angelica sie nicht immer wieder an die Sehnsucht der Ber- gangenheit erinnert hätte. Das seltsame Interesse des jungen Mäd chens an Julia Onida war eine Quelle grenzenloser Erregung für das alte Fräulein. Heute aber stürmte eS wieder in der Brust der Greisin wie vor Jahren, und doch hatte sie in Minetti» Hütte nur. wiederholen hören, wa» sie lange durch die Vermittelung ihre- Pflege- - vatsrS wußte. - ''