Suche löschen...
Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 07.11.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-11-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189611078
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18961107
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18961107
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-11
- Tag 1896-11-07
-
Monat
1896-11
-
Jahr
1896
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 07.11.1896
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Freiberger Anzeiger und Tageblirtt. Sette 2. — 7 November 189«. die Wehrhaftigkeit des Vaterlandes zu erhöhen und die Kriegs gefahr hintan zu halten. Es ist oft darauf hingewiesen worden, daß die englische Landwirthschaft von dem Augenblicke an, wo man sie den Interessen der Industrie opferte, in einen schweren Nothstand gestürzt worden ist. Dieses englische Beispiel stört selbstverständlich die Rechnung aller derer, welche in Deutschland freihändlerischen Grundsätzen huldigen oder doch die einseitige Pflege der Industrie in den Mittelpunkt der Staatswirthschaft gestellt wissen wollen. Mit Behagen stützen sie sich daher auf das Zeugniß einer soeben erschienenen Schrift des vr. König, welche „die Lage der eng lischen Landwirthschaft" behandelt und sie im Gegensatz zu den allgemein gehegten Anschauungen als verhältnißmäßig günstig darstellt. Der Verfasser muß zwar zugeben, daß der Getreide bau in England erheblich znrückgegangen ist und weder rentirt, noch zur Ernährung des britischen Volkes auch nur auf Monate ausreicht. Aber er stellt fest, daß der Verminderung der Acker baufläche eine Erweiterung der permanenten Weide gegenüber- steht, die so bedeutend ist, daß sie einer Vermehrung der eng lischen Kulturfläche nm fast 1^/., Millionen Acres gleichkvmmt. Der Verfasser sucht weiter nachzuweisen, daß der englische Land- Wirth sich dabei sehr gut stehe: er verwende die größte Pflege auf die Anlage dieser „Weiden", die infolge einer rationellen Kultur den fetten deutschen Biarschweiden gleichzustellen wären und dem Landmann — „ohne staatliche Beihülfe!" — durch die Ermöglichung einer großartigen Viehzucht, namentlich Hochzucht, eine ungleich höhere Rente gewährten, als der Getreidebau. Es liegt nahe, was für Nutzanwendungen die deutschen Gegner der Landwirthschaft aus dieser Schrift ziehen. Aber wenn sie den deutschen Landwirthen rathen, nun ebenfalls dem Getreidebau zu entsagen und die deutschen Felder in „fette Marschen" zu verwandeln, so übersehen sie leider alle die Umstände, welche dieses Projekt vereiteln. Zunächst erfreut sich Deutschland nicht jenes Klimas, welches in England der Weidewirthschaft den weitesten Vorschub leistet, und zweitens würde in den meisten Gegenden der Grund und Boden überhaupt nie in Marschland zu verwandeln sein. Die Gegner der deutschen Landwirthschaft übersehen ferner die grundverschiedene wirthschaftliche Lage der englischen und deutschen Landwirthe. In England ist der gesammte Grund und Boden gebundenes Erbeigenthum der feudalen Lords; der Bauer ist nur Pächter. In Deutschland gehört der gebundene Besitz zu den Ausnahmen, freier Erwerb und freie Veräußerlichkeit des Bodens ist die Regel, sowohl für die Großgrundbesitzer, als auch für die Bauern. In England haben sich infolge dessen seit Jahrhunderten ungeheure Vermögen in den Händen der Lords aufgehäust, sie sind zum größten Theil selbst an industriellen Unternehmungen betheiligt, und vermochte» so die durch den Uebergang vom Ackerbaustaat zum Industrie staat über die Landwirthschaft heraufbeschworenen Nachtheile leicht zu ertragen. Die Pächter anderseits sind zwar unmittelbar und recht empfindlich geschädigt worden, aber sie sind doch immer noch freier in ihren wirthschaftlichen Erschließungen, da sie der Sorgen des Eigenthümers überhoben sind. In Deutschland hat die freie Veräußerlichkeit des Bodens naturgemäß zur Zersplitterung und Verschuldung des Grundbesitzes geführt. Großgrundbesitzer und Bauern sind gar nicht in der Lage, ohne Weiteres ihre Produktions- methodc zu ändern: eine so durchgreifende Maßnahme, wie der Uebergang vom Getreidebau zur Viehwirthschaft legt allen fast unerschwingliche Opfer auf. Und würde sie trotzdem durch geführt, fo droht fie bei uns gleich im Keime zu ersticken durch die ausgedehnte mindcrwerthige Vieheinsuhr, während England sich trotz seines Freihandels auch dagegen wirksam zu schütze» gewußt hat. Es ist ein merkwürdiger Zufall, schreibt man der Köln. Zeit, aus Berlin, daß die jüngste Zeit eine Anzahl auffälligster Vor gänge vereinigt, die alle mit zwingender Kraft Zusammenwirken, um den großen Segen der Oeffentlichkeit auch allen denen klar zu machen, die aus längst widerlegten Bedenken oder vorsünd- fluthlichen Anschauungen ihre Gegner sind und Alles getrost der bessern Einsicht und der unverwüstlichen Wachsamkeit der obern Behörden und dem im Geheimen waltenden strafenden Arme der bureaukratischcn Gerechtigkeit überlassen möchten. Daß im Falle von Brüsewitz das ganze Offiziercorps ein dringendes Interesse daran hat, die bereits öffentlich bekannt gewordenen, schars einander gegenüberstehendeu Aussagen zweier Zeugen des Vorfalls auch öffentlich aufgeklärt zu sehen, bedarf keiner Ausführung. Im Falle der Ermordung des Justizraths Levy haben sich durch die öffentliche Behandlung der Einzelheiten Mißstände der Kriminalpolizei herausgestellt, deren Abstellung nach einer Be kanntmachung des Berliner Polizeipräsidenten nunmehr zu er warten sein wird. Noch nützlicher aber hat die öffentliche Be handlung des Opalenitzaer Krawalls vor dem Schwurgericht zu Meseritz gewirkt. Hier sind Streiflichter auf unsere innere Ver waltung geworfen worden, die lebhaftes Bedauern erregen, aber sicherlich dazu beitragen werden, daß solche Vorgänge sich nicht wieder erneuern können. Wir lassen hier die Strafthat selbst, die durch das Schwurgericht ihre Sühne zu finden hatte, ganz außer Betracht; wir halten uns vielmehr ausschließlich an die Be gründung des Gerichts, wonach festgestellt wird, „daß die Ange klagten durch das Verhalten des Distriktskommissars, durch sein Hineinfahren in die Menge und seine beleidigenden Aeußerungen im höchsten Grade gereizt waren." Wem drängt sich da nicht die Frage auf, wie es überhaupt möglich war, daß ein solcher Be amter auf diefen fchwierigen, verantwortungsreichen Poste» gestellt werden konnte, der bei der überaus gespannten Lage, die zwischen Polen und Deutschen besteht, und bei der polnischerseits gegen alle deutschen Beamten geschürten Verhetzung unbedingt nur einem zwar durchaus entschiedenen, aber nicht minder taktvollen, ruhigen und nüchternen Beamten hätte anvertraut werden dürfen; und weiter drängt sich die Frage auf, wie es möglich war, daß keiner der Vorgesetzten, weder der Landrath, noch "der Regierungspräsi- deut, noch der Oberpräsident, noch schließlich der Minister des Innern, die Charaktereigenschaften dieses Beamten erkannt hat, sonder» ihn vielmehr ruhig auf diesem Posten belassen konnte. Erst das öffentliche Verfahren hat hier für die Aufdeckung von Thatsachen gesorgt, die entweder dem Bureaukratismus verborgen geblieben oder von ihm nicht entsprechend beachtet worden sind. Uebrigens soll jetzt die Disziplmaruntersuchunq eingeleitet fein. Unsere Behörden können nur der öffentlichen Behandlung diefes Prozesses Dank wissen, daß hier Fehler aufgedeckt worden sind, deren schleunigste, gründliche Beseitigung im Interesse des Staats wohls und ganz besonders auch des BeamtenthnmS selbst liegt. Die Polen werden triumphiren; aber ebensowenig wie die Deutschen den Beamten in Schutz nehmen können, ebensowenig sind die Polen zu rechtfertigen. Immerhin enthüllt der ganze Vorgang in seiner rohen Brutalität das Vorhandensein eines aufgereizten Fanatismus, der auf nichts anderes zurückzuführen ist, als auf die Wühlarbeit der nationalpolnischen Agitatoren, unter denen die Geistlichen in erster Reihe stehen. Ein Vertheidiger sagte, der Vorfall vor dem Bahnhof, d. h. die schwere Mißhandlung eines Beamten mit Stöcken, Knütteln und Fackeln, hätte sich ebenso auch in jedem anderen Theile unseres lieben Vaterlandes zutrngen können. Wir glauben das nicht. Ohne die vorher gehende Anwesenheit des Erzbischofs wäre die Menge nicht in solchem Grade polnisch-national erregt gewesen; ohne die vorher gehenden festlichen Veranstaltungen zum Empfange des Erzbischofs würde alles, selbst bei einer Herausforderung durch den Kommissar, viel ruhiger verlaufen sein. Ist eine Menge erst fanatisch erregt, so wirkt jeder aufreizende Zwischenfall in verzehnfachtem Maße, und die Lehre, die wir in dieser Beziehung aus dem Falle in Opaleuitza ziehen müssen, geht dahin, daß man die Bevölkerung vor solcher Erregung behüten muß. Des weitern müssen wir hervorheben, daß die polnischen Zeugenaussagen keineswegs in allen Fällen einen guten Eindruck machten. Es ist mehr als be fremdlich, daß Leute, die in unmittelbarer Nähe standen, von den Mißhandlungen des Kommissars nichts gesehen haben. Zur Wahl Mac Kinleys zum Präsidenten der Ver einigten Staaten von Nordamerika äußern sich die Zeitungen meist vorsichtig abwartend. Die bimetallistischen und agrarischen Blätter können in dem Ausgange kein glückliches Ereigniß er blicken und betonen, daß Mac Kinley seine Wahl den großen Anstrengungen der hohen Finanz und der Banken verdanke. Im klebrigen wird von anderer Seite die Wahl vielfach als Be- rnhigungserscheinung gefeiert. — Die Post schreibt zu der Wahl Mac Kinleys: „Wie groß die Angst unserer einseitigen Gold währungsmänner vor der Wahl Bryans zum Präsidenten der Vereinigten Staaten war, beweist das nahezu komische Triumph geschrei, in welches unsere freihäudlerische Presse über die Wahl Mac Kinleys ausbricht. Dieser ist zwar Hochschutzzöllner und in Bezug auf die Währungsfrage ein sehr unsicherer Kantonist. Gleichwohl wird sein Sieg von unserer gesummten freihändlerischen Presse gefeiert, als sei er ein Cobden oder Bamberger. Das ist vom deutschen Standpunkt einfach absurd; ob, abgesehen von den Kreditwirren, welche Bryans Wahl voraussichtlich zunächst zur Folge gehabt hätte, Mac Kinley für die dauernde Entwickelung unseres Erwerbslebens auch nur als das kleinere Uebel anzu sehen ist, erscheint noch sehr zweifelhaft. Wie sich die Währungs-, Bank- und Handelspolitik der Vereinigten Staaten unter dem neuen Präsidenten gestalten wird, ist cm Einzelnen noch nicht zu übersehen, daß sie aber, von der manchesterlichen Theorie un beirrt, rücksichtslos allein den eigenen Vortheil des amerikanischen Erwerbslebens verfolgen wird, unterliegt schon jetzt keinem Zweifel. Für unsere Bimetallisten ist Bryans entscheidende Nieder lage ein neuer Schlag, obwohl der neue Präsident nichts weniger als ein entschiedener Goldmann, sondern eher ein Anhänger des internationalen Bimetallismus ist. Einmal, weil bei dem Wahl kampfe in der That die Gleichberechtigung des Silbers mit dem Golde in Frage stand, und diese Frage mit unerwartet großer Mehrheit zu Nnguustcn des Silbers entschieden worden ist. So dann weil, soweit die vorliegenden Berichte erkennen lassen, die überwältigende Mehrheit für Mac Kinley zum Theil darauf zurückzusühren ist, daß viele Farmer unter dem Eindrücke der bei besonders niedrigem Silberpreise steigenden Weizenpreise den Glauben an die Wechselwirkung beider und somit an die Be deutung der Remonctisirung des Silbers als Hauptmittel zur Hebung der Preise der landwirthschaftlichen Produkte und somit der Landwirthschaft verloren haben. Jedenfalls sind jetzt die Chancen der internationalen Doppelwährung noch unsicherer ge worden, als sie bisher schon waren, und es wäre für die deutsche Landwirthschaft mehr als verkehrt, Alles aus diese Karte zu setzen. Vielmehr wird man bis zum Ablaufe der Handelsverträge, so weit Reich und Staat in Frage kommen, in erster Linie aus die kräftige Fortführung der Agrarpolitik der kleinen Mittel dringen müssen. So wenig jedes dieser kleinen Mittel an sich im Stande ist, die Lage der Landwirthschaft im Ganzen zu heben, so viel kann, wie die bezügliche Denkschrift des Ministeriums für Laud- wirthschaft des Näheren darlegt, durch eine Vereinigung derselben erreicht werden. Wie die Dinge heute liegen, kann zur Zeit allein aus dem Gebiete dieser kleinen Mittel praktische Agrarpolitik betrieben werden. Hier ist das Kampffcld, auf welchem die Fürsorge für das Wohl unserer Landwirthschaft sich wirksam bethätigen kann." — Die „Kreuzztg." bemerkt: Der neue Präsident ist ein entschiedener Anhänger der Monroedoktrin: Amerika den Amerikanern! Die nach ihm benannten Bills vom 6. Oktober 1890, die der deutschen Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten schwere Wunden schlugen, sind auch nach der Abmilderung durch die spätere Wilson-Bill der deutschen Industrie vielfach lebhaft in Erinnerung. Was man dem neuen Präsidenten nicht vergessen dürste, ist, daß er es auch war, der bestimmt für die Anerkennung der aufständischen Cubaner als kriegführende Macht seitens Nordamerika eintrat. Wenn wir auch nicht annehmen, daß es dem neugewählten Prä sidenten ohne Weiteres möglich sein wird, seine den Auslands verkehr möglichst abwehrenden Bestrebungen durchzusetzen, so ist doch mit einer Verschärfung derselben zu rechnen und es dürfte die Zeit nicht allzu fern sein, da Mac Kinley dem Theile der deutschen Presse, der jetzt über seinen Sieg jubelt, „durchaus nicht als der Volksmaun erscheint", wie es heute der Fall ist. Oesterreich. Gestern Vormittag elf Uhr hat in der Hof burg-Pfarrkirche zu Wien die Vermählung der österreichischen Erz herzogin Maria Dorothea mit dem Prinzen Ludwig Philipp von Orleans stattgesunden. Der Kaiser Franz Josef, die Königin von Portugal, das Brautpaar, die Erzherzöge und Erzherzoginnen sowie die fremden Fürstlichkeiten hatten sich um 10^ Uhr im Spiegelzimmcr versammelt und sich in feierlichem Zuge nach der Hofburgpfarrkirche begeben, wo sie von dem Kardinal Fürst erzbischof von Wien empfangen wurden. Letzterer vollzog, nach dem das Brautpaar knieend ein kurzes Gebet verrichtet hatte, die Weihe der Vcrmählungsringe, hielt alsdann die Ansprache an das Brautpaar und nahm die kirchliche Einsegnung der Ehe vor. Die Erzherzogin Maria Dorothea trug bei der Feierlichkeit die von französischen Damen gewidmete Brillantenkrone, der Herzog von Orleans trug Civilkleidung mit dem Orden des Goldenen Vließes. Außer den obengenannten Fürstlichkeiten wohnten die gemeinsamen Minister, die Ministerpräsidenten Graf Badeni und Baron Banffy, sowie die österreichische» Minister und die in Wie» weilenden ungarischen Minister dem feierlichen Akte bei. Einen kleinen Vorgeschmack von den Zustände», die in dem sozialdemokratischen „Zuknnftsstaate" herrschen würden, liefern Anige Vorgänge aus der neuesten Geschichte der belgischen Sozialdemokratie. Die Phrase von der „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" tritt da in ihrer ganzen Hohlheit zu Tage. Die Führer liegen sich unter einander und mit hervorragenden Partei genossen in den Haaren und scheuen sich nicht, zur Ausgleichung ihrer unsauberen Händel und Zänkereien die von ihnen ionst ge haßte und herabgesetzte Justiz der „Bourgeoisie" zu Hilfe zu rufen. In den sozialistischen korporativen Genossenschaften sind böse Mißbräuche zu Tage getreten, die beweisen, daß die Sozia- listenführer eine »och eiserner und unberechtigtere Herrschaft ein geführt haben als die von ihnen stets so heftig angegriffenen Großindustriellen. Und nun gar die Parteizucht! Diejenigen Sozialisten, die mucksen, Mißstände zur Sprache bringe» oder gar sich unliebsam über die Führer aussprechcn, werden "gemaßregelt und.^"nd bündig aus der Partei ausgestoßen. Inden Brüsseler Vorstädten hat man erlebt, daß sozialistische Stadträth« und Gemeinderäthe auf Parteibefehl ihre Aemter niederlegen mußten, weil sie nicht die „reinen" Parteigrundsätze in ihre» Aemtern angewendet hatten. Wer sich weigert, sein Amt nieder zulegen, wird aus der Partei ausgestoßen. Am schönstyl geht eS in Gent zu. Alle, welche die in der sozialistischen Genossenschaft „Vooruit" bestehenden Mißstände verrathen haben, sind aus der Partei ausgestoßen worden. Der Sozialistenführer Anseele will Alleinherrscher über die 6000 Mitglieder sein und jeden Wider spruch uiederschlagen. Seitdem der Genter Gerichtshof die Leiter des „Vooruit" wegen der ungesetzlichen, den Arbeiterinnen zuge fügten Lohnabzüge bestraft hat, ist nicht nur der übliche Ent rüstungssturm gegen die Justiz der Bourgeoisie in Szene gesetzt, sondern es sind auch eine Reihe von Maßregelungen vorge- nvmmen. Der Setzer Braeckmann, der als Zeuge vor Gericht die Mißwirthschaft im „Vooruit" zugab, wurde als Setzer des „Vooruit" entlassen und aus der Partei ausgestoßen. Dazu ist jetzt ein neues gerichtliches Verfahren gegen die Leiter dieser Ge nossenschaft cingeleitet, weil sie Margarine als Butter verkauft haben. Auch schwebt eine gerichtliche Untersuchung, weil ein Genter Sozialistenführer bei dem Ausstande 200 Francs einem Genossen zur Beschaffung von Dynamit gegeben haben soll. Nicht besser sieht es im Hennegau aus, wo neulich das Zuchtpolizei gericht in Mons drei Prozesse gegen sozialistische Abgeordnete, Bürgermeister und Gemeinderäthe zu entscheiden hatte. Der sozialistische Bürgermeister von Hornu, Abgeordneter Roger, wurde zu 100 Francs Geldstrafe und 100 Francs Schadenersatz verurtheilt, weil er den sozialistischen Stadtrath Malbrecq zu Unrecht beschuldigt hatte, die Siegel an den Wahlurnen, um mit Stimmzeiteln zu schwindeln, erbrochen zu haben. Derselbe Stadt rath war von vier sozialistischen Gemeinderäthen angeschuldigt, Briefmarken entwendet zu haben. Es wurde Beweisaufnahme beschlossen, da Malbrecq behauptete, der Genosse Demaret habe sie gestohlen, um ihn zum Diebe zu stempeln! Vor dem Lütticher Zuchtpolizeigerichte schwebt ein Verleumdungsprozeß, welchen der Bürgermeister von Seraing gegen die Genossen, den Stadtrath Gony und den sozialistischen Abgeordneten und Gemeinderath Smeets angestrengt hat. Unter solchen sozialistischen Zuständen wird als Volk keine sonderliche Sehnsucht nach dem so hoch ge priesenen Musterstaate der Sozialisten haben. Die englischen Blätter sind natürlich mit dem AuSgang der amerikanischen Wahl sehr zufrieden. „Standard" spricht seine Freude über Bryan's Niederlage aus, bemerkt indessen, daß Mac Kinley s Sieg für England und jedes in hohem Maße industrielle Volk Europas seine Schattenseite habe. Der Sieg der Re publikaner fei ein Triumph der Ehrlichkeit, aber auch der Triumph der Schutzzöllnerei. Die „Times" schreibt, die Vereinigten Staaten haben sich die Glückwünsche der ganzen Welt für ihr loyales Festhalten der nationalen Ehre gewonnen; das Blatt bezweifelt jedoch, ob der Sieg Mac Kinley's die Bewegung im Sinne Bryan's endgiltig aus der Welt geschafft habe. Viel hänge von dem Gebrauche ab, den die Partei Mac Kinley's von ihrer einzigen Gelegenheit, die Gesetzgebung zu verwirren, machen werde, und die Abneigung gegenüber ^ner Verwendung der Ma jorität, welche keine Parteimchrheit sei, zu Parteizwecken werde bald zu einem Wiederaufleben des Bryanismus führen. Wenn auch der Senat republikanisch werden sollte, setzt die „Times" hinzu, so werde für Mac Kinley keine Versuchung, auf die Silber politik zurückzukommen, bestehen und seine Pflicht werde es sein, sich der Durchsetzung von Maßregeln zu enthalten, durch die die Gutgelddemokraten, denen er zum Theil seinen Sieg verdankt, entfremdet würden. Türkei. Die „Politische Korrespondenz" meldet aus Kon stantinopel, sehr maßgebende Kreise im Mdiz-Kiosk hätten er klärt, daß etwaigen europäischen Absichten, die Verwaltung der „Dette Publique" in ein Organ zur Kontrolle der türkischen Finanzen zu verwandeln, unter keiner Bedingung nachgegeben werden könnte, da dies den energischen Widerstand des ganzen türkischen Volkes anfachen würde, dem der Mdiz-Kiosk nicht entgegentreten könnte. Der Eintritt eines russischen Delegirten in den Conseil der „Dette Publique" sei das einzig mögliche Zugeständniß. Bereinigte Staaten. Die vollständigen Ausweise einer Anzahl von zweifelhaften Staaten stehen noch aus, sicher hat jedoch Mac Kinley 273 Wahlstimmen, einschließlich Kalifornien; Bryan hat anscheinend 157 Stimmen, einschließlich Nebraska und Tennessee. Die Zusammensetzung des Senats steht noch nicht -est, sie hängt von dem Ergebniß der Legislaturwahlen in den zweifelhaften Staaten ab. Ein auf den Philippinen wohnender, englischer Kaufmann richtet unter dem Datum des 30. September den folgenden Brief an seine Verwandten in der Heimath: „Dieser Aufstand hat viele Jahre gegährt. Schließlich ist er zum Ausbruch gekommen. Hätten die Eingeborenen die richtigen Führer gehabt, so würden sie am 24. August mit Leichtigkeit Manila genommen haben. Wir haben hier in Manila jedoch ein britisches Kriegsschiff zu unserem Schutze, wenn ein neuer Angriff erfolgen sollte. Die Nachbarprovinz Cavtie befindet sich gänzlich in den Händen der Rebellen. Große Scheußlichkeiten sind auf beiden Seiten be gangen worden, aber mehr von den Spaniern. Es besteht eine wahre Schreckensherrschaft. Die Spanier foltern besonders die Einflußreichen unter den Eingeborenen. Man sagt mir, daß sie ihnen die Hände an die Wände nagLln und sie dann durch peitschen. Selbst die Daumenschraube und ähnliche Folterwerk zeuge wenden sie an. Die Briefe werden geöffnet. Dennoch ist es den Zeitungen von Hongkong und Singapore gelungen, emen Bericht darüber zu geben, wie es im „Dunklen Loch" von Manila zugeht. Dieses Gefängniß befindet sich in den Festungswerken. In einer Nacht steckte man 100 Personen hinein, obgleich es kaum für 30 Platz hat. Die Unglücklichen wateten bis an die Knie im Schmutz. Eines schöne» Morgens trug man 59 Leichen hinaus. Hmrichtungen sind an der Tagesordnung. Erst gestern wurden vier Eingeborene auf der öffentlichen Promenade er schossen. Der Anblick war grausig. Die Gewehre wurden den Armen fast vor die Köpfe gesetzt. Die Schädel sprangen w L-tücke, als die Schüsse fielen. Viele spanische Wecker ginge exrra hin, um dem Schauspiel beizcuvohnen. Die Spanier sager daß sie 500 von den Rädelsführern erschießen wollen." «olonialpolittfches. Für Deutschostafrika ist mit Rücksicht auf die in Bombay ausgebrocheue Beulenpest angeordnet worden, daß die von Bombay direkt oder auch auf Umwegen kommenden, einen Hafen des Schutzgebietes anlaufenden Seeschiffe der gesundheitspolizei lichen Kontrole zu unterwerfen sind.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)