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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 24.09.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189609249
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18960924
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18960924
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-09
- Tag 1896-09-24
-
Monat
1896-09
-
Jahr
1896
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 24.09.1896
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Zinses für die große Mehrzahl der Arbeitgeber ein Ding der Unmöglichkeit. Es wird von der Sozialdemokratie geflissentlich übersehen, daß der Unternehmergewinn keineswegs blos zum Wohlleben der Gewerbetreibenden dient, sondern auch die Mittel zur Instandhaltung und Verbesserung des Betriebes, einen Noth groschen in vorübergehenden wirthschaftlichen Krisen bieten soll. Das Kapital ist kein eiserner Bestand der Gütererzeugung, es muß sich fortgesetzt amortisiren, — ergänzen, vermehren. Das werd selbstverständlich unmöglich, wenn es keinen ausreichenden Zins mehr abwirft. Die Neigung zur Kapitalansammlung hört dann auf, oder das Kapital zieht sich aus der Produktion ganz zurück. In beiden Fällen mindert sich ebenfalls die Arbeits gelegenheit, und die Arbeiter selbst haben immer wieder den Schaden davon. Somit sind alle die schönen Redensarten von ihrem Gewinn durch verkürzte Arbeitszeit eitel Trug; ganz abge sehen davon, daß viele freie Zeit noch immer wohl die Unlust zur Arbeit und die Neigung zum Trunk und zu anderen Lastern, gemeinhin aber nicht den Trieb der Arbeiter zur sittlichen Hebung, zu „künstlerischen und wissenschaftlichen Genüssen" ge steigert hat. Wie das „Berliner Tageblatt" mittheilte, soll in einem pom- merschen Wahlkreise schon jetzt von sozialdemokratischer Seite an geregt worden sein, um dem Protest gegen die Maßregelung des Bürgermeisters Kümmert in Kolberg, der bekannt lich den dortigen Sozialdemokraten einen Versammlungssaal im Strandschloß zur Verfügung gestellt hatte, den denkbar schärfsten Ausdruck zu verleihen, ihn für die nächste Reichstagswahl als ihren Kandidaten aufzustellen. „Wir möchte», bemerkt dazu die „Kons. Korresp.", diese Nachricht für einen Fühler der Frei sinnigen halten, die den Mannesmuth des Herrn Bürgermeisters „belohnt" sehen möchte und doch zu schwach dazu ist, dies aus eigenen Kräfte« zu thun. Unmöglich wäre es ja nicht, daß die Sozialdemokratie sich bereit erklärt, auch Herrn Kümmert als Partei-Pensionär zu acceptiren. Die Dienste, die der Kolberger Bürgermeister den „Genossen" geleistet hat, werden innerhalb sozialdemokratischer Kreise nicht gering angeschlagen. Zudem ist Herr Kümmert ia der „Freisinnigen Zeitung" zufolge der „ent schiedenste Gegner der Sozialdemokratie". Solche „Gegner" pflegen die „Genossen" mit Vorliebe bei den Wahlen zu unter stützen. „Freisinnige Zeitung" wie „Vorwärts" stellen die Mit- theilung des Mosseschen Blattes gleichzeitig in Abrede; allein es ist schon Manches dementirt worden, was später doch noch sich bewahrheitet hat." Der Cetinjer Gewährsmann der „Pol. Korr." nimmt das Verdienst, schon vor sechs Jahren die erste Anregung zu dem italienisch-montenegrinischen Heirathsprojekt gegeben zu haben, für CriSPi in Anspruch. Er sei eS auch gewesen, welcher im Jahre 1894 die nunmehr durch den beabsichtigten Erfolg ge krönten Verhandlungen einleitete. Demselben Gewährsmann zu folge wird die Vermählung in Nom in der ersten Hälfte des Novembers stattfinden. Ob derselben der Zar beiwohnen wird, ist noch ungewiß. Die seit Langem für die Reisen des Zaren getroffenen Dispositionen dürften jedoch dem Kaiser Nikolaus kaum gestatten, zu dem angegebenen Zeitpunkte außerhalb seines Reiches zu weilen. Daß der russische Hos von dem, wie gesagt, seit Langem vorbereiteten Ereiguiß Kenntniß hatte, ist bei den intimen Beziehungen, welche zwischen St. Petersburg und Cetinje bestehen, nur natürlich; dagegen ist es unrichtig, daß der Zar und die russische Synode um die Zustimmung zum Uebertritte der Prinzessin Helene znm katholischen Glauben von Cetmje ans ersucht worden seien. Die Entscheidung darüber, welche übrigens schon vor Monaten getroffen wurde, lag ausschließlich beim Fürsten und dem Metropoliten, als dem Haupte der autokephalen monte negrinischen Kirche. In der zweiten Kammer richtete bei Berathung der als Ant wort auf die Thronrede der Königin-Regentin der Niederlande zu überreichenden Adresse Kerwiek eine Anfrage an die Regierung bezüglich der Lage der Türkei und hob hervor, man könne nicht von freundschaftlichen Beziehungen zu einer Macht sprechen, welche die Niedermetzelung von Christen dulde; die Türkei müsse aus Europa ausgestoßen werden. Der Minister des Auswärtigen, Roell, erhob entschieden Einspruch gegen die Angriffe auf eine befreundete Macht und betonte, es sei noch nicht ausreichend Klar heit bezüglich der Lage in der Türkei geschaffen. Die Stellung der Niederlande gestatte ihnen nicht, bei den von den Großmächten bezüglich der Türkei zu ergreifenden Maßregeln mitzuwirken. Die Interessen der Niederlande seien ausreichend gewahrt. Van Bylandt gab der Sympathie für die verfolgten Armenier Ausdruck. Neber den Besuch des russischen KaiserpaareS in England wird berichtet: Der Prinz von Wales, der Herzog von Connaught, der russische Botschafter von Staal und das Gefolge begaben sich gestern Vormittag 11 Uhr in Leith an Bord eines Dampfers, um der russischen Kaiseryacht „Standart" entgegenzufahren, welche mit dem Kaiser und der Kaiserin von Rußland kurze Zeit später eintraf und unter den Salutschüssen der Artillerie der englischen Flotte Anker warf. Die englischen Prinzen und der Botschafter v. Staal begaben sich an Bord des „Standart", wo sie mit dem Kaiser und der Kaiserin das Frühstück einnahmen. Die Begrüßung zwischen den Majestäten und den Prinzen war eine überaus herzliche. Der Kaiser und die Kaiserin von Ruß land verließen später den „Standart" und begaben sich an Bord des Dampfers „Tantallon Castle". Dieser führte die Majestäten durch die Linien des Geschwaders, dessen Schiffe den Begrüßungs- Salut abgaben. Der Kaiser und die Kaiserin gingen um 1^Uhr an Land; die Truppen präsentirten, die Musik spielte die russische Nationalhymne. Trotz der regnerischen Witterung war eine zahl reiche Zuschauermenge anwesend, welche die Majestäten mit großem Enthusiasmus begrüßte. Nach der Landung begaben sich der Kaiser und die Kaiserin nach dem Empfangssaal, wo die Stadt- räthe von Edinburg und Leith versammelt waren. Außerdem war eine große Anzahl hervorragender Bewohner beider Städte anwesend. Kaiser Nikolaus trug die Uniform der Royal Scots Greys. Die Gemahlin des Bürgermeisters von Edinburg über reichte der Kaiserin einen Blumenstrauß. Die Stadträthe von Leith sowie der Lord-Bürgermeister von Edinburg entboten als dann dem Herrscherpaare seitens ihrer Städte den Willkommgruß. Auf die an ihn gerichteten Ansprachen erwiderte der Kaiser von Rußland durch huldvolle Verneigung. Nach der Vorstellung der erschienenen Würdenträger begaben sich die Majestäten trotz des Regens in offenen Wagen nach dem Bahnhofe; sie wurden auf der Fahrt von der Einwohnerschaft lebhaft begrüßt. Um 2*/, Uhr traten die Majestäten die Reise nach Dundee an, wo sie um 4 Uhr eintrafeu und alsbald nach Aberdeen weiterreisten. Frankreich. Noch muß das Wasser reichlich 14 Tage lang die Seine hinabfließen, bis es den Parisern vergönnt sein wird, vor dem Angesicht des Zaren ihrer überschwänglichen Russen begeisterung freien Lauf zu laffen. Aber schon jetzt sind die Pariser Blätter Tag für Tag mit Berichten über das große Er- eigniß angesüllt, das bald von seiner politischen, bald von der theatralischen, bald aber auch — das darf bei unsern spottlustigen und frivolen Nachbarn nicht fehlen — von seiner komischen Seite erörtert wird. Politisch liegen ja die Dinge ziemlich einfach. Der Kaiser von Rußland findet es zweckdienlich, bei seinen Besuchs reisen im Auslande den Präsidenten der französischen Republik nicht zu übergehen. Vom russischen Standpunkte aus wäre es gewiß politisch unklug gewesen, gerade gegen diejenige Macht nicht höflich zu sein, die, aus welchen Motiven es auch sei, am eifrigsten um die russische Gunst wirbt und in ihrer Willfährig keit der russischen Politik noch manchen Gefallen erweisen kann. Die Pariser Presse möchte ihren Lesern gern einreden, daß man sich innerhalb des Dreibundes nnd besonders in Deutschland vor Aerger und Neid kaum lassen könne. Das Schlimme ist nur, daß alle Beweismittel hierfür fehlen nnd die französische Selbst gefälligkeit somit in diesem Punkte auf sich selber angewiesen bleibt. Im Theatralischen, in den dekorativen Künsten, in Allem, was festliche Mache heißt, sind unsere Nachbarn Meister. Sie haben sich vorgenommen, etwas noch nie Dagewesenes zu leisten, und sie werden es wohl auch fertig bringen. An Kosten wird nicht gespart. Eine neue Staatskarosse für 100 000 Franken ist im Bau, 100 000 Franken erhalten die Comitös der Stadtviertel zur Veranstaltung örtlicher Feste, 200 000 Franken werden an die Armen vertheilt, Hunderttausende werden von der Feststraße und dem geplanten Feuerwerk verschlungen werden. Der Eiffel thurm soll in eine Reihe von Dauercascaden verwandelt werden, — ein phantastischer Niagarafall mit einer Breite von 230 m an der Grundfläche — auf der halben Höhe des Thurmes wird ein riesenhafter, flammender heiliger Georg erscheinen und aus der ganzen Höhe ein russischer Adler im elektrischen Licht seine mächtigen Flügel über das trunkene Paris ausbreiten. Während so das republikanische Frankreich ganz von dem einen Gedanken erfüllt ist, dem Selbstherrscher Rußlands das erdenklich glänzendste Schauspiel zu gewähren, muß die Hauptkosten der unvermeid lichen Spottlust das eigene Staatsoberhaupt, der Präsident Faure, tragen. Soll er im bürgerlichen Frack erscheinen oder in einem neu ersonnenen Staatskleid, zu Wagen, zu Fuße oder zu Pferde? Die Boulevardblätter bringen einen Ulk nach dem andern über dieses Thema. Eine ernstere Gestalt nimmt die Satire bei den Radikalen und Sozialisten an; ihnen wird die Sache zu bunt. „Das französisch-russische Rebus hat schon zu lange gedauert," ruft Rochefort aus, wir verlangen das Auflösungswort zu keim« ob nämlich eine Allianz besteht oder nicht und was indem Ver trage steht), um darnach unseren Enthusiasmus einzurichten!" „La PetitelRepublique", das verbreitetste Volksblatt, ermahnt alk juten Bürger, von deu Exzessen der Kriecherei zu einer für Republikaner geziemenden Haltung zurückzukehren. Dieser hm nnd wieder noch durch die Sorge um Attentate und Massenun- glückssälle getrübte Gemüthszustand des französischen Volkes, wie er sich jetzt in der Vorbereitung auf den ersehnten Tag des Zarenbesuchs äußert, bietet für den kühlen Beobachter viel Merk würdiges, für uns Deutsche aber sicherlich nicht den mindesten Anlaß, Neidlingsgefühle zu hegen. RutzlanV. Nach einer Meldung der „Times" aus Sebastopol sind dort kürzlich vier Panzerschiffe, drei Kanonenboote und mehrere Torpedoboote in See gegangen und kreuzen vor Otschakow. Der Geschwaderkommandant hat den Befehl erhalten, bei Ein laufen eines Telegramms vom russischen Botschafter in Kon stantinopel sich mit der übrigen Schwarzen Meer-Flotte zu ver ewigen und direkt nach dem Bosporus zu gehen. Die Flotte sei auf Kriegsfuß gestellt und 3 Bataillone Infanterie seien einge- schifft worden. Die Truppen in Süd-Rußland seien zu aktivem Vorgehen in Bereitschaft gesetzt. Die „Times" bemerkt in einem Artikel, es sei kaum zu be zweifeln, daß Rußland mit Japan einUebereinkommen betreffend Korea geschlossen habe. England brauche darüber kein Miß fallen zu empfinden. Man glaube, Rußland und Japan hätten sich dahin geeinigt, ein gemeinsames Protektorat über Korea aus zuüben, bei dem Rußland dem Wesen nach die ehemalige Stellung Chinas cinnehmen werde. Man erwarte, daß der König von Korea die russische Botschaft verlassen und feierlich in den Palast zurückkehren werde. Das Uebereinkommen werde gleichzeitig mit der Räumung Koreas seitens Japans in Kraft treten. Die „Times" betrachtet das Uebereinkommen als einen großen diplo matischen Sieg Rußlands. Rußland erhalte dadurch einen be stimmenden Einfluß in den koreanischen Angelegenheiten, während Japan nur ein nomineller Antheil überlassen bliebe. Ueber die im unabhängigen Kongostaate gegen die Ein geborenen verübten Grausamkeiten liegen nun auch Mittheilungm eines Mitgliedes der schwedischen Baptistenmission, des Missionars Sjoeblom, vor. Nus Brüssel wird darüber in der Preffe be richtet : „Sobald die Soldaten des Kongostaates zur Expeditton ausgeschickt werden, um die Ausrührer eines Dorfes zu züchtigen; haben sie den Befehl, die rechte Hand jedes ihrer Opfer zurück zubringen, und diese Hände werden, um die Verwesung bis zn dem Tage, wo sie dem Kommissar vorgelegt werden, zu verhüten, geräuchert. Auf diese Weise überwacht die Regierung (!) die ver brannten Patronen. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht Soldaten, Träger dieser entsetzlichen „Siegeszeichen", vorüber ziehen sehen. Eines Tages sah ich einen Soldaten ankommen, gefolgt von einem Weibe, dem man nur das Leben geschenkt hatte, um einen Korb mit Händen, den letzten Ueberresten ihrer Nadine. Von B. von der Lancken. (14. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) Da erwachte ihr Trotz; stolz hob sie den Kopf nnd sagte: „Weshalb nicht, Herr von Roder?" Ihr Ton, ihre Haltung gab ihm die Besinnung wieder! Welches Recht hatte er zu jener Frage? Und doch, war er nicht gekommen, sie zu warnen? — Karn er vielleicht schon zu spät? Seiner Brust entrang sich ein leises Stöhnen — gleichviel es mußte sein. „Fräulein von Tönning", sagte er, sich gewaltsam zur Ruhe zwingend, „verzeihen Sre mir jene Worte; ich muß heute znm zweitenmal in dieser Beziehung um Nachsicht bitten und thne es noch einmal für das, was ich Ihnen jetzt sagen will. Das crste- und zweitemal riß mich mein Gefühl hin, was ich Ihnen nun sagen muß, habe ich vorher überlegt, ja ich kam deshalb hierher. Sie haben mich oft Ihren Freund genannt, als solcher bitte ich Sie, spielen Sie nicht mit Ihrem Herzcnsfrieden, Ihrer Zukunst und der Ehre Ihres Namens. Der Herzog zeichnet Sie aus, ja, mehr als — er umwirbt Sie in einer Weise, die die Aufmerksam keit des Hofes und der Kreise erregt, in denen Sic jetzt leben und weiter zu leben wünschen. Sie sind jung und unerfahren, Nadine", rief er warm, ihre beiden Hände erfassend, „Sie wissen nicht, welche Gefahr für ein Mädchen in deu Huldigungen eines so hoch über ihr stehenden Mannes liegt. Weichen Sie ihnen aus, weisen Sie sie zurück." „Nein, Herr von Röder", sagte sie rasch und heftig, „das werde ich nicht thun. Was haben Sic dagegen? Sie haben durch Ihre Worte die Befugnisse unserer Bekanntschaft weit überschritten und mit welchem Recht?" Nadine war es, als ob in diesem Moment Jemand die Hand ausstreckte, ihr einen beneidcnswerthen Besitz streitig zu machen. Die süßen, berauschenden Worte der Liebe waren heute Morgen zum erstenmal au ihr Ohr gedrungen aus dem Munde eines Mannes, der ihr Ideal vornehmer, schöner Männlichkeit verkör perte, und der sie all den kleinlichen, gefürchteten Misörcn des Lebens entrücken würde. Sie zog ihre Hände aus denen des Forstmeisters, trat einen Schritt zurück und stand nun vor ihm, hastig athmend, das schöne Köpfchen gehoben wie eine Fürstin. Röder fuhr sich über die Stirn und Augen. „Mit welchem Recht?" rief er in schmerzlich bitterem Ton. „Ja, freilich, mit welchem Rechte? Es ist wahr, Fräulein von Tönning, ich habe kcins, gar keins. Verzeihen Sic mir." Seine großen blauen Augen begegneten den ihren, er war bleich, und seine Hand, die sich auf die Tischplatte stützte, bebte. Verstand sie die Worte nicht, die diese ernsten, schönen Augen zu ihr redeten? Vielleicht doch! Ein unaussprechliches Gefühl ließ sie erschauern und sie preßte die Hände auf das Hoch klopsende Herz. „Herr von Röder — es thut mir leid — ich — ich wollte Sie nicht kränken; ich weiß, Sie meinen es gut; aber —" sie stockte, „aber ich bitte Sie, treten Sie mir nicht hindernd in den Weg, der zu meinem Glück führt." „Zu Ihrem Glück?" rief er. „O, Nadine, ob Sie es wohl recht erkennen, wo Ihr Glück blüht?" „Ja!" sagte sie, ihn leuchtenden Auges anblickend, „auf den Höhen des Lebens." Er war aschfahl geworden. „Und nur dort meinen Sie es zu finden? Nicht an der Seite des Mannes, der Ihnen eine große, treue Liebe darbringt, dessen Heim aber nur ein bescheidenes ist?" Seine Stimme versagte. Nadine schloß sekundenlang die Augen nnd legte die Hand darüber, als wollte sie, unbeeinflußt durch äußere Eindrücke, feine Worte auf sich wirken lassen. In tollem Wirbel jagten Gedanken und Bilder an ihrem Geist vor über — Vergangenes und Zukünftiges — und „nein, nein!" schrie es fast angstvoll in ihr; nein, sie wollte, sie konnte nicht aufgcben, was sich ihr bot, ihre Begriffe geriethen förmlich in Verwirrung, und Röder erschien ihr plötzlich wie ihr Feind. Der Kampf, den seine erste Mahnung in ihr erregte, erneute sich, er war gekommen, ihr zu entreißen, was kaum das Ihre geworden, und nicht allein Angst, nein auch Zorn wallte in ihr auf gegen ihn. „Nie!" antwortete Nadine hart, dabei zuckte es finster über das reizende Gesicht, und in dem Blick, den sie jetzt auf ihn richtete, lag etwas wie kalte, stolze Abwehr. Er entgegnete kein Wort mehr, er verbeugte sich ruhig und förmlich, auch der Ausdruck seiner Züge wurde wie mit einem Schlage verändert. „Leben Sie wohl, Fräulein von Tönning!" Eine zweite, leichte Verbeugung, die Portieren schlugen hinter ihm zusammen nnd sie stand immer noch regungslos — sie hatte seine Abschiedsworte gehört, sie hatte ihn gehen sehen, ohne mit der Wimper zu zucken, und doch — als sie sich allein sah, als er wirklich fort war, da preßte ein tiefes Wehegefühl ihr die Brust zusammen. Uebcrkam es sie wie eine dunkle Ahnung, welch' gutes, großes Herz sie verlöre» hatte? Sie lehnte wie erschöpft an den: Kamin nnd starrte vor sich nieder. Fra» von Brenkendorf, die bei dem Besuch des Prinzen das Alleinsein der Beiden künstlich auszudehnen gewußt hatte, hätte das töte ü täte mit dem Forstmeister gern soviel als möglich abgekürzt; aber die Toilette war nicht rascher zu beenden, und als sic dann, in den Salon eilend, genau so wie ein paar Tage früher, lauschend hinter der Portiere liehen blicb, da hörte sie gar nichts und sah nur ihre Nichte starr auf die bunten Muster des Teppichs blicken; die Arme hingen schlaff an der schönen Gestalt herab. Sie trat ein — das Mädchen schrak zusammen. „Ist Herr von Röder fort?" „Schon lange!" „Eine merkwürdige Besuchszeit — aber es mag darin eine Entschuldigung liegen, daß er heute Abend noch abreist." „Heute Abend noch?" Es war Nadine, als ob sie aus einem Traume erwache. „Ja! er sagte es mir auf dem Eise. Doch nun laß Dich einmal beschauen. Reizend, Kleine, und die herrlichen Blumen!" Mit einer kleinen Wolke auf der Stirn, folgte die Frage: „Von Röder?" „Nein, vom Herzog!" Die Wolke verschwand, die Hofmarschallin strahlte und das „Ah — köstlich!" klang wie unterdrückter Jubelton. „Schau, Nadine — diese Spitzen, maxnittgus — Brüsseler Points, eine Prinzeß brauchte sich nicht zu schämen, sie zu tragen." Sie prüfte mit zusammengekniffenen Augen das Gewebe, und Nadine dann leicht mit ven Blüthen die Wangen streichelnd, sagte sic lächelnd: „Du Glückskind!" Frau von Klembzow war überrascht, als ihr Bruder schon am nächsten Mittag wieder auf Llon capries eintraf. Sie hatte im Stille» gehofft, die erneute Begegnung mit Nadine würde die gewünschte und von ihr besonders ersehnte Lösung bringen. Ob sein frühes Kommen eine Bestätigung dessen sein mochte? Ihre zarte Gesundheit verbot ihr, ihn schon in der Vor halle zu erwarten. Sie stand am Fenster seines Arbeitszimmers nnd sah den Schlitten die Chaussee entlang kommen, dann die Höhe nach dem Schlößchen hinauffahre». Röder sandte ihr einen Gruß, der Schlitten hielt vor der Thür, und er stieg aus. Wie immer, wenn man erwartet, daß ein Ankommender unS irgend eine wichtige, in sein oder unser Leben eingreifende Mit- theilung machen wird, so sand auch Frau von Klembzow die Zeit, die der Forstmeister dazu brauchte, sich aus seinen Reisehüllen zu schälen, ungebührlich lang. Hätte sie nach der Uhr gesehen, so würde sie sich überzeugt haben, daß es nicht länger als fünf Minuten währte. Sie war vom Fenster fort in die Mitte des Zimmers getreten und stand lauschend vorgebeugt. „Endlich!" flüsterte sie, noch ein paar Schritte gegen die Thür machend, die der Forstmeister eintreteiid, öffnete. „Willkommen, lieber Erwin!" „Guten Tag, Herzens-Meta!" Die Geschwister hielten sich umschlungen, und es wollte Frau von Klembzow scheinen, als habe sie der Bruder seit langer Zeit nicht so innig geküßt, sie so warm nnd fest an s Herz gedrückt. Sie sah zu ihm auf mit dem Ausdruck einer stummen, halb ängst lichen, halb freudigen Frage darin — er strich ihr leicht über das Haar und wich ihrem Blick auS. Da wußte Frau von Klembzow, daß cr ihr keine frohe Botschaft zu bringen habe, wen» nur nicht gar eine schlimme. I (Fortsetzung folgt.)
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