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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 19.05.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-05-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189605190
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18960519
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18960519
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-05
- Tag 1896-05-19
-
Monat
1896-05
-
Jahr
1896
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 19.05.1896
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114 Der Günstling. Bon B. von der Lancken. (M. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) zeugung gewonnen, dieser Üeberzeugung wollen Sie folgen, Sie « 'sind kein willenloses Werkzeug mehr in den Händen des Grafen, daS er beliebig für seine Zwecke benutzen kann, Sie handeln nach eigenem Ermessen und gegen ihn — und wahrlich! entdeckte er dies, so fürchten Sie alles von ihm! „Sie geben mir nun selbst recht," sagte der Oberstallmeister, sich in das Zimmer zurückwendend. „Ich muß jetzt doppelt vor sichtig sein, nur mir sind die Hände mehr gebunden denn je." „Warum hassen Sie den Minister: Weil Sie ihm Dank schulden, weil Sie ihm gewissermaßen verpflichtet sind? Ich halte Sie nicht für einen Charakter, dem Dankbarkeit eine drückende Last ist." „Nein, bei Gott Fürstin, daS ist es nicht. Ich hasse in ihm den despotischen Unterdrücker jeder persönlichen und geistigen Freiheit unseres Fürsten. Glauben Sie mir, Durchleucht, der Großberzog wäre ein anderer, wenn er nicht in dem Minister stets den Zuchtmeister über sich fühlte." „Das gebe ich zu; aber, Verzeihung, Herr von Kelling, ich fürchte, Sie sind nicht der Mann, das schwierige Ziel, Steier zu stürzen, zu erreichen, ohne auf dem Wege dahin zu straucheln." „Sie trauen mir die nöthigen Fähigkeiten nicht zu?" erwiderte der Oberstallmeister empfindlich. „Offen gesagt, nein!" und hierin liegt eher ein Lob als ein Tadel. „Sie müßten verstehen, der Günstling des Großherzogs zu bleiben und daneben das Vertrauen des Ministers zu ge winnen ; Sie müßten anscheinend auf seine Pläne eingehen und doch nach Ihrem Herzen handeln." „Ein solch' treuloses Spiel ist mir verächtlich — Verstellung ist mir fremd," rief Boris sich aufrichtend. Die Fürstin zuckte die Achsel. „Am Hofe aber nöthig und hier besonders. Glauben Sie mir, Boris," rief sie lebbatt, „Sie sind nicht geschaffen für solch' „Sie wissen nicht, was Sie von mir verlangen, Durchlaucht" flüsterte er. Ein reizendes Lächeln spielte um Wlastas kleinen Mund. „Doch, Herr von Kelling, ich weiß es; es ist ein Verlangen, daS Sie erfüllen können und das zunächst doch gewissen moralischen — später vielleicht sogar persönlichen Muth erfordert." Sie trat von ihm zurück; er sprang fast heftig empor und fuhr sich durch das lockige braune Haar — „Ich will Sie zu keinem Entschlusse drängen", fuhr die Fürstin fort, „ich werde Ihnen zunächst Gelegenheit geben, einige unserer Freunde kennen zu lernen. Sie werden sich überzeugen, daß man nichts Unmögliches, nichts von Ihnen verlangt, was Sie in Konflikt mit Ihrem Gewissen und mit Ihrer Stellung als Freund des Großherzogs bringen könnte. Und jetzt fort mit den Sorgen falten! Speisen Sie mit uns?" „Bcdaure, gnädigste Fürstin — Serenissimus ist unpaß und erwartet mich zu einem Diner s, äsnx." Er seufzte. „Diese Aussicht scheint nichts Verlockendes für Sie zu haben?" diese Steuer, die sich als eine Uebertragung der Erbschaftssteuer auf das Eigenthum der geistlichen Orden darstellt, zu entrichten. Nach Cuba werden erst im Herbst Truppenverstärkungen abge schickt. Man bezeichnet eS in Madrid als nothwendig, alsdann große Aufwendungen zu machen und 50- bis 60000 Mann nach Cuba zu entsendrn, da der Aufstand sich jetzt auf alle Provinzen der Insel erstreckt. Gerüchtweise verlautet, Spanien werde wegen des Verhaltens der Vereinigten Staaten eine Note an die Mächte richten. Aus Petersburg, 8. Mai, schreibt man der „Köln. Ztg.": Kaiser Nikolaus II. von Rutzland scheint dem Geiste der reli giösen Unduldsamkeit, der die vorige Regierung kennzeichnete, abhold zu sein. Er hat sich wiederholt gegen Verfolgungen Andersgläubiger durch fanatische orthodoxe Priester ausgesprochen. Jetzt läuft in eingeweihten Kreisen eine Aeußerung von ihm um, die er that, als ihm jüngst eine Anzahl von Bittschriften der unter der vorigen Regierung stark bedrückten unirten Polen vor gelegt wurde. Er sagte da: „Es ist wirklich an der Zeit, auch in Rußland an Gewissensfreiheit zu denken!" Manches hat sich auch bereits seit seiner Thronbesteigung zum Bessern gewandt, und selbst bei Herrn v. Pobedonoszew sollen sich nothgedrungen „Wandlungen" vollzogen haben. Im Innern des weiten Reiches geschehen freilich noch Dinge, die den human denkenden Russen die Schamröthe ins Gesicht treiben. So berichtet neuerdings unter der Spitzmarke „Die Zähmung russischer Mormonen" die Nedelja aus Busuluk im Gouvernement Samara über religiöse Verhetzungen, deren Urheber und Seele ein orthodoxer Geistlicher war und die schließlich sogar den Tod eines der von ihm Ver femten zur Folge hatten. Nur durch einen Zufall wurde die ganze skandalöse Angelegenheit weitern Kreisen bekannt. Dem Petersburger Korrespondenten der „Times" zufolge machen die häufigen Besuche des französischen Exministers Flourens in der russischen Hauptstaot und sein Verkehr mit russischen Ministern dort viel von sich reden. Vor einigen Tagen habe er sogar eine Audienz beim Zaren gehabt. Es heißt, Flourens suche um die Konzession zur Anlegung eineS RM und Cherson, die Ostsee und daS Schwarze Meer verbindenden Kanals nach. Er wolle zu dem Zweck vorhandene, aber ohne künstliche Nachhilfe unverwendbare Wasserläufe benutzen und dem Kanal dieselben Maße geben, wie sie der Suezkanal habe, so daß er also selbst für große Kriegsschiffe praktikabel würde. Achthundert Millionen Mark erachte Flourens als genügend für die Aus führung des Unternehmens, und wenn die russische Regierung eine gewisse Zinsgarantie übernehme, so stehe ihm überreichliches französisches und belgisches Kapital zu Gebote. Me sich FlourenS )as Offenhalten des Kanals von wenigstens November bis Ende März, also während eines halben Jahres, zumal in der nördlichen Hälfte desselben, denkt, darüber schweigt der Korrespondent. Im Verhältniß zu der kurzen Dauer der Verwendbarkeit des Kanals in jedem Jahre müßten natürlich die Spesen sich entsprechend hoch gestalten. Das ganze Projekt ist nicht neu, aber bis jetzt noch nie zum Versuch einer Ausführung gediehen. In Ergänzung früherer Mittheilungen über die anläßlich der Moskauer Krönung aufzuwendenden Summen theilen wir nach einem Bericht der „Neuen Freie Presse" noch Folgendes mit: Die Krönung, so rechnet man, wird eine Million Fremder nach Moskau führen. Der Hof hat zur Bestreitung der Krönungs kosten 16 Millionen bestimmt; 44 Millionen verausgaben die Städte und Deputationen Rußlands. Alles in Allem dürfte die Krönung 150 Millionen in Moskau ins Rollen bringen. So hoch schätzen die Banken die Summe, zum Theile auf Grund der Kreditbriefe, die bei ihnen einliefen. Es sind manche von enormer Höhe unter diesen. Li-Hung-Tschang ist für eine Million Rubel beglaubigt; der französische Botschafter Graf Montebello hat einen Kreditbrief bei der hiesigen Filiale des Crädit Lyonnais für eine unbegrenzte Summe; einzelne russische Würdenträger haben An weisungen auf 200000 FrancS; eine ähnliche Höhe erreicht der Kreditbrief des Prinzen Liechtenstein, der für 47000 Rubel und 150000 Francs beglaubigt ist. Bescheidener sind die deut schen Fürsten dotirt, so Prinz Georg von Sachsen mit 35000, der Prinz von Baden mit 20000 Rubeln. Diese Summen lassen auf den Reichthum schließen, der sich anschickt, sich über Moskau auszuschütten. stellung deS JudenthumS in Ungarn gethan. Nun sind in den letzten Tagen allerlei besorgnißerregende Erscheinungen an den Tag getreten. Die Ausstellung hat bisher noch immer nicht die ge wünschte Anziehungskraft bekundet. Die Hetze in den Balkan ländern schadet nickt weniger, als die lebhafte Agitation der Nationalitäten und ver Wiener Antisemiten. Der Zuspruch des Auslandes war bisher erschreckend gering. Allerdings steht man ja erst im Anfang, der Sommer mag nachhelfen, aber die Sorge will nicht weichen. BemerkenSwerth ist hierbei die Zurückhaltung, um nicht zu sagen Abneigung deS Kern-MagyarenthumS. In den Reihen desselben gährt eS, und gar Manches deutet auf eine bevorstehende antisemitische Bewegung hin. Verschuldet dürfte sie ein Theil des JudenthumS immerhin haben. Man hat in gewissen Kreisen den ausgeprägten Patriotismus des magyarischen Volkes für jüdische Zwecke leichtfertig ausgebeutet, ein Theil der Presse verficht auch heute noch rein jüdische Interessen unter magyarischer Flagge. Man könnte Fälle aufzählen, wo man auch die auswärtige Politik in den Dienst des Judenthums zu stellen bestrebt war. Nichtsdestoweniger haben die Juden auch Vieles, sehr Vieles geleistet. In keinem Lande mehr als in Ungarn. Wie dem nun auch sei, Tbatsache ist, daß sich Dinge vorbereiten, die sehr leicht eine politische und gesellschaftliche Umgestaltung zur natürlichen Folge haben können. Wie bereits gemeldet, scheint ein Guerillakrieg zwischen den Italienern und den Tigrinern in Abessinien bevorzustehen. Inzwischen hat Baldissera seine Androhung von Repressalien wiederholt, um die Bevölkerung zur Auslieferung der Gefangenen zu bewegen. Nachstehendes Telegramm übermittelt den Wort laut des betreffenden Erlasses des Höchstkommandirenden in der Kolonie. Rom, 16. Mai. Nach einem Telegramm des Corriere della Sera aus Cherseber erließ General Baldissera, am 13. Mai folgendes Manifest: „General Baldissera, Gouverneur von Eritrea, an das Volk von Agame und Tigre! Hört meine Worte! Ich bin gekommen, um die Gefangenen zu holen und Frieden zu schließen. Wenn Ras Mangascha mir die Gefangenen nicht giebt, muß ich Krieg führen und das Land verwüsten. Die Regierung verkündet Euch: Bringt mir die Gefangenen, kehrt in Eure Hütten zurück, baut Eure Felder, ich will keine Waffen, ich will meine Soldaten. Wer fortfährt, auf die Italiener zu schießen, dem wird Haus und Habe verbrannt, und er muß verhungern. Die Gefangenen will ich in drei Tagen sehen, wenn ich sie dann nicht haben werde, beginne ich die Zerstörung von Ganzagame." Aus Nancy, 16. Mai, wird gedrahtet: Der Zug mit der Kaiserinwittwe von Rußland kam um 4 Uhr 30 Min. hier an. Der Präsident der französischen Republik, Faure, der kurz vorher hier eingetroffen war und den Zug erwartete, bestieg den Salonwagen, worin die Kaiserinwittwe saß, und küßte ihr ehr furchtsvoll die Hand. Die Kaiserinwittwe stellte dem Präsidenten ihre beiden Kinder, die sie begleiten, den Großfürsten Michael und die Großfürstin Olga, vor. Im Laufe der Unterhaltung dankte die Kaiserinwittwe dem Präsidenten für die wahrhaft väterliche Aufnahme, die der Präsident dem Großfürsten-Thron- folger in Nizza bereitet hatte. Der Zug kam um 5 Uhr 20 Min. in Pagny an, woselbst der Präsident sich verabschiedete. Die Kaiserinwittwe ließ zum Abschied dem Präsidenten und dem General Boisdeffre je eine schöne Rose überreichen. Der Zug verließ nach kurzem Aufenthalt Pagny, wobei die Kaiserinwittwe Abschiedsgrüße zuwinkte. Die auf dem Bahnhofe versammelte Menge brach in die Rufe aus: es lebe Rußland, es lebe Faure! Der Präsident bestieg dann seinen Zug und kehrte direkt nach Paris zurück. Am 1. April war die letzte Frist für die Erlegung der im vorigen Jahre m Frankreich neu eiugeführten sogenannten An fallsteuer der geistlichen Genossenschaften abgelaufen. Nach dem jetzt veröffentlichten Resultate sind bisher erst 171000 Frcs. erlegt worden, während sich die an den Staat zu zahlenden Summen jetzt auf nicht weniger als 1380000 Frcs. belaufen. Die Steuerbehörde hat nun gegen die widerspenstigen Genossen schaften Prozesse angestrengt, deren Ausgang erst abgewartet werden mnß, ehe weitere Schritte in dieser Richtung unter nommen werden können. Jedenfalls haben die versöhnlichen Er mahnungen aus dem Vatikan sowie einzelner friedfertiger Bischöfe die größte Mehrzahl der Kongregationen nicht dazu vermocht, gefährliches Spiel, sind solchem Gegner nicht gewachsen — Sie sind zu offen und Sie würden nur von Anderen mißbraucht werden." Der Oberstallmeister warf sich sichtlich verstimmt in einen Sessel. Plötzlich stand die Fürstin an seiner Seite und, die Hand leicht auf die Lehne seines Sitzes gestützt, beugte sie sich Im ungarischen Abgeordnetenhaus erklärte auf die Inter pellation der Abgm Ugron und Franz Koffuth wegen der Fahnen demonstration in Belgrad der Ministerpräsident Baron Banffy: „Was die Anträge des Aba. Ugron anbetrifft, so habe ich zur Beantwortung der Interpellation im Sinne des Gesetzes mit dem Minister des Aeußeren über die Belgrader Vorgänge konferirt. Ich halte aufrecht, was ich letzthin gesagt habe, daß nämlich die Regierung der Ansicht ist, die ganze Angelegenheit sei auf ein Mißverständniß zurückzuführen. Die Regierung kann auf Grund nicht erwiesener ZeitungSmeldungen keine weiteren Schritte unter nehmen." Redner fährt sodann fort, die Meldung von einer Cirkularnote sei apokryph, und eS seien naturgemäß deshalb keine weiteren Verfügungen erfolgt. Die verschiedenen Berichte von angeblichen Interviews bezeichnet Redner als Zeitungsenten und erklärt schließlich: „Unser Vertreter in Belgrad hat gegen die Versetzung des Polizeipräfekten nicht protestirt, da der serbische Minister des Aeußeren erklärt hat, daß die Versetzung eine Degradation bedeute. Hierin liegt der Beweis, daß die serbische Regierung die Vorfälle verurtheilt und von dem Streben ge leitet ist, Demonstrationen gegen den Staat zu verhindern, mit dem sie gute Nachbarschaft aufrecht erhalten will. Daran darf nicht gezweifelt werden. Die Regierung erachtet deshalb keine weiteren Schritte für nothwendig. Was wir gefordert haben, haben wir erlangt, die Schuldigen sind bestraft worden, darunter 72 mit Gefängniß, diejenigen, die nicht in Belgrad ansässig sind, werden abgeschoben, die Fremden ausgewiesen, die Rädelsführer vor daS Strafgericht gestellt werden." Unter Beifall auf der rechten Seite wurde die Antwort zur Kenntniß genommen. Mit der Ueberschrist „Verdrießlichkeiten" bringt die „Köln. Ztg." eine Budapester Korrespondenz, die den Millenniums-Zauber in vorsichtiger, darum recht wirksamer Weise auf seine faulen Stellen untersucht und eine Antwort auf die Frage zu geben sich bemüht, warum die Ausstellung im Lande selbst und auch im Auslande kaum einen Zuspruch findet, der im Verhältniß zu der aufgewendeten Reklame steht. Interessant ist es, daß die „Köln. Ztg." jetzt auch bemerkt, wie furchtbar verjudet die ungarischen Verhältnisse sind und wie das Judenthum mit seiner Aufdring lichkeit der Millenniumsfeier nachweislich geschadet hat. Wir geben die betreffende Zuschrift im Folgenden wieder: Die frohe Festesstimmung will nicht recht andauern. Inden letzten Stunden hat sie sogar einem unverkennbaren Unbehagen Platz gemacht. Daß sich der Hochadel für das eigentliche Kultnrwerk der Jahr tausendfeier nicht recht zu erwärmen vermag, ist bereits berichtet worden. Die hochgeborenen Herren finden gar Vieles auszusetzen und sind vor Allem der Ansicht, daß man die Sache mit einer der großen Nationalfeier nicht ganz würdigen Reklamesucht inS Werk gesetzt habe. Freilich spielt hierbei auch die Unzufriedenheit mit, die sich dieser Kreise seit dem Jnsleben- treten der letzten Kirchengesetze bemächtigt hat, aber auch die leitenden politischen Kreise tragen eine gewisse Verstimmung zur Schau. Zweierlei Dinge haben dazu beigetragen. Zunächst die feindseligen Kundgebungen in den Balkanländern, dann aber auch daS unversöhnliche, herausfordernde Gebühren der Nationalitäten. Jetzt erst sieht man, wie viele Feinde das heutige Ungarn hat, und gleichzeitig greift auch die Üeberzeugung um sich, daß man die Bedeutung der Nationalitätenfrage unterschätzt habe und einer vernünftigen Lösung leichtsertig aus dem Wege gewichen sei. Alles fühlt, daß hier Abhilfe, rasche Abhilfe Noth thue; die Nationalitätenfrage darf nicht mit Gewalt und Selbstüberhebung, sie muß mit Klugheit, Umsicht und Selbstverleugnung gelöst und auS der Welt geschafft werden. Nicht minder besorgt ist das Judentbum. Es hat im Laufe der letzten 30 Jahre an der Spitze des geistigen und wirthschaftlichen Fortschritt- in Ungarn gestanden. Die thatkräftige Unterstützung, welche ihm die je weiligen ungarischen Regierungen angedeihen ließen, hat es aber viel zu weit vorgedrängt. Die Juden haben der natürlichen Entwickelung vorgegriffen, und eine Anzahl der bedeutendsten Unternehmungen und Errungenschaften sieht sich heute vor die schwere Frage des Seins oder Nichtseins gestellt. Deshalb hat man alle Hoffnungen in das Ausstellungswerk gesetzt. Von feinem Gelingen hängt der Fortbestand gar manches WirthschastS- gebildes ab, sein Mißlingen müßte den Zusammenbruch zur Folge haben, und mit ihm wäre es auch um die heutige Macht- Wenn ich Sie so sprechen höre, Herr von Kelling, brach sie endlich das Schweigen, dann allerdings müssen wir die Sache von einer ganz anderen Seite ansehen; Sie sind nicht mehr der harmlose Günstling, der in einer glänzenden sorgenfreien Lebens stellung seine volle Befriedigung findet, und den die Unter würfigkeit der Höflinge für manche langweilige Stunde entschädigt, die er dem hypochondrischen Fürsten opfern muß; Sie fühlen sich in demselben Maße, in welchem Ihr Einfluß auf den Groß herzog zunimmt, der meisternden Zucht Ihres Protektors ent wachsen; ' 1 '"7 Mannessinn ringt sich durch. Sie haben eine bestimmte Ueber- lachte die schöne reizende Frau. „Sie lieben nicht die DinerS unter vier Augen." „Das kommt darauf an. Wenn zwei von den Augen meine eigenen sind und die andern beiden einer schönen Frau gehören, dann kann ich mir nichts Verlockenderes denken," rief Boris galant, mit vielsagendem Blicke Wlastas Hand an seine Lippen ziehend. Sie erröthete, ein warmer Druck ihrer Finger sagte ihm, daß er verstanden wäre. Sie schieden. Von den widerstreitendsten Empfindungen bewegt, schritt der Ober stallmeister die teppichbelegten Marmortreppen hinab und durch das mit schönen Blattpflanzen dekorirte und hell erleuchtete Vestibül zu seinem Wagen. Er konnte es nicht leugnen, die Fürstin übte einen gewissen fascinirendenZauber auf ihn aus; der fast tägliche Verkehr mit ihr, die Aussprache über Alles, was ihn bewegte, war ihm Bedürfniß geworden. Sie war klug, den Hof- intriguen gewachsen und hatte ihm schon manchen guten Rath ertheilt — auch was sie ihm heute über den Minister gesagt, mußte er billigen; dagegen gab ihm ihr Vorschlag hinsichtlich ihrer politischen Pläne zu denken und machte ihn sogar unruhig. Deshalb war er auch beim Diner mit dem Großherzog zerstreut, fast einsilbig und verbesserte dadurch die Stimmung seines fürst lichen Herrn nicht, der durch eine leichte Unpäßlichkeit ohnehin verdrießlich und mehr denn je von hypochondrischen Grillen geplagt war; dazu hatte Boris bald genug erfahren, daß der Minister kurz vor ihm dagewesen war, und eine lange Abhandlung über den schlechten Stand der Finanzen gehalten hatte. Nachdem die Tafel aufgehoben war, zog sich der Großherzog mit Kelling in den kleinen Rauchsaloit zurück; er nahm seinen Lieblingsplatz vor dem Kamin ein, Kelling setzte sich ihm mehl seitwärts. Es war todtenstill in dem kostbar ausgestatteten, nur matt durch die Kerzen des Kronleuchters erhellten Gemach; im Kamio prasselten mächtige Holzscheite, in deren Schein sich die beiden Windspiele des Großherzogs wärmten. „Boris", sagte der Fürst mit gedämpfter Stimme, „mir wird die Tyrannei des Ministers geradezu unerträglich." Er schien auf eine Antwort seines Günstlings zu warten, als dieser aber beharrlich schwieg und dazu ein Gesicht machte wie Jemand, dem man Tag für Tag dieselbe Leidensgeschichll erzählt, stieß der Großherzog ungeduldig mit dem Fuß gegen da? vergoldete Kamingitter und rief heftig: „Du scheinst wenig Theilnahme für das zu haben, was mick erfreut, bekümmert oder quält. Warum antwortest Du mir nicht - Von Allen, die mich umgeben, warst Du bisher der Einzige, zi dem ich mich aussprechen konnte, und der mit seiner Meinung nicht zurückyielt. Schwörst Du jetzt auch etwa zu der Fahne Steiers?" lForts. folgt.) über ihn. „Herr von Kelling!" Ihre Stimme klang weich und ein schmeichelnd, ein feiner, berauschender Duft entströmte ihrem Haar, dem leise raschelnden Seidenkleid, dem duftigen Spitzen- tuch, daS über der Büste gekreuzt dort von einer funkelnden Brillant-Agraffe zusammengehalten wurde. Boris sah auf und zummmt, Ver meisternden Zucht Ihres Protektors ent- gerade in die halb verschleierten Augen, die sich mit tiefem, ; der nach Selbständigkeit, nach geistiger Freiheit strebende bittendem Blick in die feinen senkten. „Herr von Kelling!" wiederholte sie noch einmal, ich verstehe Sie ganz, und es macht Ihnen als Mann nur Ehre, daß Ihnen das Leben ohne eigentlichen ernsten Zweck, ohne ein höheres Ziel, wie Sie eS setzt führen, nicht genügt, daß Sie aber auch Ihr besseres Ich" nicht verleugnen wollen. Werden Sie einer der Unseren! Wirken Sie für die edle Sache meines Vaterlandes — Sie gerade, dessen unterdrückte und mißhandelte Landsleute gleichfalls unter russischer Willkürherrschaft schmachten und dulden, Sie müssen mit uns fühlen und es wird Ihnen gelingen, auch den Großherzog dafür zu erwärmen. Sein Wort gilt viel bei seinem königlichen Schwager." Der Oberstallmeister sah starr geradeaus, seine Brust hob und senkte sich vor innerer tiefer Erregung.
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