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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 08.05.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-05-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189605086
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18960508
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18960508
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-05
- Tag 1896-05-08
-
Monat
1896-05
-
Jahr
1896
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 08.05.1896
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189g. dritte Lesung der Gesetzentwürfe, betreffend den unlauteren Wett bewerb und die Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften; zweite Lesung des Abgabentarifs für den Kaiser Wilhelm-Kanal. In der heutigen Plenarsitzung des Bundesraths wird voraus sichtlich auch über den Gesetzentwurf wegen der vierten Ba taillone Entscheidung getroffen werden. Falls diese, woran wohl nicht zu zweifeln ist, zustimmend ausfällt, wird die Vorlage wahrscheinlich sofort dem Reichstag zugehen. Der Staatssekretär des Reichs-Marineamtes Vizeadmiral Hollmann ist, wie bereits gestern gemeldet, zum Admiral be fördert worden. Herr Hollmann ist am 11. August 1863 Unter lieutenant zur See geworden und wurde bereits im folgenden Jahre zum Lieutenant zur See befördert. Das Patent als KapitänUeutenant datirt vom 20. Februar 1868; zum Korvetten kapitän wurde Herr Hollmann am 17. Februar 1874 ernannt, Kapitän zur See wurde er am 15. Februar 1881, Kontreadmiral am 14. August 1888, Vizeadmiral am 18. November 1890. Die deutsche Marine hat nunmehr 2 Admirale (v. Knorr, Hollmann), 4 Vizeadmirale (Köster, Valois, Karcher, Thomsen) und lOKontre- admirale: im Ganzen also 16 Flaggoffiziere. Die Geschäftsordnungskommission des Reichstags hat gestern einstimmig beschlossen, das Mandat des Abg. Köhler (1. Hessen; Antis.), dem eine Postagentur in Langsdorf über tragen worden ist, für erloschen zu erklären. Entscheidend für diesen Beschluß waren die Darlegungen des Regierungsvertreters. Danach wohnt den Postagenten Beamteneigenschaft bei, für welche die Dienstanweisung der Postbeamten maßgebend ist. Der In haber einer Postagentur wird als Beamter vereidigt, hat die Pflicht im Dienst die Dienstmütze zu tragen und kann wegen Dienstwidrigkeiten entlassen werden. Der Börse Rache. An der Berliner Produktenbörse ist am Dienstag ein beträchtlicher Preisdruck aus Weizen und Roggen eingetreten. In den „Börsenberichten" wird dieser Vorfall — wie die „Freisinnige Zeitung" erläuternd mittheilt — aus dem Bestreben, nach dem Beschluß des Verbots des Terminhandels sich von früher eingegangenen Verbindlichkeiten loszumachen er klärt. Mit allerlei nichtssagenden Erklärungen ist man an der Börse bekanntlich immer rasch bei der Hand; dienen doch die „Börsenberichte" hauptsächlich dazu, durch Offenbarung plausibler „Gründe" dem Publikum hinsichtlich der wirklich treibenden Kräfte an der Börse Sand in die Augen zu streuen. Die er wähnte Erklärung des neuesten Preissturzes ist aber mehr als schwach; denn eine Nothwendigkeit, sich von früher eingegangenen Verbindlichkeiten „loszumachen", schließt das Verbot des Börsen terminhandels absolut nicht in sich. Abgesehen davon, daß das Gesetz frühestens am 1. Oktober d. I. in Geltung treten wird, werden Termingeschäfte, die vor dem Inkrafttreten des Verbots eingegangen sind, von dem Verbot gar nicht berührt. Suchen die Börsenspekulanten also jetzt schon sich von ihren Verbindlich keiten „loszumachen", so kann das nur zu dem Zwecke geschehen, aus Rache wegen des Verbots einen Preissturz zu veranlassen, um die Macht der Börse zu zeigen. Dieser Vorfall aber recht fertigt aufs Neue das energische gesetzliche Vorgehen gegen der gleichen Willkürlichkeiten in der Preisfestsetzung des Getreides. Der unliebsame Zischenfall, der zu der Entlassung deS BürgermeistersRoll vonGnesen geführt hat, wird von dem „Gnesener Generalanzeiger" also dargestellt: Eine er regte, aber sehr gerechtfertigte Bewegung machte sich beim Schluß der Gastwirths-Ausstellung in den Reihen der deutschen Besucher bemerkbar, da sich dieselben durch ein gradezu einzig dastehendes, höchst bedauerliches Vorkommniß in ihren nationalen Gefühlen aufs Tiefste beleidigt fühlen mußten. Bor der Schlußrede ersuchte Bürgermeister Roll den Stabshoboisten Herold, während des Kaiserhochs wohl einen Tusch zu spielen, aber die sonst nach folgende Kaiserhymne aus „besondern, naheliegenden Gründen" fortzulafsen. Herr Herold erwiderte auf dieses mindestens höchst sonderbare Ansinnen, daß er als Kgl. preußischer Kapellmeister verpflichtet sei, nach einem Kaiserhoch auch die Kaiserhymne spielen zu lassen. Bürgermeister Roll gewährte dem Kapellmeister Herold 10 Minuten Bedenkzeit, Herr Herold erklärte wiederholt, daß er die Kaiserhymne spielen werde und daß ein preußischer Soldat ein solches Ansinnen mit Entrüstung von sich weisen müsse. Hierauf erwiderte Bürgermeister Roll ungefähr Folgendes: „Dann brauchen Sie überhaupt nicht mehr zu spielen und können den Saal mit Ihren Leuten verlassen!" Nach diesem Vorkommniß hielt Herr Roll die Schlußrede rind brachte bei Beendigung der selben das Kaiserhoch ohne jedwede Musikbegleitung aus. Daß Oesterreich einen gleich intensiven Aufschwung genommen? Wie man aus dieser kurzen Gegenüberstellung ersieht, sind die Gegen sätze ungemein schroff, so daß kaum abzusehen ist, wie da eine Einigung erzielt werden soll. Unsere Ansicht ist, daß Ungarn thatsächlich von Oesterreich viel zu hoch eingeschätzt wird. Die Industrie-Millionäre wie Dreher, Guttmann, Leitenberger, Schöller rc., dann der reiche Großgrundbesitz und der wohlhabende Mittelstand fehlen in der ungarischen Reichshälfte. Sie ist noch immer überwiegend Agrikultnrstaat mit einer Bevölkerung von Bauern und Händlern. Ungarn kann 42 Prozent der gemeinsamen Auslagen ohne Schädigung seiner Wohlfahrt nicht auf sich nehmen, aber wenn Oesterreich eine solche Leistung dennoch verlangt, so hat den Anlaß dazu die prahlerische Großmannssucht der ungarischen Bevölkerung gegeben. Dieser Quotenstreit wird hoffentlich die eine gute Seite haben, daß man jenseits der Leitha den Werth der Bescheidenheit zu würdigen lernen wird. Aus Wien, 6. Mai, wird drahtlich gemeldet: Soeben ist auf Wunsch der Erzherzogin Marie Therese Baron Widerhofer mit dem Professor Neußer zum Konzilium zusammengetreten. Sie haben sehr betrübende Wahrnehmungen gemacht. Es gelingt den Aerzten nicht, beim Erzherzog Carl Ludwig die Fieber erscheinungen zum Nachlassen zu bringen, die den Patienten un gemein schwächen. Als Widerhofer und Neußer vor dem Be steigen ihrer Wagen noch im Gespräch vor dem Palais verweilten, trugen beide sehr bekümmerte Mienen. Die Nachfrage nach dem Befinden des Erzherzogs ist überaus rege; den ganzen Tag stehen viele Wagen vor dem Palais. Die „Agenzia Stefani" meldet vom Mittwoch aus Massauah: Während der Nacht vom 4. zum 5. d. M. rückten die Tigriner von den Orten, die von den: italienische« Expeditionscorps be setzt waren, ab. Letzteres hat jetzt die Position von Dongola bis Adigrat inne. Der Aus- und Zugang zum Fort sind voll ständig frei. Gestern zogen aus dem Fort etwa 300 Verwundete und Kranke ab; mehrere wurden auf Tragbahren herausgeschafft; alle gingen in der Richtung auf Adicaje ab. Ras Sebat und Agostafari befinden sich zur Linken der Italiener, Ras Mangascha zur Rechten. Es erscheint ungewiß, was nunmehr geschehen wird. Ras Alula, durch die Kundgebung des Obersten Paganini getäuscht, der am 30. v. M. von Adiugri mit zwei Bataillonen Bersaglieri und anderen Truppen abgegangen war, eilte nach Adua, wo er (Ras Alula) sich noch mit 2000 Mann befindet. Der Gesundheitszustand der italienischen Truppen ist gut. Bei den Gemeiudevertretungswahlen in Frankreich hat keine wesentliche Verschiebung im Besitzstand der Parteien stattgefunden, Verluste scheint nur die Rechte erlitten zu haben, doch auch sie nur in mäßigem Umfange. Dies Ergebniß hatten alle kalt blütigen Beurtheiler, unbeirrt durch das drohende Kampf- und voreilige Triumphgeschrei der Radikalen und Sozialisten, voraus gesagt. Die Gemeindewahlen haben, abgesehen von ihrer Bedeu tung als Merkzeichen der allgemeinen Volksstimmung, nur inso fern eine gewiße politische Tragweite, als die Gemeinderäthe die überwiegenden Bestandtheile des Senatorenwahlkörpers liefern. Diese selten geübte politische Thätigkeit ist aber den Wählern der Gemeinderäthe schwerlich gegenwärtig, wenn sie zur Wahlurne treten. Sie denken dann nur an ihre Ortsangelegenheiten und geben ihre Stimme für ihren Bewerber ab, nicht weil sie an- . nehmen, daß er über den Senat so oder anders denkt, sondern weil er ihr Vetter oder Nachbar ist oder weil er versprochen hat, die Straße neu pflastern zu lassen oder einen Gemeindestier zu kaufen. Mit Spannung sah man nur den Ergebnissen der Wahlen in den Orten entgegen, wo die Sozialisten das Orts regiment entweder bereits führen oder zu erobern hofften. Da ist denn sestzustellen, daß sie eine große Stadt, Calais, neu erworben, aber älteren Besitz verloren haben. In St. Denis, wo sie seit drei Jahren herrschten, sind sie unterlegen, in St. Ouen müssen sie sich mit zweifelhaften Aussichten einem zweiten Wahlgang aus setzen. In Paris selbst ist Genosse AllemSne von den Bewerbern geschlagen worden, die sich seiner Tyrannei entzogen und die ge forderte Abgabe von ihren Bezügen verweigert haben. Die Wähler verlangten weder die unbedingte Unterwerfung ihrer Beauftragten unter den Willen des Genossen Allemane noch die Unterzeichnung einer nicht datirten Mandatsniederlegung. Die Sozialisten haben also keinen besonderen Grund, mit dem Wahl ergebniß zufrieden zu sein. Aus der türkischen Hauptstadt schreibt man oer „Köln. Ztg." vom 1. Mai: Fürst Ferdinand hat mit seinen Reden in Petersburg hier grade keinen besonders guten Eindruck gemacht. dieser Vorfall unter den zahlreich anwesenden Offizieren und deutschen Bürgern das peinlichste Aufsehen erregte, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. Das Konsistorium in Magdeburg erkannte im Disziplinar verfahren gegen den Pfarrer Kötzschke-Sangerhausen, den Gegner des Herrn von Stumm, auf Versetzung. Die Revision bei dem Vorschußverein in Schwabach hat bis her einen Fehlbetrag von einer Million Mark er geben, ist indessen noch nicht abgeschlossen. Die Fälschungen reichen bis zum Jahre 1870 zurück. Man schreibt der „B.B.-Z." aus Wien: Eine der schwierigsten Partien des österreichisch-ungarischen Ausgleichs ist die Fest setzung der Beitragsquote der beiden Reichshälstcn zu den gemein samen Ausgaben. Die Vereinbarung dieser Quoten erfolgt nicht durch die Regierungen, sondern durch eigene Deputationen, welche die beiderseitigen Parlamente delegiren. Bei allen früheren Ausgleichsverhandlungen haben sich die Quotendeputationen ziemlich rasch über die Auftheilung der gemeinsamen Lasten ge einigt, diesmal jedoch stößt diese Auftheilung auf große Schwierig keiten, weil in Oesterreich eine starke Strömung dafür besteht, daß das aufstrebende Ungarn einen höheren als bloß 30 prozentigen Beitrag zu den gemeinsamen Ausgaben beitrage. Die österreichische Quotendeputation hat eine Denkschrift ausgearbeitet, welche zu dem Resultate kommt, daß nach Abzug eines 2 prozentigen Beitrages für die Verwaltung der Militärgrenze Ungarn noch weitere 42 Prozent zu den gemeinsamen Lasten zu entrichten habe. Auf diese Denkschrift hat die ungarische Quotendeputation mit einer ebenso ausführlichen Darlegung geantwortet, in welcher nachge wiesen wird, daß es kein Präcipuum für die Verwaltung der Militärgrenze und nur 31,4 Prozent der gemeinsamen Auslagen zu bestreiten habe. Anstatt mehr, will also Ungarn noch weniger bezahlen als bisher. Es entsteht nun die Frage: Wer hat Recht? Ist die Forderung Oesterreichs begründet oder kann Ungarn wirklich nicht mehr leisten als 31,4 Prozent? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir auf den Inhalt der jetzt zur Ver öffentlichung gelangenden beiderseitigen Nuntien näher eingehe». Die österreichische Quotendeputation stellt den Grundsatz auf: Gleiche Vortheile bedingen gleiche Lasten. Ungarn besitze den gleichen Einfluß wie Oesterreich auf die gemeinsamen Angelegen heiten, es wirke auf die auswärtige Politik bestimmend ein, es habe auch seine Wünsche bei Fragen der Heeresverwaltung zn verwirklichen verstanden, es sei daher nur recht und billig, daß die beiderseitige Beitragsleistung gleichmäßiger vertheilt werde. Dagegen wendet nun Ungarn ein, die Parität sei ein ihm gesetzlich garantirtes Recht, welches ganz unabhängig ist von jener Proportion, nach welcher Ungarn zu den Kosten der gemeinsamen Angelegen heiten beiträgt. Es sei daher Niemand berechtigt, dür die Parität was immer für einen Preis zu fordern. Die österreichische Quotendeputation beruft sich weiter auf das Verhältniß der Be völkerung. Auf Grundlage der Volkszählung im Jahre 1890 würde sich das Verhältniß wie 57,8:42,2 und ohne Einziehung der Bevölkerung der Militärgrenze auf 58:42 stellen. Darauf erwidert Ungarn. Die Bevölkerung Galiziens verhält sich zu jener Niederösterreichs wie 27,65:11,14, nach diesem Schlüssel hätte im Jahre 1893 Galizien zn den direkten Steuern 30 995 885 fl., Niederösterreich aber nur 12 488 035 fl. beizutragen gehabt, in Wahrheit aber zahlte Galizien 12 006 287 fl. und Niedcrösterreich 35 056 720 fl. Es müsse eben nicht bloß auf die Zahl, sondern auch auf die Qualität der Bevölkerung Bedacht genommen werden. Die österreichische Quoteudeputation argumentirt weiter: Die Brutto-Ausgaben beider Reichshälften in: Durchschnitte der Jahre 1886 bis 1894 verhalten sich wie 58,1:41,9, die Brutto-Einnahmen wie 57,1:42,9. Darauf antwortet Ungarn: Die Brutto-Aus gaben können keine Basis für die Beurtheilung der Leistungs- ähigkeit bilden. Denn nicht nur diejenigen Summen haben sich bedeutend erhöht, welche Ungarn für die Kosten seiner inneren Verwaltung aufwendet, sondern auch jene, welche es zu den gemein samen Angelegenheiten beisteuert. Für letztere Zwecke zahle Ungarn heute um 17,1 Mill. Gulden mehr als vor 30 Jahren. Dann aber sei auch zu berücksichtigen, daß in dem ungezogenen Zeitraum von 1886 bis 1894 Ungarn nur Schulden im Betrage von 850 726 000 fl. mit einer jährlichen Zinsenlast von 32 Mill, fl., Oesterreich aber nur Schulden von 795 665 000 fl. mit einer Zinsenlast von 30 Mill. fl. kontrahirt habe. Die österreichische Quotendeputation verweist dann auf die steigende Leistungs fähigkeit Ungarns und auf die Erstarkung seiner wirthschaftlichen Betriebe. Doch darauf antwortete Ungarn: hat denn nicht Der Günstling. Bon B. von der Lancken. (14. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) „Du sprichst jetzt so ost von der Großherzogin," sagte Karl Rudolph, mit leichtem Verdruß den Kopf schüttelnd, „und doch ist es Dir nicht verborgen, daß sie gleichfalls eine Natur ist, die sich nicht unterordnet. Sie würde sich gern in die Politik und Staats sachen mischen, wenn ich ihr dies gestattete, und wenn wir ein ander näher stünden. In diesem Punkt stimme ich ausnahms weise mit dem Grafen überein." „Und er bestärkt Eure Königliche Hoheit in diesen Anschauungen, weil die Großherzogin die Einzige am Hofe ist, die den: Grafeu geistig ebenbürtig und die er — fürchtet. Ob er dadurch zwei Menschen trennt, die sich, gegenseitig ergänzend, in ihrer Ver bindung ein reines und auf Thronen seltenes Glück fänden, das ist ihm in seinem starren Egoismus, in seiner unersättlichen Herrschsucht gleichgiltig. Schonungslos tritt er die heiligsten Satzungen unter seine Füße, wenn sich ihm daraus eine Staffel baut, auf der er zu der Höhe emporklimmen kann, die zu erreichen seinem Ehrgeiz vorschwebt." Der Oberstallmeister hatte von seinen: lebhaften Temperament hingerissen gesprochen. Rudolf stand ihm gegenüber, seine kräftige, breitschultrige Gestalt hoch aufgerichtet, die eine Hand auf die Lehne eines Stuhles gestützt, und der Ausdruck angeregten und staunenden Zuhörens ließ Kelling hoffen, daß seine Worte nicht ganz verloren sein würden. Als er schwieg, wandten sich die Blicke des Großherzogs unwillkürlich nach der Wand, an welcher in Lebensgröße gemalt das Bild seiner Gattin hing und wider seinen Willen mußte er sich das Eingeständnis; machen, daß der Oberstallmeister in Manchem, was er gesagt, nicht so Unrecht hatte. — Er Ivußte es ja selbst genug, hintcr dieser hohen, weißen Stirn wohnte ein klarer scharfer Verstand, der schön geformte Mund, das Kinn verriethcn Energie, aber aus diesen großen klaren blanen Augen sprach ein Herz mild und gütig, wie cs zn der echten Fran gehört. . Kelling ahnte, was in der Seele seines fürstlichen Herrn Vor gehen mochte, er sagte nichts mehr, er machte auch keine Bewegung, er blickte in die rothe Gluth des Kamins und spielte mit der Quaste des Sessels. Plötzlich sich besinnend fuhr der Großherzog mit der feinen weißen Hand von der Stirn abwärts über das Gesicht, strich dann seinen starken Schnurrbart nach rechts und links zur Seite und sagte kurz: „Komm, Boris, es ist Zeit — ich fürchte, wir haben schon zu lange geplaudert." „Aber hoffentlich nicht umsonst!" murmelte der Oberstallmeister, seinem Gebieter folgend. Im Vestibül trat ihnen die Großherzogin entgegen, die soeben von ihrer Spazierfahrt zurückkam, und es wollte Boris von Kelling, der seinen Herrn scharf beobachtete, scheinen, als ob sich die finsteren Züge desselben um ein weniges ausklärten, als er aus seine Gemahlin zutrat. „Du bist mir zuvorgekommen mit Deiner Spazierfahrt und hast Dich wohl sehr früh herausgemacht?" sagte er. „Wir haben uns verspätet und unseren Oberstallmeister trifft die Schuld, wenn ich Dir heute keinen Wildbraten in Deine Küche liefere — er hat mich warten lassen." Der Großherzog scherzend! Die Hofdame, die Großherzogin selbst waren ganz überrascht. Boris jubelte innerlich. Er stand im Frauendienst und da wußte er von vornherein, daß sein ritterlicher Herr ihm Absolution ertheilcn würde, scherzte Ludovika. So etwas hörte Karl Rudolf gerne, nichts Angeneh meres hätte ihm seine Gemahlin sagen können, ihre Worte riefen wirklich ein Lächeln auf seine Lippen, und er verabschiedete sich von ihr mit einem Handkuß und grüßte auch die Hofdame freund licher, als es sonst seine Art war. Als die Herren dann eben in dem Jagdwagcn Platz genom men, bog die Equipage des Staatsministers von der nächsten Straße her auf den Schloßhof ein. „Der Gras!" rief Karl Rudolf ärgerlich. „Er kommt mit irgend einer Sache, die mir meine gute Laune verdirbt, ich will ihn nicht empfangen. Fort —" und die feurigen Trakehner, schon von: langen Warten ungeduldig, stoben mit dem leichten Gefährt durch eine der seitlichen Ausfahrten, während Grqf Steier die Rampe zum Schlosse hinauffuhr. „Er wird sich ärgern", sagte der Großherzog schadenfroh, „aber er wird auch sehen, daß ich noch einen persönlichen Willen habe." Armer Fürst, dessen ganze Willensäußerung darin gipfelt, vor seinem verhaßten Minister zu entfliehen, dachte der Ober stallmeister. Siebentes Kapitel. Draußen am Ende der Kastanienallee mitten >m Park lag das im Rokokvstil erbaute Schlößchen „lur eoqnstte", das vor hundert Jahren ein galanter Vorfahr des regierenden Herzogs für eine kleine französische Schauspielerin aufführcn ließ, das aber nach dem Tode derselben ost seine Besitzer gewechselt und jetzt der Fürstin Wlasta Asakoff, einer geborenen Gräfin Potowska, gehörte. Die Fürstin war Wittwe, soviel man wußte „russisch-reich", und lebte seit mehreren Jahren in Deutschland, einem on äit zu folge, weil ein russischer Großfürst der schönen Frau größeres und ernsteres Interesse entgegenbrachte, als dem Zaren wünschens- iverth erschien. Ani großherzoglichen Hofe kam man der Fürstin erst mit einiger Reserve entgegen: als man ihr aber fast auf jeder größeren und kleineren Festlichkeit in der Gesellschaft be gegnete, betrachtete man die schöne nnd liebenswürdige Frau, die ein großes Haus im vornehmen Stile machte, als eine sehr an genehme Acquisition, und bald war Fürstin Wlasta ein allge meiner Liebling der Salons und des Hofes. Nur die Großher zogin beobachtete bei aller Liebenswürdigkeit doch eine gewisse fast kühle Zurückhaltung. Draußen war die Wintcrsonne zur Ruhe gegangen, ein letzter tiefrothcr Schein verglühte auf den beschneiten Baumkronen und den Wegen des Parks — der Himmel war grau und schnee schwer — cs lag wie ein Hauch von Melancholie über dem stillen Winterbild. Fürstin Wlastas Bondoir war erleuchtet, ein reizender Schmoll winkel für eine schöne Frau: schwellende Polstermöbel, mit licht blauer silbcrdurchwirkter Seide bezogen, ein zierlicher Schreib tisch mit den darauf nöthigen Utensilien aus Lapislazuli, vor der Chaiselongue neben dem Kamin das Fell eines mächtigen Eis bären mit funkelnden Glasaugen im Kopf und weit auseinander gespreizten Pranken. Ueber dem zierlichen Eckdivan neigte eine prächtige Mnsa ihre schwankenden Blätter, frische Blumen, in reizenden Vasen hier und da auf einem Tisch oder einer Etagere, zwischen kostbaren brie L brao ausgestellt, verbreiteten einen er frischenden Dicht, im Kamine brannte ein Helles Fcner, dessen Gluth ein Ofenschirm von mattem Glas mit künstlerisch einge- schlisfencn spielenden Amoretten dämpfte — die Portieren zu dem daneben liegenden größeren, ebenfalls erleuchteten Salon waren leicht zurückgeschlagcu, die Fenster durch Läden und Vorhänge hier wie im Boudoir dicht geschlossen. Auch dieser Naum zeigte eine fast üppige Pracht der Ausstattung und war in grauer ge blümter Seide gehalten. Auf einem niedrigen Tischchen waren Früchte, seines Gebäck und eine Kristallkarasfc mit Wein ausgestellt; die Pcndnle aus dem Kamin schlug mit leichten silberhellen Schlägen neun. (Fortsetzung folgt.)
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