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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 24.04.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-04-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189604248
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18960424
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18960424
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-04
- Tag 1896-04-24
-
Monat
1896-04
-
Jahr
1896
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 24.04.1896
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Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Seite 3. — 24. April. 1898 H 94. v. Buol un- Oertliches und Sächsisches. Freiberg, den 23. April. — Die Feier des Geburtstages Lr. Mai. des Königs > in unserer Stadt fand auch diesmal in der gewohnten Weise statt. 1 Der Festtag wurde am Morgen durch das Geläute sämmt-> icher Glocken eingeleitet.' Gleichzeitig ward durch das Stadt- i mustkchor in den trotz der ungünstigen Witterung reich beflaggten i Straßen der Stadt Weckruf ausgeführt. In der Zeit von */»12 bis l/,1 Uhr wurde auf dem Obermarkt seitens der genannten Ka- ! pelle Platzmusik unter zahlreicherTheilnahme des Publikums abge- ! halten. Nachmittags 2 Uhr fand im großen Kaufhaussaale ein Fest- , essen statt, an welchem sich alle Kreise der Bürgerschaft zahl- i reich betheiligten. Es waren etwa 160 Gedecke aufgelegt. Den Trinkspruch auf Se. Maj. den König brachte Herr Bürger meister vr. Beck in etwa folgenden Worten aus: Hochverehrte Herren! So oft mit dem Frühlinge wieder der gottgesegnete Tag erscheint, an welchem dem erlauchten Fürstenhause Wettin das edle Reis entsprossen, zu dessen Ge burtstagsfeier wir uns wiederum in so stattlicher Zahl hier festlich vereint haben, da feiert die alte Sachsentreue ihren höch- , sten Ehrentag und überall im Lande, im einfachsten Dorfe des Gebirges wie in der glanzvollen Residenz, in Palast und Hütte schließen sich die Herzen in dem Gefühle innigster Liebe und Verehrung, unwandelbarer Treue «nd Anhänglichkeit an den erlauchten Träger der Krone zusammen und danken dem All mächtigen, daß Er unserem Könige ein neues Jahr seiner ruhmreichen Regierung geschenkt, daß Er ihm Kraft und Ge- : sundheit verliehen, seines hohen Amtes zu je länger desto ! reicherem Segen unseres Landes zu walten, und daß Er unser i Volk unter das beglückende Sceptcr eines Herrschers gestellt - hat, der wie kein zweiter deutscher Fürst überall geliebt und > verehrt, deS Kaisers höchstgeschätzter Freund und des Reiches > festeste Stütze, Alldeutschlands Zier und Hoffnung und unseres l Landes Stolz und Segen je und je gewesen ist. 1 Meine Herren! Wir stehen am Ende des großen natio- < nalen Jubellahres, in welchem wir uns wieder einmal an dem - Jungbrunnen der Erinnerung an einen der gewaltigsten Zeit- l abschnitte der deutschen Geschichte haben verjüngen und aus j dem Spiegelbilde jener großen Zeit des geeinten deutschen Volkes AllcS überwindende Kraft erkennen und bewundern dürfen. Nach langer Zeit ist die unter den Schlacken des ' Parteihaders nur noch glimmende, ja bisweilen anscheinend fast ganz erloschene Flamme vaterländischer Begeisterung mächtig hervorgebrochen und hat die vielfach erkalteten Herzen an dem erwärmenden Feuer edler Vaterlandsliebe entzündet, daß man in größter Bewunderung die Hcldenthaten unserer Brüder ge feiert und der gewaltigen Opfer mit innigster Dankbarkeit ge dacht hat. Der aber, dessen Name auf jedem damals wieder aufge schlagenen Ruhmesblatte jener großen Zeit an erster Stelle mit goldenen Lettern verzeichnet stand, es war der Sachsen rnhmgekrönter Führer, unser König, dessen Fcldherrntalent sich so oft in schwerer Entscheidungsstunde glänzend bewährt, der überall Sieg um Sieg an die Fahnen der ihm unterstellten Truppen geheftet.. So gestaltete sich die nationale Jubelfeier jedes großen Ge denktages zu einer Ruhmesfcier unseres Königs. Mit stolzer Freude erfüllte alle Sachsenherzen der Glückwunsch Kaiser Wilhelms an seinen väterlichen Freund am Nuhmes- tage der sächsischen Waffen von St. Privat und mit Thränen pietätvoller Rührung im Auge haben wir die tiefergreifende Antwort unseres königlichen Herrn gelesen, wenn er sagte: „Sollten Ew. Majestät gezwungen sein, uns dereinst wieder unter die Waffen zu rufen, dann werden die Söhne meines Landes ihre Schuldigkeit thun wie bei St. Privat nnd auch ich stehe, so Gott mir Kraft beläßt, des Rufes Ew. Majestät gewärtig." Nnd doch, so beredt auch unseres Königs unvergleichliche Waffenthaten dereinst seinen Ruhm in der Geschichte künden werden, noch höher steht uns neben dem Bilde des lorbeer gekrönten Siegeshelden seine hehre Gestalt als Fricdensfürst, als Vater des Vaterlandes in einem in dieser Innigkeit vor her kaum genannten Sinne, als der ebenso thatkräftige wie milde, weise und gerechte, nur von der hingebendcn Sorge um sein geliebtes Sachsenland erfüllte Herrscher, der sein Volk ans allen Gebieten glücklich zu machen, des Landes Wohlstand zu mehren, Handel nnd Industrie zu fördern, Kunst und Wissen schaft zu Pflegen und durch solche Arbeit fiir sein Land die unablässige Fürsorge für deS Reiches Macht und Herrlichkeit zu bcthätigen nicht müde wird, daß kein Geringerer als Deutschlands größter Kanzler dankbar von ihm rühmt: „Der erfolgreichste Mitarbeiter nicht bloß an der Herstellung, sondern : auch an der Ausdehnung und Erhaltung der deutschen Einheit ist König Albert einer der wesentlichsten Schmiede des Eisens gewesen, welches unS zusammenhält." Darum Gott Lob und Dank, daß wir angesichts des tiefen Ernstes der Zeit die sichere Leitung unserer Geschicke in der Hand eines so gottbegnadeten Herrschers wissen! Darum be sonders auch Ihm inniger, heißer Dank für Alles, was er uns und unserem Lande gewesen ist, und insbesondere auch für das gnädige Wohlwollen, mit dem er seine altehrwürdige, getreue Bergstadt Freiberg wie allezeit so auch heute wiederum durch zahlreiche Beweise Allerhöchster Huld und Gnade, aus gezeichnet hat! Lassen Sie uns jetzt daS Gelübde unverbrüchlicher Treue zu unserm geliebten königlichen Herrn erneuern und diesen tief in unserem Herzen wurzelnden Gefühlen der Hingebung und Treue, -der Liebe und Verehrung begeisterten Ausdruck ver leihen, indem Sie mit mir in den Ruf einstimmen: Se. Majestät unser Allergnädigster König und Herr lebe hoch, hoch, hoch! Begeistert stimmte) die Versammlung in den Ruf ein. -- Für idie Pfründner im St. Johannishospital, die Pfleglinge im St. Bartholomaihospital erfolgte ebenso wie für die Ortsarmen, anstatt der bisherigen Brodvertheilung eine Speisung statt. — In den Schulen wurde der Tag während der Vormittagsstunden in der herkömmlichen Weise durch Festakt gefeiert. Die Knabenbürgerschule beging die Geburtstagsfeier des Königs heute Vormittag 9 Uhr in ihrer UM Festsaale um-- gewandelten Turnhalle unter dem Beisein von Eltern der.Schüler und Vertreter der Behörden. Nach dem allgemeinen Gesänge des Liedes „Herr, dir tönen unsre Lieder" sprach Herr Direktor Brückner ein Gebet, worauf Lehrer und Schüler der Anstalt die Königshymne für gemischten Chor von Jüngst anstimmten. Dar nach deklamirten Hattann aus H. IV „Das Sachsenland", Brause aus Va „Der Stamm Wettin" und Franke aus L Id „Wittiner Wort". Nach abermaligem gemischten Gesänge des Liedes „Dem König Heil" von Wermann hielt Herr Reißig die Festrede. In kurzen kräftigen Strichen entwarf er ein Fürsten- und Heldenblld des Königs Albert mit besonderer Berücksichtigung der letztver- flossenen 25 Jahre seines Lebens. Dabei schilderte'er seine ' glänzende und erfolgreiche Heerführung, seine friedliche Thätigkeit als Landesvater, sein edles Familienleben, sein freundschaftliches Berhältniß zu andern Fürsten, insbesondere zum deutschen Kaiser hause, sowie endlich die allgemeine und aufrichtige Verehrung des sächsischen Volkes für ihren König. Der Redner schloß mit einem dreifachen Hoch auf den König, das die ganze Festversammlung in der Sachsenhymne ausklingen ließ. Der Festaktus in der Mädchenbürgerschule wurde Vormittag 11 Uhr mit einem weihevollen Vorspiel auf dem Harmonium, gespielt von Herrn Lehrer Axt und dem Allgemein- gesange des Chorals „Lobe den Herren" — eröffnet. Sodann sprach Herr Oberlehrer Teichmann ein tiefempfundenes Gebet. Schülerinnen beider Abtheilungen der Schulanstalt trugen Della«: mationen „Sachsens König" und „Schirme Gott Dich fort und' fort" vor. Nachdem das Lied „Gott sei mit Dir, mein Sachsei»; land" verklungen war, nahm Herr Kantor Linke das Wort zm seiner Festansprache, in deren Mittelpunkt er die Person eine-, Fürsten aus dem erlauchten Hause Wettin stellte, dessen Bestreb-- ungen um das Wohl des sächsischen Volkes mit denen unseres geliebten Königs Albert große Ähnlichkeit haben : daS Bild des Kurfürsten August. Von seinem dankbaren Volke „Vater August" genannt, erwarb er sich hohe Verdienste durch thatkräftige Förderung von Feldbau und Viehzucht, Handel und Gewerbe, Kunst und Wissenschaft. Dem Obstbau und der Bienenzucht wendete er, unterstützt durch seine treffliche Gemahlin, die „Mutter Anna", besondere Aufmerksamkeit zu. Unter seiner Regierung entdeckte man die Marmor- und Kalklager in Crotten dorf i. E., deren Material u. A. beim Bau der kathol. Hofkirche iu Dresden Verwendung fand. Die durch Barbara Uttmann in Aunaberg segensreich eingeführte Spitzenklöppelei, die Baumwoll- und Tuchweberei suchte der Fürst zu heben. Er begann und vollendete in 5 Jahren den Bau der „Augustusburg" bei Schellen berg und vollendete den Bau des Jagdschlosses Moritzburg, während die „Annenkirche" in Dresden den Namen seiner edler Gemahlin dem Gedächtniß der Nachwelt überliefert. Iw Jahre 1568 richtete er die „Kunstkammer" in Dresden ein und' begründete damit die hochberühmtcn Sammlungen '.von Kunst schätzen aller Art in unserer Residenz. Vieles, was er begonnen, führten seine Nachfolger zum Heile Sachsens weiter fort. Mit dem Gesänge der Sachsenhymne und der letzten Strophe des Liedes „Den König segne Gott" schloß die einfache, aber würdige Feier ab. — In Ergänzung unserer gestrigen Mittheilungen erwähnen wir ans der Liste der Auszeichnungen anläßlich des Königs geburtstages noch folgende: Den Staatsanwälten Herren vr. Emil Robert Meier und Ernst Otto Leuteritz in Freiberg wurde der Rang in Klasse IV Nr. 14 der Hofrangordnnng ver liehen. Herr Oberbürgermeister Geh. Finanzrath a. D. Beutler in Dresden erhielt das Ritterkreuz I. Klasse vom Verdienstorden, die Herren Oberförster Schreiter- Loßnitz bei Freiberg und Rein-Frauenstein erhielten das Nitterkrenz I. Klasse vom Albrechtsorden. Mit dem Albrechtskreuz wurden ausgezeichnet die Herren Landgerichts-Sekretär Hammer in Freiberg, Privat mann Träger in Oberbobritzsch und Gemeindeältester Guts besitzer Wächtler in Dittmannsdorf. — Die den Ordnungsparteien angehörigen Mitglieder beider Kammern der Ttäudeverfammluug haben in der heutigen Nummer des „Journals" eine Erklärung erlassen, nach der das feste Zusammenstehen der staatserhaltenden Parteien Sachsens, das schon seit einer Reihe von fahren andauert und unserem Vaterlande in jeder Beziehung zum Segen gereicht hat, auch für die Zukunft gesichert ist. Das „Journal" erwähnt bei dieser Gelegenheit noch, daß der beim Landtage 1893/94 gebildete Seniorenkonvent auch in dem eben vergangenen Landtage er neuert worden ist. In den Konvent hat die konservative Partei 5, die nationalliberale Partei 3- und die Fortschrittspartei 2 Mit glieder entsendet. Der Seniorenkonvent hat die Aufgabe, das Zusammengehen der genannten drei Parteien auch außerhalb des Landtags zu Pflegen, etwaige Zwistigkeiten auszuglcichen und in jedem Falle ein geschlossenes Vorgehen der Anhänger der Ordnungs- Parteien gegenüber der Sozialdemokratie zu fördern. Die Führung der Geschäfte des Seniorenkonventes ruht- wie bisher, so auch künftig in den Händen des Vorsitzenden der konservativen Fraktion, des Abgeordneten vr. Mehnert. — Die Erklärung lautet: „Die unterzeichneten Mitglieder beider sächsischen Stänoekammern er klären beim Schluß des 26. ordentlichen Landtags, daß sie em Zusammengehen der staatserhaltenden Parteien, das sich während ' der vergangenen Landtage auf das beste bewährt hat, auch außer- : halb des Landtags allenthalben zum Wohle des sächsstchen Volkes ! und Vaterlandes dringend geboten erachten, und daß sie daher . gewillt sind, hierfür und für gemeinsames Emtreten Reser Härteren : bei öffentlichen Wahlen zn wirken. Dresden, den 22. Aprrl 1896 t Ackermann Ahnert, vr. Andrö. Bassenge, vr. Beck. Behrens. er wieder Gemäßigte an die Regierung beruft.. Cornöly sieht im Senatsbeschluß einen mittelbaren Tadel Faures, denn wenn ge sagt worden ist, daß das Bleiben Bourgeois' bisher verfassungs widrig war, so hat Faure, der ihm zu bleiben gestattete, die Ver fassungsverletzung zugegeben. Aves Guyot lobt im „Siecle" den Senat wegen seiner muthigen Haltung. Dieses Lob ist indeß ziemlich alleinstehend. Die Regierungsblätter überhäufen natür lich den Senat mit Schmähungen und Drohungen, doch beschäftigen sie sich mit ihm zunächst nur nebenher, während ihr Hauptunwille sich gegen Bourgeois richtet, dem sie es gewaltig verübeln, daß er die Flinte ins Korn wirft. „Lanterne" hofft, das Ministerium werde angesichts der sicher zu erwartenden Kundgebung der Kammer seinen Entschluß zurücknehmen. Rochefort ruft: „Düs Vaterland ist in Gefahr! Dke Kammer ist verpflichtet, das allgemeine Stimmrecht gegen die Zwangsherrschaft des engeren Wahlrechts zu Vertheidigen und durch eine feierliche Tagesordnung den Abgang des Kabinetts zu verhindern. Der Senat hat nicht nur unsere Soldaten auf Madagaskar verurtheilt, Hungers zu sterben, er hat auch das Vaterland an den Rand des Abgrunds gestoßen." Maret sieht im „Radical" den nahen Sturz Faures voraus. „Rappel" schilt Bourgeois einen Fahnenflüchtlmg: „Indem er abdankt, erkennt er die Obergewalt deS Senats an. Man hat von ihm Thaten erwartet, und im Augenblick, wo er handeln soll und kann, reißt er aus." Ebenso sagt „Pet. Räpubl.": „Wenn die Radikalen sich dem Senat unterwerfen, laden sie eine schwere Verantwortlichkeit auf sich. Bourgeois Rücktritt ist eine Waffenstrcckung schimpflichster Art. Den Sozialisten kann das freilich gleich sein, sie geben nichts auf. Entsinkt die Fahne der Republik den Händen der anderen, werden sie ihre Hut über nehmen." Der „Figaro" hat auS Budapest die telegraphische Mittheilung erhalten, Baron Hirsch scheine das Opfer eines Verbrechens ge- vorden zu sein, er habe täglich Drohbriefe erhalten. Die Polizei habe die Untersuchung eröffnet. Die Hinterlassenschaft wird auf eine Milliarde geschätzt. wiegen, und daS Ministerium dürfe es nicht auf einen Um- wälzungSzustand ankommen lassen. Um 8 Uhr speisten alle Minister bei Bourgeois. Die Mahlzeit erhielt bereits den Namen des „Gastmahls der Girondisten". Dies ist die hier Jedermann bekannte Bezeichnung der letzten Mahlzeit, die jene Partei vor ihrer Verhaftung und Massenhiurichtnng gemeinsam einnahm. Nach dem Essen wurde die Berathnng fortgesetzt. Inzwischen erschienen einige radikale Abgeordnete bei Bourgeois und bestanden darauf, daß er nicht weiche. Senator Baducl kam mit einer Abordnung der demokratischen Linken deS Senats und über reichte eine Erklärung, die besagt: „Die von einer Mehrheit von Republikanern nnd Feinden der Republik beschlossene Vertagung der Erörterung über die Madagaskar-Geldforderung ist äußerst verfassungswidrig. Unsere Gruppe drückt entschlossener als je dem Kabinett Bourgeois ihr ganzes Vertrauen und ihre Zuneigung aus." Auch ein außerparlamentarischer Ausschuß zur Herbei führung demokratischer Neuerungen wollte eine Bertrauenszuschrift überreichen, wurde jedoch nicht empfangen. Endlich um halb elf , Uhr war der Ministerrath zu Ende und Bourgeois theilte Faure ' den gefaßten Beschluß mit. Faure nahm Bourgeois Eröffnung ohne Bemerkung entgegen. Vom Elysee begab Bourgeois sich »um Kammervorsitzenden Brisson, der eben in der großen Oper der Hauptprobe von „HellS" beiwohnte und mittelst Fernsprechers heimgeruftn wurde, und bat um sofortige drahtliche Einberufung der Kammer für Donnerstag Nachmittag. Brisson erhob zuerst Einwände. Er hielt eine bedingte Abdankung für etwas Un bekanntes und bezweifelte, daß es richtig sei, der Kammer einen Rücktritt anznkündigen, der beim Präsidenten der Republik noch nicht amtlich vollzogen sei. Bourgeois überwand jedoch diese formalen Bedenken und um Mitternacht gingen die Drahtungen an sämmtliche Abgeordneten ab, die sie auf morgen Nachmittag 2 Uhr einberufcn. Bourgeois scheint entschlossen, auch dann abzugchen, wenn die Kammer ihn halten wollte. Damit würde aber die Schwierigkeit der Lage nicht beseitigt sein, da nicht abzusehen ist, wie ein gemäßigtes Ministerium mit Aussicht auf einige Dauer jetzt Bourgeois Erbschaft antreten könnte. Trarieux, der Führer des Senats in feinem letzten Ansturm gegen das Kabinett mißbilligt im „Matin" die Kammereiuberufung. „Was bedeutet dieser Dheaterstreich?" ruft er, „welche Wirkung will man hervorbringen? Das Entlaffungsgesnch hat dem Präsidenten überreicht zu werden, nicht der Kammer. Will man einen Streit zwischen beiden Kammern herbeiführen: Daun stellt das Ministerium also in feiner Verblendung seine Eigenliebe über das Wohl des Vaterlandes."' Die Zeitungstimmen drücken die Verwirrung der Geister und die allgemeine Unruhe deutlich aus. Die Rückschrittsblätker allein freuen sich offen bar mst dem Hintergedanken,' im Trüben zu fischen. „Figaro" . meint, man brauche sich nicht bange machen zn lassen: die ein getretene Krise sei heilsam und werde die Republik besr'cicn, die Freiheit retten. Cassagnac erwartet, daß jetzt Faure auf die Folter bank gespannt werden wird, wenn die Radikalen seben müssen, daß strebungen ist. Dasselbe gilt von der Armee. Ihre Zersetzung, insbesondere die Durchbrechung deS unser Offiziercorps beseelenden Geistes, ist ein Lebensinteresse der Demokratie, und eSistnurder- selb« Faden, wenn dort über Soldatenmißhandlungen und Offizier überhebungen, hier über Militärgerichtsbarkeit und Offizierduelle der Stab gebrochen wird. Die berechnende Taktik der demo kratischen Elemente trat bei der letzten Reichstagsdebatte überall deutlich in die Erscheinung. Auch die Geflissentlichkeit, mit der die Kreise, aus der sich unser Of iziercorps ergänzt, aufs Tiefste herabgesetzt wurden, ist ein redender Beweis dafür. Sie wurden verantwortlich gemacht für alle Sünden einzelner Un würdiger der gebildeten Stände. Ja Bebel verstieg sich sogar zu der frivolen, leider vom Reichstagspräsidenten 1. "...- — beanstandet gelassenen Aeußerung: „Das Uebel kommt von oben!" W liegt System in dem Verhalten der Demokratie. Aber das selbe stellt die Geduld der' gebildeten Kreise denn doch auf eine harte Probe und widert nachgerade an durch den Pharisäismus der Beschuldiger. Will die Sozialdemokratie wirklich den Ankläger der höhern Gesellschaftsklassen abgeben? Mit verwerflichen 'Mitteln betreibt sie den Umsturz. In ihren Reihen wird die Propaganda der That offen vorbereitet. Nirgends wird die Heiligkeit des Eides uyh der Ehe, nirgends das Eigenthum und die Ehre deS Nebenmenschen geringer geachtet, wie dort. Nirgends werden die breiten Massen von gewissenlosen Führern schamloser ausgebeutet, wie in ihren Reihen. Und diese Elemente wollen sich zu Anklägern der gebildeten Stände und des Königtums machen! Sie des Umsturzes beschuldigen! In der That, die Dreistigkeit der, auf den Umsturz sinnenden Elemente hat den Arad des Erträglichen längst überschritten. Wird das Volk sich endlich zur Abwehr ermannen? Die Verhandlungen zwischen der preußischen und der bayrischen Eisenbahnverwaltung wegen gegenseitiger Verkehrs- srleichterungen für die Besucher der im L-mfe dieses Sommers stattfindendenBerliner.Münchener und Stuttgarter Ausstellungen sind, wie eine offiziöse bayrische Korrespondenz hört, von der Königl. Preuß. Staatsbahnvcrwaltung wieder aus genommen worden. Es soll gegründete Aussicht bestehen, daß die Abmachungen zwischen den betheiligten Regierungen zu einem * für den Besuch der drei genannten Ausstellungen günstigen Er- gebniß führen werden. In der Stichwahl im Wahlkreise Osnabrück ist nach der nunmehr vorliegenden abschließenden Meldung Wamhoff (natl.) mit 14040 Stimmen gegen v. Schele (Welfe) mit 18425 Stimmen gewählt worden. Das französische Klebe-Kabinett hat seine Entlassung noch nicht verlangt, es weigert sich abermals, einem Senats- deschlusse zu weichen, aber es hat vereits erkannt, daß es nicht länger an der Regierung bleiben kann, und die Kammer telegraphisch «inberufen lassen, um ihr diese Mittheilung zu machen. Man könnte meinen, es rechne darauf, abernials einen Vertrauens- deschluß der Abgeordnetenkammer zu erlangen, um damit ausge rüstet an die Mobilmachung der öffentlichen Meinung wider den Senat schreiten zu können. Aber ein solches Unternehmen wäre so aussichtslos, daß wir vorerst nicht glauben können, Herr Bourgeois denke ernstlich daran. Ohne gewaltsamen Staatsstreich ist die Beseitigung des Senats unmöglich, da dieser verfassungs- gemäh darüber mit zu entscheide» hätte; einen Volksaufstand gegen den Senat ins Werk zu setzen wird sich die radikale Partei um so mehr hüten, als sie dabei nicht allein alle Besitzenden, sondern, auch die Armee gegen sich hätte. — Ueber die Vorgänge in Paris und die dort bestehenden Auffassungen liegen der „Voss. Zeit." folgende Meldungen vor: Paris, 22. April. Die Be- rathung der Minister im Auswärtigen Amte dauerte zuerst von 4 bis 8 Uhr. Einige Minister, namentlich Doumer, Cavaignac und Ricard, wollten nichts vom- Rücktritt wissen und behaupteten, das Kabinett brauche nicht einmal, die Kammer vorzeitig einzube- rusen, sondern könne überall, auch in Madagaskar, auch ohne den Senat seine Aufgaben lösen, bis die ordnungsmäßige Tagung wieder beginne. Bourgeois und Sarricn jedoch meinten, die Rück sicht ans das Land habe die auf die Parteimtercssen zu über-
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